Der Freibeuter – Der Schwarzkünstler
Der Freibeuter
Erster Teil
Kapitel 6
Der Schwarzkünstler
Flaxmann war mit den anderen Verwundeten in die Kajüte der Graf Mörner gebracht worden, um von der Geschicklichkeit Meister Habermanns bedient zu werden, welcher auch den Kopf des Kapitäns mit Bandagen umlegt hatte. Kaum hatte das vom Rumgeist glühende Auge des messergeschickten Chirurgen den jungen braunlockigen Mann aus dem Kaffeehaus in Hamburg wiedererkannt, als er mit dem unter seinen unbarmherzigen Händen seufzenden Matrosen nicht schnell genug fertig werden konnte, um – zu der armen Burschen Heil – den Fremden zu fassen.
»Mit Verlaub, junger Herr«, sagte er, den Jüngling unsanft berührend, »Euer Rock hat am Ärmel einen Schlitz, der gerade nicht mit der Naht zusammentrifft, und Blut läuft genug heraus, dass Ihr Euch damit allen Teufeln verschreiben könnt, wenn nicht der oberste Teufel bereits Euer Dokument in der Tasche hat.«
Verwundert ob dieser seltsamen Rede sah Flaxmann den Schiffschirurgus an und erwiderte mit Würde: »Obgleich ich weder etwas vom Teufel halte, noch von denen, die von ihm sprechen, so finde ich es doch sonderbar, zu dieser Zeit und unter dieser Umgebung zum Nachteil der Schwachen dergleichen Reden im Munde zu führen.«
»Mit Verlaub, Herr, Ihr könnt lange reden, ehe Ihr Gabriel Habermann eine Nase aufschwatzt, denn die seine ist fein genug, zu riechen, was mit rechten Dingen zugeht und was nicht. Wer sich mit der medicina occulta, sympathetica und magnetia beschäftigt hat, wie ich, wenn einer artem chirurgicam seit 33 Jahren ausgeübt hat, wie ich, der wird wissen, dass ein durch die Brust geschossener Mann nicht nach einer Viertelstunde frisch und gesund aufstehen und mit dem Degen den Kampf erneuern kann. Hat Juel Swale mich belogen, der mir dies und das von Euch erzählt hat?«
»Wer auch immerhin Juel Swale sei«, versetzte der andere, und ein Zug schelmischen Lächelns flog über sein bleiches Gesicht, »er hat die Wahrheit gesprochen. Aber wenn Ihr ein Mann seid, der seine Wissenschaft verdaut hat, wie könnt Ihr bei jeglichem Ding, welches sich nicht in den Kasten der Gewöhnlichkeit hineinschieben lässt, gleich an den denken, den man nicht gern ausspricht? Ihr müsst schlecht in der magia naturali bewandert sein, um jeglich Wunderwerk der schwarzen Kunst zuzuschreiben.«
Dem Schiffschirurgus war vor Erstaunen das Messer entfallen, und mit einem Gesicht, in welchem Freude, Furcht, Verwunderung, Stolz und die Geister des Grogs miteinander kämpften, starrte er den Jüngling einige Augenblicke an.
»Nun, nun, mit Verlaub«, sagte er endlich, und jede Spur von Stolz war aus seinen Zügen verschwunden. »Ein Physikus soll wohl wissen, was man mit der magia necessaria alles auszurichten vermag. Diabolus treibt aber oft gar wunderlich sein Spiel, und wenn man auch gerade kein pactum explicitum schließt, dergleichen die argen Zauberer, Unholde und Hexen zu tun pflegen, so kann man doch unversehens in seine Schlingen fallen, und ohne dass man es recht weiß, ein pactum implicitum mit ihm machen und dann durch Satans Beihilfe erstaunliche Dinge verrichten, wie ich meine Tage lang viel erlebt habe.«
»Man braucht aber weder ein pactum explicitum noch implicitum mit dem Fürsten der Finsternis abgeschlossen zu haben, um außergewöhnliche Dinge zu verrichten, Meister. Glaubt Ihr denn, dass Archytas von Tarent mit des Bösen Hilfe die hölzerne Taube fertigte, welche so gut flog, wie eine lebendige? Oder, dass der berühmte Albertus Magnus nur mit Teufelskunst den hölzernen Kopf gemacht hat, welcher wie ein Mensch redete? Habt Ihr niemals von der berühmten Kugel des Trebellius gehört, worin man eine sehr reine und subtile Feuchtigkeit und einige Tropfen wunderbaren Öls tat, und nun zuerst das Chaos, danach aber die Elemente abgesondert erblickte. Endlich zog sich der reinste und hellste Teil über die Elemente her und führte mit sich die Sonne, den Mond und die Sterne, welche von keinem äußeren Werkzeug, sondern durch den inwendigen durchgehenden Geist wunderbar und unaufhörlich getrieben wurden und die Bewegung des Himmels höchst sonderbar vor Augen stellten? Glaubt Ihr denn, dies sei allein durch des Satans Beihilfe möglich gewesen? Habt Ihr nicht auch von dem großen Regiomontanus in der Freien Reichsstadt Nürnberg in Deutschland vernommen, welcher einen großen hölzernen Adler künstlich herstellte, und solch Wunderwerk dem Kaiser Maximilian, als dieser gen Nürnberg zog, bis weit vor die Stadt entgegen fliegen, begrüßen und mit langsamem Flug bis in die Stadt begleiten ließ? Auch werdet Ihr als ein Physikus, welcher die Magie studiert hat, wohl von des Regiomontanus eiserner Mücke wissen, welche aus seiner Hand losgelassen, im Gemach rund um die Gäste und dann in die Hand zurückflog? Und meint Ihr wohl, dass dieser gottesfürchtige Künstler einen Pakt mit dem Teufel gemacht hat?«
»Ich merke wohl, dass ich einen Mann vor mir habe, welcher sowohl in praxi als auch in theoria der Magie wohl erfahren und bewandert ist«, versetzte der Schiffschirurgus mit Respekt. »Sicherlich habt Ihr Eure Studien zu Bologna, Paris oder Oxford gemacht. Daran darf freilich die Armut nicht denken. Deshalb ist aber unser einer nicht ganz unerfahren in rebus magicis und weiß recht wohl, dass man magiam artificialem sive mathematicam auch mit Gottes Hilfe exekutieren kann.«
»Und würdet Ihr mich in bösen Verdacht haben, Meister, wenn ich diese meine Wunde, so wie die Wunden aller dieser braven Burschen, welche mit Ehren die Waffen geführt haben, in kurzer Zeit heilte, ohne nur meine Hand an die beschädigte Stelle zu legen. Würdet Ihr selbst dann noch anzunehmen versucht sein, ich stehe in näherer Bekanntschaft mit dem Höllenkönig?«
Das Erstaunen des Wundarztes hatte sich so sehr seiner Seele bemächtigt und alle Funktionen des Körpers dergestalt gehemmt, dass ihm die Arme schlaff am Leib herabhingen, der Mund weit aufstand und die Augen mit einem gewissen Ausdruck von Furchtsamkeit starr auf das ironische Gesicht des Jünglings gerichtet waren. Sein ganzes Aussehen hatte in der Tat etwas Unheimliches, und die von Schmerzen geplagten Matrosen warfen sich sorgenvolle Blicke zu. Endlich bewegte sich wieder etwas in Meister Habermanns Gesicht, er fing an, schwer zu schlucken, als habe er den Mund voll Grog genommen und zu trinken vergessen hatte.
Mit ungemessenem Respekt arbeitete er die Worte hervor: »Mit Verlaub, hoch zuverehrender Herr Doktor, so könnt Ihr wohl das weltberühmte sympathetische Wundpulver zubereiten, welches der hochgeehrte Herr Graf Kenelm Digby, Kanzler Ihrer Majestät der Königin von Großbritannien, die leider Gottes aus ihren Staaten vertrieben, in Frankreich leben muss, von einem Karmeliter am Hofe des Großherzogs von Toskana, der es aus dem Orient mitgebracht hatte, herstellen gelernt hat?«
»Da Ihr also wohl über den Ursprung des sympathetischen Heilpulvers unterrichtet seid«, versetzte Flaxmann, »so werdet Ihr auch wissen, dass der Graf Digby das Geheimnis der Zubereitung des Pulvers dem König Jakob auf dessen hohen Befehl mitteilte. Danach erfuhr es auch des Königs erster Leibarzt, Herr von Mayenne. Dieser war ein natürlicher Bruder des Herzogs von Mayenne in Frankreich und teilte auf einer Reise zu ihm, in dessen Nähe er sein Freiherrngut Aubonne bei Genf besaß, dem Herzog das Geheimnis auf dessen Begehr mit. Der Herzog hatte es seinem Chirurgus verraten und dieser verkaufte es, nachdem der Herzog bei der Belagerung von Montalban geblieben war, für hohe Summen. Darauf hat es der Graf Digby selbst nicht mehr verschwiegen, und von ihm habe ich es gelernt. Aber nicht allein das sympathetische Heilpulver, sondern auch die Waffensalbe hat er mich auf die einzig richtige Weise zuzubereiten und anzuwenden gelehrt.«
»Auch die Waffensalbe!«, kreischte der Schiffschirurgus . »Geehrtester Herr Doktor, Ihr könntet, mit Verlaub, Euren untertänigsten Diener zeitlebens glücklich machen.«
»Ich bin kein Doktor,« versetzte der Fremde kurz.
»Befehlt nur, mit Verlaub, hochgeehrtester Herr, wie ich Euch titulieren soll. Ihr werdet einem armen Schiffschirurgen, der sein Stückchen Brot kümmerlich genug verdienen muss, nicht zu schaden suchen.«
»Mein Name ist Flaxmann, ich bin dänischer Rekrut, der sich jetzt in des Siegers Gewalt befindet. Wie soll ich Euch schaden können, Meister?«
»Mit Verlaub! Ihr beliebt Euer Inkognito beizubehalten und es ziemt Eurem untertänigsten Knecht nicht, Euch daran zu hindern. Aber ein Mann, der eine goldene Dose führt, welcher in arte medica wohlerfahren, chirurgiam studiert, die berühmtesten Universitäten der Welt frequentiert und solcher hohen Personen wie der Graf Digby Umgang gewürdigt worden ist, könnte und dürfte wohl Ansprüche auf besondere Titel und Ehrenbezeugungen haben.«
»Ihr macht da Prämissen, Meister, die ich Euch nicht zugeben kann«, sagte der Fremde mit einem verstohlenen Seufzer, und der ironische Zug seines Gesichts hatte sich in einen schmerzlichen verwandelt. »Mer hat Euch gesagt, dass ich ein Doktor oder ein vornehmer Mann bin? Seid unbesorgt, Meister, dass ich Euch ins Handwerk pfusche, und selbst wenn ich ein wenig von der geheimen und sympathetischen Heilkunde verstände, so hätte ich weder Lust noch Mittel, eine solches auszuüben. Drum gebt nur immerhin etwas von Eurem Wundwasser, von Eurer Charpie und eine Binde her.«
Der Heilkünstler Schiffschirurgus reichte alles mit devoter Dienstfertigkeit und einem Anstrich von Huldigung und Neugierde.
»Mit Verlaub«, kratzfüßelte er dazu, »ich sehe, Ihr versteht auch das Blut zu versprechen und geschickt mit dem Bindzeug umzugehen. Ihr seid gewiss ein Schüler des glorreichen deutschen Arztes, Doktor Georg Franke von Frankenau, gewesener erster Leibarzt des Königs von Dänemark, dessen hohe Wissenschaft ihren Ruhm in der ganzen Welt ausgebreitet hat?«
»Bedenkt doch, Meister, dass Franke von Frankenau bereits 1704 zu Kopenhagen verstorben ist, und dass ich zu jener Zeit erst sechzehn Jahre zählte. Doch habe ich von manchem aus den Schriften dieses großen Arztes profitiert.«
»Ich kenne einen Mann, der Jahre lang auf dem Wasser umhergefahren ist und nicht Gelegenheit gehabt hat, der Geheimnisse teilhaftig zu werden, deren Eure Gestrengen als ein Wissender erwähnte, obgleich er stets ein heftiges Verlangen im Herzen getragen hat, sich darüber zu unterrichten und den armen Burschen, denen die Glieder hier zerschossen und zerhauen werden, dadurch nützlich zu werden. Und dieser unglückliche Mann ist, mit Verlaub zu sagen, Eurer Gestrengen gehorsamster Knecht, Gabriel Habermann, Schiffschirurgus auf der Graf Mörner, Fregatte seiner Majestät des Königs Karls des XII. von Schweden. Und fürwahr, Gabriel Habermann würde es Euch zeit seines Lebens Dank wissen, wenn Ihr ihn durch Eure Mitteilungen beglücken wolltet.«
»Dazu kann wohl Rat werden, Meister Habermann«, versetzte jener leichthin, »doch müsst Ihr Euch gedulden, bis wir auf das Festland kommen, fintemal mir hier, wie Ihr wohl ermessen könnt, alle Species abgehen. «
Der begierige Schiffschirurgus nahm diese Antwort für eine bloße Ausflucht und suchte dem geheimnisvollen Fremden auf eine andere, seiner Meinung nach pfiffigere Art beizukommen.
»Erlaubt doch Euerm dienstfertigen Knecht«, sprach er, »dass ich auf Eurer Brust diejenige Wirkung untersuchen darf, welche die Euch dort getroffene Kugel, opponente magia, angerichtet hat. Ich sehe das Loch in Eurem Rock und fürwahr, ich möchte die geheimen Mittel kennenlernen, mit welchen man die Kraft einer, aus einer fünf Schritt entfernten Pistole abgefeuerten Kugel, welche bereits Rock, Kamisol und Hemd durchschlagen hat, sich vom Leib halten kann.«
»Ihr werdet da kaum weiter etwas als eine leichte Kontusion erblicken«, sagte der Fremde und entblößte die Brust, indem er das Etui, von den lauernden Augen des Chirurgus wohl bemerkt, beiseiteschob und wirklich nur eine rote Stelle zeigte.
»Die Wunde ist schon wieder geschlossen und bereits in der Heilung begriffen«, setzte er schalkhaft hinzu. »Vielleicht kann ich Euch auch diesen Abend die Kugel zeigen, welche hoffentlich noch heute von mir gehen wird.«
»Und Ihr scheint von all dem gar keinen Schmerz empfunden zu haben! Ihr tragt vielleicht einen geheimen Talisman, ein Schibboleth, ein Amulett, welches Paracelsus Zenextum nennt, oder sonst ein wundertätiges Sigill, einen St. Georgentaler bei Euch, der Euch das Gefühl des Schmerzes raubt? Ich sehe, mit Verlaub zu sagen, ein rotes Büchlein auf Eurer Brust. Sollte ich vielleicht richtig geraten haben?«
»Ihr irrt, Meister Habermann, aber sicherlich habt Ihr schon von dem berühmten Distichon gehört, welches, alle Tage fünf Mal gesprochen, indem man die Hand auf den Schaden legt, von allen Schmerzen befreit.«
»Das wäre!«, rief der Wundarzt, und seine spannlangen Gedanken waren, wie der Fremde beabsichtigt hatte, vom Etui auf die wunderbaren Verse gerichtet.
»Ich habe wohl so etwas einmal gehört, doch kenn’ ich die Verslein nicht. Mit Verlaub, sagt sie mir, gestrenger Herr! Man ist ja auf der Graf Mörner keinen Tag sicher, einen Hieb oder Stich zu erhalten, und so kann man so etwas gar wohl gebrauchen.«
»Mit Vergnügen sollt Ihr nicht allein die gegen den Schmerz, sondern auch die gegen die Trunkenheit erfahren, die ich ebenfalls weiß.«
Des Schiffschirurgus volles Gesicht verklärte sich.
»Vulneribus quinis me subtrahe Christe ruinis, Vulneraquinque Die sint medicina mei.«1
»Damit vertreibt Ihr die Schmerzen.«
»Und die Trunkenheit! Die Trunkenheit! Mit Verlaub!«
»Ihr müsst Euch einen Kranz von Efeu aufsetzen und diesen Hexameter öfters rezitieren. Jupiter his alta sonuit clementius Ida.2 So werdet Ihr alle Freuden des Tranks in Eurem Geist verspüren, ohne vom Geist desselben überwältigt zu werden.«
»Ia, woher einen Efeukranz nehmen, auf diesem unfruchtbaren Meer?«, seufzte der Chirurgus und sagte den letzten Hexameter mehrmals heimlich nach, um sich ihn ins Gedächtnis zu prägen, ohne des Distichon gegen die Schmerzen einer Wunde weiter zu gedenken.
Der plötzlich von Wundern umgebene Mann war so sehr in seiner Tätigkeit gehemmt worden, dass es einer Erinnerung des Lieutenants Gad bedurfte, um ihn auf die noch nicht geschnittene und verbundene Anzahl der Verwundeten aufmerksam zu machen.
»Nun, Freund Habermann«, fragte der Lieutenant spöttisch, «habt Ihr endlich durch langen Diskurs herausgebracht, zu welcher europäischen Viehsorte unser Bekannter aus dem Kaffeehaus in Hamburg gehört?«
Der Schiffschirurgus geriet in Verlegenheit, denn an das nationale Herkommen des merkwürdigen jungen Mannes hatte er noch nicht gedacht. Er half sich aber schnell und entgegnete mit geheimnisvollem Gesicht: »Ein Magus ist er! Ein hochstudierter Theurgus, dem alle geheimen Kräfte der Natur zu Gebote stehen. Ich zittre an allen Gliedern vor Furcht und Staunen. Eine Pistolenkugel, die ihm Juel Swale in die Brust geschossen hatte, will er diesen Abend von sich geben. Von der Wunde sieht man nichts mehr als einen roten Fleck, und als er eine Viertelstunde mausetot daniedergelegen hatte, ist er aufgesprungen und hat wütender gefochten als zuvor. Das müsst Ihr ja selbst mit angesehen haben. Und denkt Euch, ein intimer Freund ist er des berühmten Grafen Digby, Kanzler Ihrer Majestät der Königin Marie von England.«
Der Hörer dieser Worte hätte kein geborener Schwede sein müssen, um nicht jenes Grauen zu empfinden, welches der dem Bewohner der nördlichen Länder mit der Muttermilch eingeflößte und in Blut und Saft übergegangene Aberglaube bei Erwähnung eines Übernatürlichen und Außerordentlichen in die Seele wirft. Denn Schweden ist das Arsenal alles Glaubens an Gespenstern, Hexen, Elfen, Nixen, Inkuben, Zauberer und an die abenteuerlichen Kräfte all dieser Wesen.
Der Lieutenant Gad war bleich geworden, und ging, ohne ein Wort weiter zu sagen, den Fremden mit scheuen Blicken bestreifend auf das Verdeck zurück.
Sein verstörtes Aussehen verkündete, dass etwas Außerordentliches vorgefallen sein müsse, und der eine und der andere, der sich, in Bezug auf ein freundschaftliches Verhältnis zum Lieutenant, etwas erlauben durfte, trat ihm mit der Frage, was es gäbe, in den Weg. Der Lieutenant vertraute seinen Freunden, was er so eben selbst mit Staunen erfahren hatte, und seine Seelenstimmung ging schnell auf die anderen über, und bald lief die Kunde von den schauerlichen Eigenschaften des Fremden von Mund zu Mund, und die Matrosen plauderten darüber, sich dann und wann mit besorgten Blicken umschauend, ein Langes und Breites.
Der Kapitän Norcroß hatte für die schauerlichen Fantasiegemälde seines Untergebenen eben keine schwedische Empfänglichkeit. Still lächelnd hörte er dem ausführlichen Bericht des Unterlieutenants zu, bis dieser den Namen jenes zu seiner Zeit bekannten Naturforschers und Ritters, Grafen Digby, nannte. Nun wurde der Kapitän aufmerksam und ging, nachdem er dem Lieutenant die Führung des gekaperten Schoners übergeben und Befehle zu dessen schleuniger Ausbesserung erteilt hatte, hinab, um selbst mit dem Fremden zu reden. Dieser hatte sich in einem Zustand von Erschöpfung, der eben nicht zugunsten seiner übernatürlichen Kraft sprach, auf eine Kanone gelegt und erhob sich nur mit Mühe, um den Gruß des Kapitäns zu erwidern.
»Wenn es mir auf der einen Seite nicht anders als leidtun kann, Euch verwundet zu sehen, mein Herr«, sprach Norcroß verbindlich, »so freut es mich auf der andern gewiss eben so sehr, einen so tapferen und unerschrockenen Mann der Krone Schweden vielleicht in Euch erworben zu haben. Kennt Ihr meinen Namen?«
»Ich habe nicht die Ehre, obgleich ich Euch in Hamburg sah, freilich ohne einen Seehelden in Euch zu ahnen«, versetzte jener mit edlem Anstand. »Ihr werdet mich verbinden, wenn Ihr mir etwas Näheres über Euch zu erfahren vergönnen wollt.«
»Darf ich auf Erwiderung dieser Gefälligkeit rechnen? Mein Name ist John Norcroß. Ich bin Kapitän dieser Fregatte Graf Mörner, Kaperschiff seiner Majestät des Königs von Schweden.«
»Ihr seid ein Engländer«, fiel jener rasch und lebhaft ein.
»So ist es, und mein Name schon kann das bezeugen. Doch seht Ihr, dass ich mit Leib und Seele ein Schwede geworden bin.«
»Doch seid Ihr noch immer ein treuer Anhänger seiner Majestät des Königs Jacob III. und seines erlauchten Hauses?«
»Ich bin’s!«, versetzte der Kapitän mit Stolz, »und darf es frei bekennen unter dieser Flagge.«
Damit deutete er durch die Treppenöffnung hinauf zu den drei goldenen Kronen, auf welche die Sonne ihren herbstlichen Blick warf, und die der Wind prächtig entfaltete.
»Aber wer seid Ihr, der Ihr mich zu kennen scheint?«, fragte Norcroß den Fremden.
»Ich hörte einst Euren Namen an einem anderen Ort nennen«, sagte der Rekrut, »und ich erinnerte mich dessen wohl.«
»Wo? Wo?,« fragte der Kapitän heftig.
»Zu St. Germain, im Coursaal eines unglücklichen Königs.«
»Ihr seid …?«, fragte Norcroß gespannt, und seine Hand hatte die des Fremden erfasst. »Ihr seid …?«, wiederholte er.
»Wir werden belauscht«, flüsterte ihm jener zu und deutete auf des Schiffschirurgus neugieriges Gesicht, das sich näher geschlichen hatte. »Und mein Geheimnis passt nur für Eure Ohren, Kapitän.«
Norcroß zog den Fremden an der Hand in die Kajüte und in dem hinteren Teil derselben in einen verschlossenen Verschlag, welcher eigens für den Kapitän bestimmt war. Die Tür wurde von innen verriegelt, und Meister Habermann sah die Umstehenden verdrießlich an.