Money, Money, Money, Money …
Kennen Sie die Geschwister Tanner? Nein? Dann helfe ich Ihnen mal auf die Sprünge. Es handelt sich dabei um einen Anfang 1906 innerhalb von 6 Wochen geschriebenen Roman von Robert Walser. Worum geht es in diesem? Walser versucht, Kritik an der modernen Arbeitswelt seiner Zeit sowie am stupiden Funktionieren der sich darin befindlichen Menschen zu üben. Der Protagonist Simon Tanner stellt sich quer, sich diesem Prozess der Entfremdung unterzuordnen. Zum Einstimmen in meine heutige Kolumne sei ein kleiner Auszug aus dem Werk von Robert Walser vorangestellt.
Eines Morgens trat ein junger, knabenhafter Mann bei einem Buchhändler ein und bat, dass man ihn dem Prinzipal vorstellen möge. Man tat, was er wünschte. Der Buchhändler, ein alter Mann von sehr ehrwürdigem Aussehen, sah den etwas schüchtern vor ihm Stehenden scharf an und forderte ihn auf, zu sprechen. »Ich will Buchhändler werden«, sagte der jugendliche Anfänger, »ich habe Sehnsucht darnach und ich weiß nicht, was mich davon abhalten könnte, mein Vorhaben ins Werk zu setzen. Unter dem Buchhandel stellte ich mir von jeher etwas Entzückendes vor und ich verstehe nicht, warum ich immer noch außerhalb dieses Lieblichen und Schönen schmachten muss. Sehen Sie, mein Herr, ich komme mir, so wie ich jetzt vor Ihnen dastehe, außerordentlich dazu geeignet vor, Bücher aus Ihrem Laden zu verkaufen, so viele, als Sie nur wünschen können zu verkaufen. Ich bin der geborene Verkäufer: galant, hurtig, höflich, schnell, kurz angebunden, rasch entschlossen, rechnerisch, aufmerksam, ehrlich und doch nicht so dumm ehrlich, wie ich vielleicht aussehe. Ich kann Preise herabsetzen, wenn ich einen armen Teufel von Studenten vor mir habe, und kann Preise hochschrauben, um den reichen Leuten ein Wohlgefallen zu erweisen, von denen ich annehmen muss, dass sie manches Mal nicht wissen, was sie mit dem Geld anfangen sollen. Ich glaube, so jung ich noch bin, einige Menschenkenntnis zu besitzen, außerdem liebe ich die Menschen, so verschiedenartig sie auch sein mögen; ich werde also meine Kenntnis der Menschen nie in den Dienst der Übervorteilung stellen, aber auch ebenso wenig daran denken, durch allzu übertriebene Rücksichtnahme auf gewisse arme Teufel Ihr wertes Geschäft zu schädigen. Mit einem Wort: Meine Liebe zu den Menschen wird angenehm balancieren auf der Waage des Verkaufens mit der Geschäftsvernunft, die ebenso gewichtig ist und mir ebenso notwendig erscheint für das Leben wie eine Seele voll Liebe: Ich werde schönes Maß halten, dessen seien Sie zum Voraus versichert.«
Der Buchhändler sah den jungen Mann aufmerksam und verwundert an. Er schien im Zweifel darüber zu sein, ob sein Vis-à-vis, das so hübsch sprach, einen guten Eindruck auf ihn mache, oder nicht. Er wusste es nicht genau zu beurteilen, es verwirrte ihn einigermaßen und aus dieser Befangenheit heraus frug er sanft: »Kann ich mich denn, mein junger Mann, geeigneten Ortes über Sie erkundigen?« Der Angeredete erwiderte: »Geeigneten Ortes? Ich weiß nicht, was Sie einen geeigneten Ort nennen! Mir würde es passend erscheinen, wenn Sie sich gar nicht erkundigen wollten. Bei wem sollte das sein, und was für einen Zweck könnte das haben? Man würde Ihnen allerlei über mich hersagen, aber genügte denn das auch, Sie meinetwegen zu beruhigen? Was wüssten Sie von mir, wenn man Ihnen zum Beispiel auch sagte, ich sei aus einer sehr guten Familie entsprossen, mein Vater sei ein achtbarer Mann, meine Brüder tüchtige, hoffnungsvolle Menschen und ich selber sei ganz brauchbar, ein bisschen flatterhaft, aber zu Hoffnungen nicht unberechtigt, ein bisschen dürfe man mir schon vertrauen, und so weiter? Sie wüssten doch nichts von mir und hätten absolut nicht die kleinste Ursache, mich nun mit mehr Ruhe in Ihr Geschäft als Verkäufer anzunehmen. Nein, Herr, Erkundigungen taugen in der Regel keinen Pfifferling, ich rate Ihnen, wenn ich mir Ihnen, dem alten Herrn gegenüber einen Ratschlag herausnehmen darf, entschieden davon ab, weil ich weiß, dass, wenn ich geeignet und beschaffen wäre, Sie zu hintergehen und die Hoffnungen, die Sie, gestützt auf Informationen, auf mich setzen, zu täuschen, ich dies in um so größerem Maße täte, je besser besagte Erkundigungen lauten würden, die dann nur gelogen hätten, weil sie Gutes von mir sagten. Nein, verehrter Herr, wenn Sie gedenken, mich zu verwenden, so bitte ich Sie, etwas mehr Mut zu bezeigen als die meisten andern Prinzipale, mit denen ich zu tun hatte, und mich einfach auf den Eindruck hin anzustellen, den ich Ihnen hier mache. Außerdem würden einzuziehende Erkundigungen über mich nur schlecht lauten, um offen die Wahrheit zu sagen.«
»So? Warum denn?«
»Ich bin noch überall, wo ich gewesen bin«, fuhr der junge Mensch fort, »bald weitergegangen, weil es mir nicht behagt hat, meine jungen Kräfte versauern zu lassen in der Enge und Dumpfheit von Schreibstuben, wenn es auch, nach aller Leute Meinung, die vornehmsten Schreibstuben waren, zum Beispiel gerade Bankanstalten. Gejagt hat man mich bis jetzt noch nirgends, ich bin immer aus freier Lust am Austreten ausgetreten, aus Stellungen und Ämtern heraus, die zwar Karriere und weiß der Teufel was versprachen, die mich aber getötet hätten, wenn ich darin verblieben wäre. Man hat, wo ich auch immer gewesen bin, regelmäßig meinen Austritt bedauert und mein Tun beklagt, mir eine schlimme Zukunft versprochen, aber doch den Anstand besessen, mir Glück auf meine fernere Laufbahn zu wünschen. Bei Ihnen (und des jungen Mannes Stimme wurde auf einmal treuherzig), Herr Buchhändler, werde ich es sicherlich jahrelang aushalten können. Jedenfalls spricht vieles dafür, Sie zu veranlassen, einmal einen Versuch mit mir zu machen.« Der Buchhändler sagte: »Ihre Offenherzigkeit gefällt mir, ich will Sie probeweise acht Tage in meinem Geschäft arbeiten lassen. Taugen Sie, und machen Sie dann Miene, weiter bei mir zu bleiben, so wollen wir weiter miteinander reden.« Mit diesen Worten, die zugleich des jungen Stellesuchers vorläufige Entlassung bedeuteten, klingelte der alte Herr an der elektrischen Leitung, worauf, wie von einem Strom herbeigeweht, ein kleiner, ältlicher, bebrillter Mann erschien.
»Geben Sie diesem jungen Herrn eine Beschäftigung!«
Die Brille nickte. Damit war nun Simon Buchhandlungsgehilfe geworden. Simon, ja so hieß er nämlich.
Was hat dies alles mit unserer heutigen Zeit zu tun? In Zeiten von Vernetzung, Digitalisierung, Multichannel-Marketing und ähnlichen Dingen macht die Globalisierung auch nicht vor dem Buchhandel halt. In Zeiten, wo große Ketten wie Thalia, Hugendubel, Weltbild und Co. in Einkaufszentren und Shoppingmeilen neben Parfüm, Uhren, Schmuck und anderen Nippes um die Gunst ihrer Kunden buhlen, wo Versandhändler wie Amazon Ihnen den Weg in die wenigen freien Buchhandlungen ersparen, wo eine Flut an E-Books einen regelrecht überrollt, haben es kleine Buchhandlungen und Nischenverlage sehr schwer, um sich unter den Giganten der Buchbranche zu behaupten. Doch auch die Großen müssen Federn lassen, wie es die gegenwärtige Situation unter diesen nicht nur nach der Zerschlagung der Weltbildgruppe unter Beweis stellt. Dies ist jedoch eine andere Geschichte, die man in der Süddeutschen Zeitung, im Börsenblatt oder bei buchreport.de nachlesen kann.
Vielmehr möchte ich mein Augenmerk darauf richten, wie sorglos mit unserem Kulturgut Buch in puncto E-Book umgegangen wird.
Ich erinnere mich an den Ausspruch von Christoph Hardebusch aus dem Jahr 2006, dass er ja kein Autor sei, sondern ein Schreiberling. Nehme ich mir zu Herzen, die drei Dinge zu erledigen, die ein Mensch im Leben unbedingt gemacht haben soll, muss ich nur noch ein Buch schreiben. Erste zarte Versuche habe ich dafür schon unternommen, doch nach wenigen Zeilen festgestellt, dass ich dafür nicht das Händchen habe. Ergo lasse ich es bei dem Versuch, um eine eventuell spätere Leserschaft, die ich mit meinen Ergüssen sicherlich nicht über den Verwandten- und Bekanntenkreis hinaus erreiche, nicht zu vergraulen.
Bei Wilhelm Busch heißt es: »Ach, was muss man oft von bösen Kindern hören oder lesen! Wie zum Beispiel hier von diesen, welche Max und Moritz hießen …«
Ich möchte keinem, der seine geistigen Ergüsse in Papierform oder digital als E-Book auf den Markt bringt, zu nahe treten. Doch nicht alles, was hierzulande angeboten wird, eignet sich, um gelesen zu werden. Es ist aus meiner Sicht der Gedanke, einer der drei Dinge, die ich bereits angesprochen habe, umzusetzen. Es ist sicherlich aus historischer Sicht interessant, die Erlebnisse eines Umsiedlers aus Schlesien oder einen esoterischen Ratgeber lesen zu können. Doch bitteschön in dem dafür vorgesehenen Rahmen. Nicht selten findet man Manuskripte, die sich lediglich für das eigene Bücherregal desjenigen, welcher solchen Text verfasst hat, eignen und eben der Sache, in seinem Leben ein Buch geschrieben zu haben, Genüge tun. Wie jedes andere Handwerk will auch das Schreiben gelernt sein.
Seit Beginn der E-Book-Ära hat sich ein Trend entwickelt, das schnelle Geld machen zu wollen, indem man als Selfpublisher versucht, im Rennen zu bleiben und der Verlagsveröffentlichung abschwört. Ich habe nichts gegen Selfpublishing. Ist es doch mithilfe von KDP, Neobooks oder anderen eine Möglichkeit, seine Werke unter das Volk zu bringen. Nun sind bis in die Hierarchie zu den professionell und semiprofessionell schreibenden Autoren hinauf einige Zeitgenossen der Auffassung, das Redigieren ihrer Texte auf ein Minimum zu reduzieren oder ganz darauf zu verzichten. Auch wenn Lektor und Korrektor keine Berufe sind, sollte man sich berufen fühlen und das notwendige Rüstzeug mitbringen, dieses bewerkstelligen zu können. Erst vor Kurzem habe ich einen Text eines professionell schreibenden Autors gelesen und ihn wieder beiseitegelegt. Wenn auf einer Seite in drei hintereinanderfolgenden, relativ kurzen Dialogen »…, erwiderte …« vorkommt, ist dies für mich Beweis genug, dass dieser Text nicht redigiert wurde. So etwas darf nicht passieren. Auch wenn man der Auffassung ist, ohne einen Verlag seine Werke publizieren zu wollen, sollte man ein Lektorat und Korrektorat nicht aus den Augen verlieren. Als Kunde habe ich das Recht, für mein Geld auch gute Ware zu bekommen. Es sind nicht nur Leser, die gern für gute Ware wenig Geld ausgeben, die unserem Kulturgut – dem Buch – (gern auch als E-Book) keinen Wert beimessen. Es sind zum Teil auch (Möchtegern-)Autoren, die mit Dumpingpreisen dazu beitragen. Solange es solche Zeitgenossen gibt, denen ein ausgewogenes Preis-Leistungs-Verhältnis peripher am Rücken vorbei gleitet, wird es auch sehr viel Schund auf dem deutschen E-Book-Markt geben. Dort sollte man den Hebel ansetzen und die Spreu vom Weizen trennen. Für mich ist es auch kaum nachvollziehbar, wenn man irgendwie auf den bereits Fahrt aufnehmenden E-Book-Zug aufspringt, Altes frisch aufpoliert und als E-Book für ‘nen Appel und ‘n Ei verschachert. Reich wird man dadurch nicht. Man gleitet eher in die Regionen des Vergessenwerdens ab, lebt abgeschieden in einem Elfenbeinturm und verliert den Kontakt zu seinen Lesern. Auch als Selfpublisher ist es aus meiner bescheidenen Sichtweise gesehen ein Muss, dieses nicht auf sich einwirken zu lassen, sondern aktiv mithilfe von Lesungen, Messe- und Conbesuchen, Autogrammstunden … seine Leserschaft bei Laune zu halten. Schafft man dies nicht, ist man wirklich schnell weg vom Fenster. Und ein erneuter Aufstieg wird umso anstrengender.
Vielleicht gelingt es in meiner Wahlheimat Gießen, dieser Verramschung unseres Kulturgutes Buch inklusive E-Book ein wenig entgegenzuwirken. Vielleicht entsteht in meiner Stadt eine kleine Buchhandlung mit der Konzentration auf den Schwerpunkt Buch in all seinen Facetten, fernab von Nippes und Dingen, die die Welt nicht braucht. Vielleicht kann ich dort auch Publikationen kleiner phantastischer Nischenverlage vorfinden. Vielleicht trifft man sich dort zu Lesungen, Autogrammstunden, Verlagsvorstellungen. Vielleicht … Über eines bin ich mir heute schon im Klaren: Fachkompetenz, solide Beratung und freundliche Mitarbeiter werden auf die Wünsche ihrer Kunden eingehen. Natürlich geht es dabei auch um Geld, um Money, Money, Money, Money …
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(wb)