Als E-Book erhältlich

Archive

Der Freibeuter – Ein Seekampf

Der Freibeuter
Erster Teil
Kapitel 5

Ein Seekampf

Gerade war die Schiffsmannschaft daran, ihre Mittagsration einzunehmen, als der Ruf des Matrosen im Korb »Ein Segel! Ein Segel!« sie auf ihre Posten rief. Kapitän Norcroß entdeckte am Rande des Horizonts den schwarzen beweglichen Punkt in der erwarteten Richtung. Unverzüglich wurde die Fregatte in einen Segelwald gehüllt, und schneller als ein Adler aus den Lüften auf seine Beute stürzt, schoss die majestätische Graf Mörner über das Wasser. Bald trat das kleine dänische Schiff deutlich hervor, aber nicht sobald hatte es das schwedische Kaperschiff wahrgenommen, als es rasch wendete, schnell alle Segel losließ und zu der deutschen Küste zu entfliehen suchte. Zwar hatte der Däne die Leichtigkeit seines Schiffes vor dem Schweden voraus, aber dieser war ihm offenbar in der Kunst der Schiffsführung überlegen und hatte bei Weitem mehr Mittel, seinen Kiel zu beflügeln. Es war noch keine Stunde vergangen, als Kapitän Norcroß zum ersten Mal Feuer geben ließ. Zwar erreichte dieser Schuss, der eigentlich nur das Signal des gebotenen Kampfes sein sollte, den Schoner nicht, aber dieser sah ein, dass er der Fregatte nicht entfliegen könnte, wendete daher entschlossen, kehrte ihr Steuerbord zu und legte sich sie erwartend vor den Wind. Im selben Augenblick spien beide Schiffe Feuer und Dampf aufeinander los, ein gewaltiges Krachen erfüllte die Luft und über das Verdeck der Graf Mörner pfiffen die dänischen Kugeln.

»Sie müssen’s besser lernen!«, jubelte eine kleine lebhafte Gestalt unweit vom Kapitän auf einer gerade abgefeuerten Kanone reitend, ein Knabe von ungefähr zwölf Jahren in Matrosentracht und mit viel Teer an der Jacke. Das Bürschchen schob die Kappe hell auflachend auf ein Ohr, warf sich mit dem flachen Leib auf die Kanone und versuchte mit scharfem Blick durch den Pulverdampf zu dringen und zu erspähen, wie den Dänen auf dem Schoner der Mittagsgruß bekommen sei. Einen Augenblick später stand er schon wieder auf den Beinen, wie durch die magische Kraft einer Zauberrute emporgeschnellt. »Sie haben ihre Schlüsselbüchsen, weil sie vorn nicht schwerer wiegen, als Euer Degenknopf, Kapitän, zu hoch gestellt. Die Fockrahen haben sie uns zersplittert und durch das Marssegel einige Pillen gejagt. Ich wär’ im Korb gefährdeter gewesen, als hier unten hinter meinem härjedalischen Ochsen1, der die dänische Bestie da drüben angebrüllt hat, dass ihr das Herz im Leibe zittert.«

»Deine Luchsaugen haben recht gesehen, Juel«, erwiderte der Kapitän dem kecken Schiffsjungen, der es auf der ganzen Fregatte allein wagen durfte, in solchem Augenblick dem Befehlshaber mit Geschwätz zu stören, und fixierte das dänische Schiff.

»Oho! Seht Ihr nicht, wie wir ihm einige Rippen eingeschlagen haben?«, kreischte der Junge weiter, und des Kapitäns Auge folgte der Bewegung von Juels Hand. »Sie verkeilen soeben das Loch. Soll ich sie mit einem meiner Spielbälle auf die Finger werfen?«

Der Kapitän schien die Frage des Knaben zu überhören und wandte sich rasch zum Leutnant. Im gleichen Augenblick hörte man den Ruf »Geladen!« ertönen, und die Burschen stürzten sich vor die Kanonen, um sie zu bedienen. Auch der Knabe hatte sich über den Kugelkasten geworfen und flog nun mit den eisernen Bällen spielend wieder zu der Kanone, welche er kurz vorher umarmt und mit so sonderbarem Namen bezeichnet hatte. Und ehe noch ein anderer mit der Ladung fertig war, lag Juel schön hinter dem gewaltigen Feuermörser und richtete ihn, mit dem Auge auf der Oberfläche hin auf die Bresche im feindlichen Schiff zielend. Mit fester Hand ergriff er die glimmende Lunte und harrte des Wortes, welches auch sofort aus dem Sprachrohr über das Verdeck hindonnerte. Die Feuerschlünde taten sich krachend auf.

Kaum war der Schuss hinausgefahren, als man schon die Stimme des Kapitäns wieder vernahm: »Wendet! Steuert backbord!«

Sogleich kamen sich die Schiffe so nahe, dass man selbst durch den dicksten Pulverdampf hindurch doch die zerschossenen Masten des Schoners erkennen konnte. »Entert!«, befahl Norcroß, und kaum war seine Stimme verhallt, als die Matrosen schon die mit Haken versehenen Eisen und Klammern nach dem Schoner auswarfen und ihn in wenigen Minuten mit diesen Bändern an der Graf Mörner befestigten. Viele der tapferen unerschrockenen Burschen stürzten während dieser Arbeit, getroffen von den Pistolenkugeln der dänischen Schiffsmannschaft. Einige hauchten sogleich blutend ihr Leben aus, andere schleppten sich, teils wimmernd, teils ihren Schmerz heldenmütig verbergend, über das Verdeck und die Treppe hinab, wo Meister Habermann, der Schiffschirurgus, sie mit seinen handgreiflichen Scherzen empfing und sogleich unter das Messer nahm, welches er beim ersten Kanonenschuss aus seiner Bindetasche gezogen und in der flachen Hand gewetzt hatte.

»Seht! Seht, Jungen!«, rief er seelenvergnügt, »die kleinen Aderlässe schaden euch nichts. Auf einem Kaperschiff braucht man keinen Schnepper. Diese bitteren Kirschen führen ebenso gut Blut ab, und oft mehr als nötig. Na, Jäck’, sieh die rote Beere aus deinem Dickbein! Nun, was grunzt du! Da, da! Gieß dir Vitriolwasser drauf, dann wollen wir’s verbinden. Aber du hast die Pille wohl im Magen, Görg? O weh, Pillenfresser! Gebt mir ein Glas Grog! Mir wird heiß, und oben sorgen sie wacker für frische Ware.«

Mit sich selbst und den verwundeten Matrosen plaudernd, übte der Schiffschirurgus die schwere Pflicht seines Geschäfts mit sokratischem Gleichmut aus.

Nur dem Verdeck des dänischen Schiffes war es unterdessen zu einem hitzigen Gefecht gekommen. Kapitän Norcroß, mit Degen und Pistolen an der Spitze seiner Mannschaft auf das feindliche Schiff gedrungen, hatte hier mehr Widerstand gefunden als erwartet. Sonderbar genug war es nicht der bejahrte Führer des Schiffes, noch irgendein anderer Befehlshaber desselben, welcher seine Leute gegen die Schweden geführt hat, nein, mit einer imponierenden Gewalt, welche nur außerordentlichen Köpfen im Moment der Gefahr zu Gebot steht, hatte das Kommando auf dem Schiff jener junge Mann an sich gerissen, welcher in Hamburg unter dem Namen Flaxmann für die dänische Fahne geworben worden war. Mit strenger Wahrheit konnte man nicht sagen, dass er den Oberbefehl sich angemaßt hätte, vielmehr hatten alle, sowohl die Rekruten, als die noch zum Gefecht tauglichen Soldaten und wer sonst kein Hasenherz in der Brust trug, sich freiwillig diesem Jüngling angeschlossen, der im entscheidenden Augenblick einen so unerschrockenen Mut und eine so ungemeine Umsicht und Kenntnis im Kriegshandwerk an den Tag legte, der mit so feurigen und ergreifenden Worten alle zur ehrenhaften Verteidigung aufrief, dass sie sich um ihn herdrängten und seiner so rasch und überzeugend bewiesenen Überlegenheit gehorchten, gleichwie das Eisen sich an dem Magnet anschmiegt. Von diesem mutigen Haufen, beseelt von dem Feuergeist des jungen Wagehalses, von dessen Lippen plötzlich ein heftiger Strom lebendiger Rede, obgleich abgerissen und in Katarakten, aber doch gewaltig, und wie es schien, unversiegbar stürzte, prallten die Schweden ab. Sein Auge glühte von einem wilden Feuer, welches sein eigentliches Lebenselement zu sein schien. In diesem Zustand geistiger Aufregung, der alles Beengende, Niedere und Gewöhnliche von dem jungen Mann abgestreift hatte, schwang er, wie der jugendliche Kriegsgott das Schwert, welches er einem erschossenen Leutnant angenommen hatte, und warf sich, todesmutig mit seiner durch ihn begeisterten Schar auf die eindringenden schwedischen Freibeuter. Es entwickelte sich ein Gefecht, welches um so hitziger wurde, je gleicher sich die beiden Anführer an persönlicher Tapferkeit und mächtigem Einfluss auf ihre Haufen standen, und wie leicht vorauszusehen war, wählte sich jeder von den beiden tapferen Leuten im anderen seinen Mann. Norcroß vertraute sich der Gewandtheit seines Degens an, Flaxmann aber hielt eben mit einer aufgerafften Pistole auf den Kaperkapitän, und würde sicherlich sein Ziel nicht verfehlt haben, wenn nicht jener, wegen seiner Tollkühnheit auf der Graf Mörner beliebte Schiffsjunge, Juel Swale, der es sich nie nehmen ließ, dem ältesten Matrosen in den härtesten und gefährlichsten Arbeiten gleichgestellt zu werden, die gefährliche Bewegung des Feindes wahrgenommen und den Folgen derselben durch eine rasche Tat zuvorgekommen wäre. Mit seinen scharf geladenen Pistolen und einem Säbel bewaffnet, wie jeder andere, war Juel, als ob zu einem lustigen Knabenspiel ginge, keineswegs unter den Letzten des Haufens gewesen, welcher über die Bordwand der Graf Mörnerauf das Verdeck des feindlichen Schiffes hinabsprang. Und wenn die Kühnheit der anderen schon groß zu nennen war, in Betracht des Umstandes, dass man von dem Schoner nicht anders als auf einer Leiter auf das Verdeck der Fregatte zurückkehren konnte, welche eine unbedeckte und schlechte Retirade gewährt haben würde, so war die Handlungsweise dieses Knaben gewiss der höchsten Bewunderung wert. Juels scharfem Auge war keine Bewegung des Feindes entgangen. Als Flaxmann des Kapitäns Leben bedrohte, drückte der Schiffsjunge seine Pistole auf den Rekruten ab, die Kugel schlug auf die linke Brust, Flaxmann taumelte zurück und stürzte. Seine Umgebung leistete zwar noch Widerstand, aber man sah es deutlich, dass er die Seele des Ganzen gewesen war, und sobald er für ein Kind des Todes galt, verlosch die Flamme der Begeisterung, die er angezündet hatte, und die Freibeuter drangen vor. Plötzlich aber, als der Sieg schon so gut wie entschieden war, erhob sich im Rücken der Schweden der tot geglaubte Flaxmann und warf sich mit dem Degen auf den Kapitän Norcroß. Rechts und links stürzten die Matrosen, von seinen Streichen getroffen, und selbst Norcroß, auf einen solchen Angriff nicht gefasst, wurde am Kopf verwundet. Nun entspann sich das Gefecht von Neuem heftig und mit noch weit größerer Erbitterung, als am Anfang. Aber Norcroß war nicht der Mann, welcher sich durch solch ein unvorhergesehenes Ereignis betäuben ließ. Er stürzte sich auf den ihm an Alter und Mut gleichen Gegner, der wieder vom Tode auferstanden zu sein schien. Obwohl die kunstgerechte Führung des Degens ihn in Flaxmann keinen gemeinen und ungeübten Rekruten erkennen ließ, so hatten seine gewaltigen Streiche jenen doch bald besiegt, und der junge Mann musste, hart am Arm verwundet, die Überlegenheit seines Gegners anerkennen. Nun war der Streit bald beendigt, die noch unversehrten dänischen Matrosen und Rekruten entwaffnet und auf die Fregatte gebracht, die Verwundeten den Händen des Meisters Habermann übergeben. Was bereits den letzten Atem von sich gegeben hatte, wurde ohne Umstände in das feuchte Wellengrab versenkt, und der Schoner im Namen des Königs von Schweden in Besitz genommen. Juels erstes Werk auf der neuen Prise war, den Mast zu erklimmen und die dänische Flagge einzuholen. Als Triumphzeichen legte er diesel aufgerollt seinem Kapitän zu Füßen und dieser schenkte dem wackeren Jungen einen harten Taler dafür.

Show 1 footnote

  1. Name einer Kanone. In der Landschaft Härjedalen wurde besonders gutes Rindvieh gezüchtet.