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Wolfram von Bärenburg – Teil 14

Wolfram von Bärenburg, genannt der Erzteufel
Der verwegenste Raubritter und schrecklichste Mörder, ein Scheusal des Mittelalters, von der Hölle ausgespien zum Verderben der Menschen
Eine haarsträubende Schauergeschichte aus den furchtbaren Zeiten des Faustrechts und des heimlichen Gerichts der heiligen Feme aus dem Jahr 1860
Kapitel 14

Das heimliche Gericht der heiligen Feme

In einer tiefen und großen Berghöhle stand auf einem langen, mit einem blutroten Tuch bedeckten Tisch zwischen zwei brennenden Kerzen ein Kruzifix mit einer Dornenkrone, an dessen Untersatz ein Totenkopf sich lehnte. Nahe zu seiner Linken lag ein unaufgeschlagenes Buch. In der Mitte von zwölf Freischöffen der heiligen Feme saß der Freigraf, die Verhöre der Verbrecher vorzunehmen und ihr Urteil zu sprechen. Alle waren in Mäntel gehüllt, und ihre Gesichter durch eine Art von leichenblassen Larven unkenntlich. Am rechten Ende dieses Tisches saß ein Mann in einem Lehnstuhl, angetan wie die übrigen Beisitzer, die linke Hand auf den Knauf eines großen Schwertes gestützt. Vor seinen Knien erhob sich ein schwarzer Block, gleichfalls mit blutrotem Tuch bedeckt. Auf diesem Block funkelte ein Henkerbeil. Dieser Mann war der Vollstrecker der auf Enthauptung lautenden Todesurteile des heimlichen Gerichtes, folglich dessen Nachrichter.

Inmitten von zwei Freischöffen trat Wolfram nach abgenommener Augenbinde, in einen Mantel gehüllt, auf dem Kopf einen Helm mit offenem Visier, sodass man sein überaus hässliches Gesicht sah, mit stolzen Schritten vor die versammelten Richter, den angebotenen Stuhl ablehnend, der hinter ihm stand. Nach den herkömmlichen, von Wolfram ruhig beantworteten Vorfragen, sagte der Freigraf: »Ich gehe jetzt zu den Anlagen über.«

»Vergönnt mir zuvor einige Worte, Herr Freigraf! Seid überzeugt, dass ich nur im Gefühl meiner Unschuld und im Vertrauen auf Eure Gerechtigkeit vor Euch erscheine. Euer mächtiger Arm und die Gewalt der ganzen Ritterschaft des Gutes hätten mich in meiner Bärenburg nicht erreicht. Ich bin ein ehrsamer Ritter, lebe nur von der Jagd und den mir gebührenden altherkömmlichen Abgaben meiner Untertanen. Fragt meinen nächsten Nachbar, den von Kaiser und Reich hoch geachteten Ritter Hugo von Klippenberg, ob er jemals durch eine meiner Taten sich überzeugt habe, dass ich ein Raubritter sei! Ich bin gekommen, um Euch über jene teuflische List aufzuklären, die mich vor Eure Schranken gebracht hat. Und nun möget ihr Eure Anklage gegen mich erheben, Freigraf!«

Dieser begann: »Ihr seid angeklagt, die Burg des Ritters Kurt von Steinau, während er im Heer des Kaisers focht, heimlich erstiegen, die wenigen Knechte ermordet, die Burg ausgeplündert und niedergebrannt, und Gertraud, die junge Ehefrau Kurts, entführt, und später in Euren Bärenzwinger geworfen zu haben.«

»Von der Zerstörung der Burg Steinau und dem Weiberraub hörte ich erzählen, bin aber nicht der Täter, wie ich Euch noch im Laufe der Anklagen beweisen werde, womit auch das Märchen mit dem Bärenzwinger wegfällt.«

»Ihr seid ferner angeklagt, kürzlich bei einem nächtlichen Bankett auf der Bärenburg lebendige Menschen, darunter eine weibliche Person, in den Bärenzwinger geworfen zu haben.«

»In meinem Zwinger zähme ich junge Bären, um sie an fürstliche Höfe zu verkaufen. Menschenfleisch als Futter für sie würde den Zweck des Zähmens vereiteln. Die Nacht täuscht, und die wahrscheinlich betrunkenen Späher haben Kälber, Ziegen und Schafe für Menschen gehalten. Oder sah jemand mit dem Grauen des Morgens Menschengerippe im Bärenzwinger liegen?«

»Es wurde zur genannten Zeit nachgesehen. Man sah aber nur Tierknochen.«

»Da habt ihr’s!«

»Die Menschengerippe konnten inzwischen leicht weggeräumt werden.«

»Leicht? Wer dies versucht hätte, wäre nicht mehr lebendig aus dem Bärenzwinger gekommen.«

»Jetzt kommt die letzte und Hauptanklage«, sagte der Freigraf, indem er aufstand und die linke Hand gegen ihn ausstreckte. »Ihr habt das Frauenkloster Marienzell bei Nacht überfallen, alles Wertvolle, selbst der geweihten Kirchengefäße geraubt, die Äbtissin und Novizenmeisterin geknebelt, zehn Nonnen gebunden und auf den Rossen fortschleppen, aber, ohne Zweifel aus Furcht, in derselben Nacht wieder in die Nähe des Klosters bringen lassen. Verantwortet Euch!«

»Kennt Ihr Ritter Ubald von Strömingen als einen ehrsamen Ritter?«, entgegnete Wolfram.

»Ja, als einen tadellosen Ritter.«

»Gut. Dieser scheußliche Klosterfrevel kam mir zu Ohren, und ich zweifelte nicht, dass man ihn mir zuschieben werde. Ich aber sage Euch, Freigraf, dass ich am Tage dieser Untat von morgens 6 Uhr bis 4 Uhr des anderen Nachmittags die Burg Strömingen 12 Stunden von hier, nicht verlassen habe. Ritter Ubald mit drei anderen ehrsamen Rittern, begleitet von zwei Freischöffen, steht draußen, und alle vier sind bereit, meine Aussage eidlich zu bestätigen. Lasst sie eintreten!«

Der Freigraf winkte und zwei Freischöffen gingen hinaus.

»Wisst«, fuhr Wolfram fort, »dass ein Ungeheuer, in mein Äußeres vermummt, grässliche Frevel verübt, deren man mich beschuldigt, mich, den Unschuldigen!«

Die vier Ritter traten ein, leisteten vor dem Kruzifix den von Wolfram vorgeschlagenen Zeugeneid und wurden dann wieder abgeführt, zugleich aber auch der Angeklagte, und zwar dieser in eine Seitenkammer bis zum Ende der Beratung.

Nach einer Viertelstunde stand Wolfram wieder vor seinen Richtern. Der Freigraf erhob sich und sprach: »Ritter Wolfram, hinsichtlich der ersten und zweiten Anklage spricht euch die heilige Feme frei von Strafe wegen Mangels genügender Beweise, hinsichtlich, der Hauptanklage aber, aus dem Grunde von vier unverwerflichen Zeugenaussagen, vollständig frei. Ihr könnt nun gehen, wohin Ihr wollt.«

Mit verbundenen Augen, zwischen zwei Freischöffen, verließ Wolfram die von ihm besiegten, furchtbaren Richter.