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Der Marone – Ein schönes Anerbieten

Thomas Mayne Reid
Der Marone – Erstes Buch
Kapitel 9
Ein schönes Anerbieten

Am Tag, nachdem das Sklavenschiff seine Ladung gelöscht hatte, und zu einer sehr frühen Morgenstunde, nahm Herr Vaughan, als er aus einem vorderen Fenster seines Hauses heraus sah, einen fremden Reiter wahr, der sich auf der langen Allee näherte.

Als der Fremde näher kam, schien sich sein Pferd in einen Maulesel zu verwandeln, und der Reiter erschien als ein alter Herr in einem blauen Rock mit metallenen Knöpfen und breiten äußeren Taschen, darunter Hosen und Stulpenstiefel, beide höchst schmutzig vom langen Tragen. Ein schadhafter brauner Castorhut auf dem Kopf, der den Rand einer weißen, baumwollenen Nachtmütze darunter sehen ließ, eine grüne Reisebrille auf der Nase und ein großer, blauer Regenschirm statt der Peitsche in der rechten Hand, ließen Herrn Vaughan einen seiner nächsten Nachbarn erkennen, den vortrefflichen Jessuron, der außer in anderem lebendigen Vieh auch bekannt war, großartig in Sklaven zu spekulieren.

»Jessuron!«, murmelte Herr Vaughan, als er die scharfen Gesichtszüge des Israeliten erkannt hatte.

»Was in aller Welt kann er hier so früh wollen? Vielleicht hat er Sklaven zu verkaufen, vermute ich. Das sah wie ein Sklavenschiff aus, was ich auf hoher See sah, und er hat gewiss einen Teil davon gekauft. Nun, hier kann er nichts einbringen. Glücklicherweise bin ich genügend versehen. Guten Morgen, Herr Jessuron!«, fuhr er fort, seinen Besuch oben von der Treppe aus begrüßend. »Wie gewöhnlich, früh auf und draußen. Immer Geschäfte, wie?«

»Ah, ah, Herr Vaughan! Das Geschäft muss betrieben werden. Ein armer Mann, wie ich, kann in diesen schlechten Zeiten nicht schlafen lange.«

»Ha, ha! Armer Mann, Sie! Wahrhaftig! Das ist ein guter Spaß, Herr Jessuron! Kommen Sie herein! Haben Sie schon gefrühstückt?«

»Ja, danke, Herr Vaughan. Ich frühstücke immer um sechs Uhr.«

»Oh, das ist früh! Nun denn, ein Glas Swizzle?«

»Ja, Herr Vaughan, warum nicht? Ein Glas Swizzle wird besser als sonst was sein. Es ist sehr warm heute Morgen.«

Der Swizzle, eine Mischung von Rum, Zucker, Wasser und Limonensaft, war in einer großen Punschbowle vorhanden, die auf dem Nebentisch stand, mit einem auf dem Rand liegenden silbernen Fülllöffel und herumstehenden Gläsern. Dies ist ein bekanntes Getränk im Haus des Jamaika-Pflanzers, eine nie versiegende Quelle, da sie stets erneut wird, wenn sie erschöpft ist.

Jessuron ging zum Seitentisch, wo ihm vom Diener eingeschenkt wurde, und stürzte schnell ein großes Glas von dem Swizzle hinunter. Dann schmatzte er mit den Lippen, und die Bemerkung »Ist gut!« hinzufügend kehrte er zum Fenster zurück, wo ein Stuhl für ihn neben dem seines Wirtes hingestellt worden war.

Er hatte längst seinen Hut abgenommen, obwohl die weiße Nachtmütze, die keineswegs ganz rein, ihren Platz auf seinem Kopf behielt.

Herr Vaughan war ein Mann von außerordentlicher Höflichkeit, oder wenigstens nahm er stets den Schein derselben an. Deshalb verblieb er schweigend und wartete höflich, dass sein Gast das Gespräch anfangen möge.

»Wohl, Herr Vaughan«, begann der Jessuron, »ich bin gekommen, um mit Ihnen über ein kleines Geschäft zu sprechen, – ein sehr kleines Geschäftchen nur, und wahrhaftig, kaum Wert, Sie deshalb zu stören.«

Hier zögerte der Mann, als ob er einen Vorschlag vorbringen wollte.

»Etwas schwarze Ware zum Verkauf? Ich meine, ich habe gehört, dass gestern eine Ladung angekommen sei. Sie haben gewiss davon gekauft?«

»Joh, joh! Ich kaufte eine Kleinigkeit, wirklich nur eine Kleinigkeit. Ich hatte das Geld nicht, mehr zu kaufen, wahrhaftig! Dies Geschwätz, den Handel ganz aufzuheben, wird uns noch alle veroujenieren. Meinen Sie nicht auch so, Herr Vaughan.«

»Oh, deshalb habt nur keine Furcht. Wenn die britische Regierung wirklich die Bill annimmt, so wird das Gesetz doch nur ein toter Buchstabe bleiben. Sie können niemals die ganze afrikanische Küste bewachen – nein, und auch die von Jamaika nicht. Ich meine, Herr Jessuron, Sie würden schon etwas auffinden, um einige zu landen, wie?«

»Ach nein, Herr Vaughan! Nein, gewiss nicht! Ich möchte nichts gegen die Gesetze unternehmen. Wenn der Handel verboten ist, muss ich mein Geschäft aufgeben. Sklaven würden viel zu teuer sein für einen armen Mann, wie ich es bin, um damit zu handeln. Helft mir! Sie sind schon jetzt zu teuer.«

»Oh, das ist alles Unsinn, was man da immer vom Teuerwerden redet! Sie tun ganz wohl, so zu sprechen, Herr Jessuron. Sie haben gewiss welche zu verkaufen, denk’ ich.«

»Jetzt nicht, Herr Vaughan, jetzt nicht. Vielleicht habe ich eine kleine Partie in zwei oder drei Tagen. Aber gerade jetzt habe ich nicht einen einzigen Kopf für den Markt. Heute Morgen möchte ich kaufen, anstatt zu verkaufen.«

»Kaufen! Von mir wollen Sie kaufen?«

»Ja, Herr Vaughan, wenn Sie verkaufen wollen.«

»Sieh mal an, das ist ja etwas ganz Neues, Nachbar Jessuron! Ich weiß wohl, Sie verkaufen viel, aber dies ist das erste Mal, dass ich davon höre, dass Sie Sklaven von einer Pflanzung kaufen.«

»Wohl, die Wahrheit ist, Herr Vaughan, ich hab einen Kunden, der ein hübsches Mädchen zum Aufwarten an seinem Tisch benötigt. Unter meinem Vorrat ist keine, die für ihn gut genug wäre. So dachte ich, Sie hätten wohl eine, die ihm gefallen würde, wenn Sie diese entbehren könnten.«

»Welche meinen Sie?«

»Ich meine das junge Fellahmädchen, das ich Ihnen letztes Jahr verkauft habe, just nach der Erntezeit.«

»Oh, das Mädchen Yola?«

»Ja, das war ihr Name. Da Sie es billig gekauft hatten, so muss ich Ihnen wohl noch etwas drauflegen. Zehn Pfund in bar?«

»Pah, pah!«, antwortete der Pflanzer mit ablehnender Gebärde. »Das wäre wahrhaftig nicht genug, selbst wenn ich das Mädchen wirklich verkaufen wollte. Aber ich wünsche gar nicht, sie gehen zu lassen.«

»Zwanzig Pfund, einverstanden?«

»Nicht zweimal zwanzig, Nachbar. Auf keinen Fall würde ich Yola für weniger als zweihundert Pfund weggeben. Sie ist eine sehr brauchbare Dienerin geworden, und …«

»Zweihundert Pfund!«, unterbrach ihn Jessuron, von seinem Stuhl in die Höhe fahrend. »Oh! Herr Vaughan, es gibt gar keine schwarze Dirne auf der ganzen Insel, die das Geld wert ist. Zweihundert Pfund! Gott segne mich, ist das ein Preis! Ich wollte, ich könnte welche von meinen eigenen Sklaven zu solchem Preis verkaufen! Ich gebe zwei, wahrhaftig zwei für einen solchen Preis.«

»Wie denn, Herr Jessuron, ich glaubte, Sie sagten soeben, Sklaven würden jetzt sehr teuer sein!«

»Teuer, ja, aber nicht so teuer. Strafe mich Gott! Das ist auch nicht Ihre wirkliche Meinung, Herr Vaughan?«

»Aber es ist meine Meinung. Und selbst dann, wenn Sie mir zweihundert bieten wollten …«

»Sprechen Sie nicht mehr davon«, sagte der Sklavenhändler, hastig die vorausgesetzte Rede unterbrechend, »sprechen Sie bitte mehr davon, ich willige ein, den Preis zu zahlen. Zweihundert Pfund! Großer Gott! Ich werde noch bankrottgehen.«

»Nein, das geht nicht, ich kann nicht darin einwilligen, sie zu verkaufen.«

»Keine zweihundert Pfund?«

»Nein, nicht doppelt die Summe, wenn Sie mir sie auch anbieten wollten.«

»Gott hilf mir! Herr Vaughan, Sie sind ja ganz abscheulich. Warum wollen Sie es nicht annehmen? Ich habe das Geld in der Tasche.«

»Es tut mir wirklich leid, Sie zu enttäuschen. Aber die Sache ist folgende: Ich könnte das Mädchen Yola ohne die Einwilligung meiner Tochter wirklich um keinen Preis verkaufen, der ich sie gegeben habe.«

»Fräulein Vaughan?«

»Ja, es ist ihr Dienstmädchen, und ich weiß, dass meine Tochter sie gern hat. Ich glaube nicht, dass sie ihre Einwilligung zum Verkauf des Mädchens geben würde.«

»Aber, Herr Vaughan, Sie wollen doch nicht Ihre Tochter einen guten Handel vereiteln lassen? Zweihundert Pfund ist viel Geld … viel Geld, Herr Vaughan. Die Dirne ist wirklich nicht halb so viel wert. Ich würde für mich selbst wahrhaftig nicht die Hälfte geben, aber ich möchte einem guten Kunden einen Dienst leisten, der nicht gerade sehr genau mit dem Preis ist.«

»Aha, Ihr Kunde mag das Mädchen leiden, wie?«, sagte Herr Vaughan, indem er bedeutungsvoll auf seinen Gast blickte. »Sie sieht sehr gut aus, da ist es kein Wunder. Doch wenn das der Fall wäre, dann möchte ich Ihnen wohl sagen, dass ich selbst mich nicht gern von ihr trennen möchte. Und sollte meine Tochter eine solche Absicht erahnen, ja dann würde all Ihr Geld, Herr Jessuron, nicht genügen, nein, wahrhaftig nicht!«

»Gott hilf mir! Herr Vaughan, Sie irren sich sehr. Der Kunde, von dem ich rede, hat noch niemals ein Auge auf die Dirne geworfen. Er hat nur ein Aufwartemädchen an seinem Tisch im Sinn, und ich dachte an sie, weil sie gerade das ist, was er wünscht. Woher wissen Sie denn, dass Fräulein Vaughan nicht einwilligen sollte, sie gehen zu lassen? Ich verspreche, Ihnen ein anderes junges Mädchen zu verschaffen, so gut und noch besser als Yola.«

»Vermutlich«, erwiderte der Pflanzer nach einem Augenblick des Überlegens und offenbar durch das schöne Anerbieten interessiert, »da Sie so entschlossen scheinen, sie zu kaufen, so will ich meine Tochter darum fragen, aber ich kann nur wenig Hoffnung auf Erfolg geben. Ich weiß, sie liebt das Fellahmädchen sehr. Ich habe gehört, das Mädchen sei eine Königstochter in ihrem Vaterland gewesen, und ich bin ganz sicher, Käthchen wird ihren Verkauf nicht bewilligen.«

»Nicht, wenn Sie es wünschen, Herr Vaughan?«

»Oh, wenn ich darauf bestände, gewiss. Aber ich gab meiner Tochter eine Art von Versprechen, sie von dem Mädchen nicht gegen ihren Willen zu trennen, und ich breche niemals mein Wort, Herr Jessuron, und meinem eigenen Kind gewiss nicht.«

Mit dieser ausdrücklichen Versicherung verließ der Pflanzer das Zimmer und überließ den Sklavenhändler seinen eigenen Betrachtungen.

»Mag der Teufel mich hängen, wenn der Mann nicht verrückt ist!«, sprach Jessuron zu sich selbst, als er allein war. »Wahrhaftig, er ist es! Zweihundert Pfund ausschlagen für eine Dirne, die so braun ist wie eine Kokosnussschale! Gott verdamm’ mich!«

»Wie ich Ihnen gesagt, Herr Jessuron«, sagte der Pflanzer, als er in die Halle zurückkehrte, »meine Tochter ist unerbittlich. Yola kann nicht verkauft werden.«

»Guten Morgen, Herr Vaughan«, sagte der Sklavenhändler, seinen Hut und Regenschirm ergreifend und zur Tür gehend. »Guten Morgen, Herr! Ich habe heute kein Glück.«

Dann setzte er seinen Hut auf, packte seinen Regenschirm mit einer Miene verdrießlicher, nicht zu unterdrückender Heftigkeit, stürmte die steinernen Treppen hinab, kletterte auf den Rücken seines Maulesels und ritt in stummem Trotz davon.

»Ungewöhnlich freigebig mit seinem Geld heute Morgen«, sagte der Pflanzer, ihm nachblickend. »Irgendein böses Vorhaben, zweifelsohne. Nun, ich hoffe, ich habe es durchkreuzt. Übrigens bin ich froh über die Gelegenheit, dem alten Schurken entgegenzutreten. Oft genug hat er es mit mir schon so gemacht.«