Der Marone – Loftus Vaughan auf der Lauer
Thomas Mayne Reid
Der Marone – Erstes Buch
Kapitel 13
Loftus Vaughan auf der Lauer
An jedem Tag nach Erhalt der beiden Briefe von England und fast jede Stunde des Tages konnte man Loftus Vaughan mit dem Teleskop in der Hand an einem der offenen Fenster seines Hauses sehen, um mit dessen Hilfe die Reede und das offene Meer vor der Montego Bay zu beobachten.
Der Zweck seiner Betrachtungen war derjenige, die Seenymphe, bevor sie in den Hafen fuhr, zu erspähen, damit sein Wagen am Hafen den vortrefflichen Herrn Smythje bei seiner Landung sofort empfangen könne. Zu jener Zeit fuhren über den Atlantik noch keine Dampfschiffe, die pünktlich am bestimmten Tag, ja fast auf die Minute eintreffen. Obgleich der Ankündigungsbrief zehn Tage vor dem Absegeln der Seenymphe geschrieben war, so war doch bei so ungewissen Dingen wie Wind und Wetter kaum eine feste Berechnung möglich, und das Schiff, mit dem Herr Montagu Smythje fuhr, konnte fast jeden Augenblick eintreffen.
Dass irgendein hervorragender Gast erwartet wurde, war eine Tatsache, die keinem einzigen Diener im Haus zu Willkommenberg unbemerkt bleiben konnte. Jeden Tag sah man irgendein kostbares Hausgerät von der Bay bringen und die Zimmer auf Schloss Willkommenberg wurden zu seinem Empfang neu verziert. Sowohl die Hausmädchen als auch die Diener im Haus wurden mit neuen Kleidern, einige sogar mit Livreen – ein auf Jamaica ganz ungewöhnlicher Staat – ausgestattet, auch Schuhe und Strümpfe wurden auf die Füße gezwängt, deren Eigentümer bis dahin wohl nie mit solchen Unbequemlichkeiten zu kämpfen hatten und sicher wünschten, sehr bald von dieser Qual befreit zu werden.
Es braucht wohl kaum noch erwähnt zu werden, dass der Pflanzer alle diese ganz außerordentlichen Ausgaben für den Empfang des Herrn Montagu Smythje und nur für ihn machte. Hätte er nur seinen Neffen erwartet, sicher hätte er dann nicht solche unausgesetzte Nachforschungen auf der See angestellt und sicher wären auch nicht solche Vorbereitungen zur Ehre seines Empfanges getroffen worden.
Herrn Vaughans eigentliche Beweggründe hierzu bedürfen ebenfalls wohl kaum einer Erläuterung, der Leser wird sie schon längst erraten haben. Er war der Vater einer heiratsfähigen Tochter und Herr Montagu Smythje war in seinen Augen nicht nur ein passender, sondern ein höchst wünschenswerter Schwiegersohn.
Der junge Mann besaß ein sehr schönes Vermögen, wie Vaughan genau wusste, denn der würdige Pflanzer war nicht nur custos rotulorum, sondern auch lange Zeit hindurch Custos von Schloss Montagu gewesen und kannte dessen Wert bis auf den letzten Heller.
Die Besitzung grenzte dicht an die eigene, und oft hatte er einen Sehnsuchtsblick auf deren ausgedehnte Äcker und die dazu gehörigen Afroamerikaner geworfen und hatte den Wunsch genährt, der sich zur wahrhaften Leidenschaft steigerte, dies alles zu besitzen, wenn nicht in seinem eigenen Namen, so doch in dem seiner Tochter.
Die Vereinigung der zwei Besitzungen, Willkommenberg und Schloss Montagu, würde eine prachtvolle Herrschaft, eine der reichsten und ausgedehntesten auf der Insel, ausgemacht haben.
Dies zu erreichen war lange der Wunsch unseres Loftus Vaughan gewesen. Er war in ihm mehr und mehr gewachsen, bis er das Hauptstreben seines Lebens und die Lieblingsabsicht seines Herzens wurde.
Indes darf auch ein anderer mehr beachtlicher Beweggrund nicht verschwiegen werden, den Vaughan für die Vereinigung hegte. Er war zu lange in Jamaika gewesen, um die wahre Stellung seiner Tochter in der Gesellschaft zu verkennen. Wie schön, verständig und wohlerzogen Käthchen Vaughan auch immer war, wie sehr ihr Vater sie auch liebte – und, um ihm Gerechtigkeit widerfahren zu lassen, seine väterliche Liebe wahr wirklich sehr innig, – er hatte oft beobachtet und infolgedessen wusste er genau, dass zwischen ihr und den jungen Herren seiner Bekanntschaft – das heißt denen, die passend für sie gewesen wären – stets eine gesellschaftliche Scheidewand bestehen würde: die Farbe.
Oftmals hatte er hierüber nachgedacht, und zwar mit großem Kummer. Er wusste aber auch, dass junge Engländer, vorzüglich bei ihrer ersten Ankunft auf der Insel, es mit dieser Scheidewand nicht so genau nehmen, ja sie ganz und gar nicht brachten, bis auch sie von den gesellschaftlichen Vorurteilen der Insel angesteckt sind.
Bei seinen ehestiftenden Absichten fehlte wohl der Jamaikapflanzer gewiss nicht mehr als hundert andere Väter, und außerdem spricht es sehr für ihn, dass seine Liebe zu seiner Tochter und der Wunsch, sie gleichsam zu adeln – denn durch eine solche Verbindung wäre der Flecken der Farbe sofort vertilgt gewesen – die Hauptbeweggründe seines ganzen Strebens waren.
Unglücklicherweise müssen jedoch noch andere Charakterzüge von ihm mit den daraus hervorgehenden Handlungen berichtet werden, die nicht anders als schlecht genannt werden können.
Vaughan war trotz seiner lebhaften Tätigkeit in den Geschäften des Lebens, trotz der Energie, die ihm zum Reichtum verhalf, stets nur ein Schwachkopf. Wie viele Leute von niedriger Geburt, die zu Ansehen und Vermögen gelangen, so war er auch, er war »der aufs Pferd gestiegene Bettler« geworden, deshalb viel eifersüchtiger auf aristokratische Ehren, als die zu ihnen Geborenen, ein Verteidiger aller ererbten Vorrechte und immer bereit, für sie zu kämpfen, kurzum, das wahrhafte Bild eines Parvenü.
Die gesuchte Höflichkeit, die Vaughan bei den Vorbereitungen für den Empfang des Herrn von Schloss Montagu zeigte, stand deshalb im größten Widerspruch mit der Unhöflichkeit, die er seinem Verwandten gegenüber bewies. Beide waren die Ergebnisse niedriger Charakterzüge, aber im letzteren Fall waren sowohl die Handlung als auch die damit verbundene Gesinnung beispiellos erbärmlich und jämmerlich. Die Ankündigung im Brief seines Neffen, dass er ein Passagebillet für das Zwischendeck genommen hatte, war für seinen Onkel eine Quelle bitteren Ärgers geworden. Wohl würde er sich nicht im Geringsten darum gequält haben, hätte der junge Mann die Reise auf einem anderen Schiff als der Seenymphe gemacht, oder wäre er unerkannt gereist. Vaughan fürchtete vor allem, dass dies Herr Montagu Smythje erfahren werde und dass dadurch seine Achtbarkeit für ihn in einem bedenklichen Grad abnehmen könne.
Diese Furcht verursachte ihm so viel Qualen, dass, wäre es möglich gewesen, er die Verwandtschaft abgeleugnet hätte.
Einige Hoffnung hegte er jedoch, dass die Bekanntschaft der beiden nicht während der Reise stattfinden würde, indem er hierbei auf den Charakter des aristokratischen Cockney rechnete, von dem er wusste, dass er ein Musterbild hochmütigen Stolzes sei. Deshalb sicher darauf vertrauend, dass sich am Bord des Schiffes nichts ereignen würde, was den Herrn Smythje mit der Verwandtschaft bekannt mache, war er entschlossen, hierzu auch keine Gelegenheit an Land zu geben. Um selbst die Möglichkeit hiervon auszuschließen, hatte er einen Plan entworfen, der eben so kindisch als grausam war: Sein Neffe sollte von jedem Zutritt abgehalten werden.
Einen solchen Plan hatte er lange vor der Ankunft der Seenymphe entworfen. Herr Montagu Smythje sollte sofort nach dem Anlegen des Schiffes aufgesucht und alsbald nach Willkommenberg gebracht werden. Herbert Vaughan sollte unmittelbar ebenfalls dahin gebracht werden. Es schien durchaus leicht wünschenswert, ihm Zeit zu lassen, um Nachforschungen in der Stadt anzustellen, wo sein Onkel allgemein bekannt war und wo die Entdeckung seiner Verwandtschaft mit dem armen Zwischendeckpassagier dem stolzen Pflanzer eben so unangenehm gewesen wäre.
Deshalb waren für die erwarteten Besuche verschiedenartige Transportmittel ausersehen und ihre Ankunft sollte auch zu verschiedenen Zeiten stattfinden, um die Möglichkeit eines Zusammentreffens selbst auf der Straße abzuschließen. Überdies sollte Herbert bei der Ankunft auf der Plantage nicht zum Haus seines Onkels gebracht werden, sondern auf einem besonderen Weg zum Haus des Plantagenaufsehers, das in einer besonderen Ecke des Tals stand und fast eine Viertelmeile vom Herrenhaus oder dem ‹Buff› entfernt lag.
Dort sollte er als Gast des Aufsehers bis zu einer Zeit verweilen, wo sein Onkel in irgendeiner Weise über ihn verfügen würde, indem er ihm entweder eine Anstellung in der Montego Bay oder auch eine Stelle als Buchhalter auf einer entfernten Pflanzung verschaffte.
Die Ausführung dieses so angelegten Vorhabens wurde dem Aufseher des Gutes Willkommenberg anvertraut, einem Mann, der in jeder Hinsicht eines solchen Vertrauens würdig und, wie die meisten solchen Schlages, selbst noch für viel weniger löbliche Zwecke brauchbar gewesen wäre.
Mit diesem scharfsinnigen Entwurf erwartete Herr Vaughan getrost die Ankunft seiner Gäste.
***
Acht Tage nach Erhalt der Briefe gewahrte der Pflanzer zur Mittagszeit, der wie gewöhnlich mit einem Teleskop spielte, auf dem offenen Meer vor der Montego Bay ein großes Schiff mit langen und breiten Rahsegeln, das in Richtung Hafen segelte.
Das konnte die Seenymphe sein, aber eben so gut auch ein anderes Schiff, allein in Anbetracht der Zeit und einiger anderer, dem Herrn Vaughan bekannter Umstände, war es höchst wahrscheinlich das von ihm erwartete.
Deshalb war der Pflanzer entschlossen, den von ihm so klug entworfenen Plan nicht durch irgendeinen Fehler in der Ausführung verderben zu lassen und ordnete daher dessen sofortige Ausführung an.
Es wurde nun zu einer allgemeinen Musterung sämtlicher Hausdiener geläutet. Ein Horn rief den Aufseher herbei und in weniger als einer halben Stunde war die Familienbarutsche, ein schöner, von einem Paar prachtvoller Pferde gezogener Wagen, bereit, sich auf den Weg zum Hafen zu machen, während der Aufseher als eine Art Eskorte hinterher ritt. Danach kam ein mit acht großen Ochsen bespannter Wagen, und diesem folgte eine Eskorte ganz eigener Art, ein plumper junger Afroamerikaner auf der langhaarigsten, zottigsten und magersten Mähre, die man sich denken ließ. Der Junge war kein anderer als der bereits erwähnte Postbote Quashie.
Quashie war nicht in seiner gewöhnlichen täglichen Arbeit, dieser Auftrag war wirklich von viel wichtigerer Art.
Die große Halle von Willkommenberg zeigte ein Bild, das jedem der mit westindischen Sitten nicht vertraut ist, höchst auffallend sein musste.
Auf dem Fußboden lagen in verschiedener Entfernung voneinander sechs bis acht dunkle Mädchen oder Dirnen verstreut, von denen die meisten zu der jüngeren Aufzucht der Pflanzung gehörten. Alle lagen auf den Knien und jede hatte an ihrer Seite eine frische in Hälften geschnittene Orange, etwas Bienenwachs und einen kleinen Haufen von der faserigen Fruchthülse der Kokosnuss.
Der Fußboden war ohne Teppich und getäfelt. Das Mosaik bestand aus Mahagoni, Herzholz, Brotnuss und Kernapfel.
Diesem gewürfelten Fußboden einen schönen Glanz zu geben, war die Aufgabe der schwarzen Mädchen, und zu diesem Zweck waren auch die Orangen wie die Hälften der Kokosnuss vorhanden.
Einem Inselbewohner ist ein solcher Anblick allerdings etwas Alltägliches. Die Politur des Fußbodens seiner Halle ist für den Jamaikapflanzer ein Gegenstand des Stolzes, und jeden Tag zur selben Stunde kamen die schwarzhäutigen Hausmädchen und erneuerten den Glanz der Oberfläche, deren Firnis seinen Schimmer durch die Festgelage der letzten Nacht verloren hatte.
Die für diese sonderbare Sitte bestimmte Zeit ist kurz vor dem Decken des Mittagstisches um drei oder vier Uhr, und damit die Politur nicht wieder verdorben wird, wenn sie die Schüsseln hereintragen, so bedienen sich die barfüßigen Kammerjungfern einer eigenen Weise, die ihrer Originalität wegen wohl eine Erwähnung verdient.
Jede versieht sich mit zwei kleinen leinenen oder baumwollenen Tuchstücken, breitet sie auf den Boden aus und setzt auf jeden Lappen einen Fuß. Da die Zehen einer westindischen Hausmagd sich fast eben so zum Fassen eignen, wie ihre Finger, so findet sie wenig Schwierigkeiten, das Stück Tuch zu fassen und es zwischen dem großen Zehen und seinem nächsten Nachbar festzuhalten. Mit dieser höchst einfachen Beschuhung ist sie imstande, über den Boden hinzugleiten, ohne im geringsten den Firnis zu verdunkeln oder nur irgendeine Fußspur auf der glänzenden Oberfläche zurückzulassen.
Während nun ein solcher geschäftiger Auftritt in der großen Halle von Willkommenberg vor sich ging, fand in verschiedener Weise ein eben so lebhafter in der Küche des Hauses statt. Dieser Bereich des Hauswesens stand ein wenig zur Seite des Haupthauses und war mit dessen unterem Stockwerk durch einen bedeckten Gang verbunden. In diesem konnte man stets schwarze und gelbe Dirnen kommen und zurückkehren sehen, eine jede mit einer Bürde von einem Wildbretschenkel, einer Schildkröte, wilden Tauben und Krebsen. Alles auf dem Weg zum Spieß, zur Bratpfanne oder zum Kohlenbecken.
Einen ähnlichen Anblick mochte man auf Willkommenberg vielleicht jeden Tag haben können, aber doch wohl mit einer weniger reichen Verschiedenheit in den Gegenständen und mit nicht halb so großer Aufregung unter den zur Küche gehörenden Mägden, dessen raschere Bewegung sowohl bei der Ausführung seiner Verrichtungen als auch die mannigfache Verschiedenheit der umherliegenden Leckerbissen bewiesen, dass an diesem Tag ein Mittagsessen der prächtigsten und kostbarsten Art von ihren Händen bereitet wurde.
Der Custos erlaubte nicht, dass diese Vorbereitungen ohne seine persönliche Oberaussicht gemacht wurden.
Von der Zeit an, wo das Schiff gesichtet worden war, befand er sich überall: im Stall, um nach den Stallknechten zu sehen, in der Küche, um den Köchen einen Auftrag zu geben, in der großen Halle, um die Politur des Fußbodens in Augenschein zu nehmen, und zuletzt an der Auffahrtsseite des Hauses, wo er mit dem Teleskop in der Hand stand und die lange Allee hinabsah, in welcher der seinen ausgezeichneten Gast enthaltende Wagen jeden Augenblick erscheinen konnte.