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Die Trapper in Arkansas – Band 1.13

Gustave Aimard (Olivier Gloux)
Die Trapper in Arkansas Band 1
Erster Teil – Treuherz

Kapitel 9 – Das Gespenst

Es war ungefähr acht Uhr morgens und eine strahlende Herbstsonne übergoss die Prärie in ihrem herrlichen Licht.

Die Vögel flatterten mit seltsamem Geschrei hin und wieder, während andere unter dem dichten Laub versteckt ihre melodischen Lieder ertönen ließen. Zuweilen steckte ein Hirsch den scheuen Kopf aus dem hohen Gras hervor und verschwand mit weiten Sätzen in der Ferne.

Zwei Reiter, die die Kleidung der Waldläufer trugen und auf ein Paar herrlichen, halbwilden Pferden saßen, ritten im scharfen Trab das Ufer des Canadian entlang, während mehre schwarze Jagdhunde, die an den Augen und der Brust gelb gefleckt waren, um sie herumsprangen und liefen.

Die beiden Reiter waren Treuherz und sein Freund Belhumeur.

Treuherz schien sich wider seine Gewohnheit der lebhaftesten Freude hinzugeben, sein Gesicht strahlte, er blickte mit Behagen um sich. Zuweilen hielt er an, blickte in die Ferne, und schien am Horizont irgendeinen Gegenstand zu suchen, den er noch nicht erkennen konnte. Dann ritt er mit einem Zeichen der Ungeduld weiter, um hundert Schritte weiter dasselbe Manöver zu wiederholen.

»Gib dich zufrieden!«, sagte Belhumeur endlich lachend, »wir werden schon hinkommen.«

»Caramba! Das weiß ich wohl, aber ich möchte schon da sein. Die einzigen glücklichen Stunden, welche mir der Himmel vergönnt, verlebe ich bei derjenigen, die wir aufsuchen! Meine Mutter! Meine geliebte Mutter, die alles um meinetwillen verlassen hatte, allem ohne Bedenken und ohne Klage entsagt hat! Ach, welch ein Glück ist es, eine Mutter zu haben, ein Herz zu besitzen, welches das unsre versteht, das sich selbst ganz vergisst, um in uns aufzugehen, das nur in uns lebt, sich freut, wenn wir uns freuen, sich betrübt, wenn wir betrübt sind! Das das Leben in zwei Hälften teilt, von denen es die schwerste für sich behält, während es uns die leichteste und angenehmste überlässt! Ach, Belhumeur! Um solch ein göttliches, aus Aufopferung und Liebe bestehendes Wesen, was man Mutter nennt, recht zu begreifen, muss man es, wie ich, lange Jahre entbehrt und es dann plötzlich wiedergefunden haben, und zwar liebender und verehrungswürdiger als je zuvor! Wie langsam wir vorwärtskommen! Jede Minute des Aufenthaltes kostet mich einen Kuss meiner Mutter, den mir die Zeit raubt! Werden wir denn niemals ankommen?«

»Hier sind wir an der Furt.«

»Ich weiß nicht, warum, aber eine heimliche Angst schnürt, mir das Herz zu, eine unbeschreibliche Ahnung lässt mich erzittern.«

»Verscheuche diese schwarzen Gedanken, mein Freund, in einigen Minuten werden wir bei deiner Mutter sein.«

»Ja, nicht wahr? Und doch, ich weiß nicht, ob ich mich irre, aber die Gegend scheint mir verändert, die Stille, welche um uns herrscht, die Einsamkeit die uns umgibt, kommen mir unnatürlich vor. Wir sind nicht weit vom Dorf, wir sollten schon das Gebell der Hunde, das Krähen der Hähne, kurz, jene taufend Laute hören können, die einen bewohnten Ort verkünden.«

»In der Tat«, sagte Belhumeur mit einiger Besorgnis, »es ist alles recht still um uns.«

Die Reisenden befanden sich an einer Stelle, wo der Fluss eine plötzliche Biegung macht. Seine tief eingeschnittenen, von ungeheuren Felsenstücken und dichtem Gebüsch bedeckten Ufer, hinderten sie daran, in die Ferne zu sehen.

Das Dorf, auf welches die Jäger zuritten, war von der Furt, wo sie sich anschickten, den Fluss zu überqueren, kaum einen Büchsenschuss entfernt, doch war es wegen der Umgebung noch nicht zu sehen.

In dem Augenblick, als die Pferde die Hufe ins Wasser setzten, prallten sie plötzlich zurück und die Jagdhunde erhoben jenes klagende Geheul, das ihnen eigen ist und den Unerschrockensten Furcht einflößt.

»Was heißt das?«, murmelte Treuherz, wurde totenblass und warf einen entsetzten Blick um sich. »Sieh!«, antwortete Belhumeur und zeigte mit dem Finger auf mehrere Leichen, welche unter der Wasseroberfläche vom Fluss mit fortgetrieben wurden.

»Oh!«, rief Treuherz aus, »hier hat sich etwas Entsetzliches zugetragen. Meine Mutter! Meine Mutter!«

»Erschrick nur nicht so sehr«, sagte Belhumeur, »sie ist gewiss in Sicherheit.«

Treuherz gab, ohne auf die Tröstungen zu hören, die sein Freund an ihn richtete, und an die er selbst nicht glaubte, seinem Pferd die Sporen und sprengte in das Wasser.

Sie erreichten schnell das jenseitige Ufer.

Dort wurde ihnen alles klar.

Sie hatten den Schauplatz der Verwüstung in der entsetzlichsten Gestalt, die nur irgend denkbar ist, vor sich.

Das Dorf und das Fort waren nur noch ein Trümmerhaufen.

Ein schwarzer, dicker, widerlicher Rauch stieg in langen Säulen gen Himmel.

In der Mitte des Dorfes erhob sich ein Baumstamm, an dem Fetzen menschlicher Glieder festgenagelt waren, um welche sich die Urubusgeier mit lautem Geschrei stritten.

Hier und da lagen Leichen umher, welche von den wilden Tieren und den Geiern halb zerrissen worden waren.

Nirgends zeigte sich ein lebendes Wesen.

Nichts war verschont geblieben, alles zertrümmert und zerstört. Man sah auf den ersten Blick, dass Indianer mit ihrer blutdürstigen Wut und ihrem eingefleischten Hass gegen die Weihen da gehaust hatten. Ihre Spur war in feuriger und blutiger Schrift tief eingegraben.

»Ach«, rief der Jäger schaudernd aus, »meine Ahnung war eine himmlische Warnung. Meine Mutter! Meine Mutter!«

Treuherz sank verzweiflungsvoll zu Boden, bedeckte sein Gesicht mit den Händen und weinte.

Der Schmerz des kräftigen Mannes, dessen erprobter Mut vor keiner Gefahr erbebte, glich dem eines Löwen – er hatte etwas Entsetzliches.

Sein Schluchzen war herzzerreißend.

Belhumeur achtete den Schmerz seines Freundes. Welchen Trost hätte er ihm auch bieten können? Es war besser, dass er ihm gestattete, sich auszuweinen und den ersten Paroxysmen der Verzweiflung Zeit ließ, sich zu legen. Er war überzeugt, dass diese eiserne Natur sich nicht lange würde niederbeugen lassen und dass bald eine Reaktion eintreten würde, die ihm gestattete, zu handeln.

Indessen fing er, mit dem den Jägern angeborenen Instinkt, an, allenthalben herumzusuchen, in der Hoffnung, eine Spur zu entdecken, die ihnen später bei ihren Nachforschungen von Nutzen sein würde.

Nachdem er die Ruinen lange umrundet hatte, wurde er plötzlich zu einem Gebüsch hingezogen, wo ein Gebell ertönte, welches ihm bekannt schien.

Er schritt eilig vorwärts. Ein Jagdhund, der dem seinen ganz gleich war, sprang fröhlich an ihm in die Höhe und bestürmte ihn mit Liebkosungen.

»O! O!«, sagte der Jäger, »was bedeutet das. Wer hat den armen Trim hier angebunden?«

Er zerschnitt die Fessel des Tieres und entdeckte, dass er ein vierfach zusammengefaltetes Stück Papier am Hals hatte, das sorgfältig an diesem befestigt war.

Er nahm es weg und eilte zu Treuherz zurück. »Bruder!«, sagte er, »hoffe!«

Der Jäger wusste, dass sein Freund nicht der Mann sei, ihm leere Tröstungen zu bieten. Er erhob sein von Tränen gebadetes Gesicht zu ihm.

Sobald der Hund frei war, hatte er mit unglaublicher Schnelligkeit die Flucht ergriffen und stieß jenes abgebrochene, dumpfe Bellen aus, wie es die Jagdhunde hören lassen, wenn sie eine Fährte verfolgen. Belhumeur, der diese Flucht vorhergesehen hatte, hatte sich beeilt, dem Tier sein Tuch um den Hals zu binden.

»Man weiß nicht, was geschehen könnte«, murmelte der Kanadier, als er den Hund verschwinden sah.

Nachdem er diese philosophische Betrachtung angestellt hatte, war er zu seinem Freund zurückgekehrt.

»Was gibt es?«, fragte Treuherz.

»Lies!«, antwortete Belhumeur einfach.

Der Jäger griff hastig nach dem Blatt und las eifrig.

Es enthielt nur folgende Worte.

»Wir sind Gefangene der Rothäute … Mut! … Ihrer Mutter ist nichts zugestoßen.«

»Gott sei Dank!«, rief Treuherz mit Wärme und küsste das Papier, welches er an seiner Brust verwahrte, »meine Mutter lebt! Ich werde sie wiederfinden.«

»Gewiss!«, bekräftigte Belhumeur mit Überzeugung.

In dem Wesen des Jägers war wie durch Zauberei eine vollständige Verwandlung eingetreten. Er hatte sich hoch aufgerichtet, sein Gesicht strahlte.

»Lass uns unsere Nachforschungen beginnen«, sagte er, »vielleicht ist einer der unglücklichen Bewohner dem Tod entgangen. Durch ihn könnten wir erfahren, was vorgefallen ist.«

»Gut!«, sagte Belhumeur vergnügt, »so ist es recht, lass uns suchen.«

Die Hunde wählten mit wildem Eifer in den Trümmern des Forts.

»Wir wollen hier anfangen«, sagte Treuherz. Beide räumten den Schutt weg. Sie arbeiteten mit einem Eifer, der ihnen selbst unbegreiflich war. Nach ungefähr zwanzig Minuten entdeckten sie eine Art Falltür.

Schwache, tonlose Laute drangen darunter hervor.

»Sie sind hier!«, sagte Belhumeur.

»Gott gebe, dass wir zeitig genug gekommen sind, um sie zu retten.«

Erst nach, langer Zeit und mit unsäglicher Mühe gelang es ihnen, die Falltür zu öffnen.

Da bot sich ihnen ein entsetzlicher Anblick.

In einem Keller, aus welchem eine faulige Luft hervordrang, waren ungefähr zwanzig Menschen buchstäblich aufeinandergeschichtet.

Die Jäger konnten eine Bewegung des Schreckens nicht unterdrücken und wichen unwillkürlich zurück. Aber sie kehrten unmittelbar darauf an die Öffnung des Kellers zurück, um zu versuchen, einige der Unglücklichen zu retten, wenn es nicht schon zu spät war.

Von allen diesen Menschen gab nur einer ein Lebenszeichen von sich, die übrigen waren tot.

Sie zogen ihn aus dem Keller hervor, legten ihn sanft auf einen Haufen dürren Lauben und ließen ihm die Hilfe angedeihen, die sein Zustand erforderte.

Die Hunde leckten dem Verwundeten das Gesicht und die Hände.

Nach einigen Minuten regte sich der Mann ein wenig, öffnete die Augen zu wiederholten Malen und stieß dann einen tiefen Seufzer aus.

Belhumeur brachte die Öffnung einer ledernen Flasche voll Rum zwischen die zusammengepressten Zähne und flößte ihm einige Tropfen der Flüssigkeit ein.

»Er ist sehr krank«, sagte der Jäger.

»Er ist verloren«, antwortete Treuherz kopfschüttelnd.

Indessen hatte der Verwundete einige Kräfte gewonnen.

»Mein Gott!«, sagte er mit schwacher, flockender Stimme, »sterben, ich werde sterben!«

»Hoffen Sie«, sagte ihm Belhumeur sanft.

Eine flüchtige Röte malte die bleichen Wangen des Verwundeten, ein trauriges Lächeln verzog seine Mundwinkel.

»Warum sollte ich leben? Die Indianer haben alle meine Gefährten, nachdem sie sie abscheulich verstümmelt haben, umgebracht. Das Leben würde eine zu schwere Last für mich sein.«

»Wenn Sie vor Ihrem Tod noch einen Wunsch haben, den zu erfüllen in unseren Kräften steht, so reden Sie, und auf Jägerwort, wir werden es tun.«

Die Augen des Sterbenden blitzten mit düsterem Schein.

»Ihre Flasche«, sagte er zu Belhumeur,

Dieser reichte sie ihm.

Der Verwundete trank hastig, seine Stirn bedeckte sich mit kaltem Schweiß und eine fieberhafte Röte färbte sein Gesicht, welches einen schrecklichen Ausdruck annahm.

»Hört!«, sagte er mit heiserer, abgestoßener Stimme, »ich war hier Kommandant. Die Indianer haben mithilfe eines elenden Mestizen, der uns an sie verkauft hat, das Dorf überfallen.«

»Wie heißt der Mann?«, fragte der Jäger lebhaft.

»Er ist tot! … Ich habe ihn getötet!«, antwortete der Captain mit einem unbeschreiblichen Ausdruck von Hass und Freude. »Die Indianer wollten sich des Forts bemächtigen, der Kampf war fürchterlich, wir waren zwölf entschlossene Männer gegen zweihundert Wilde, was konnten wir tun? Kämpfen bis zum letzten Atemzug. Das beschlossen wir zu tun. Die Indianer haben uns, als sie die Gewissheit erlangten, dass sie uns nicht lebend in ihre Hände bekommen würden, die Einwohner des Dorfes zugeworfen, nachdem sie ihnen die Handgelenke durchschnitten und sie skalpiert hatten, dann haben sie das Fort in Brand gesteckt.«

Der Verwundete, dessen Stimme die Kraft verlor und dessen Worte unverständlich wurden, trank einige Tropfen Rum, und fuhr dann in seinem Bericht, dem die Jäger aufmerksam zuhörten, folgendermaßen fort.

»Ein unterirdischer Raum, der als Keller diente, zog sich unter den Gräben des Forts hin. Als ich sah, dass wir keine Rettung mehr zu hoffen hätten und die Flucht unmöglich war, ließ ich meine unglücklichen Gefährten in jenen Keller hinuntersteigen, weil ich hoffte, dass wir uns mit Gottes Hilfe auf diese Weise würden retten können. Einige Minuten später brach das Fort über uns zusammen. Niemand kann sich von den Qualen, die wir in diesem modrigen Loch ohne Luft und Licht ausgestanden haben, eine Vorstellung machen. Das Geschrei der Verwundeten – und das waren wir alle mehr oder weniger – die nach Wasser schrien, das Röcheln der Sterbenden bildete ein entsetzliches Konzert, welches keine Feder beschreiben kann. Unsere Schmerzen, die schon unerträglich waren, wuchsen noch mehr durch den Mangel an Luft. Eine Art wütender Raserei befiel uns. Wir stürzten einer über den anderen her, und es begann in der Dunkelheit, unter den Trümmern ein fürchterlicher Kampf, der nur mit dem Tod sämtlicher Kämpfenden enden sollte. Wie lange er gewährt hat, kann ich nicht sagen. Schon fühlte ich, dass der Tod, der alle meine Gefährten erfasst hatte, sich auch meiner bemächtigen würde, als Sie kamen und ihn noch ein Paar Minuten lang aufhielten. Gott sei Dank! Ich werde nicht ungerächt sterben.«

Nach diesen kaum verständlich gesprochenen Worten herrschte ein feierliches Schweigen zwischen den drei Männern, welches nur durch das Röcheln des Sterbenden, dessen Todeskampf begonnen hatte, unterbrochen wurde.

Plötzlich richtete sich der Captain mit dem Aufgebot seiner letzten Kräfte in die Höhe, heftete seinen glühenden Blick auf die Jäger und sagte: »Die Wilden, welche mich angegriffen haben, gehören dem Stamm der Comanchen an, ihr Häuptling heißt Adlerkopf. Schwört mir, als ehrliche Jäger, mich zu rächen.«

»Wir schwören es!«, riefen die beiden Männer mit fester Stimme.

»Habt Dank«, murmelte der Captain, sank plötzlich zurück und blieb unbeweglich.

Er war tot.

Sein verzerrtes Gesicht und seine offenen Augen zeigten noch den Ausdruck der Verzweiflung, die ihn in seinen letzten Augenblicken beseelt hatten.

Die Jäger betrachteten ihn einen Augenblick lang, dann schüttelten sie den peinlichen Eindruck ab und schickten sich an, den unglücklichen Opfern der Wut der Indianer, die letzte Ehre zu erweisen.

Bei den letzten Strahlen der vergehenden Sonne beendeten sie das schwere Werk, welches sie sich auferlegt hatten.

Nachdem Treuherz einige Augenblicke geruht hatte, erhob er sich und sattelte sein Pferd. »Jetzt, Bruder«, sagte er zu Belhumeur, »wollen wir die Fährte Adlerkopfs verfolgen.«

»Komm«, antwortete der Jäger.

Die beiden Männer warfen einen langen, traurigen Scheideblick um sich, pfiffen ihren Hunden und drangen kühn in den Wald ein, in dessen Dunkel die Comanchen verschwunden waren.

In diesem Augenblick stieg der Mond aus einem Meer von Nebeln hervor und warf sein bleiches Licht hell auf die Trümmer des amerikanischen Dorfes, in welchem die Einsamkeit und der Tod auf ewig herrschten.

Ende des ersten Bandes


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