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John Tanner – Das Leben eines Jägers 12

John Tanner
Das Leben eines Jägers
oder
John Tanners Denkwürdigkeiten über seinen 30-jährigen Aufenthalt unter den Indianern Nordamerikas
Erstmals erschienen 1830 in New York, übersetzt von Dr. Karl Andree

Zwölftes Kapitel

Wir blieben an jener Stelle bis zum Frühjahr und gingen erst, als die Zeit der Zuckerernte nahte, zu Ke-new-kau-nesche-way-boant. Wir baten die Indianer, welche dort wohnten, uns einige Ahornbäume zu überlassen. Sie wiesen uns einen Platz an, auf dem nur einige wenige standen, die noch dazu sehr dünn und schwach waren. Darüber war Net-no-kwa unwillig und wollte nicht bleiben. Als wir demnach zwei Tage lang weiter gewandert waren, fanden wir, was wir suchten, und in der Umgebung viele Biber. Als wir mit der Zuckerernte fertig geworden waren, kam Wa-me-gon-a-biew mit seinem Schwiegervater und der ganzen zahlreichen Familie. Alle waren in einem sehr traurigen Zustand, wir dagegen in einer Lage, die uns möglich machte, ihnen einiges zu geben. Als ihnen aber die Alte zehn meiner besten Biberhäute schenkte, konnte sie es nicht unterlassen, hinzuzufügen: »Diese Biber und noch vieles andere hat mein junger Sohn getötet, der doch nicht so erfahren und schwächer ist als du und Wa-me-gon-a-biew. Sie gab das Geschenk sehr ungern, und dem Alten schien die ganze Sache sehr peinlich.

Einige Tage danach verließen sie uns, um sich zu den Handelsleuten zu begeben. Waw-be-be-nais-sa kam zu uns, als wir im Begriff waren, zum Kontor am Moose-River aufzubrechen. Die Blätter wollten schon ausschlagen, und wir fingen bereits Störe im Fluss, als plötzlich Schnee fiel, und zwar so tief, dass er mir bis an die Knie reichte. Dabei fror es, dass die Bäume wie mitten im Winter Risse bekamen. Viele starben ab, und das Wasser erhielt eine dicke Eisdecke.

Beim Kontor am Moose-River versammelten sich die Assiniboine, die Kris und die Chippewa abermals, um den Mandan Hilfe gegen die U-gusch-a-ninne-wug, einen Stamm, von dem ich schon gesprochen habe, zu leisten.

Ich bekam Lust, sie zu begleiten, und sagte zur Alten: »Ich will mit meinen Oheimen gehen, die zu den Mandan stoßen.«

Sie wollte mir meinen Vorsatz ausreden und nahm mir Gewehr und Mokassins weg, als es ihr nicht gelang. Dadurch wurde ich aber nur um so hitziger, und ich folgte den Indianern barfuß und ohne Waffen, in der Hoffnung, der eine oder andere würde mir wohl aushelfen. Aber ich hatte mich verrechnet, denn niemand schenkte meinen Bitten Gehör.

Ich war ärgerlich und missvergnügt und sah wohl ein, dass mir nichts weiter übrig blieb, als zu den Frauen und Kindern zurückzukehren und bei ihnen zu bleiben. Mein Gewehr forderte ich von der Alten nicht zurück, sondern nahm meine Fallen, verließ die Hütte und kam nicht eher wieder, bis ich so viele Biberfelle hatte, dass ich mir dafür eine andere Flinte eintauschen konnte. Meine Kampflust war aber bedeutend abgekühlt. Den meisten Frauen, welche die Krieger zurückgelassen hatten, fehlte es bald an Lebensmitteln. Nur mit Mühe gelang es mir, von den zurückgebliebenen Knaben und Greisen die Hungersnot abzuhalten.

Endlich kehrten die Krieger zurück. Sie hatten aber wenig oder gar nichts ausgerichtet, und wir trennten uns. Unsere Familie zog an den Elk River, und ein Verwandter der Net-no-kwa begleitete uns. Er hieß Wau-zhe-gaw-maisch-kum (der, welcher dem Ufer entlang geht) und hatte zwei Frauen. -Die eine hieß Me-sau-bis (Gänsedaune oder Flaum). Er hatte auch einen anderen ausgezeichneten Jäger bei sich, Kau-wa-be-nit-to (der alle in Schrecken jagt). Vom Moose-River zogen wir grade nach Norden und kamen schnell vom Fleck, da wir sechs Pferde hatten. Doch brauchten wir manchen Tag, um zur Quelle des Elk River zu gelangen. Dort verließ uns Wau-zhe-gaw-maisch-kum, um am Missouri einen Kriegszug mitzumachen. Aber Kau-wa-be-nit-to blieb bei uns und gab uns immer den besten Teil von seiner Jagdbeute. Auch zeigte er mir in der Umgebung einen Teich, in welchem sich viele Biber aufhielten.

Eines Abends, als ich dorthin ging, bemerkte ich einen Pfad, den die Biber gemacht hatten, und zwar dadurch, dass sie Holz in den Teich schleppten. Ich stellte mich an und hoffte bald einige ankommen zu sehen. Kaum war jenes geschehen, so hörte ich unweit von mir ein Geräusch, ähnlich dem, das man vernimmt, wenn eine Frau Häute klopft und zubereitet. Ich wurde unruhig. Da wir keine Indianer in jener Gegend kannten, so war zu befürchten, dass irgendein feindlicher Stamm sich in der Nähe gelagert haben möchte. Indessen war ich entschlossen, nicht zurückzugehen, ohne Gewissheit darüber zu haben. Deshalb hielt ich mein Gewehr bereit und ging vorsichtig auf dem Pfad weiter. Ich konnte sehr weit und geradeaus sehen und ging ein wenig weiter vor. Da blickte ich zur Seite und sah dicht neben mir im Gebüsch, kaum einen Schritt vom Pfad entfernt, einen nackten Indianer, dessen Körper bemalt war. Er lag flach auf dem Bauch und hielt, eben so wie ich, sein Gewehr im Anschlag. In demselben Augenblick und ohne zu wissen, was ich tat, sprang ich auf die andere Seite des Pfades, und wollte einen Schuss abfeuern. Da lachte jener laut auf, meine Furcht verließ mich, der Indianer stand auf und redete mich in der Chippewasprache an.

Er hatte, gerade wie auch ich, geglaubt, es hielten sich in der Umgegend außer ihm und seiner Familie keine anderen Indianer auf. Er war aus seiner Hütte gekommen, die nur wenig höher lag als der Biberteich und sehr erstaunt gewesen, als er einen Menschen durch das Gesträuch gehen hörte. Er hatte mich zuerst gesehen, und da er nicht wissen konnte, ob ich Freund oder Feind war, sich versteckt. Nachdem ich einiges mit ihm geredet hatte, ging er mit mir zu der Hütte und Net-no-kwa erkannte in ihm einen Verwandten. Er blieb mit seiner Familie etwa zehn Tage bei uns und lagerte sich darauf in einiger Entfernung.

Zum zweiten Mal hatte ich die trübe Aussicht, einen ganzen Winter lang ganz allein für den Unterhalt der Familie sorgen zu müssen. Als aber der erste Frost eintrat, kamen sieben Naudoway-Jäger (Nadowessier), unter ihnen ein Nesse Net-no-kwas, von Mo-ne-ong (Montreal) und beschlossen bei uns zu bleiben. Während die Blätter abfielen und im Anfang des Winters töteten wir viele Biber. Ich war ein besserer Jäger als fünf von den Naudoway und fing jeden Tag mehr Biber als jeder Einzelne von ihnen, obwohl sie Mann für Mann zehn Fallen hatten, und ich nur sechs. Die beiden anderen aber taten es mir in allem zuvor.

Während des Winters nahmen wir noch zwei Naudoway in unser Lager auf, welche für die Pelz-Compagnie jagten. Von den Chippewa wurden sie Way-met-e-goosch-sche-wug (die französischen Chippeway) genannt. Da bald nach ihrer Ankunft das Wild seltener wurde, und wir anfingen, Mangel an Nahrungsmitteln zu leiden, so kamen wir überein, sämtlich auf die Bisonjagd zu ziehen. Am Abend kamen alle Jäger heim, zwei Naudoway, einen großen jungen Mann und einen Greis ausgenommen. Am nächsten Morgen erschien der Jüngere mit einer frisch aufbereiteten Bisonhaut sowie mit einem herrlichen Paar Mokassins und erzählte, er habe auf seinem Streifzug sieben Hütten der Kris gefunden und Mühe gehabt, sich diesen Leuten verständlich zu machen, sei aber endlich in eine der Hütten aufgenommen, gut bewirtet und die Nacht über beherbergt worden. Am Morgen hatte er die Bisonhaut, auf welcher er geschlafen hatte, zusammengelegt, um sie wieder zurückzugeben. Man hatte sie ihm aber geschenkt, und von einer Frau, die bemerkte, dass seine Mokassins nicht mehr im besten Zustand waren, erhielt er die neuen.

Solche Gastfreundschaft ist unter den Indianern, welche noch wenig Verkehr mit den Weißen haben, sehr gemein. Sie ist die Haupttugend, über welche die Alten in ihren Abendgesprächen den Kindern gute Lehren geben. Die Naudoway aber waren in der Gegend, aus welcher sie kamen, wenig an eine solche Behandlung gewöhnt.

Bald darauf kam auch der Greis zurück. Er erzählte, er habe fünfzig Hütten der Assiniboine angetroffen und sei von ihnen sehr gut aufgenommen worden. Diese Indianer hätten Überfluss an Lebensmitteln und sehr gastfreundliche Sitten. Er brachte zwar keine augenscheinlichen Beweise für seine Behauptungen bei, äußerte aber, wir könnten nichts Besseres tun, als uns an jene Assiniboine anzuschließen.

Am anderen Morgen, als wir im Begriff waren, seinem Rat zu folgen, sprach er: »Ich bin noch nicht fertig, ich muss erst meine Mokassins zurechtmachen.«

Da gab ihm ein junger Jäger, um allen weiteren Aufschub zu vermeiden, ein Paar neue, worauf er weiter sprach, er müsse sich aus seiner Decke erst ein Paar Beinschienen schneiden. Einer unserer Gefährten hatte dergleichen übrig und gab sie ihm, worauf er noch allerlei anderes nötig zu haben vorgab, was er alles erhielt. Da aber sein Zögern und Ausflüchte suchen kein Ende nahm, so wurden wir misstrauisch, und endlich brachten einige von uns, die seinen Spuren gefolgt waren, heraus, dass er sich gar nicht weit von unseren Hütten entfernt, gar keine Indianer getroffen und überhaupt seit gestern Morgen nichts gegessen hatte.

Die fünfzig Hütten der Assiniboine bestanden lediglich in seiner Einbildung, und wir suchten daher die Kris auf, welche der junge Naudoway getroffen hatte. Unterwegs fanden wir durch Zufall eine andere Gruppe vom selben Stamm. Die Leute waren uns fremd, wir fragten aber nach ihrem Häuptling und setzten uns am Herd nieder. Die Frauen stellten die Kessel auf das Feuer und zogen aus einem Sack etwas hervor, das wir nicht kannten und unsere Neugierde erregte. Als das Essen bereit war, erfuhren wir, dass es kleine, kaum einen Zoll lange Fische waren, einer so lang wie der andere. Nachdem sie in den Kessel geworfen waren, wurden sie bald zu einer festen, gallertartigen Masse. Diese kleinen Fische, von denen wir seitdem häufig welche fingen und aßen, findet man in den tiefen Stellen von Teichen, welche nicht viel Wasser haben. Dort sammeln sie sich in solchen Massen, dass man Hunderte auf einmal mit bloßen Händen greifen kann.

Nachdem wir uns gesättigt hatten, untersuchte eine Indianerin, die des Häuptlings angesehenste Frau zu sein schien, unsere Mokassins und gab jedem ein Paar neue. Diese Indianer waren auf der Reise und verließen uns bald. Daher beschlossen wir, ein Sunjegwun oder ein Versteck von all den Dingen zu machen, die uns unterwegs hätten belästigen können, und dann auf die Bisonjagd zu gehen. Wir folgten dem Pfad der Kris, die wir auf der Prärie trafen.

Es war in der Mitte des Winters. Bald danach wurde der junge Naudoway, welcher uns geführt hatte, krank. Seine Freunde baten einen alten Arzt, welcher zu der Kris-Gruppe gehörte und Muk-kwah (der Bär) hieß, ihn wieder gesund zu machen.

»Gebt mir«, sprach der Alte, »zehn Biberhäute, dann will ich meine Kunst an ihm zeigen.« Wir hatten unser Pelzwerk im Sunjegwun gelassen, und seitdem nur neun Biber getötet. Der Alte nahm die neun Felle, ein Stück Tuch statt des Zehnten, und bereitete seine Hütte zur Aufnahme des Kranken vor, der auf eine Matte neben das Feuer gesetzt wurde. Der alte Muk-kwah war ein ziemlich schlechter Bauchredner und ein Arzt, der in nicht besonders hohem Ruf stand. Er ahmte, so gut es eben angehen wollte, einige Töne nach, und wollte die Umstehenden glauben machen, sie kämen aus der Brust des Kranken. Endlich sagte er, er erkenne deutlich das Geräusch eines bösen Feuers in der Brust des Naudoway, legte diesem die eine Hand aufs Herz, die andere und den Mund auf den Rücken, rieb ihn und blies so lange, bis endlich eine kleine Kugel, wie durch Zufall, auf die Erde fiel. Er fuhr aber dennoch fort zu blasen und zu reiben, warf die kleine Kugel bald weit weg, drehte sie bald zwischen seinen Händen und warf sie endlich ins Feuer, wo sie mit einigem Knistern verbrannte, wie es feuchtes Pulver tut. Dieses überraschte mich nicht im Geringsten, denn ich hatte gesehen, dass er an die Stelle, wohin die Kugel fiel, etwas Pulver gestreut hatte. Er mochte aber wohl merken, dass die Naudoway wenig von ihm erbaut waren, und äußerte nun, der Kranke habe eine Schlange im Leib, die er erst am anderen Tag herausschaffen könne. Bei dieser zweiten Sitzung machte er ähnliche Vorkehrungen und Albereien und wies zuletzt eine kleine Schlange vor, die er aus dem Kranken herausgelockt haben wollte. Eine Weile lang hielt er seine Hand auf die Stelle, wo sie, wie er sagte, herausgekommen wäre, damit alles wieder zusammenheile. Töten wollte er die Schlange nicht, verwahrte sie aber sorgsam, damit sie nicht in den Körper irgendeines anderen Indianers überginge. Diese schlecht durchgeführte Betrügerei zeigte natürlich auf den Zustand des Kranken nicht die geringste Wirkung und gab den Nadowessiern viel zu lachen. Sie konnten ihm bald seine verschiedenen Töne nachmachen und verhöhnten ihn überall auf das Bitterste. Einige achtbare Männer unter den Kris gaben uns den Rat, weiterhin keinerlei Hilfe bei Muk-kwah zu suchen. Denn sie hielten ihn für närrisch, was er auch war.