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Die Trapper in Arkansas – Band 2.3

Die-Trapper-in-Arkansas-Band-2Gustave Aimard (Olivier Gloux)
Die Trapper in Arkansas Band 2
Erster Teil – Treuherz

Kapitel 12 – Psychologie

Der General hatte über die Gründe, die ihn veranlassten, eine Reise in die westlichen Prärien der Vereinigten Staaten zu unternehmen, ein so tiefes Schweigen beobachtet, dass die Personen, die ihn begleiteten, sie nicht einmal vermuten konnten.

Schon mehrmals hatte die Karawane auf seinen Befehl und ohne sichtbaren Grund in ganz wüsten Gegenden lagern müssen, wo sie acht, zehn, ja sogar vierzehn Tage verweilten, ohne dass dieser Aufenthalt dem Anschein nach irgendeinen Grund gehabt hätte.

Während dieser Rasten ging der General jeden Morgen, von einem Führer gefolgt, aus, und kam erst am Abend wieder.

Was tat er während der langen Zeit seiner Abwesenheit?

Welchen Zweck hatten jene Forschungszüge, von denen er stets trauriger zurückkehrte?

Keiner wusste es.

Während dieser Ausflüge führte Donna Luz unter den rohen Leuten, die sie umgaben, ein sehr einförmiges Leben. Sie verbrachte ihre Zeit traurig genug vor ihrem Zelt sitzend, oder machte zu Pferde in Begleitung des Kapitäns Aguilar oder des dicken Doktors in der Nähe des Lagers zweck- und interessenlose Ausflüge.

Auch dieses Mal geschah es wie bei den früheren Ruhepunkten der Karawane.

Das junge Mädchen war von ihrem Onkel und sogar vom Doktor verlassen, der die Entdeckung seiner fantastischen Pflanze mit immer größerem Eifer betrieb, und jeden Morgen entschlossen ausrückte, um zu botanisieren. Sie mussten sich mit der Gesellschaft des Kapitäns Aguilar begnügen.

Der Kapitän Aguilar war zwar, wie wir gestehen müssen, jung, elegant und verhältnismäßig nicht ohne Verstand, gab jedoch trotzdem für Donna Luz einen nur wenig unterhaltenden Gesellschafter ab.

Er war ein kühner Soldat, besaß einen Löwenmut, war dem General, dem er alles verdankte, treu ergeben und hatte eine große Anhänglichkeit und unbegrenzte Ehrfurcht für die Nichte seines Vorgefetzten. Er wachte sorgfältig über ihre Sicherheit, aber die Kunst, ihr durch Aufmerksamkeiten und jene süßen Plaudereien, die dem jungen Mädchen so sehr gefallen, die Zeit zu vertreiben, war ihm gänzlich unbekannt.

Dieses Mal langweilte sich Donna Luz nicht. Seit jener schrecklichen Feuersbrunst, wo Treuherz wie einer der Helden der Vorzeit, deren Geschichte und unglaubliche Taten sie so oft gelesen hatte, erschienen war, um sie und diejenigen, welche sie begleiteten, zu retten, war ein neues Gefühl, von welchem sie sich noch nicht Rechenschaft gegeben hatte, in dem Herzen des jungen Mädchens erwacht, was allmählich stärker wurde und sich in wenigen Tagen ihres ganzen Wesens bemächtigte.

Das Bild des Jägers stand von jenem glänzenden Schein umstrahlt, den eine unüberwindliche Kraft dem Mann gibt, der mit einer ungeheuren Gefahr ringt und sie zwingt, seine Überlegenheit anzuerkennen, stets vor ihr. Sie gefiel sich darin, in ihrem befangenen Geist alle die verschiedenen Wechselfälle jener Tragödie von einigen Stunden, in welcher der Jäger die Hauptrolle gespielt hatte, wieder durchzugehen.

Ihr Gedächtnis, das wie bei allen unschuldigen, jungen Mädchen sehr treu war, malte ihr mit unglaublicher Genauigkeit die kleinsten Einzelheiten jener herrlichen Szenen.

Kurz, sie setzte im Geist die Reihe von Begebenheiten wieder zusammen, bei denen der Jäger sich so plötzlich beteiligt hatte, und die er vermöge seines unbesiegbaren Mutes und seiner Geistesgegenwart auf eine so glückliche Weise für diejenigen, denen er in dem Augenblick, als sie jede Hoffnung aufgegeben, so unerwartet beigestanden hatte, löste.

Die schnelle Entfernung des Jägers, der die einfachsten Danksagungen verschmähte und an diejenigen, die er gerettet hatte, nicht mehr zu denken schien, hatte das junge Mädchen verletzt. Diese scheinbare oder wirkliche Gleichgültigkeit hatte sie unbeschreiblich unangenehm berührt. Daher suchte sie im Geist beständig nach einem Mittel, ihren Retter wegen seiner Gleichgültigkeit zur Reue zu zwingen, wenn der Zufall sie zum zweiten Mal zusammenführen sollte.

Es ist bekannt, obgleich es anfangs wie ein Widerspruch klingt, dass vom Hass oder mindestens von der Neugierde bis zur Liebe nur ein Schritt ist.

Donna Luz tat ihn eiligst, ohne sich dessen bewusst zu sein.

Donna Luz war, wie schon gesagt, in einem Kloster erzogen worden, an dessen Schwelle jedes weltliche Geräusch erstarb. Ihre Kindheit war unter den religiösen oder vielmehr abergläubischen Übungen, welche in Mexiko die Grundlage der Religion bilden, still und einförmig vergangen. Als ihr Onkel sie aus dem Kloster entfernte, um sie mit auf die Reise durch die Prärien, welche er beabsichtigte, zu nehmen, waren die einfachsten Vorkommnisse des Lebens dem jungen Mädchen fremd, und sie hatte von dem Dasein der Außenwelt ebenso wenig eine Ahnung, wie der Blindgeborene von dem diamantenen Glanz der Sonnenstrahlen.

Diese Unwissenheit, die ihrem Onkel bei seinen Plänen sehr zustattenkam, war ein Stein des Anstoßes für das junge Mädchen, über welchen sie in jedem Augenblick unwillkürlich stolperte.

Aber dank der Sorgfalt, mit der der General das junge Mädchen umgab, waren die wenigen Wochen, die verstrichen, ehe sie von Mexiko abreisten, für sie nicht gar zu schwer geworden.

Hier müssen wir jedoch eines scheinbar geringfügigen Umstandes gedenken, der aber auf Donna Luz einen zu tiefen Eindruck machte, um ihn ganz zu übergehen.

Der General, der eifrig damit beschäftigt war, die Leute, die er zu seiner Expedition brauchte, zusammenzubringen, war aus diesem Grund genötigt, seine Nichte mehr zu vernachlässigen, als er dies wünschte.

Da er indessen befürchtete, dass das junge Mädchen sich allein mit einer alten Duenna in dem Palast in der Calle de los Plateros, welchen er bewohnte, langweilen möchte, so hatte er sie häufig des Abends zu einer Verwandten geschickt, die eine gewählte Gesellschaft empfing, und bei welcher seine Nichte ihre Zeit verhältnismäßig angenehm verlebte.

Eines Abends, wo die Gesellschaft zahlreicher als gewöhnlich gewesen war, hatte man sich viel später getrennt.

Donna Luz kehrte in Begleitung ihrer Duenna und eines Peon, der mit einer Fackel voranging, beim ersten Schlag der elften Stunde, den die altertümliche Uhr im Kloster de la Merced verkündete, sich rechts und links scheu umsehend, nach ihrem Palast zurück. Sie hatten nur noch wenige Schritte zu gehen, als sie plötzlich, wie sie um die Ecke der Calle San-Agustin bogen, um in die de les Plateros zu gelangen, vier bis fünf verdächtig aussehende Männer, wie aus dem Boden gewachsen, erschienen und die beiden Damen umringten, nachdem sie vorher mit einem kräftigen Faustschlag die Fackel ausgelöscht hatten, welche der Peon trug.

Der Schrecken des jungen Mädchens bei dieser unerwarteten Erscheinung war unbeschreiblich.

Sie war so entsetzt, dass sie, unfähig, einen Schrei auszustoßen, mit gefalteten Händen vor den Banditen auf die Knie sank.

Die Duenna hingegen stieß ein durchdringendes Geschrei aus.

Die mexikanischen Räuber, die alle gewandte Leute waren, hatten im Handumdrehen die Duenna zum Schweigen gebracht, indem sie sie mit ihrem Rebozo knebelten. Dann begannen sie mit der Ruhe, die diese würdigen Leute bei der Ausübung ihres Amtes zeigen, weil sie im Voraus von der Straflosigkeit überzeugt sind, die ihnen die Gerechtigkeit angedeihen lässt, wofür sie hingegen häufig mit ihr heilen, ihre Opfer zu berauben.

Das war bald geschehen, nicht nur dachten Letztere nicht daran, sich zur Wehr zu setzen, sondern sie entledigten sich sogar selbst in größter Eile der Sachen von Wert, die sie bei sich trugen und die die Räuber mit vergnügtem Grinsen einsteckten.

Doch als sie im besten Zuge waren, blitzte plötzlich ein Säbel über ihren Köpfen, und zwei von den Räubern stürzten fluchend und vor Wut heulend, zu Boden, Die, welche noch standen, waren über diesen ungewohnten Angriff entrüstet, wollten ihre Kameraden rächen und warfen sich mit Wut auf den Angreifer. Aber dieser trat, ohne sich um ihre Überzahl zu kümmern, einen Schritt zurück, legte sich aus und setzte sich in Bereitschaft, sie gut zu empfangen. Zufällig beleuchtete der Mond sein Gesicht. Die Räuber wichen erschrocken zurück und steckten ihr Machetes wieder ein.

»Ei! Ei!«, sagte der Fremde, mit einem verächtlichen Lächeln, indem er vortrat. »Ihr habt mich erkannt, Burschen, bei Gott! Das tut mir leid, ich schickte mich an, Euch eine derbe Lehre zu geben, befolgt man so meine Befehle?«

Die Räuber standen stumm, zerknirscht, und wie es schien, reuevoll.

»Nun!«, fuhr der Fremde fort, »leert Eure Taschen, meine Herren Spitzbuben, und gebt den Damen zurück, was Ihr ihnen genommen habt!«

Die Räuber befreiten ohne Zeitverlust die geknebelte Duenna und erstatteten die reiche Beute, die sie einen Augenblick gehofft hatten, sich aneignen zu können, zurück. Donna Luz konnte sich von ihrem Erstaunen gar nicht erholen. Sie betrachtete den seltsamen Mann, der eine so große Gewalt über gesetz- und sittenlose Menschen hatte, mit stets wachsender Verwunderung.

»Haben Sie auch alles?«, sagte er, zu dem jungen Mädchen gewendet, »fehlt Ihnen nichts mehr, Señora?«

»Nichts, Herr«, antwortete sie, mehr tot als lebendig und ohne zu wissen, was sie sagte.

»Jetzt packt Euch, Schurken«, fuhr der Fremde fort, »ich übernehme es, die Damen zu begleiten.«

Die Räuber ließen es sich nicht zwei Mal sagen, sie stoben davon, wie ein Flug Raben, und nahmen ihre Verwundeten mit sich.

»Erlauben Sie mir, Señorita«, sagte er mit der ausgesuchtesten Artigkeit, »Ihnen meinen Arm zu bieten, um Sie zu Ihrem Palast zu führen. Der Schrecken, den Sie eben gehabt, hat Ihren Gang unsicher gemacht.«

Das junge Mädchen legte schweigend und halb unbewusst ihren Arm in den ihr dargebotenen.

Sie gingen fort.

Als sie beim Palast angekommen waren, klopfte der Fremde an die Tür, zog den Hut und sagte: »Señorita, ich bin dem Zufall dankbar, der mir erlaubt hat, Ihnen einen geringen Dienst zu erweisen. Schon lange folge ich ungesehen Ihren Schritten. Gott hat mir einmal das Glück beschieden, Sie zu sprechen. Er wird es mir gewiss auch ein zweites Mal gewähren, obgleich Sie in wenig Tagen eine weite Reise antreten werden. Erlauben Sie mir daher, Ihnen kein Lebewohl, sondern auf Wiedersehen zu sagen.«

Nachdem er sich hierauf tief vor dem jungen Mädchen verbeugt hatte, entfernte er sich schnell.

Vierzehn Tage nach diesem sonderbaren Abenteuer, welches sie für gut befunden hatte, ihrem Onkel nicht mitzuteilen, verließ Donna Luz Mexiko, ohne den Unbekannten wiedergesehen zu haben.

Sie fand indessen am Vorabend ihrer Abreise, als sie ihr Schlafzimmer betrat, auf ihrem Betschemel ein vierfach zusammengelegtes Blatt. Dieses Blatt enthielt wenige Worte, von feiner, zierlicher Hand.

»Sie gehen, Donna Luz. Erinnern Sie sich, dass ich Ihnen Auf Wiedersehen gesagt habe.

Ihr Retter von der Calle de los Plateros.«

Diese merkwürdige Begegnung hatte die Fantasie des jungen Mädchens lange beschäftigt. Sie hatte sogar kurze Zeit geglaubt, dass Treuherz und ihr unbekannter Retter ein und dieselbe Person seien, doch hatte sie diesen Glauben bald aufgegeben. Welchen irgend wahrscheinlichen Grund hätte sie dafür gehabt? Warum sollte sich Treuherz, nachdem er sie gerettet hatte, so schleunig entfernt haben? Das wäre ja geschmacklos gewesen?

Während infolge einiger Konsequenzen oder Inkonsequenzen des menschlichen Geistes, wie man es nennen will, das Abenteuer in Mexiko in ihrer Erinnerung verblich, um so mehr trat das Bild Treuherz immer lebhafter vor ihre Seele.

Sie hätte den Jäger sehen, mit ihm sprechen mögen.

Warum?

Sie wusste es selbst nicht. Um ihn zu sehen, seine Stimme zu hören, sich in seinen sanften und zugleich stolzen Blick zu versenken, weiter nichts. So sind die jungen Mädchen alle.

Aber wie konnte sie ihn wiedersehen?

Hier zeigte sich ihr eine Unmöglichkeit, vor welcher das arme Kind mutlos den Kopf sinken ließ. Und dennoch regte sich in der Tiefe ihres Herzens die Hoffnung, vielleicht war sie ihr von der himmlischen Stimme zugeflüstert worden, die in ihren Liebesträumen zu den jungen Mädchen spricht, dass ihr Wunsch sich bald erfüllen werde.

Sie hoffte.

Auf was?

Auf irgendein unvorhergesehenes Ereignis, vielleicht auf eine furchtbare Gefahr, die sie wieder zusammenführen würde.

Die wahre Liebe kann zuweilen zweifeln, aber sie verzweifelt nicht.

Vier Tage, nachdem das Lager auf dem Hügel aufgeschlagen worden war, lächelte das junge Mädchen still für sich, als sie sich in ihr Zelt zurückzog, indem sie ihren Onkel betrachtete, der sich nachdenklich anschickte, sich zur Ruhe zu begeben.

Donna Luz hatte endlich ein Mittel gefunden, Treuherz’ Spur zu suchen.