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Geisterschloss Dohlenstein – Kapitel 3

Geisterschloss Dohlenstein
Abenteuer eines flüchtigen Pariser Studenten
Eine Geister- und Räubergeschichte
Kapitel 3 – Das Gespenst

Als nun Theodor allein war, nahm er sein Feuerzeug zur Hand, zündete seine Laterne und Pechfackel an und stieg so die schon etwas verfallene Treppe hinauf. Nachdem er durch den Vorsaal gegangen war, passierte er mehrere Zimmer, in welchen er hin und wieder noch alte verdorbene Möbel vorfand. Endlich kam er in ein ehemals prächtiges Zimmer, das als Gesellschaftssaal gedient zu haben schien. An der Decke hingen Überreste von Kronleuchtern, wo auch noch einige Spuren von vergoldetem Gesims zu sehen waren, was den Saal zuvor sehr verschönert hatte. Dieser Raum war der Ort, den er sich zum Schauplatz seines Ruhmes ausgewählt hatte. Die Fenster führten zum großen Hof, und diejenigen seiner Freunde, die neugierig waren, wie er sich aus der Affäre ziehen würde, hätten, wenn auch nicht das, was er tat, doch wenigstens den Schein seiner Lichter aus der Ferne sehen können. Im Kamin fand er Reste eines Feuers. Da die Fensterscheiben größtenteils zerbrochen waren, kam er auf den Gedanken, sich ein Feuer anzuzünden. Zu diesem Zweck suchte er verschiedene in den Zimmern umherliegende Bruchstücke alter Möbel auf, durch die er das Feuer die ganze Nacht zu unterhalten hoffte. Seine Pechfackel steckte er in den Bruch einer Steinplatte, mit denen der Saal gepflastert war. In Erwartung dessen, was da kommen sollte, ging er im Zimmer auf und ab. Am Kamin stand ein kleines Bänkchen, welches nebst dem im Kamin lodernden Feuer den schon etwas ermüdeten jungen Mann freundlich zum Sitzen einlud. Er versuchte sich lange des sich ihm auf einmal aufdrängenden Schlafes zu erwehren, jedoch bemächtigte sich dieser seiner nach und nach, und er fing an zu schlummern.

Er mochte ungefähr eine Stunde geschlafen haben, als plötzlich im Schloss ein Geräusch wie übereinandergeschlagene Ketten ertönte. Halb erwacht, rief Theodor ein schrecklich durch alle Zimmer hallendes »Wer da!« und ergriff eine Pistole, die er in seinem Gürtel trug. Er öffnete seine Augen, und neben ihm stand eine große Gestalt in ein haariges Tierfell gehüllt, auf dessen schrecklichem ungeheuren Haupt zwei Hörner emporragten, ähnlich denen, die man beim Fürsten der Finsternis sieht. In der Hand hielt das Ungeheuer eine leuchtende Fackel, mit Natternbrut umschwärmt, die es ungestüm schwang. Hinter sich schleppte es schwere Ketten, durch deren Gerassel Theodor aus seinem Schlaf unsanft erwacht war.

»Du glaubst mich damit erschrecken zu können«, sagte Theodor, »zittere du selbst.«

Nach diesen Worten drückte er den Hahn seiner Pistole ab. Doch bloß auf der Pfanne brannte das Pulver weg, und die Schreckgestalt stand unerschüttert vor ihm. Etwas erstaunt über die Erfolglosigkeit seiner Waffe, ergriff er seine zweite Pistole und zielte auf das Gespenst.

»Das wird auch nichts werden,« sprach dieses mit Grabesstimme.

Und in der Tat, der Schuss gelang nicht besser als der erste.

Der junge Mensch, lebhaft ergriffen, warf seine Waffen, die ihm nun unnütz waren, auf den Boden, betrachtete seinen Gegner und sagte: »Und wenn du dich für den Teufel selbst ausgeben wolltest, so will ich doch erfahren, wer du bist.«

»So folge mir, wenn du es wagst.« Die Gestalt ging in den hinteren Teil des Zimmers, wo nichts als eine feste Wand war. Theodor folgte unerschrocken ihren Schritten und sah nicht ohne Erstaunen, wie sich die Wand bei ihrer Annäherung sich öffnete. Dessen ungeachtet folgte er dem Gespenst durch die Öffnung und fand sich in einem schmalen sehr langen Gang wieder, an dessen Ende der Geist plötzlich verschwand. Zu neugierig, was aus seinem Geist geworden sein könnte, ging er noch einige Schritte tappend weiter. Aber da fehlte der Fußboden, und Theodor stürzte in die Tiefe hinab, ohne sich jedoch im geringsten durch den Sturz zu verletzen. Er bekam mit, wie sich eine Falltür über ihm schloss und aus einem angrenzenden Zimmer lautes Gelächter erschallte. Sogleich lief man mit Lichtern herbei. Er befand sich in einer Art Keller, wo man Heu aufgehäuft hatte. Nachdem er wieder zu sich selbst gekommen war, betrachtete er die ihn Umgebenden und sah entsetzliche Gestalten von Menschen, die fortfuhren, ihn höhnend auszulachen, wie sie es bei seinem Fall getan hatten. Er versuchte sich aufzurichten.

Einer dieser Menschen reichte ihm die Hand, und sprach: »Sei willkommen Theodor! Du bist es also, der behauptet, es gäbe keine Geister im Schloss Dohlenstein? Bist du endlich von deinem Wahn abgekommen? Du antwortest nicht? Du betrachtest uns einen nach dem anderen! Errätst du denn nicht, wer wir sind? Halt, kennst du diesen Menschen da?«

»Gott! Das ist der Niklas!«

»Ja, braver Bursche, ich bin’s«, antwortete dieser. »Meine Kameraden wollten dich umbringen, aber ich habe mich bei ihnen für dich verwendet. Ich habe ihnen geraten, dir kein Leid anzutun, sondern vielmehr in deiner Person einen mutigen Kameraden zu sehen, der mit uns für den Ruhm und den Gewinn arbeiten wird.«

»In was für einer Art von Arbeit?«

»Das wird man dir sagen.«

»Aber sage mir wenigstens, Niklas, was ist aus dem Ungeheuer geworden, auf das deine Pistolen nicht losgehen wollten?«

»Da ist er, der die Maske abnimmt, die Hörner und das Bärenfell ablegt, welche ihn verkleideten. Was die Pistolen betrifft, so erstaune darüber nicht. Der Lauf steht in keiner Verbindung mit dem Zündloch, sodass du zwanzigmal das Pulver hättest abbrennen können, ohne deinen Gegner einmal zu verwunden. Aber genug davon. Komm, geh mit uns zum Abendessen, die Begebenheiten dieses Abends werden dir Appetit gemacht haben. Wir warteten bloß auf dich, um uns an den Tisch zu setzen.

Dort will ich dich unserem Hauptmann, dem berüchtigten Sassafras, vorstellen.«

Bei diesem Worte fühlte Theodor das Schreckliche seiner Lage. Sassafras war der Name eines berüchtigten Räuberhauptmanns, der in der Umgebung des Schlosses Dohlenstein einige Meilen weit seine Räubereien verübte. Theodor hatte während des kurzen Aufenthaltes bei seinem Vater mehrere Gräueltaten von ihm erzählen hören und schauderte bei dem Gedanken, sich vielleicht in Gesellschaft dieser Truppe gefangen genommen und wie sie verurteilt zu sehen. Wie sehr bereute er seine zur Unzeit bewiesene Unerschrockenheit! Wie sehr verfluchte er die schädlichen Bücher, ohne denen er ebenso leichtgläubig wie seine Mitbürger gewesen wäre und sich vor den vermeintlichen Geistern des Schlosses in Sicherheit gewusst hätte. Doch in demselben Moment entsann er sich der Geschichte des Gilblas. Er glaubte, dass er eine ähnliche Rolle zu spielen habe, und schien sich in seiner Lage zu gefallen. Eine scheinbare Heiterkeit war auf seinem Gesicht erkennbar. Er setzte sich mitten unter seine neuen Kameraden, und weder ihr Anblick noch ihre Unterhaltung schien etwas besonders Widerliches für ihn zu haben.

»Wie heißt du?«, fragte der Hauptmann, der den Ehrenplatz am Tisch einnahm. »Theodor, zu dienen.«

»Deine Eltern wohnen im Dorf da unten?«

»Ja, Hauptmann«, sagte er und konnte sich nicht enthalten, einen leisen Seufzer auszustoßen.

»Du bedauerst ihren Verlust?«

»Ist das nicht ganz natürlich, Hauptmann?«

»O ja! Vorurteile … Sie werden dich durch eine Legion böser Geister entführt glauben, wenn sie dich nicht wiederkommen sehen.«

»Ach! Gewiss doch, Hauptmann«, ergriff Niklas das Wort, »es sind gute Leute. Auf ihre Gesundheit!«

»Auf ihre Gesundheit!« Und die Gläser klangen in der Runde.

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