Der Marone – Der Kajüten-Passagier
Thomas Mayne Reid
Der Marone – Erstes Buch
Kapitel 12
Der Kajüten-Passagier
Ein anderer Passagier der Seenymphe, mit dem unser Leser notwendigerweise bekannt gemacht werden muss, war ebenfalls ein junger Mann, augenscheinlich von demselben Alter, wie der bereits erwähnte. Nur hierin und in ihrer Eigenschaft als Engländer glichen sie sich, in allen anderen Beziehungen waren sie einander sehr unähnlich. In Bezug auf Gesichtsbildung auf die Farbe der Haare, der Augen und des Bartes war jeder sogar ein vollkommener Gegensatz des Anderen.
Jener war von dunklem Teint, dieser aber von vorzugsweise heller Haut mit Haaren von ganz heller, gelblicher Farbe, die aussahen, als wenn sie künstlich gelockt und leicht durch Einreiben mit parfümiertem Öl gedunkelt wären. Sowohl der Backen- als auch der Schnurrbart waren fast von derselben Farbe und schienen mit einem unverdrossenen Fleiß gepflegt zu sein, der verriet, dass der Besitzer nicht wenig eitel darauf war.
Die Augenbrauen waren ebenfalls ganz hell, während die Farbe der Augen nicht so ganz leicht zu beschreiben ist, indem das eine von ihnen gewöhnlich geschlossen gehalten und der klare Anblick des anderen durch ein kleines Augenglas in einer schildpattenen Einfassung verhindert wurde. Durch das Glas schien es sehr hellgrau und entschieden ein ›Schweinsauge‹ zu sein.
Seine Gesichtszüge waren jedoch regelmäßig genug, aber ohne allen hervorragenden Charakter und von mehr weibischer, als gerade niedriger Form. Ihr vorzugsweiser Ausdruck war allerdings der eines gewissen Hochmutes, der sich zuweilen selbst bis zum offenen Hohn erhob.
Die Kleidung des jungen Mannes stand ganz im Verhältnis zu der Ziererei, die sich bereits in den parfümierten Locken wie in dem Augenglas kundgab. Sie bestand in einem Überzieher aus sehr feinem Tuch, einem weißen Biberhut, Weste und Pantalons von untadelhaftem Büffelkaschmir, feinen Glacéhandschuhen an den Händen und Stiefeln so glänzend, wie Lack und Firnis sie nur machen können. Alle diese Kleidungsstücke waren in der modernsten Weise angefertigt und wurden auch mit einer Miene von avoir faire getragen, die laut den Londoner Stutzer verkündete.
Das affektierte Ziehen der Wörter, womit dieser Herr sprach, wenn er sich jemals herabließ, mit seinen Mitpassagieren zu verkehren, bestätigte vollkommen diesen Charakter – ein Zierlaffe vom reinsten Wasser.
Es braucht wohl nicht erwähnt zu werden, dass dieser Stutzer ein Kajütenpassagier und also auch in dieser Beziehung sehr von seinem minder glücklichen Reisegefährten verschieden war. Die aufmerksame Zuvorkommenheit, die ihm vom Aufwärter und den Kajütendienern der Seenymphe bewiesen wurde, bezeugte seine Neigung, sich freigebig gegen sie zu zeigen. Selbst der sonst barsche Schiffer behandelte ihn mit einer sehr großen Ehrerbietung, die wohl klar bewies, dass sein Passagier ein Mann von großem Vermögen oder von großem Ansehen, vielleicht auch beides wäre.
Doch genug von seiner äußeren Erscheinung, wir wollen auf seine Verhältnisse etwas näher eingehen.
Herr Montagu Smythje, jedenfalls eine Verbesserung des gewöhnlichen Smith, war ein junger Mann aus guter Familie wie von Vermögen. Das Letztere bestand in einer prachtvollen Zuckerplantage auf Jamaika, die ihm von einem verstorbenen Verwandten hinterlassen und die zu besuchen der Zweck seiner Reise war.
Das Gut hatte er noch nicht gesehen, da dies seine erste Reise über den Atlantischen Ozean war. Aber er hatte jedenfalls keinen Grund, an dem Vorhandensein desselben zu zweifeln. Das schöne Einkommen, welches es ihm während verschiedener Jahre seiner Minderjährigkeit gewährte und das ihn befähigt hatte, im Westende Londons in einem großartigen Stil zu leben, war gewiss ein tatsächlicher Beweis, dass Schloss Montagu (der Name des Gutes) etwas mehr als ein bloßes Luftschloss war. Er war dessen Eigentümer schon verschiedene Jahre gewesen, aber bis zur Erlangung seiner Volljährigkeit, die erst kürzlich stattgefunden, war die Besitzung durch einen auf der Insel wohnenden Bevollmächtigten verwaltet worden: einen Herrn Vaughan, der ebenfalls ein Zuckerpflanzer und nächster Nachbar des wirklichen Herrn von Montagu war.
Herr Smythje war über das Weltmeer gewiss nicht in der Absicht gekommen, sich auf seinem Jamaikagut niederzulassen. »Solch’ eine närrische Idee«, um seine eigenen Ausdrücke zu gebrauchen, »kam noch niemals in sein Gehirn. London und seine Vergnügungen mit einem Aufenthalt unter diesen schmutzigen Eingeborenen vertauschen – nihmermöhr, nein, warraftig! Ich köhnte niemals ahn eine solche freiwihllige Verbahnung denken, das würde ja eine Duhmheit sein, eine kolossale Duhmheit, auf Oehre!«
In dieser Weise erklärte sich Herr Montagu Smythje gegen seine Mitpassagiere auf der Seenymphe, als er ihnen den Zweck seiner Reise auseinandersetzte.
»Ein bloßer Ausflug, uhm etwas von den troopischen Ländern davon zu sehen, von dönen ich so gaanz Außerordentliches gehört – uhm oinen Blück zu wörfen auf moine Suckerpflahnzung und moine Nögerß sehr hübsches Schlooß soll da sein, aber baufähllig und hoisz – ja heiß, wie die höhllischen Gögenden!«
Um die Wahrheit zu sagen, Herr Smythje vermochte wohl kaum selbst anzugeben, warum er seinen Ausflug unternommen hatte. Er folgte keineswegs den Eingebungen irgendeiner Neigung oder Leidenschaft, als er einwilligte, sich für einige Zeit von seinem teuren London und seinen frohen Vergnügungen zu trennen, noch besaß er die geringste Neugierde, die Gänse zu sehen, die ihm die goldenen Eier legten, solange die Eier immer richtig an seinen Bankier in London abgeliefert wurden.
Es war indes teils das Drängen seiner Freunde, die der Meinung waren, dass eine Abwesenheit von der Metropole dazu beitragen würde, ihn von gewissen Hinneigungen zu Ausschweifungen zu befreien, denen er zu sorglos ergeben war, teils aber auch das stete Anliegen seines Bevollmächtigten auf Jamaika, das ihn bewogen hatte, die Reise zu unternehmen.
Ein anderer Grund, den er selbst angab und der vielleicht eben so triftig als irgendein anderer sein mochte, war sein »Wonsch, einige von düsen Crüolenmädels zu sehen, von dönen er gehört, dass sie so ›ganz verteifelt hübsche Dinger‹ wären.«
Selbst der verständige und gesetzte Vormund, Herr Vaughan, der den Charakter seines Mündels, obgleich er ihn nie gesehen hatte, doch wohl begriffen zu haben schien, hatte diese Verlockung in seinem Einladungsbrief benutzt, wenn auch nur wie zufällig und in höchst zurückhaltender Weise.
Freilich sprach es sehr für des Vormunds Rechtschaffenheit, dass er so eifrig eine persönliche Besichtigung des verwalteten Gutes verlangte. Und dennoch war es möglich, dass er hierbei keineswegs von so reinen Beweggründen geleitet wurde.
Nur eine Tatsache mag hier erwähnt werden. Der junge Gutsbesitzer sollte während seines Aufenthaltes auf der Insel der Gast des Herrn Vaughan sein, da Schloss Montagu, das Jahrelang unbewohnt gewesen war, nicht im geeigneten Zustand zur Aufnahme seines durchlauchtigen Herrn Eigentümers sei. Der Vormund hielt es des kurzen Aufenthaltes wegen für unnötig, das Schloss instand setzen zu lassen und so jede unnütze Ausgabe zu sparen. Sein eigenes Haus wurde deshalb zur Verfügung seines Mündels während dessen Aufenthalts auf der Insel gestellt. Dort konnte er auch in der Tat alle möglichen Bequemlichkeiten haben, indem das Wohnhaus zu Willkommenberg eines der größten auf ganz Jamaika darstellte, die Familie des Herrn aber eine der kleinsten traf, indem Herr Vaughan ja nur ein Kind, eine einzige Tochter, hatte.