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Arno Strobel: Psychisch, grausam, genial …

Arno Strobel: Psychisch, grausam, genial …

Da sag mir noch einer, die großen deutschen Krimiautoren beginnen im Nachnamen mit »F«. Seit ich in nur knapp 4 Wochen die gewalt(täti)gen Fantasien von Arno Strobel gelesen habe, reiht sich in die zwei großen »F« ganz eindeutig ein ganz großes »S« ein. Arno Strobel, der mit knapp 40 Jahren seinen ersten Roman im Eigenverlag veröffentlichte, legte ab dem Jahr 2010 sechs überaus spannende, unterhaltsame und recht oft auch Gänsehaut erzeugende Thriller vor, die es in sich haben.

Die Erfolgsstory begann mit dem Thriller Der Trakt.

»Und wer bist du wirklich?«
Der Weg durch den nächtlichen Park, der Überfall – all das weiß sie noch, als sie aus dem Koma erwacht. Ihre Erinnerung ist völlig klar: Sie heißt Sibylle Aurich, ist 34 Jahre alt, lebt mit Mann und Kind in Regensburg. Sie scheint fast unversehrt. Und doch beginnt mit ihrem Erwachen eine alptraumhafte Suche nach sich selbst. Zwar hat Sibylle ihr Gedächtnis behalten, die Welt aber hat offenbar die Erinnerung an Sibylle verloren: Ihr Mann kennt sie nicht, von ihrem eigenen Hochzeitsfoto starrt ihr das Gesicht einer Fremden entgegen, und niemand hat je von ihrem Sohn Lukas gehört! Wurde er entführt? Hat er nie existiert? Und wem kann sie überhaupt noch trauen?

Hierin konfrontiert Strobel den Leser mit einem der schlimmsten Albträume überhaupt, nur negiert er die Sichtweise. Nicht die Person ist es, die sich nicht erinnern kann, sondern ihr gesamtes Umfeld. Es fällt nicht leicht, sich beim Lesen in die Denkweise der Sabine Aurich hineinzuversetzen, denn man fragt sich als Leser automatisch, was wäre, wenn die eigene Familie mich nicht mehr kennt, wenn die Isolation plötzlich über mich kommt, weil sich niemand an mich erinnern kann? Das Leid der Sabine Aurich geht auf den Leser über und mit der Auflösung des Falles, so unrealistisch es sich auch lesen mag, kommen dann doch die Zweifel, ob das wirklich so unrealistisch ist. Schaut man sich die Entwicklung von Wissenschaft und Medizin an, so wundert man sich nicht über die Eisklaue, die da nach dem Lesen nach dem eigenen Herzen zu greifen scheint …

Doch das ist erst der Anfang. In Das Wesen steigert Strobel sich, indem er zwei Personen aufeinanderprallen lässt, die Rache und Besessenheit verkörpern.

Ein kleines Mädchen stirbt, und der Hauptverdächtige wandert in den Knast – unschuldig? 15 Jahre später: Wieder verschwindet ein Kind, und der Albtraum beginnt von vorn – für die Ermittler und den Täter von damals.
Ein verurteilter Psychiater und ein besessener Kommissar – ein erbittertes Psychoduell um Schuld und Rache.

Wer wird das Duell gewinnen? In einem herkömmlichen Thriller wäre die Antwort relativ einfach, nicht so bei diesem Autor, der gern mal die Sichtweisen auf den Kopf stellt. Hier stellt sich wirklich bis zum Schluss die Frage, ob der Täter nicht vielleicht doch ein Opfer, das Opfer nicht vielleicht doch auch der Täter ist, oder ob gar beide zu Tätern oder Opfern wurden? Kann es überhaupt einen Gewinner in einem solchen Psychoduell geben? Strobel zieht wirklich alle psychologischen Register …

Die Geschichte mit dem größten Ekelfaktor hatte für mich auf alle Fälle Das Skript.

Eine Studentin bekommt per Post rätselhafte Botschaften zugeschickt – auf Menschenhaut geschrieben. Die Polizei verdächtigt den früheren Bestsellerautor Christoph Jahn: In dessen Roman schneidet ein Serienkiller jungen Frauen die Haut vom Körper, um darauf den Anfang seines Romans, der von allen Verlagen abgelehnt worden ist, auf grausige Weise neu zu schreiben. So erhofft er sich die Aufmerksamkeit für sein Werk, die es seiner Meinung nach verdient hat. Doch Jahn schiebt die Schuld auf einen geisteskranken Fan, der bereits vor Jahren Verbrechen aus seinen Romanen ›nachgestellt‹ haben soll, aber nie gefasst wurde. Die grausige Geschichte scheint sich zu wiederholen …
Ein Entführungsfall, ein Serienkiller und ein Hauptverdächtiger mit beängstigender Phantasie: Brutal raffiniert erzählt Arno Strobel eine furchterregende Geschichte mit doppeltem Boden.

Dieser Roman bringt auch hartgesottene Leser an seine Grenzen. Ohne Rücksicht auf die Gemütsverfassung des Lesers geht Strobel ins Detail, die Vorstellung von der Folter der Opfer ist beinahe unvorstellbar. Würde ein Autor wirklich so weit gehen, nur um den Ruhm zu erlangen, von dem er glaubt, dass ihm dieser zusteht? Widerlich, ekelhaft, Gänsehaut erregend … und doch bis ins Detail durchdacht führt Strobel den Leser irgendwann auf die richtige Spur, doch die überraschende Wende ist gewiss …

Vom Skript geht es direkt in den Sarg.

Köln wird durch eine Reihe fürchterlicher Verbrechen erschüttert. Jemand entführt mehrere Frauen und begräbt sie bei lebendigem Leib. Der Täter spielt der Polizei Hinweise zu, doch wenn ein Grab gefunden wird, ist die Frau darin bereits tot. Erstickt.
Zur gleichen Zeit hat Eva, eine erfolgreiche Geschäftsfrau Mitte 30, einen immer wiederkehrenden Traum. Sie wacht in einem Sarg auf. Gefangen, hilflos, panisch. Sie weiß nicht, wie sie in den Sarg hineingekommen ist, und später nicht mehr, wie sie ihn wieder verlassen hat. Doch irgendwann ist es vorbei, sie ist frei, liegt in ihrem Bett. Und bemerkt die Blutergüsse und Kratzspuren an Händen, Armen und Beinen …

Das ist schon eine schauerliche Vorstellung. Man liest die Szenen und versucht, sich das vorzustellen, aber ein klares Bild entsteht einfach nicht. Ein gesunder Menschenverstand weigert sich einfach, diese Vorstellung bis zum Ende zu denken. Arno Strobel hat es dennoch getan und gibt es detailliert wider. Aber dabei belässt er es nicht, das wäre nach den vorherigen Thrillern viel zu einfach, nein, der wahre Albtraum beginnt nämlich erst nach den Geschehnissen im Sarg. Auch wenn ich mich wiederhole, es ist nun einmal so, dass Strobel auch in Der Sarg wieder mit überraschenden Wendungen und Erklärungen daherkommt.

So kommt die nächste Überraschung auch mit dem folgenden Thriller, der sich natürlich auch wieder von allen anderen unterscheidet: Das Rachespiel.

Frank Geissler glaubt an einen Scherz, als er die Website aufruft: Ein Mann, nackt, am Boden festgekettet, in Todesangst. Daneben ein Käfig voller Ratten, unruhig, ausgehungert.
Frank kann den Mann retten, heißt es. Aber nur wenn er Teil des »Spiels« wird und seine erste Aufgabe erfüllt. Angewidert schließt er die Website, doch kurz darauf ist der Mann tot. Und Frank beginnt zu zweifeln. Hätte er dem Unbekannten helfen können? Hätte er nicht sofort die Polizei informieren müssen? Aber es ist zu spät. Und nicht nur für den Toten. Auch Frank ist schon mittendrin. Mittendrin in einem Spiel, in dem er einer der Vier ist, einer der vier Kandidaten, für die es um alles geht. Um ihr eigenes Leben. Aber auch um das Leben aller, die ihnen etwas bedeuten …

Der Kurzinhalt liest sich gar nicht so spektakulär. Aber das ist auch nur der Anfang. Was danach folgt, ist wieder ein psychologisch durchdachtes menschliches Aufeinandertreffen, welches jeden der vier Kandidaten an seine Grenzen bringt und den Leser mehr als einmal verwirrt. Denn in diesem Spiel geht es neben den Leben auch um die Suche nach einer Wahrheit, die am Ende einige Nerven kostet. Wieder einmal schafft es Arno Strobel, den Spannungsbogen bis zum Ende aufrechtzuerhalten, denn er verrät dem Leser nicht mehr als seinen Kandidaten.

Zuletzt erschienen ist der Roman Das Dorf. Mit diesem Buch erfindet sich der Autor noch einmal neu, denn Das Dorf ist eigentlich kein Thriller, sondern fast schon im Horrorbereich anzusiedeln.

Panik, Todesangst, das ist es, was Bastian Thanner in der Stimme seiner Exfreundin hört, als sie ihn völlig unerwartet anruft. Über zwei Monate ist es her, dass Bastian Anna zuletzt gesehen hat, als sie Hals über Kopf und ohne Erklärung einfach verschwunden ist. Jetzt braucht sie dringend seine Hilfe, sie bangt um ihr Leben. Bastian macht sich sofort auf die Suche nach Anna und gelangt in ein Dorf an der Müritz, das ihm von Anfang an unheimlich ist. Überall deuten Spuren auf Anna, doch niemand kann oder will ihm weiterhelfen. Bis zu dem Abend, als Bastian Zeuge einer schrecklichen Zusammenkunft wird. Und auf den Mann trifft, der genau weiß, was mit Anna geschehen ist …

Weiß er es wirklich? In diesem Dorf ist nichts so, wie es scheint. Und doch ist es da und birgt für Thanner so manche Überraschung, die ihn nach und nach an seinem Verstand zweifeln lässt. Bis er irgendwann dahinter kommt, dass es in erster Linie gar nicht um ihn geht, sondern um das Erbe, das er angetreten hat. Ein Erbe, bei welchem er gar keine Wahl hatte und nun doch dafür bezahlen muss … Die Auflösung dieses Falles ist erschreckend und traurig zugleich und Strobel zeigt, dass die Lösung eines Falles nicht immer auch dessen Ende bedeuten muss.

Bereits an den Inhaltsangaben lässt sich erkennen, dass man Arno Strobel nicht in ein bestimmtes Genre einordnen kann. Jeder seiner Thriller ist anders als der vorherige, alle handelnden Personen unterscheiden sich durch eine ganz individuelle Charakterisierung und die Fälle bergen so gut wie keine Gemeinsamkeiten. Strobel spielt mit den finsteren Abgründen der menschlichen Psyche in allen Facetten und lässt den Leser einen Blick in diese Abgründe werfen. Dabei geht er schonungslos vor, was den besonderen Reiz beim Lesen ausmacht, denn man muss wirklich auf jede Grausamkeit gefasst sein ob vorstellbar oder nicht. Doch Arno Strobel lässt seine Leser nicht allein. Über seine Autorenseite bei Facebook steht er in regem Kontakt zu seinen Fans und lässt sich von ihnen auch mal gern einen Nebencharakter für seine Romane entwerfen. Gefällt ihm solch eine Figur, bekommt sie auch einen nicht unwesentlichen Platz in der Geschichte. Vielleicht ist es dieses Zusammenspiel, was den Erfolg seiner Bücher mit ausmacht.

Mehr über den Autor und seine Bücher gibt es unter www.arno-strobel.com.

Alle Thriller sind im Fischer Taschenbuch Verlag Frankfurt am Main erschienen.

Quellenangabe:

(ab)