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Der Teufel auf Reisen 8

Carl von Kessel
Der Teufel auf Reisen
Erster Band
Ein humoristisch-satirischer Roman aus dem Jahr 1870
Drittes Kapitel – Teil 6
Faust und Gretchen

»Ich bin ruiniert«, murmelte er, »und bei der nächsten  Ultimo-Rechnung bleibt mir nichts anderes übrig, als mir eine Kugel in den Kopf zu schießen oder durchzubrennen. Da ich zu dem Ersteren keine Lust habe, so wollen wir es mit Faust und Gretchen versuchen. Vielleicht reicht sie mir dann ihre Hand, oder tritt später die Ernüchterung ein, nun, so muss der so, so geht es so, mein Genie hat mich bisher ja noch nicht verlassen! Verdammt abenteuerlich ist der Plan, aber habe ich es nicht mit einer ebenso exzentrischen Person zu tun und steht mir dabei nicht eine Verbündete zur Seite, deren Einfluss ins Gewicht fällt und die mir treu dient, solange ich sie gut bezahle? Also fort mit den Grillen und Sorgen«, rief der Börsenspieler, »diese zehn Friedrichsd’or , gegenwärtig fast mein ganzes Vermögen, will ich als letzten entscheidenden Einsatz wagen und ich müsste mich doch vollständig in den Leuten, mit denen ich zu tun habe, verrechnen, wenn ich nicht annehmen dürfte, dass mein Spiel gut steht!«

Er war aufgesprungen, und mit dem ihm eigenen Leichtsinn begann er eben, das Zimmer durchmessend, ein kleines Liedchen zu trällern, als sein Diener eintrat und ihn mit einer halb unverschämten, halb vertraulichen Weise angrinste.

»Der Kerl merkt, dass es zu Ende geht. Er hat schon seit sechs Monaten keinen Lohn mehr bekommen und hält es daher nicht mehr für nötig, sonderlichen Respekt zu zeigen«, murmelte der Börsenmann. Dann blieb er stehen und fragte, den Kopf vornehm zurückwerfend: »Nun, was gibt es?«

»Sie ist wieder draußen«, grinste Johann, indem er dabei mit seinem Daumen sehr vertraulich über seine Schulter zeigte.

»Wer ist draußen?«

»Nun, die Dame, welche Sie mitunter besuchen tut.«

»Das ist eine sehr respektable Dame. Führe sie sogleich herein.«

Johann zögerte noch einen Augenblick und zog ein sauber zusammengefaltetes Blatt Papier hervor. »Wäre es Ihnen nicht gefällig, mir meine Auslagen vom vorigen Monat zu bezahlen. Mit meinem rückständigen Gehalt?« Johann wählte stets die zartesten Ausdrücke. »Es ist nun gerade ein halbes Jahr, dass wir das letzte Mal abrechneten …« »Schon gut, schon gut«, antwortete Biland, indem er eine abwehrende Bewegung machte, »ein anderes Mal, das läuft nicht fort, jetzt habe ich keine Zeit … führe die Dame sogleich herein.«

»Mir kommt es aber doch so vor, als wenn etwas fortlaufen könnte«, brummte Johann, »und möglich wäre es am Ende, dass der Herr selbst fortliefe, und dann hätte ich das Nachsehen. Ich werde daher aufpassen .. oh, ich bin nicht so dumm, wie ich mich stelle, und nötigenfalls, wenn sich unvermutet etwas ereignen sollte, weiß ich, wo ich den Goldfuchs für ein gutes Stück Geld losschlage.«

Johann hatte dieses Selbstgespräch geführt, ohne dabei als ein aufmerksamer Diener den Auftrag seines Herrn zu vergessen. Die Tür öffnete sich und Fräulein Krickel verbeugte sich möglichst anmutig vor Herrn Biland.

»Ah, meine teure Freundin, das ist schön, dass Sie Wort halten! Nehmen Sie Platz. So! … Ein Glas Portwein? … Wie?«

»Nun ja, das könnte nichts schaden, ich habe einen ziemlich langen Weg gemacht.«

»Hier! Noch eins?«

»Es wird doch nicht zu viel werden?«, fragte die Dame mit einem Lächeln, dem man es ansah, dass sie selbst nicht daran glaubte.

»Ein so starker Geist, wie der Ihre! … Doch jetzt lassen Sie uns auf die Geschäfte zurückkommen.«

»Beginnen Sie nur immer.«

»Nun sehen Sie, teure Freundin, ich will aufrichtig sein. Sie werden zugeben müssen, dass ich mich immer freigebig Ihnen gegenüber gezeigt habe.«

»Nun, ich bin Ihnen dafür ja auch nützlich gewesen. Ich habe Klothilde stets zu Ihren Gunsten zu stimmen gewusst. Und ohne mein Zureden würde sie Ihnen nicht zweimal das schöne Rendezvous gegeben haben.«

»War nur leider nichts mit ihr anzufangen«, sagte der Börsenspekulant mit den Achseln zuckend, »sogar meinen Heiratsantrag nahm sie mit einem herausfordernden Gelächter auf.«

»Sie liebt es die Emanzipierte zu spielen, und in der Tat glaube ich auch, dass sie kein Herz besitzt. Nun, vielleicht haben Sie ein anderes Mal mehr Glück.«

»Und Sie, meine kleine Krickel?«

»Ihnen darf ich es wohl sagen, dass ich ein solches Leben längst satthabe. Klothilde geht noch, aber mich vor ihrem dummen aufgeblasenen Vater fortwährend beugen und tun zu müssen, als ob ich diesen albernen, eitlen Geldsack bewunderte, das wird mit der Zeit unerträglich.«

»Nun, Sie müssen danach streben, aus dieser demütigenden Lage herauszukommen und zu einer selbstständigen Stellung zu gelangen.«

»Wieso?«, fragte Fräulein Krickel und horchte gespannt auf.

»Gestehen Sie es nur«, fuhr Biland, dieses Wieso? unbeantwortet lassend, fort. »Ihr Herz gehört noch immer dem Baron von Schmalhals.«

»Oh, er war meine erste Jugendliebe … Ich trug sein Bild stets still im Herzen«, seufzte sentimental die 32-Jährige. »Deshalb hasse ich diese Augen verdrehende Närrin, diese Zirze, diese überspannte Professorentochter bis zum Tode, denn nur durch ihre Zauberkünste wusste sie den Baron in so schmähliche Fesseln zu schlagen.«

»Nun, an allen diesen Leuten können Sie sich jetzt rächen. Sie können auch ein hübsches Stück Geld verdienen und Herrn von Schmalhans dabei noch mit in den Kauf bekommen.«

Die Krickel flog förmlich empor. »Wie, er … er, der Heißgeliebte, sollte endlich doch noch der meine werden? Nennen Sie mir die Mittel, die ich anwenden muss, um dieses Ziel zu erreichen, geschwind, sprechen Sie, ich bin zu allem bereit!«

»Die Sache ist ganz einfach«, bemerkte Biland sehr kalt, »Sie brauchen nur meine Verbündete zu werden.«

»Aber das war ich ja ohnedem bisher schon.«

»Indessen jetzt soll der große Schlag ausgeführt werden, den ich im Stillen ersonnen habe. Sehen Sie hier,« fuhr er sehr philosophisch fort, indem er seine Börse emporhob und dieselbe schüttelte, »sie klingt sehr hohl und enthält in der Tat auch nicht mehr als zehn Goldstücke. Sie selbst besitzen vielleicht noch weniger?«

»Leider«, seufzte die Dame, »ich befinde mich vollständig auf dem Trocknen.«

»Nun, und ich habe Ihnen soeben mein ganzes Vermögen gezeigt.«

Fräulein Krickel fuhr entsetzt auf. Der Börsenspekulant schien plötzlich ungemein in ihrer Achtung gesunken.

»Na, beruhigen Sie sich nur«, sagte dieser lächelnd, »deshalb ist es eben nötig, dass uns beiden geholfen wird, und Papa Pilz soll der Retter sein.«

»Ein tüchtiger Aderlass könnte dem aufgeblasenen dummen Menschen gar nichts schaden. Aber auf welche Weise soll dies geschehen?«

»Sogleich werde ich Ihnen meinen Plan entwickeln. Zunächst erlauben Sie, dass ich noch ein kleines Geschäft abmache.«

Biland war aufgestanden und schlich leise der Tür zu.

»Was wollen Sie tun?«

»Still! Sprechen Sie weiter, tun Sie, als ob unsere Unterhaltung nicht unterbrochen worden wäre.«

»Das ist doch komisch. Was haben Sie denn vor?«

»Mein edler Johann besitzt unter anderem lobenswerten Eigenschaften, auch die, dass er jedes Mal horcht, wenn jemand bei mir ist. Da will ich ihm denn eine kleine, schon längst zugedachte Lektion geben.«

Der Börsenspekulant hatte bei diesen Worten ganz leise die innere Tür geöffnet. Er zog plötzlich den Riegel der äußeren zurück und schleuderte diese mit einem heftigen Stoß nach außen.

»Ach, entschuldigen Sie, Monsieur Jean«, rief er, als dieser nun plötzlich vor ihm stand und sich unter einer heftigen Grimasse die Nase rieb, »ich glaube wirklich, deren Geruchsorgan ist einigermaßen in Gefahr gewesen?«

Dieser machte ein sehr einfältiges Gesicht und schien einen Augenblick zweifelhaft, was er tun sollte. Schließlich warf er aber den Kopf in den Nacken und sagte ziemlich trotzig:

»Uf Öhre, Herr Biland, das ist keine Behandlung, wie sie ein Gentleman von dem anderen duldet! Hievon steht nichts in unserem Kontrakt, und wenn ich nicht bedächte …«

»Dass du ein unverschämter Schlingel bist, der mich täglich betrügt und bestiehlt«, fiel dieser ein. »Und nun kehrt, Monsieur Jean, und seien Sie ganz zufrieden, dass Sie nicht noch zur Zugabe einige wohlverdiente Fußtritte erhalten.«

Mit diesen Worten schlug er dem edlen Johann die Tür vor der Nase zu, und während dieser fortschlich und murmelte, dass sich eine solche Behandlung kein Gentleman, selbst in Plüschhosen und gelben Gamaschen, gefallen lassen könne, kehrte der Börsenspekulant ganz gemächlich auf seinen Platz zurück und setzte, als sei nicht das Geringste vorgefallen, sein unterbrochenes Gespräch ganz ruhig fort.

»Die Sache ist nämlich die«, sagte er, »dass ich mich nur durch eine reiche Heirat oder durch eine hübsche Summe Geld vom Verderben retten kann, und auch Sie sollen dabei so viel verdienen, dass Ihre Zukunft gesichert ist.«

Die Krickel fuhr freudig überrascht in die Höhe, ihre Augen glänzten von Habgier, Falschheit leuchtete ihr aus dem Gesicht.

»Soviel ich weiß, haben Sie ein ziemlich dehnbares Gewissen«, fuhr ihr Gesellschafter spöttisch fort.

»Nun, jeder ist sich doch unter allen Umständen der Nächste.«

»Natürlich. Und wenn Sie imstande sind, Herrn von Schmalhals eine hübsche Summe in Aussicht zu stellen, so entschließt er sich am Ende doch noch …«

»Oh, in seinen Armen zu ruhen, muss Seligkeit sein!«

»Also«, sagte Biland, »jetzt passen Sie auf. Wie steht es mit der Heirat zwischen Krauthuber und Klothilde?«

»Sie wird sich niemals dazu hergeben.«

»Aber wenn der Vater sie dazu zwingen will?«

»Sollte er wirklich so weit gehen?«

»Ich habe Grund, dies zu vermuten.«

»Nun, ich kenne Klothilde. In diesem Fall läuft sie lieber mit dem Erstbesten davon.«

»Und wenn ich nun dieser Erstbeste wäre?«

»Sie?«

»Allerdings.«

»Aber an eine Heirat dürfen Sie dabei ebenfalls nicht denken. Wenn sie eine solche Unbesonnenheit begeht, so hat sie dabei gewiss nur den Zweck im Auge, von dem alten widerlichen Krauthuber loszukommen.«

»Nun, meinetwegen. Die Familie ist dann aber blamiert, wenn die Sache in die Öffentlichkeit gelangt. Dem geldstolzen, ehrsüchtigen Pilz wird daher schließlich nichts anderes übrig bleiben, als unser Schweigen mit einer recht anständigen Geldsumme zu erkaufen.«

»Wie viel meinen Sie denn, dass für mich dabei abfallen dürfte?«, fragte Fräulein Krickel verschmitzt.

»Oh, zweitausend Gulden bestimmt und als Zugabe noch einen Mann?«

»Den Baron?«

»Ich glaube ganz bestimmt«

»Nun, was soll ich also tun?«

»Wenn Klothilde zur Heirat gedrängt wird und keinen Ausweg mehr weiß, so verlangt sie jedenfalls Ihren Rat, denn Sie sind ja ihre nächste Vertraute. Werfen Sie so etwas von einer Scheinflucht hin, um den Vater zu schrecken. Beißt sie an, so geben Sie mir einen Wink, ich werde dann bei der Hand sein.«

»Also eine förmliche Entführung?«

»Eine bloße Vergnügungsfahrt, die aber dem Alten teuer zu stehen kommen soll. Sie müssen Klothilde dann bis zur Eisenbahn begleiten, denn ich bedarf eines Zeugen. Auf diese Weise können Sie auch nur die zweitausend Gulden gewinnen.«

»Gut, so sei es! Garantieren Sie mir aber auch den Mann? Denn einen Mann muss ich unter allen Umständen haben.«

»Auch den garantiere ich Ihnen. Ich kann aber nicht dafür stehen, dass es nicht ein Hampelmann ist.«

»Ein solcher ist mir der Liebste. Wissen Sie, so recht waschlappig muss er sein, damit ich ihn nach Belieben herumstoßen und zerzausen kann.«

»Sie kleiner, lieber Engel! Nun gut, Ihre Wünsche sollen berücksichtigt werden.«

Nachdem Fräulein Krickel noch ein Glas Portwein getrunken hatte, entfernte sie sich, und Biland ließ sein Cab anspannen, auf dessen Rücksitz Monsieur Jean, trotz seiner angelaufenen blauen Nase, in sehr philosophischer Stellung mit übereinandergeschlagenen Armen Platz nehmen musste.

Er lenkte unmittelbar zur Börse.