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Der Teufel auf Reisen 6

Carl von Kessel
Der Teufel auf Reisen
Erster Band
Ein humoristisch-satirischer Roman aus dem Jahr 1870
Drittes Kapitel – Teil 4
Faust und Gretchen

Wirklich riss in diesem Augenblick auch der lange Bedienstete die Flügeltür auf und rief in zwerchfellerschütternder Weise: »Herr Krauthuber, wohlgeboren, in eigener Person!«

Die Wirkung, welche diese Mitteilung auf die Anwesenden hervorbrachte, war eine sehr verschiedene.

Frau Pilz stieß einen leisen Schrei aus und lispelte: »Dieser Mensch wird mir mit seinem Gebrüll noch den Tod bringen … meine Nerven halten dies nicht aus!« Sie sank erschöpft an die Brust des Barons von Schmalhals, welcher ihr sehr zart das Fläschchen mit eau de mille fleures unter die Nase hielt. Klothilde stampfte mit dem Fuß und machte ein Gesicht, als ob ihr plötzlich übel geworden sei. Fräulein Therese lächelte höhnisch und beobachtete dabei mit giftigen Blicken den Baron, welcher noch immer seine Fridolindienste verrichtete.

Nur Papa Pilz zog ein pfiffiges Gesicht und flüsterte Berthold zu: »Es ist zwar noch ein Familiengeheimnis, aber ich hoffe – na, er ist steinreich und Klothilde ist ein vernünftiges Mädchen und später, wenn sie das Bedürfnis fühlt, kann sie sich ja auch der Ästhetik in die Arme werfen.«

Inzwischen war Herr Krauthuber eingetreten und näherte sich der Gesellschaft, indem er mit seinen kleinen stechenden Augen unruhig umherblickte. Er war gewiss schon sechzig Jahre, aber durch eine schwarze, künstlich gelockte Perücke, durch gefärbte Augenbraunen und durch starke Abreibungen mit poudre de riz hatte er versucht, sich so jugendlich wie möglich zu machen. Seine Nase bildete einen dicken roten Klumpen, und ungeachtet er sich alle Mühe gab, den Rüstigen zu spielen, so war sein Gang doch bereits etwas wacklig.

»Mein Freund Krauthuber«, rief Pilz, diesen Berthold und dem Doktor vorstellend, »parole ohn’ Ehr’ alle Tage frischer und jugendlicher … wahrhaftig, wenn ich ein Mädchen wäre …«

»Ha, ha«, sprach Krauthuber lachend, und warf Klothilde einen verliebten Blick zu, »man weiß sich zu konservieren, man hat Lebensart, man hat Turnüre … apropos, als ein galanter Ritter muss ich mich doch vor allem erkundigen, wie sich mein Goldfischchen befindet.«

»Die alte Nachteule«, murmelte das blonde Fräulein, »wenn ich ihn ansehe, geht mir alle Romantik verloren. Pass nur auf, Therese, gleich wird mich der alte Molch wieder in seiner hässlichen Weife angrinsen.«

Inzwischen hatte sich Krauthuber genähert. Er besaß die garstige Angewohnheit, wenn er mit jemand sprach, die Nase so zusammenzuziehen, dass sich förmliche Runzeln um dieselbe legten und dann auf sein vis-à-vis plötzlich loszufahren, als ob er ihm ein Stück aus dem Gesicht beißen wollte.

Auch nun, als er mit süß lächelndem Gesicht vor Klothilde stand, zog er wieder sein Geruchsorgan zusammen. Auf einmal schoss er vor und blickte das junge Mädchen mit einem verliebten Augenblinzeln an und sagte mit einem siegesbewussten Lächeln:

»Hm, hm, alle Tage schmucker, alle Tage herausfordernder! … Na, das Näschen nur nicht so gerümpft, nehm’s mit dem Jüngsten noch auf und darf mich sehen lassen.«

»Lassen Sie sich sehen, wo Sie Lust haben, nur nicht bei mir!«, rief die Blondine fast grob und kehrte ihrem zudringlichen Verehrer den Rücken.

»Ha, ha«, frohlockte dieser, »etwas übel gelaunt heute, nicht wahr? Kenne dies schon, hinter diesem Schmollen steckt oft etwas ganz anderes. Und wie heißt es denn gleich ein lateinisches Sprichwort?«

»Veni vidi vici, ich kam, ich sah, ich siegte«, rief Pilz dazwischen, »oh, man hat sein Latein noch nicht vergessen!«

»Ja, ja«, fuhr der zudringliche Alte, sich wieder zu Klothilde gewandt, fort, »wenn man jährlich zwanzigtausend Gulden Rente hat, so kann man schon auf den Sieg rechnen.«

»Und wenn Sie bis an den Hals im Gold säßen, ich möchte Sie nicht«, rief diese, Krauthuber einen wütenden Blick zuschleudernd.

»Was sich liebt, das neckt sich«, flüsterte Papa Pilz seinem Nachbar Berthold zu, »das Mädchen hat einen starken Geist, sie lässt den alten Burschen nur noch etwas zappeln. Aber ich kenne sie, sie ist imstande, sich über alles hinwegzusetzen, und ich wette, zuletzt setzt sich sie auch über Krauthuber hinweg, oder vielmehr, sie lässt es sich schon gefallen, wenn er sie als seine Gattin heimführt.«

Die Szene hatte übrigens doch angefangen, etwas peinlich zu werden. Es kam daher recht erwünscht, dass der lange Bedienstete wieder die Tür anriss und mit seiner Stentorstimme meldete, dass angerichtet sei. Frau Pilz erhob sich, und indem sie dem Baron Schmalhals einen sentimentalen Blick zuschickte, ließ sie sich von diesem ins Speisezimmer führen. Doktor Schwalbe sprang hinzu und bot Klothilde seinen Arm. Herr Windbläser verneigte sich vor Therese, und diese nahm die ihr erwiesene Höflichkeit mit einem solchen Blick der Geringschätzung an, dass dem professeur des langues aller Appetit hätte vergehen müssen, wenn dies bei seinem stets hungrigen Magen überhaupt möglich gewesen wäre. Dann folgte Papa Pilz mit Papa Krauthuber im leisen eifrigen Gespräch.

Den Schluss bildete der falsche Berthold, welcher sich vergnügt die Hände rieb und aus Faust deklamierte:

Den Teufel merkt das Völkchen nie,

selbst wenn er es beim Kragen hätte.

Pilz war geistig ein armer Mann. Gleich jenen kleinen schwammigen Gewächsen, die seinen Namen führten, unter den erwärmenden Strahlen der Glückssonne emporgeschossen, hatte er zwar über Geld und Gut, aber nicht über jenes Kapital zu gebieten, was dem Menschen erst seinen wahren Wert verleiht. Für ihn war der äußere Glanz der höchste Gipfelpunkt menschlicher Größe, und deshalb begriff er auch nicht, dass ein Herz, und besonders das Herz einer Frau, auch noch etwas anderes begehren könnte, als einen wohlgefüllten Geldsack. Zu prunken und zu prahlen war sein höchstes ehrgeiziges Streben, und auch jetzt bog sich die Tafel unter dem schweren Silbergeschirr und unter den aufgetragenen Gerichten. Klothilde hatte gegen ihren Willen neben dem alten Krauthuber Platz nehmen müssen, Doktor Schwalbe war als der angebliche Neffe des angeblichen Berthold neben Fräulein Therese platziert worden. An der Seite der Hausfrau saß wie gewöhnlich der Baron von Schmalhals, um sofort bei der Hand zu sein, wenn seine sentimentale, stets in eine gewisse schwermütige Romantik sich hüllende Gebieterin etwas bedürfen sollte. Der reiche Pilz spielte nach seiner Art den liebenswürdigen Wirt, jedoch in so ungeschickter Weise, dass er seinen Gästen fast bei jedem Bissen vorrechnete, was es kostete.

»Wie finden Sie diesen Silberaufsatz, mein verehrter Herr Berthold?«, rief er diesem zu, indem er auf eine prachtvolle, reich mit Reliefs verzierte Vase zeigte. »Sie sind doch jedenfalls ein Kenner in solchen Dingen, he, was meinen Sie wohl, was er kostet?«

Der Kostenpunkt war bei Pilz immer die Hauptsache, nach der Kaufsumme wurde der Wert eines Gegenstandes stets von ihm abgeschätzt.

»Die Arbeit ist vorzüglich,« lautete die Antwort. »Der Aufsatz ist ein wahres Kunstwerk, er könnte eine fürstliche Tafel zieren.«

»Fürstliche Tafel! …«, rief der reiche Emporkömmling und machte dabei ein sehr abwertendes Gesicht, »was nutzt mir der Titel ohne die Mittel! … Ich kenne Prinzen, die nicht mehr als jährlich sechstausend Taler zu verzehren haben. Ha, ha, ich möchte wohl wissen, was ich mit sechstausend Talern Rente anfangen sollte!«

Inzwischen hatte auch Krauthuber für gut gefunden, seine Nase in Falten zu ziehen. Indem er seine ohnedem kleinen Augen halb zukniff, schoss er plötzlich wie ein Habicht, der sich eine Taube als Beute auserkoren hat, auf Klothilde zu.

»Diese Austern sind ausgezeichnet fett und frisch«, rief er, »und für einen Feinschmecker …«

»Das Dutzend kostet mich auch einen Taler«, schrie Pilz dazwischen, »sie kommen direkt aus der See.«

»Für einen Feinschmecker, wie ich bin«, fuhr Krauthuber, ohne sich stören zu lassen, fort, indem er seine Nase noch mehr zusammenkniff und wie ein Faun grinste, »hat das Frische immer eine besondere Anziehungskraft. Na, war wohl vorhin nur so eine kleine Laune, als Sie mir böse waren? Wie? … Kenne das! … Aller Praktikus! Alter Praktikus den Damen gegenüber, ha, ha, lasse mir kein X für ein U machen und komme so leicht nicht in Verlegenheit!«

»Ihre Perücke hat sich soeben verschoben, und wenn Sie so zubeißen, setzen Sie noch Ihren letzten Zahn aufs Spiel«, rief Klothilde mit einem höhnischen Blick. »Übrigens«, fuhr sie leise fort, indem sie sich zu dem Ohr des alten zudringlichen Rentier neigte, »wiederhole ich Ihnen, was ich schon hundert Mal gesagt habe, dass Sie mir bis in den Tod zuwider sind, Sie alte Unke, und dass ich Ihnen und meinem Vater einen Streich spielen werde, an den sie beide denken sollen, wenn Sie mich noch weiter belästigen.«

»He, was sich die jungen Leute doch alles heimlich zu erzählen haben«, rief Pilz über den Tisch, indem er seinen breiten Mund zu einem behaglichen Lächeln verzog, »na, ich wusste es ja. Dieses Schmollen würde nicht lange dauern und l’appetit … he, Professor, wie heißt es denn gleich im Französischen?«

Herr Windbläser kaute mit beiden Kinnbacken und hatte sich den Mund so vollgestopft, dass er augenblicklich, trotz allem Würgen selbst beim besten Willen völlig außerstande war, die Frage seines Mäzen zu beantworten.

»Das weiß der Kuckuck«, brummte Pilz, »der Mensch isst wie ein Scheunendrescher und ich bin überzeugt, dass sein Magen ein großes Loch hat.«

In diesem Augenblick hatte aber auch Windbläser mit Aufbringung aller seiner Kräfte den großen Bissen, welcher ihn am Sprechen hinderte, heruntergewürgt.

Tief aufatmend antwortete er mit einer Verbeugung: »L’appetit vient en mengeant, heißt es, Monsieur, oder auf Deutsch: Der Appetit kommt mit dem Essen.«

»Als wenn ich das nicht wüsste«, rief Pilz, den Kopf mit Selbstbewusstsein zurückwerfend, »im französischen kommt mir keiner so leicht gleich. He, Professor …«

Aber der Professor hatte sich bereits einer neuen Schüssel bemächtigt. Indem er abermals nach Kräften zu würgen begann, warf er seinem Protektor einen Blick zu, als wenn er hätte sagen wollen: »Lass nun genug sein des grausamen Spiels.«

Zum Glück wurde die Aufmerksamkeit des Hausherrn auf einen Fisch gelenkt, welcher in einer großen silbernen Schüssel auf dem Tisch erschien.

»Dieser Fisch, meine Herrschaften«, rief Pilz, »kommt direkt aus den indischen Gewässern. Er ist sehr schwer zu bekommen und kostet mich mit Fracht und Emballage genau zehn Friedrichsd’or«

»Ein Meerwunder also«, bemerkte Berthold. »Am Ende finden wir in seinem Innern auch noch einen zweiten Ring des Polykrates.«

»Polykrates?« Herr Pilz stutzte und blickte mit einem ziemlich verlegenen Gesicht um sich. Plötzlich schien er sich aber daran zu erinnern, dass es sich für einen Mann, wie er war, nicht passe, den Unwissenden zu spielen. »Ach, ja«, rief er, »jetzt erinnere ich mich, davon vor einiger Zeit in den Zeitungen gelesen zu haben. Der Ring war ein altes Familienstück und Herr Polipates, der ihn verlor, wohnte, wenn ich nicht irre, in New York.«

»Oder irgendwo anders«, setzte der falsche Berthold mit einer Grimasse hinzu.

Frau Pilz hatte inzwischen die Augen in einer Weise emporgeschlagen, als ob sie sagen wollte: »Herr vergib ihm seine Dummheit.« Dabei zuckte sie gleichzeitig höchst mitleidig mit den Achseln, was den Baron Schmalhals veranlasste, ein Gleiches zu tun.

Bei ihrer ästhetischen Bildung vermochte die Dame aber doch nicht, diesen groben Schnitzer ganz ungerügt zu lassen.

»Du irrst«, sagte sie, indem sie ihrem Mann einen niederschmetternden Blick zuschleuderte, »Polykrates lebte nicht in New York, sondern auf Samos. Er war auch kein reicher Amerikaner, sondern ein König. Es stand auch nichts in den Zeitungen, sondern Schiller hat uns erst in seiner herrlichen Ballade mit dem wunderbaren Ereignis bekannt gemacht.«

»Na, das ist Nebensache«, antwortete Pilz mit der ihm eigenen Dreistigkeit in solchen Dingen, indem er abwehrend mit der Hand winkte, »die Hauptsache bleibt, dass der Ring im Magen des Fisches gefunden wurde und wie der Lateiner sagt: Erraribus humanibus est!«

Inzwischen hatte auch Doktor Schwalbe mit Fräulein Krickel ein Gespräch anzuknüpfen versucht. Er fand bald, dass sie einen höchst neidischen Charakter hatte und dass sie sich vom Schicksal in ungerechter Weise zurückgesetzt glaubte.

»Was mich hierher zieht«, sagte sie mit einem vornehmen Naserümpfen, »ist meine Freundschaft zu Klothilde. Das arme Kind dauert mich … unter Larven die einzige fühlende Brust … ich habe daher auch beschlossen, sie unter meine besondere Protektion zu nehmen.«

»Aber die junge Dame scheint mir ohnedem einen sehr selbstständigen Charakter zu besitzen«, bemerkte der angebliche Neffe des Herrn Berthold.

»Nun ja, dies ist aber auch nötig. Betrachten Sie sich diesen Emporkömmling, diesen unwissenden Menschen, welchen ihr der Zufall unglücklicherweise zum Vater gegeben hat.«

»Überreichlich scheint er allerdings nicht mit Verstand gesegnet.«

»Ich würde, wie gesagt, diese Familie nicht frequentieren«, fuhr Fräulein Krickel mit erneuertem Naserümpfen fort, »wenn mich, wie bereits bemerkt, nicht Mitleid für die arme verlassene Klothilde hierher führte. Ganz andere Familien von Distinktion stehen mir offen … meine gesellschaftlichen Verbindungen … die hohe und höchste Aristokratie … Mais que voulez vous, wird das Verdienst hier auf Erden wohl belohnt?«

»Das ist allerdings wahr, ich wundere mich nur, dass eine junge Dame (hier verbreitete sich über Fräulein Krickels Antlitz plötzlich Sonnenschein), dass, wie gesagt, eine junge Dame von Ihren ausgezeichneten Eigenschaften sich bisher nicht hat entschließen können, einem ihr würdig scheinenden Herrn ihre Hand zu reichen.«

Fräulein Krickel, das wusste jedermann, war so arm wie eine Kirchenmaus und ihre zweiunddreißig Jahre waren ihr einziger Reichtum. Wie der Baron von Schmalhals und Herr Windbläser benutzte sie die stets gut besetzte Tafel des eitlen Pilz und schmeichelte nach Kräften Klothilde, von der sie nicht allein sehr erhebliche Geschenke erhielt, sondern deren extravaganten Charakter sie auch in sehr schlauer Weise benutzt hatte, um einen verderblichen Einfluss auf sie auszuüben.