Hessische Sagen 11
Ertappte Hexe
In Niedernhausen war ein Mädchen, von dem glaubte man schon lang, dass sie eine Hexe sei und als Alb die Leute und das Vieh quäle. Man konnte ihr aber nichts beweisen.
Eines Abends in der Spinnstube saß sie wieder, wie schon öfters fest eingeschlafen auf ihrem Stuhl und regte sich nicht. Da fiel es einem der Burschen ein, das offenstehende Schubfenster zuzumachen. Nach einer Weile kam plötzlich eine Katze ans Fenster und wollte, da sie dieses geschlossen vorfand, durch eine zerbrochene Scheibe hereinschlüpfen, die Burschen aber warfen sie hinab. Als nun das Mädchen gar nicht aufwachen wollte, stieß sie einer mit der Hand an. Sie fiel wie tot vom Stuhl herab und aus ihren Kleidern heraus, also dass sie nackt dalag und liegen blieb, bis die Katze den Weg ins Zimmer gefunden hatte. Da verschwand das Tier, zugleich erwachte das Mädchen, sodass es jeder klar und deutlich sehen konnte, dass sie eine Hexe war.
Weißes Wiesel
Zwei Schäferknaben hüteten ihre Herde auf einer Höhe bei Reichelsheim. Weil es ein heißer Tag war, legte sich der eine unter einen Holunderbusch und schlief ein. Der andere lief herum und spielte, da sprang plötzlich vor ihm aus einem kleinen Haufen zusammengelesener Steine ein schneeweißes Wieselchen hervor und lief schnell fort auf den Busch zu, wo der Schäferjunge schlief. Der andere sprang flüchtig hinter ihm drein und glaubte es schon zu fassen, da lief das Tierlein an dem Schlafenden hinauf und schlüpfte ihm zum offenen Munde hinein. Zugleich wachte der Knabe auf und schalt seinen Kameraden, dass er ihn geweckt hatte. Es habe ihn gerade so schön geträumt, von einem hohen steinernen Schloss, in dem er herumgegangen und worin so viel Pracht und Herrlichkeit gewesen sei, dass er es gar nicht beschreiben könne.
Die Haselgerten
Ein Wirt hatte einen Knaben von acht Jahren, welcher noch nicht laufen und noch nicht sprechen konnte, sodass es offenbar war, dass ein böser Mensch es dem Kind angetan hatte.
Eines Tages geschah es, dass ein Soldat bei dem Wirt übernachtete und von der Sache hörte. Da sprach er, er wolle die Hexe vertreiben, ging hinaus und schnitt sich drei in einem Jahr gewachsene Haselgerten. Des Abends ließ er sein Bett neben das des Kindes stellen und legte sich die Gerten zur Hand. Es dauerte nicht lange, so merkte er, dass die Hexe auf dem Knaben saß. Da sprang er auf und fing an mit Leibeskräften auf sie einzuhauen. Es wollte aber nichts helfen. Obwohl er gleich so lange zuschlug, bis die Gerten in Stücke brachen, so ging doch die Hexe nicht von dem Kind weg. Des anderen Tags schnitt sich der Soldat sechs Haselgerten. Damit schlug er die Hexe in der zweiten Nacht, doch es half so wenig wie beim ersten Mal, sie war nicht hinweg zu bringen. Am dritten Tag schnitt er sich neun Gerten und prügelte die Hexe damit ab, dass es eine wahre Freude war, doch es wollte immer noch nicht helfen. Da riss er endlich sein Schwert heraus und hieb es ihr dreimal über den Rücken. Das half. Die Hexe rief plötzlich ›’s a ist!‹ und entfloh. Das Kind aber konnte von dem folgenden Tage an gehen und sprechen.
Die verschwundene Braut
In Gundernhausen fand einst eine Hochzeit statt und alles ging lustig her, was gibst du, was hast du. Gegen Abend vermisste man plötzlich die Braut, man suchte sie aller Orten und Enden, aber sie war nicht zu finden. Die ganze Umgegend wurde durchforscht und durchfragt. Niemand hatte die junge Frau gehört oder gesehen. Zwei Tage waren ihr Mann, ihre Eltern und Verwandten in der größten Angst und Not um sie und wussten gar nicht, was zu machen sei. Da kam ein Bekannter aus einem benachbarten Dorf zu ihnen, nahm den Bräutigam zur Seite und sprach: »Du, geh mit mir, heut noch müssen wir erfahren, was aus ihr geworden ist.«
So führte der Mann ihn mit sich fort nach Darmstadt zum damaligen Scharfrichter Schönbein, das war ein durch und durch gescheiter Mann, und den baten sie um Rat.
»Ich muss mit euch an Ort und Stelle«, sagte Schönbein.
Es wurde rasch ein Wagen angespannt und fort ging es gen Gundernhausen. Da ließ der Scharfrichter einen Eimer Wasser bringen und vor die Haustür stellen. Er schaute lange hinein, dann sprach er: »Die arme Seele ist weit von hier, es ist ihr angetan, und sie steht eben in Aschaffenburg und schaut in den Main. Eilen wir hin, wir müssen sie nicht weit von da finden.«
Sofort machten sich die zwei Männer auf den Weg nach Aschaffenburg, da folgte der Scharfrichter ihrer Spur vom Main nach und sie fanden die Arme im schönen Tal, wo sie wie ganz geistesabwesend herumirrte. Als ihr Bräutigam sie in seiner Freude laut beim Namen rief, kam sie wieder zu sich, stürzte ihm in die Arme und wusste gar nicht, dass sie so weit weg von Zuhause war.
Später hat es sich herausgestellt, dass ein Mädchen aus dem Ort, welches der junge Bauer vorher geliebt hatte, ehe er seine Frau kennenlernte, aus Rache der Braut den Streich gespielt hat.
Die beiden Schwestern
In einem Dorf in Oberhessen lebten zwei Schwestern, davon war die eine arm, die andere reich. Eines Tages ging die Arme zur Reichen und sprach, sie solle ihr doch sagen, wie sie es anfangen müsse, um auch reich zu werden. Die andere hieß sie mit in ihre Küche gehen, schmierte sich selbst und ihrer Schwester die Füße mit einer Salbe ein und sagte, alles, was sie jetzt tue, das solle sie auch tun. Dann trat sie auf den Herd und sprach:
»Fahr auf und fahr nieder,
fahr nicht in alle Ecken wieder.«
Und kaum hatte sie so gesprochen, so fuhr sie durch den Schornstein hinaus.
Die Andere wollte ihr gleich tun, hatte aber das Wort nicht in der zweiten Zeile des VersIeins überhört, und sprach:
»Fahr auf und fahr nieder,
fahr in alle Ecken wieder.«
Da fuhr sie auch durch den Schornstein in die Höhe, stieß sich aber unterwegs überall an, sodass sie ganz voll Blut war, als sie oben herauskam.
Nun flog sie ihrer Schwester nach, und beide kamen bald auf einer großen Wiese an. Dort waren schon gar viele andere Weiber versammelt, und ein grauer Mann führte einer jeden einen schwarzen Geißbock zum Reiten vor. Die Böcke fingen nun an, wie toll mit ihren Hexen herumzuspringen und zu tanzen. Dabei wurde gejubelt und geschrien und der graue Mann spielte dazu auf.
Als aber die Stunde schlug, fuhren auf einmal alle Hexen fort durch die Luft, nur die arme Frau wusste nicht recht, wie sie es anfangen solle. Auf einmal fing der Bock an mit ihr fortzuspringen und hielt nicht inne damit, bis er an ein großes Wasser kam. Dort warf er sie ab und verschwand. Sie raffte sich auf und schaute sich um, konnte aber die Gegend nicht erkennen. Zwei Tage lang ging sie an dem Wasser hin und her und suchte nach einer Brücke oder einer Fähre, traf aber keinen Menschen an und kam fast um vor Hunger und Durst und Ermüdung. Am dritten Tag stand plötzlich der graue Mann wieder neben ihr und sagte, wenn sie sich ihm jetzt ganz zu eigen geben, auch ihm die erste Seele (das erste Kind) versprechen wolle, so werde er sie nach Hause schaffen. Die Frau willigte ein, und der Graue fuhr mit ihr fort durch die Luft und ließ sie wieder durch den Schornstein ihrer Schwester hinabfallen. Vorher aber hatte er sie gefragt, ob er mit ihr essen solle oder ob sie mit ihm essen wolle. Sie hatte gesagt, sie wolle mit ihm essen, und von dem Tage an brachte er ihr alles, was sie zur Speise bedurfte, auch Geld und was sie sonst haben wollte, sodass sie ihren Wunsch nach Reichtum erfüllt sah, freilich um einen Preis, den kein ordentlicher Christenmensch gegeben hätte, denn das erste Kind, welches sie bekam, war des Teufels.
Das eingehackte Beil
Vor Münster bei Dieburg steht ein Kreuz, daran hatten drei Burschen des Orts in der Walbernacht drei Eggen zusammengestellt und sich darunter niedergehockt, um die Hexen zu sehen. Diese kamen endlich durch die Luft dahergeritten, Bekannte und Unbekannte. Da tief einer der Bursche plötzlich dem anderen zu: »Ei guck, die alte Glasern, wie sie so possig auf dem zweibeinigen Hasen reitet!«
Da hielt die alte Glasern still und rief: »Ich hack mein Beil in den Eggenbalken!«
Zugleich tat es einen Schlag, sodass der Bursche laut aufschrie und von der Zeit an ward er an einem Bein lahm. Er ging zum Pfarrer und erzählte ihm alles.
Da sprach der Pfarrer: »Es ist keinen anderen Rat, du musst dein Leid ein Jahr lang tragen. Aber komm am Abend vor der nächsten Walbernacht wieder zu mir, dann will ich dir sagen, wie dir geholfen werden kann.«
Als der Bursche im darauffolgenden Jahr an dem bestimmten Abend kam, sprach der Pfarrer: »Jetzt stelle die Eggen wieder zusammen, wie sie gestanden haben, lege dich darunter und wenn du die alte Glasern vorüberziehen siehst, dann bitte sie dreimal um Gotteswillen, sie möge dich von deinem Übel befreien.«
Der Bursche tat es, und als er zum dritten Mal gebeten hatte, sprach das Weib: »Da hab ich vor einem Jahr mein Beil eingehackt, das will ich mitnehmen.«
Da fühlte der Bursche einen Ruck in seinem Bein und konnte von Stund an wieder gehen und laufen wie früher.
Fahrt durch die Luft
Landgraf Ludwig IX. von Hessen hielt bekanntlich seine Grenadiere sehr streng und da gab’s wenig oder gar keinen Urlaub. Als er einmal in Pirmasens war, kam einer der Grenadiere Namens SchubkehI zu ihm und bat, der Landgraf möge ihm doch erlauben, einmal nach Gersbach zu gehen, wo sein Schatz wohne, er komme am folgenden Morgen wieder. Der Landgraf war gerade guter Laune und willigte ein. Der Schubkehl marschierte fröhlichen Muts die Straße daher und sang sein Stückchen, da hörte er plötzlich einen Wagen hinter sich herrollen. Es war das aber am letzten Tag April. Er drehte sich um und sah zwei feine Herren im Wagen sitzen.
Als sie näher kamen, fragten sie ihn: »Wohin des Wegs, guter Freund?«
»Nach Gersbach, mit Verlaub«, antwortete er.
»Dann braucht Ihr Eure Beine nicht weiter zu quäken«, sagen die Herren, »wir fahren auch über Gersbach. Wenn Ihr wollt, könnt Ihr einsteigen.«
Das ließ sich SchubkehI nicht zweimal sagen. Er dankte für die Ehre und sprang mit einem Satz in den Wagen.
»Nun weiter Kutscher und lass die Pferde einmal laufen!«, riefen die Herren.
Und da fuhr der Wagen, dass es ordentlich pfiff, und fuhr immer schneller und schneller und endlich so schnell, dass dem braven Schubkehl Hören und Sehen fast vergingen. Der Wagen hielt auch nicht an, obgleich er den Weg nach Gersbach wohl zehnmal hätte machen können.
Als Schubkehl sich aber einmal herausbeugte, um zu sehen, wo er denn eigentlich wäre, da sah er, dass der Wagen hoch durch die Luft flog, über Dörfer und Kirchturmspitzen hinweg.
»Ach Herr und Gott, wo sind wir!«, rief er, aber im selben Augenblick hörte er ein höllisches Gelächter, dann fuhren Baumzweige um seine Ohren und plumps lag er mitten in einem Wald. Er schaute sich erstaunt um, rieb seine Arme und Beine, die ihn nicht wenig schmerzten, und versuchte, ob er noch gehen könne. Das gelang ihm mit schwerer Mühe und so schleppte er sich durch den Wald, bis er aufs freie Feld kam. Da hütete ein Schäfer die Schafe.
Er bot ihm die Zeit und fragte: »Guter Freund, wie weit ist es bis Pirmasens?«
»Pirmasens?«, fragte der Schäfer, »den Namen habe ich noch nicht nennen hören. Geht einmal in das Dorf drüben zum Herrn Pfarrer, der weiß vielleicht, wo der Ort liegt.«
Das tat Schubkebl und hörte vom Pfarrer, dass Pirmasens vierzig Stunden von da entfernt sei. Da sah er wohl, mit welchem Fuhrwerk er gefahren und dass er auf geradem Weg zum Hexentanz in der Walbernacht gewesen war. Der Landgraf fuhr ihn anfangs zwar hart an, wo er lang geblieben sei, aber als Schubkehl ihm alles erzählte, verzieh er ihm, weil der arme Teufel so viel Angst ausgestanden hatte.
Die Tanzwiese bei der Milseburg
Am Fuß der Milseburg liegt eine Wiese, auf welcher einst in gewissen Nächten die Hexen ihre Tänze und ihre Mahle hielten. Ein Ritter von einer nahen Burg wurde von ihnen zu dem Tanz verlockt und er fand so große Wonne daran, dass es seitdem ihn jeden Abend zu ihnen zog, wo er sich dann ganz der Lust überließ. Seiner Frau fielen bald diese heimlichen Gänge auf, sie schlich ihm nach und kam mit ihm zugleich an. Als sie sich mit im Tanz drehte, trat er zu ihr, ohne dass er sie erkannt hätte, fasste sie und raste in tollem Wirbel mit ihr umher. Dann sprach er seufzend: »Wie viel wollte ich darum geben, wenn ich dich, Schönste, für immer besitzen könnte!«
Da sprach sie mit fröhlichem Blick: »So schaue mich doch recht an. Hast du mich nicht für immer und bin ich nicht ganz dein eigen?«
Da wurde des Ritters Auge klar und er sah voll Beschämung sein Weib vor sich. Seitdem ging er nie mehr zum Tanz der Hexen und blieb ihr treu bis in den Tod.
Die Hexe auf dem Mist
Im Odenwald lebte ein Bauer, der war so arm, dass kaum das tägliche Brot im Hause war, und doch hatte seine Frau jederzeit Geld und zog ein seidenes Kleid an, wenn sie sonntags in die Kirche ging. Eines Tages drang er heftig mit Bitten und Drohen in sie, dass sie ihm sagen solle, woher ihr der Wohlstand komme. Da sprach sie, er solle mit ihr in den Hof auf den Misthaufen gehen, so wolle sie ihn lehren, wie er es anfangen möchte, um glücklich wie sie zu werden. Er ging mit ihr hinaus, da stellte sie ihn neben sich auf den Mist und hieß ihn alles, was sie sagen werde, nachsprechen. Dann hob sie an und sprach: »Ich stehe hier auf diesem Mist und verleugne unseren Herrn Jesus Christ.«
»Und ich schlag’ tot, was des Teufels ist!«, rief der Bauer und schlug die Hexe mit der Mistgabel auf den Kopf, dass sie hinfiel und nicht mehr aufstand.
Des Teufels Taktschlag
In Schönberg lebte noch vor wenigen Jahren eine Frau, welche im Ruch der Hexerei stand. Sie hatte drei dicke Beulen auf dem Kopf. Als sie nämlich einmal dem Hexentanz beiwohnte, da verfehlte sie den Takt und dafür taktierte ihr der Teufel auf dem Kopf. Von den Schlägen rührten die Beulen her.