Das Geheimnis zweier Ozeane 34
Drittes Buch
Neuntes Kapitel
Das Geheimnis der Osterinsel
Die Pionier ankerte am Fuße der Insel. Ihr Metallkörper glänzte im starken Licht zahlreicher Scheinwerfer. Es schien, als wollte das von einem Gewirr stählerner Trossen umflochtene U-Boot die Insel in die Tiefe schleppen.
Zwei Tage schon brannte das Thermit unter dem Düsenring, ohne dass das Metall von der Glut erweicht wurde. Kosyrew war ratlos und konnte sich nicht erklären, warum die Temperatur, die sich bei der Thermitreaktion entwickelte, kaum zweitausend Grad erreichte. Die Sache klappte nicht, und das beunruhigte sowohl den Kapitän als auch die Schiffsbesatzung. Aus dem Laboratorium des U-Bootes holte Kosyrew die verschiedenartigsten Stoffe und gab sie in immer neuen Kombinationen den Thermiten zu. Diese Thermite entwickelten sonst eine Temperatur, die genügte, um jedes Metall zu schmelzen. Mit viel Mühe gelang es endlich Kosyrew am dritten Tage nach Beginn der Arbeiten, ein Gemisch der Thermitelemente zusammenzustellen, deren Hitzeentwicklung das Metall etwas erweichte. Das war aber zu wenig, und Kosyrew musste seine Bemühungen fortsetzen. Er zerbrach sich den Kopf. Es war ärgerlich, ja beschämend! Die Freunde hatten inzwischen schon so viel geschafft, und er …?
Als das Metall des Düsenringes kaum merklich weich wurde, kam Kosyrew ein Gedanke, den er sofort dem Oberleutnant mitteilte: »Wenn wir den Düsenring mit der Hebewinde auch nur einen Millimeter näher an seinen Platz heranrücken könnten, wäre das sehr gut. Ich könnte inzwischen nach einem neuen Gemisch suchen.«
»Bitte«, sagte der Oberleutnant achselzuckend. »Aber damit ist das Problem noch lange nicht gelöst.«
»Egal!«, erwiderte Kosyrew halsstarrig. »Besser das, als nichts.«
Die Hebewinde spannte die Drahtseile und wickelte sie, unmerklich fürs Auge, auf die Welle. Nach vierundzwanzig Stunden waren nur zehn Millimeter Drahtseil aufgewickelt. Das war nicht der Rede wert, doch Kosyrew war zufrieden. Immerhin war der Anfang da. Er beriet sich mit Skworeschnja, und dieser machte einen Vorschlag: Warum sollte man nicht der Winde nachhelfen? Wenn er mit einem großen Hammer auf den Düsenring schlüge, so würde die Winde noch mehr schaffen.
Diesmal war es Kosyrew, der die Achseln zuckte.
»Was denkst du! Soll das ein Witz sein? Die Winde arbeitet doch mit fünftausend PS. Wie viel macht da schon dein Hammer aus?«
»Es handelt sich nicht um meine zusätzliche Pferdestärke, sondern um die Stöße, die Schläge, die eine Verlagerung der Moleküle im erweichten Metall bewirken können.«
»Du kannst es ja versuchen«, antwortete Kosyrew zweifelnd. »Schaden kann’s auf keinen Fall.«
Ein paar Minuten später hörte man vom Heck dröhnende Hammerschläge. Es hörte sich an wie das Läuten einer riesigen Glocke.
Der Kapitän saß im Steuerraum. Er stellte eine Übersicht der geleisteten Arbeiten zusammen und berechnete die voraussichtliche Dauer der gesamten Reparaturen. Man könnte schon zufrieden sein, wenn nicht diese unerwartete Verzögerung mit den Düsen wäre. Wenn Kosyrew in den nächsten zwei oder drei Tagen keinen Erfolg haben sollte, würde das die rechtzeitige Ankunft in Wladiwostok infrage stellen.
In diese unerfreulichen Gedanken versunken, achtete der Kapitän nicht auf die Geräusche, die in den Steuerraum aus den unteren Kammern des U-Bootes drangen.
Er stand auf und schaute auf die Uhr. In einer Stunde war Mitternacht. Oben, über dem Meer, lag jetzt dunkle tropische Nacht, am Himmel funkelten Sterne, und die Wellen plätscherten leise am Strand, der einst von stummen steinernen Inselwächtern gesäumt war …
Der Kapitän fuhr sich über die Stirn. In einer Stunde würde die Arbeit ruhen; man musste jetzt sehen, wie weit sie gediehen war. Plötzlich hob er den Kopf und horchte. Aus der Ferne klang metallisches Dröhnen herüber. Was konnte das sein?
Der Kommandant beeilte sich, seinen Rundgang zu machen. Er besuchte die unteren Räume und Kammern. Die Arbeit ging glänzend voran. Aus dem Maschinenraum ging er in die Druckkammer, in der Romejko, der erst vor drei Tagen aus dem Lazarett entlassen worden war, Wache hielt. Romejko half ihm in den Taucheranzug. Als der Kapitän auf die Plattform trat, schwoll das geheimnisvolle Dröhnen unter seinem Helm an. Der Kommandant jagte durchs Wasser.
Im grellen Licht der Scheinwerfer schlug Skworeschnja mit seinem gewaltigen Hammer auf den Düsenring ein wie ein mittelalterlicher Recke, der einen hundertköpfigen Drachen bekämpft.
Der Kapitän stürzte auf ihn zu, packte ihn zornig an der Schulter und schrie: »Was machen Sie da? Wer hat Ihnen das erlaubt? Sofort mit dem Krach aufhören! Haben Sie vergessen, dass wir uns in der Nähe einer bewohnten Insel befinden?«
Alle bekamen einen mächtigen Rüffel: Skworeschnja, Kosyrew und auch Oberleutnant. Sie standen betreten da und schwiegen. Sie wussten, dass sie eine Dummheit gemacht hatten.
Ngaara stand aufrecht in seinem zerbrechlichen Kanu und trieb es mit kaum merklichen Bewegungen des Ruders in den offenen Ozean.
Weit hinter ihm, in der Dunkelheit, flackerte ein winziges Feuer. Ngaaras Weib, Angata, hatte es am Strand entfacht, damit der Ernährer der Familie leicht zu seiner Hütte zurückfand, wenn er vom Fischfang, mit Beute beladen, zu seinen hungrigen Kindern zurückkehrte.
Ngaara seufzte tief. Sogar vor Sonnenuntergang und während der kurzen Dämmerung, da der Fang sich am besten lohnte, hatte kein einziger Fisch an seine stählernen Angelhaken angebissen, die er vom alten Robinson für so viele Fische eingetauscht hatte. Kein einziges Tier rührte den Köder an, und sogar der Zauberhaken, den Ngaara ehrfurchtsvoll und mit viel Mühe aus dem Schienbein seines verstorbenen Vaters insgeheim angefertigt hatte, wurde von den Fischen verschmäht. Mit Einbruch der Nacht war Ngaara gezwungen, sich an Krebse und Krabben zu halten. Das war keine sehr schmackhafte Nahrung, aber mit leeren Händen konnte er nicht nach Hause zurückkehren. Doch auch bei dieser Jagd hatte der arme Ngaara heute kein Glück. Nur ein paar kleine Krabben und etwa ein Dutzend große graugrüne Krebse raschelten mit ihren Scheren auf dem Boden seines Kanus. Zweifellos hatte Achau-achtutatana, der böse Geist, seine Hand im Spiel. Inzwischen war es spät geworden, er musste zum Ufer zurückrudern. Bald war die Sandbank zu Ende, dahinter fiel der Meeresboden steil ab.
Plötzlich hatte Ngaara einen Einfall. Auf diesem Steilhang ging sonst niemand auf Krabbenfang. Sollte er vielleicht versuchen, das Netz tiefer hinabzulassen? Vielleicht gab es dort mehr Beute. Man musste es wagen! Es war beschämend, wenn ein so erfahrener Fischer und Taucher wie er, ein Mann in der Blüte seiner Jahre, mit einem fast leeren Kanu zu seiner hungrigen Familie zurückkehrte.
Ngaara fasste einen Entschluss. Er ließ das Netz wieder ins Wasser gleiten und ruderte vorsichtiger. Er flüsterte die Namen der Götter: Mea-kachi, des Schutzgottes der Fischer, Makemake, des Gottes der Seeschwalbeneier, die Ngaara unter Lebensgefahr erbeutete und dem Gott opferte, und sogar den Namen des Eiergottes Chawa-tuu-take-take und seiner verehrungswürdigen Gemahlin Wije-choa.
Die Leine rollte immer schneller ab und war schon fast zu Ende, als sie plötzlich schlaff herabhing. Das Netz hat den Meeresgrund erreicht, dachte Ngaara erfreut. Jetzt musste er es vorsichtig über den Steilhang nach oben ziehen. Er ruderte drei bis vier Kanulängen zurück, griff nach der Leine und zog sie an. Die Leine straffte sich, ließ sich aber nicht ziehen.
Das Netz hatte sich anscheinend am Meeresgrund festgehakt. Ngaara zog kräftiger, aber ohne Erfolg. Mit zornigem und traurigem Herzen beschimpfte er seine alten Götter, sogar Tatana, den bösen Geist.
Was sollte er tun? Er konnte doch nicht sein Netz preisgeben, das ihn und seine Familie ernährte, Steuern einbrachte und dem alten Tatana Robinson die Schulden für Schnaps, Tabak und Angelhaken bezahlte. Gewiss, hier war es sehr tief, aber einem Taucher wie Ngaara wäre selbst die ganze Länge seiner Leine nicht zu viel. Haifische? Das wäre unangenehm, aber Ngaaras Messer im Gürtel war lang und scharf.
Der Mann zog seine alte Jacke und die abgewetzte geflickte Hose aus und sprang ins dunkle Wasser. Obwohl er unter Wasser sofort gewohnheitsgemäß die Augen öffnete, sah er die Leine in der tintenschwarzen Finsternis nicht. Erst nachdem er sie eine Weile gesucht hatte, kam sie ihm zwischen die Finger; schnell tauchte er an ihr hinunter.
Plötzlich sahen seine weit aufgerissenen Augen etwas, bei dessen Anblick ihn eine abergläubische Angst schüttelte: Weit unter ihm, in der Tiefe des Ozeans, leuchtete eine riesige, silbrige Wolke, als sei der Mond vom Himmel in die dunklen Fluten gesunken und verbreite dort sein starkes Licht, um das herum grelle weiße Pünktchen wie Meergeister tanzten. Ein dumpfer, singender Ton hallte aus der Tiefe herauf, und Ngaara glaubte, vor Angst sterben zu müssen. Die Töne folgten einer dem anderen, rhythmisch und schwingend. Ihre Musik erfüllte den ganzen Ozean, als trommelten Riesen auf einen Kürbis, der so groß wie ein Berg war. Grüne und orangefarbene Kreise zogen an Ngaaras Augen vorbei. Er war dem Ersticken nahe, Entsetzen lähmte seine Glieder. Mit einer letzten Kraftanstrengung schnellte er nach oben, er wollte dem Anblick dieser unheimlichen Silberwolke, dem schrecklichen Trommelschlag entfliehen. Aber das dumpfe Tamtam der Riesentrommel verfolgte, umbrauste ihn, und fast von Sinnen, mit wild pochendem Herzen, erreichte Ngaara die Oberfläche. Mit zitternden Händen klammerte er sich an den Bordrand seines Kanus und rang lange nach Atem. Als er wieder etwas zu sich gekommen war, schaute er sich ängstlich um und näherte das Ohr dem Wasser. Ein neuer Trommelschlag erreichte ihn, er schnellte hoch und wälzte sich über den Rand des Kanus. Ihm schien, als schwanke das Boot unter den geheimnisvollen Schlägen, die aus der Tiefe des Ozeans kamen. Das war für Ngaara zu viel. Er sprang auf, riss das Messer heraus, schnitt mit einem Hieb die Leine durch, an der das kostbare Netz hing, und ruderte verzweifelt, als ginge es um sein Leben, zum Meeresufer. Die ganze Nacht warf sich Ngaara auf seiner Lagerstatt aus Schilf hin und her, stöhnte und schrie. Wilde Worte kamen aus seinem Mund, vom Mond in einer silbrigen Wolke, der auf dem Meeresgrund leuchtete, vom Tanz der Sterne um ihn und dem Dröhnen der heiligen Trommel. Angata, sein Weib, von Furcht und Entsetzen gepackt, klagte und wimmerte mit ihrem Mann. Als am Morgen Nachbarn und Verwandte kamen, eilte die Kunde von Ngaaras schrecklicher Vision durch die ganze Insel, als Geheimnis vor den Weißen gehütet, die natürlich Ngaara nicht glauben und ihn und seine Stammesgenossen als Ketzer und Heiden bestrafen würden.
Aber schon nach drei Tagen plauderte der alte Te-chacha, vom Alkohol verzaubert, dem Händler Robinson, von dem er ein Glas Schnaps für einen Sack Kokosnüsse bekommen hatte, das wunderbare Geheimnis der Insel aus. Und schon ein paar Stunden später erfuhr es von Robinson der braunhäutige Bootsmann Ribeira, dessen Schiff vor der Insel ankerte. Der Schoner Santa Maria hatte für Robinson eine neue Ladung an Bord: Schnaps, Kattun, verschossene Konfektionskleidung, verschiedene andere Ladenhüter und allerlei bunten Tand. Von Ribeira erfuhr als Erster das Geheimnis Don Juan Gomez Gonzales, ein Reporter aus Valparaiso, der zufällig nach dieser langweiligen Insel verschlagen war, als Freund und Gast des Kapitäns der Santa Maria. Am Abend des gleichen Tages, als eine erfrischende Brise vom Meer wehte, ruderte der Reporter, der eine Sensation für seine Zeitung witterte, zu dem Ort, den der ewig betrunkene alte Te-chacha genannt hatte. Don Juan zog gegenüber Ngaaras Hütte die Ruder ein und tauchte ins Meer. Völlig erschüttert erschien er wieder an der Oberfläche. Er hatte die leuchtende Silberwolke gesehen, und obgleich keine Trommelschläge zu hören waren, hielt er die Erzählung Ngaaras darüber für wahr. Und schon am frühen Morgen des 16. August funkte er von der Santa Maria an die Zeitung El Popolo in Valparaiso einen langen, märchenhaft klingenden Bericht unter dem Titel Das Geheimnis der Osterinsel. Am Abend war diese Sensation bereits in der ganzen Welt verbreitet.
Fünfhundert Kilometer nordwestlich der Insel fing der Kreuzer Yamato, der sich in voller Fahrt in südöstlicher Richtung befand, den Funkspruch der Santa Maria auf. Der Funker machte dem Kreuzerkommandanten und Kapitän Majeda Meldung, der offensichtlich sehr befriedigt war.
Kosyrew hatte Schlaf und Ruhe verloren. Er hielt sich ständig im Labor auf. Seine sommersprossigen Wangen sanken ein, die Augen hatten einen fiebrigen Glanz. Das Rätsel des Thermits zehrte an ihm, es blieb nach wie vor ein quälendes dunkles Geheimnis. Alle möglichen Stoffgemische hatte Kosyrew schon versucht, und das Bewusstsein, nicht weiterzukommen, raubte ihm fast den Verstand. Bereits den dritten Tag arbeitete Zoi mit ihm. Aber beide kamen keinen Schritt weiter.
Heute Nacht sprach schließlich der Zoologe ein Machtwort. Mit entschlossenem Gesicht, in der Hand ein Fläschchen, trat er auf Kosyrew zu, der am Labortisch saß, den Kopf zwischen die Hände gepresst, und forderte ihn unter Hinweis auf einen Befehl des Kapitäns auf, von diesem »Schnäpschen« etwas zu sich zu nehmen. Kosyrew trank und starrte vor sich hin. Doch das »Schnäpschen« des Zoologen wirkte ziemlich schnell. Fünfzehn Minuten später führte Zoi den schwankenden Kosyrew in die Kajüte und brachte ihn ins Bett, in dem er sofort fest einschlief.
Um vier Uhr morgens, eine halbe Stunde vor dem Wecken, wurde Zoi durch Klopfen an seiner Tür geweckt. Der junge Mann rieb sich die Augen, stand auf und öffnete. Vor ihm stand halb angekleidet, mit wirren Haaren Kosyrew.
»Zoi!«, stammelte er. »Zoi! Du bist Chemiker … du musst es wissen … ich habe keine Zeit, um in einem Nachschlagewerk zu suchen … sage mal, wie viel Magnesiumchlorid enthält das Seewasser?«
Zoi war noch schlaftrunken, aber schon im nächsten Augenblick hatte er sich gesammelt.
»Überall im Weltmeer, außer an den Küsten«, antwortete er, »ist die Zusammensetzung des Wassers die gleiche. Der mittlere Gehalt an Salzen ist fünfunddreißig Gramm auf tausend Gramm Wasser; der Gehalt an Magnesiumchlorid beträgt stets 10,878 vom Hundert des allgemeinen Gehaltes an Salzen im Wasser, das heißt drei Gramm und achthundertsieben Milligramm in jedem Kilogramm Wasser.«
»Und im Finnischen Meerbusen?«, unterbrach ihn ungeduldig Kosyrew.
»Im Finnischen Meerbusen, wo der mittlere Salzgehalt etwa fünf Gramm auf tausend Gramm Wasser beträgt, ist der Gehalt an Magnesiumchlorid der gleiche, das heißt nur fünfhundertvierundvierzig Milligramm auf tausend Gramm Wasser …«
»Fast vier Gramm im Ozean und nur etwa ein halbes Gramm im Finnischen Meerbusen«, stöhnte Kosyrew. »Oh, ich Dummkopf! Wieso habe ich nicht an diesen Unterschied gedacht! Unser Thermit ist doch nur auf den Salzgehalt des Finnischen Meerbusens berechnet, wo auch die Experimente durchgeführt werden! Bei nur einem halben Gramm Magnesiumchlorid in einem Kilogramm Wasser! Dabei sind es doch hier im Ozean ganze vier Gramm! Und unser Thermit resorbiert ja so gierig diesen Überschuss an Magnesiumchlorid. Wieso habe ich nicht eher daran gedacht?« Kosyrews Augen glänzten. »Ins Laboratorium, Zoi!«, rief er erregt. »Heute wird das Thermit so brennen, dass sogar dieses Teufelsmetall zerfließen wird!«
Kosyrew stürzte im Laufschritt zum Ende des Ganges, wo sich hinter dem Steuerraum, gegenüber dem Biologischen Kabinett, das Laboratorium befand.
Fünf Minuten später standen die beiden Freunde vor ihren Arbeitstischen, mit sicherer Hand das letzte, entscheidende Experiment beginnend.
Der 15. August war ein Tag der Erfolge.
Am Morgen konnte die Funkstation wieder in Betrieb genommen werden. Der Kapitän konnte endlich, nach achtzehn Tagen, die Regierung über die Einzelheiten der Katastrophe informieren.
Der zweite Sieg dieses in jeder Beziehung außergewöhnlichen Tages war die Beendigung der Ausbesserungsarbeiten an der Bugkanone. Sie war wieder vollkommen in Ordnung. Das U-Boot hatte seine alte Kampfkraft wiedergewonnen.
Bald nach dem Mittagessen waren auch die beiden Infrarot-Aufklärer einsatzfähig geworden. Nach achtzehn Tagen der Blindheit hatte das U-Boot wieder Augen erhalten. Die Ergänzung durch die Bildwerfer fehlte noch, aber die Akustiker brauchten für die Reparatur höchstens noch zwei Tage.
Und dann, seit fünfzehn Uhr, brannte unter dem Düsenring das neue Thermit, auf das der starke Gehalt an Magnesiumchlorid im Seewasser ohne Wirkung war. Bereits nach zwanzig Minuten Brenndauer entwickelte die Thermitreaktion eine Temperatur von fünftausendfünfhundert Grad.
Diesen Tag hätte man einen glücklichen nennen können, wären nicht drei Vorkommnisse gewesen, die ihn verdüsterten.
Um vierzehn Uhr, nach den ersten zufriedenstellend verlaufenen Versuchen unter Wasser, wurden beide Infrarot-Aufklärer zur Oberfläche geschickt. Vorsichtshalber ließ man sie dicht über das Wasser gleiten, damit sie nicht von den Inselbewohnern bemerkt würden. Die Bildschirmkuppel zeigte den klaren Himmel mit der im Zenit stehenden Sonne. Alles atmete Ruhe und Frieden. Der Kapitän wollte schon den Befehl zur Zurücknahme der Aufklärer geben, als plötzlich am nördlichen Horizont ein schwarzer Punkt auftauchte, der schnell größer wurde und bald deutliche Formen annahm.
»Ein Flugzeug!«, rief der Oberleutnant aus.
Es dauerte nicht lange, bis es auf dem Bildschirm sichtbar wurde. Über der Insel zog es einige Kreise, bald tiefer, bald höher fliegend, und verschwand dann in südlicher Richtung.
»Seltsam«, sagte der Kapitän nachdenklich. »Das sah ja wie ein Aufklärungsflugzeug aus.«
Eine wachsende Unruhe bemächtigte sich seiner. Indes standen neue Unannehmlichkeiten bevor.
Bisher hatten die Aussagen der Schiffsbesatzung nichts ergeben, was in die rätselhafte Angelegenheit der Explosion hätte Klarheit bringen können. Heute jedoch konnte der Kommissar dem Kapitän einige neue Tatsachen melden, die zu gewissen Schlussfolgerungen berechtigten. Leutnant Krawzow, dessen Befinden sich in der letzten Zeit gebessert hatte, konnte heute mit Zustimmung des Zoologen seine ersten Aussagen machen. Daraus ging die fahrlässige Handlungsweise des Leutnants hervor, der dem Kapitän den Düsendefekt nicht gemeldet hatte, sondern eigenmächtig, entgegen einem strengen Befehl, Gorelow aus dem U-Boot gelassen und nicht einmal kurz danach den Kapitän in den Steuerraum gerufen hatte. Der Leutnant entschuldigte die eigenmächtige Ausgabe des Passierscheins damit, dass man keine Sekunde hatte zögern dürfen, da, wie Gorelow behauptet hatte, die Düsen verstopft waren und jeden Augenblick eine Explosion hätte erfolgen können.
Der Kommissar fügte hinzu, der Leutnant sei sehr niedergeschlagen und sehe ein, wie leichtsinnig und fahrlässig seine Handlungsweise gewesen sei.
Dann berichtete er dem Kapitän noch, es sei heute möglich geworden, in die unter Wasser stehende Gasrohrkammer von außen durch das Leck einzudringen. Wie bekannt sei, hatte die erste Untersuchung der Düsen gezeigt, dass sie keine größeren Beschädigungen aufwiesen, außer vier rätselhaften Löchern in der Verbrennungskammer der Mitteldüse. Wie die Löcher entstanden seien, wer sie dort gebohrt habe und zu welchem Zweck, sei bis jetzt ungeklärt geblieben.
Die Explosion hatte in der Gasrohrkammer besonders starke Zerstörungen angerichtet. Sämtliche darin befindlichen Geräte und Vorrichtungen waren unbrauchbar geworden.
Auf der Gasdruck-Signalvorrichtung hatten Kornejew und Kosyrew die Reste eines Kästchens gefunden, das anscheinend mit der Absicht dort angebracht worden war, die Signalvorrichtung vor der Außenluft abzuschließen und sie somit daran zu hindern, Gasdruckänderungen dem Steuerraum anzuzeigen.
Nachdem Kommissar Sjomin seinen Bericht beendet hatte, blickte ihn der Kapitän an und fragte mit bebender Stimme: »Und Ihre Schlussfolgerung? Wer steckt dahinter?«
»Nur Gorelow!«, antwortete der Kommissar voller Überzeugung.
»Ja, nur er«, bestätigte der Kapitän. »Haben Sie Kornejew und Kosyrew ersucht, über diese Entdeckung Stillschweigen zu wahren?«
»Ja, Nikolai Borissowitsch, und auch das Untersuchungsprotokoll haben beide unterschrieben.«
»Gut. Unterbreiten Sie mir die Zusammenfassung morgen mit allen Unterlagen. Jetzt werde ich gleich einen Funkspruch an das Flottenkommando aufgeben.«
Um sechzehn Uhr, als der Kapitän grübelnd im Steuerraum auf und ab ging, meldete ihm der Elektroingenieur, der Stromvorrat in den Akkus reiche nur noch für zwei Tage. Man müsse sie sofort wieder aufladen. Jedoch könne das untere Ende der Kabelbatterie an der unterseeischen Böschung der Insel kaum die erforderliche Tiefe mit einer genügend niedrigen Wassertemperatur erreichen.
»Was wollen Sie tun?«
Kornejew zuckte die Achseln.
»Versuchen müssen wir es hier auf jeden Fall.«
»Gut, und so bald wie möglich. Die Akkus müssen voll aufgeladen sein. Wir wissen nicht, was uns die nächsten Tage bringen. Vielleicht auch schon die nächsten Stunden.«
Kornejew eilte davon. Im Steuerraum befanden sich jetzt nur der Kapitän, der Oberleutnant und Marat, der noch etwas am Steuerpult reparierte.
»Dieses Flugzeug geht mir nicht aus dem Kopf«, wandte sich der Kapitän an den Oberleutnant. »Warum ist es hier aufgetaucht? Was wollte es nur?«
»Diese Gewässer werden oft von Walfängern aufgesucht«, antwortete der Oberleutnant. »Sie setzen manchmal Flugzeuge ein, um Beute auszumachen. Möglicherweise ist auch dieses Flugzeug ein Aufklärer der Walfänger.«
Man hörte an die Tür klopfen.
»Herein!«, sagte der Kapitän laut.
Es war Pawlik mit Werkzeugen in der Hand. Er ging auf Marat zu und sagte leise: »Den Kabeldefekt habe ich in der Elektrolysekammer gefunden und bereits beseitigt.«
»Gut, Pawlik!«, lobte ihn Marat. »Jetzt hilf mir hier. Befestige diese Kabel und Knöpfe.«
Der Kapitän sah dem Jungen lächelnd zu und setzte sein Gespräch mit dem Oberleutnant fort.
»Vielleicht ist es wirklich nur das Flugzeug eines Walfängers, aber mich beunruhigt der ungünstige Standort der Pionier. Wir sind zu ungeschützt. Man kann uns leicht entdecken.«
»Ja, das ist wahr«, pflichtete ihm der Oberleutnant bei. »Leider sind wir noch immer bewegungslos und können einen besseren Ankerplatz nicht suchen.«
»Das ist schlimm. Es würde nicht schaden, wenn wir bis zur Beendigung der Instandsetzungsarbeiten besser verborgen wären.«
Pawlik stand unbeweglich. Er schien die Arbeit vergessen zu haben und lauschte dem Gespräch. Er wollte sich umdrehen und etwas sagen, brachte es aber nicht über sich. Mit dem Kapitän hatte er bisher nur wenig gesprochen. Schließlich fasste er Mut, drehte sich um und sagte mit stockender Stimme: »Gestatten Sie, Genosse Kommandant …«
»Sprich nur, Pawlik!«
»Wir haben hier … ich meine, Iwan Stepanowitsch und ich … eine sehr gute Stelle ausfindig gemacht …« Pawlik schwieg verlegen.
»Sprich nur weiter«, sagte der Kapitän freundlich.
»Wir haben eine riesengroße Höhle gefunden. Unter Wasser. Dort können sich zehn U-Boote verstecken!« Und hastig, als fürchte er, man könne ihn auslachen, fügte er erregt hinzu: »Glauben Sie mir nicht? Mein Ehrenwort! Fragen Sie Iwan Stepanowitsch. Wir beide haben sie gesehen. Wir haben sie genau untersucht …«
Der Kapitän sprang vom Stuhl auf und packte Pawlik an der Schulter: »Was sagst du da, Pawlik? Stimmt das? Und groß genug ist sie auch?«
»Ist das weit von hier?«, rief der Oberleutnant.
»Riesengroß! Und gar nicht so weit von hier! Eine halbe Stunde. Nicht mehr!«
»Mein Junge, du bringst uns eine frohe Nachricht«, rief der Kapitän. »Das wäre ja fabelhaft! Marat, stöbern Sie Schelawin auf! Aber schnell!«
Kurze Zeit darauf war der Ozeanograf im Steuerraum und bestätigte Pawliks Angaben. Die Höhle sei so groß wie eine Luftschiffhalle, und Wände und Boden seien glatt und ohne Risse. Die Pionier würde dort gut geborgen sein. Der Kapitän war sehr zufrieden und klopfte Pawlik auf die Schulter.
»Ich schau sie mir selbst mal an – und zwar sofort!«, sagte er erfreut. »Sie begleiten mich, Iwan Stepanowitsch. Und du auch, Pawlik!«
»Aber die Düsen arbeiten noch nicht«, warf der Oberleutnant ein. »Wie wollen Sie denn das U-Boot dort hinbringen?«
»Zwanzig Mann in Taucheranzügen – das sind tausend PS!«, sagte der Kapitän lachend. »Genügt Ihnen das, Alexander Leonidowitsch, um die Pionier in das Unterwasserdock zu ziehen?«
»Aber natürlich! Eine glänzende Idee!«
Im Steuerraum herrschte plötzlich eine freudige Stimmung.
Nach anderthalb Stunden kehrten der Kapitän, Schelawin und Pawlik von ihrer Erkundung aufs U-Boot zurück. Der Kapitän war nicht wiederzuerkennen. Es hatte sich herausgestellt, dass die Höhle ausgezeichnet dazu geeignet war, die Pionier aufzunehmen.
Auf der Plattform der Druckkammer traf der Kommandant Kornejew und Marat. Kornejew teilte dem Kapitän mit, dass ein Aufladen der Akkus hier unmöglich sei. Der untere Teil der Kabelbatterie sei in einer Tiefe von vierhundertundsechzig Metern auf Grund gestoßen und sinke nicht weiter ab.
»Marat schlägt vor«, fuhr Kornejew fort, »die Kabelbatterie den Hang hinab weiter ins Meer zu tragen. Der Vorschlag ist nicht schlecht, und wenn Sie ihm zustimmen, Genosse Kommandant, dann schicke ich Marat los.«
»Marat«, flüsterte indessen Pawlik, seinen Helm an Marats Helm pressend. »Nimm mich bitte mit … ich bitte dich sehr.«
»Will er die Kabelbatterie selbst tragen?«, fragte der Kapitän verwundert. »Aber um eine Wasserschicht mit der erforderlichen Temperatur zu erreichen, müsste man doch nicht weniger als zweitausend Meter Kabel schleppen! Das ist ja ein ungeheures Gewicht – selbst im Wasser.«
»Ich habe einen Vorschlag, Genosse Kommandant«, erwiderte Marat. »An Bord gibt es einen großen Vorrat hermetisch verschließbarer, ziemlich großer Metallgefäße für unsere Bathymeter1. Wenn man sie nun alle zehn Meter an die Kabelbatterie, während diese aus dem U-Boot gezogen wird, anbindet, so werden sie fast das ganze Gewicht der Batterie tragen.«
»Sehr einleuchtend. Ein guter Einfall!«, sagte der Kapitän anerkennend. »Sind Sie einverstanden, Genosse Kornejew?«
»Voll und ganz, Nikolai Borissowitsch.«
»Wen wollen Sie denn beauftragen, die Gefäße an die Kabelbatterie zu binden?«
»Krutizki. Wie Sie wissen, ist er gestern aus dem Lazarett entlassen worden, aber Arsen Dawidowitsch erlaubt ihm vorläufig nur leichte Arbeit. Das wäre das Richtige für ihn.«
»Es ist gut. Und wie ist es mit Ihnen, Marat? Wollen Sie das Aufladen der Akkus allein besorgen?«
Diese Frage kam Marat sehr gelegen.
»Wenn Sie gestatten, Genosse Kommandant, möchte ich Pawlik mitnehmen«, antwortete er. »Wir werden beide gut damit fertig.«
»Na schön, aber passen Sie gut auf, Marat. Übrigens, verschieben Sie die Sache auf morgen. Gleich gibt es Alarm, wir wollen das U-Boot ins Dock schleppen.«
Eine halbe Stunde später verließ fast die gesamte Schiffsbesatzung das U-Boot, in Taucheranzügen und mit Schlepptrossen über der Schulter.
Punkt zwanzig Uhr erscholl das Kommando des Kapitäns, und einundzwanzig Schlepptrossen strafften sich gleichzeitig. Die von den Ankern befreite Pionier glitt langsam und majestätisch dahin.
Der Kapitän lenkte das U-Boot zuerst in die offene See, um Felsen und Unebenheiten am Hang auszuweichen. Das Schiff bewegte sich flott vorwärts, gehorchte dem Steuer und befand sich nach zwei Stunden bereits vor der Höhle. Hier wurde das U-Boot mit dem Heck zur Insel gedreht und langsam in dieser Lage zum Hang geführt. Pawlik schwamm voraus und wies den Weg durch die geradesten und breitesten Durchgänge. Das war nicht einfach. Die Pionier war fast siebzig Meter lang und hatte an der breitesten Stelle fast zehn Meter Durchmesser. Senken oder heben konnte sich das U-Boot noch nicht. Der Mechanismus der Tauchtanks war noch nicht in Ordnung. Aber Pawlik wurde mit seiner Aufgabe gut fertig und zeigte sicher den Weg.
Mit dem Heck voran, glitt die Pionier immer langsamer auf die Höhle zu.
Es war kurz vor Mitternacht, als sich der ganze Schiffskörper im Schlund des unterseeischen Berges befand.
Das U-Boot hing, wie ein riesiges Luftschiff in seiner sicheren Halle, unbeweglich unter dem Gewölbe der hell erleuchteten Höhle.