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Marshal Crown – Band 8

Der Regenmacher

Jim Crown brachte seinen Buckskin mit einem Zungenschnalzen zum Stehen und richtete sich im Sattel auf. Neugierig glitt sein Blick durch die vor ihm liegende Bodensenke.

Das junge Herefordkalb lag reglos auf der Seite.

Fette, blaugrün schillernde Schmeißfliegen umschwirrten seinen Körper in einer solchen Anzahl, dass der Marshal weder erkennen konnte, welche Farbe das Fell hatte, noch woran das Tier gestorben war.

Das Summen der Fliegen klang unnatürlich laut durch die Stille des Morgens.

Dieses Geräusch und die Anwesenheit eines Bussards, der mit weit ausgebreiteten Schwingen hoch am Himmel schwebte, hatten ihm angezeigt, dass es hier irgendwo in der Nähe etwas Sterbendes oder Totes geben musste.

Ein Umstand, den kein Reiter in Texas ignorieren konnte, denn wer in diesem Land überleben wollte, musste die Zeichen der Natur zu deuten wissen. Deshalb war Jim Crown hierher geritten. Er führte sein Pferd an die Reste eines sonnenverbrannten Palo Verde Baums heran, schlang die Zügel um das Holz und verknotete sie sorgfältig.

Auch wenn der Buckskin ein wohlerzogenes Rinderpferd war, machten ihn der Anblick und der Geruch des toten Kalbes immer nervöser.

Jim war erfahren genug, um kein Risiko einzugehen.

In dieser Wildnis war ein Mann ohne Pferd ein toter Mann.

Nachdem er den Sitz des Zügelknotens noch einmal überprüft hatte, band er sich die Bandana vor Mund und Nase und ging vorsichtig weiter.

Als er das Kalb erreichte, verharrte Jim für die Länge eines Atemzuges und starrte auf den Kadaver nieder.

Der Gestank von verwesendem Fleisch verstärkte sich in der heißen Luft im gleichen Maße, wie die Anzahl der widerlich aufgedunsenen Fliegen zunahm.

Crown unterdrückte den aufsteigenden Ekel, ging in die Knie und wedelte mit seinem Hut. Eine Wand aus Fliegen stieg vor ihm auf, während er sich das Tier genauer besah. Schließlich packte er den Schädel an den Ohren und drehte den Kopf zur Seite. Der Blick auf das faustgroße Loch im Nacken des Kalbs sagte ihm mehr als tausend Worte. Das Tier war weder verdurstet noch durch Hitze oder Erschöpfung ums Leben gekommen, sein Tod war allein das Werk einer umherziehenden Bande von Apachen.

Niemand anderes sonst tötete ein Pferd oder ein Rind wegen ein paar Kilo Nackenfleisch und verschmähte den Rest der Beute.

Mit einem lästerlichen Fluch ließ Crown den Schädel wieder los und ging zu seinem Pferd zurück. Die Dürre, die seit Wochen das Land beherrschte, hatte die Menschen inzwischen an den Rand der Verzweiflung gebracht, eine marodierende Apachenbande war deshalb das Letzte, was er noch gebrauchen konnte.

Die Sonne stand inzwischen einer weißglühenden Scheibe gleich fast senkrecht am stahlblauen Texashimmel, als sich Crown wieder in den Sattel zog. Mit einem Stöhnen schob er den breitkrempigen Hut aus der Stirn und wischte sich mit dem Hemdärmel über das schweißnasse Gesicht, während er die Umgebung aufmerksam beobachtete.

Sein Blick schweifte über das Land am Sweetwater Creek entlang, über blattlose Sträucher und verkrüppelte Kakteen bis hin zu der von der Sonne verbrannten Steppe, die sich vor ihm bis zum Horizont erstreckte.

Das Bett des Flusses, das breit genug war, um im Frühjahr die strömenden Wassermassen der Schneeschmelze aufzunehmen, beherbergte nur noch ein trostloses Rinnsal, das träge dahinfloss.

Überhaupt schien sich hier kaum noch etwas zu bewegen.

Verdammt, durchzuckte es Crown bitter, wenn es in den nächsten Tagen nicht regnet, sind die Leute in dieser Gegend am Ende.

Es war August, seit Wochen war kein einziger Regentropfen vom Himmel gefallen. Die Flüsse begannen auszutrocknen, die Quellen zu versiegen.

Die Menschen verzweifelten allmählich und es war nur noch eine Frage von Tagen, wann der erste Streit um das immer kostbarer werdende Nass auszubrechen drohte. Das Vieh konnte sich inzwischen kaum noch auf den Beinen halten und schleppte sich nur noch mühsam zu den wenigen Wasserstellen, die es in diesem Teil von Texas noch gab.

Einzig die Raubtiere der Umgebung – Wölfe, Pumas oder Rabengeier – erlebten täglich einen Festtag. Allein auf den letzten fünf Meilen war Jim auf ein Dutzend Kadaver von Rindern gestoßen, deren Knochen weißlich in der glühenden Sonne schimmerten.

Außer ihnen hatte er bisher nichts anderes als Sonne, Sand und Staub zu Gesicht bekommen.

Plötzlich begann sein Pferd aus irgendeinem Grund wieder nervös zu werden.

Das Tier stellte die Ohren auf und schnaubte aufgeregt.

Jim setzte sich aufrecht im Sattel zurecht und ließ seine Blicke erneut über das Land schweifen. Die Luft um ihn herum flimmerte und flirrte vor Hitze.

Sekunden vergingen, wurden zu Minuten.

Dann hörte er es auch.

Zunächst konnte er nicht mehr entdecken als ein unförmiges Etwas, das direkt auf ihn zukam.

Doch schon bald, als die Geräusche immer lauter wurden, wusste er, was diese Luftspiegelung zu bedeuten hatte.

Er hörte es an den eisenbeschlagenen Rädern, die knirschten, als sie durch den Sand rollten, am Schnauben der Pferde und am Klirren und Knarren von Gebissketten und Zaumzeug, an jenen Geräuschen also, die ein Fuhrwerk von sich gab, wenn es über Land gezogen wurde.

Schon bald erkannte Jim Einzelheiten.

Ein Wagen rollte in der Mittagsglut am Flussufer des Sweetwater Creeks entlang.

Aber es war kein gewöhnlicher Wagen, sondern ein Fuhrwerk, dessen Anblick die Augen des Marshals so groß wie Spiegeleier werden ließen.

***

Er hatte in seinem Leben schon viele Fuhrwerke gesehen, hochrädrige Market und Pleasure Wagen, stabile Box Brake oder wuchtige Studebakers und Conestogas, aber dieses Gefährt stellte so ziemlich alles in den Schatten.

Die beiden Gespannpferde waren pechschwarz, die Räder des Gefährts feuerrot und der Wagen selber, der an eine Mischung aus Dearborne und Box Brake Farmwagen erinnerte, in leuchtendem Gelb angestrichen.

Auf dem Wagen befand sich ein hölzerner Aufbau, der das Ganze wie ein rollendes Haus aussehen ließ. Auch dieser Aufbau war gelb angemalt, wenngleich die Seitenwände mit schwarzen Blitzen und Buchstaben verziert waren.

Normalerweise hätte Jim nur den Kopf geschüttelt und dem seltsamen Gefährt vielleicht noch ein paar verwunderte Blicke nachgeschickt, nachdem es an ihm vorbei gezogen wäre. Normalerweise, aber die dunklen Schemen, die plötzlich wie aus dem Nichts zur Rechten und Linken des Wagens auftauchten, ließen ihn verharren.

Diese rasch näher kommenden Schatten waren nichts anderes als aufrührerische Kiowa-Apachen, die offensichtlich aus der Reservation geflüchtet waren und es augenscheinlich auf den Wagen abgesehen hatten.

Untersetzte, stämmige Männer mit schulterlangem Haar und nacktem Oberkörper.

Marshal Crown war bereit, einen Monatslohn darauf zu wetten, dass diese Bande auch das Kalb getötet hatte.

Das seltsame Gefährt mit dem einzelnen Mann auf dem Kutschbock stellte für die Indianer eine leichte Beute dar. Geduckt saßen sie auf den Fellsätteln ihrer struppigen Pferde und kamen rasch näher. Ihr kehliges Kriegsgeschrei klang wie das abgehackte Bellen eines jungen Hundes.

Als der Kutscher die Apachen bemerkte, richtete er sich auf dem Wagenbock auf, begann zu schreien und drosch wie ein Verrückter auf die Pferde ein.

Die Tiere streckten sich und der Wagen begann zu schwanken, als das Gespann förmlich über den Boden zu fliegen schien. Der Marshal sprang vom Pferd und riss sein Gewehr aus dem Scabbard.

»Hierher!«, brüllte Crown.

Der Mann auf dem Wagen schien ihn trotz des Lärms verstanden zu haben, denn er lenkte sein Gefährt direkt auf den Hügel zu, auf dem Jim inzwischen mit seiner Winchester 66 in Stellung gegangen war.

Der Marshal riss das Gewehr an die Wange, zielte und feuerte auf die Indianer, die aus dem Staub heraus neben dem Wagen auftauchten. Gleich mit der ersten Kugel holte er einen der Kiowa-Apachen aus dem Sattel. Er sah, wie der Angreifer die Arme hochriss und in hohem Bogen durch die Luft flog. Seine zweite Kugel riss das Pferd eines anderen zu Boden. Das Tier knickte mit den Vorderbeinen ein, überschlug sich in einer Staubwolke und schlitterte mit wirbelnden Hufen über den Wüstensand.

Crown zog den Lauf nach links, riss den Ladehebel nach unten und feuerte unablässig in den Pulk der Reiter hinein.

Sekunden später war der Angriff so plötzlich vorbei, wie er begonnen hatte.

Zwei tote Indianer und ein erschossenes Pferd blieben als dunkle Punkte im Wüstensand zurück, während die Überlebenden des Kriegertrupps unter kehligem Geschrei die Flucht ergriffen.

Marshal Crown verzichtete darauf, den Flüchtenden weitere Kugeln hinterherzuschicken und richtete stattdessen den Lauf seiner Winchester auf den immer näher kommenden Wagen.


Die vollständige Story steht als PDF, EPUB und MOBI zur Verfügung.

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