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Wolfram von Bärenburg – Teil 9

Wolfram von Bärenburg, genannt der Erzteufel
Der verwegenste Raubritter und schrecklichste Mörder, ein Scheusal des Mittelalters, von der Hölle ausgespien zum Verderben der Menschen
Eine haarsträubende Schauergeschichte aus den furchtbaren Zeiten des Faustrechts und des heimlichen Gerichts der heiligen Feme aus dem Jahr 1860
Kapitel 9

Ein furchtbarer Besuch

Die Äbtissin von Marienzell, aus einem altgräflichen Hause stammend und sogar eine Verwandte des Kaisers, eine stolze, hochmütige Dame, zählte 36 Jahre, die Älteste ihrer fünfzehn Nonnen 37 Jahre, die Novizenmeisterin 42 Jahre.

Die hier Genannten saßen an der nicht minder reich besetzten Nachtmahlstafel, als die Festtafel mittags gewesen war, und ließen es sich aufs Behaglichste schmecken.

»Sind die zwei Novizen schon in ihren Zellen?«, fragte die Äbtissin mit einem stolzen Blick auf die Novizenmeisterin.

»Ja, hochwürdigste Frau«, antwortete diese mit bangem Herzen, obwohl ihr die Flucht schon bekannt war und sie die Schuld nicht auf den Fischer schieben konnte, da es ihre Pflicht war, die Novizen nicht aus den Augen zu lassen.

»Zwei Nonnen«, fuhr die Äbtissin fort, »sollten bei der in der Gruftkapelle liegenden Leiche der alten Nonne Euphrosina, die gestern gestorben ist, beten, und immer nach zwei Stunden abgelöst werden. Des großen Festes wegen habe ich sie heute von diesem Dienste dispensiert, allein missfällig bemerkt, dass der Sarg viel zu hoch steht, sodass die Landleute, welche in die Kapelle kommen, um für deren Seelenheil zu beten, die zu tief Liegende gar nicht sehen können. Dies muss vor Tagesanbruch geändert werden.«

In diesem Augenblick und noch die ganze Anweisung der Äbtissin hörend, trat die Küchenmagd Angelika in den Speisesaal und stellte auf einer großen silbernen Platte zwei gebratene Fasane nebst zwei mächtigen Torten auf die noch mit vielen köstlichen Speisen reich besetzte Tafel und entfernte sich wieder unter demütiger Verneigung.

Rechts von der Eingangstür in den Speisesaal, am Ende des langen und breiten Ganges, hing ein aus Holz geschnitztes großes Kruzifix an der Wand, vor welchem sich ein hoher mit violettem Wollstoff bezogener Betschemel nach beiden Seiten hinzog.

Rechts und links vom Kruzifix leuchtete eine silberne Lampe an einer silbernen Kette. Vor ihrer Rückkehr in die Küche wollte Angelika eine kurze Andacht verrichten und kniete nieder, als sie klirrende Männerschritte die Haupttreppe heraufkommen hörte.

Blitzschnell durchzuckte es in ihren Kopf. »Das ist vielleicht Wolfram mit seiner Mörderbande!«

Eine Flucht in einen anstoßenden Nebengang war zu gewagt. Sie konnte zuvor noch von den Kommenden gesehen werden oder anderen über den Weg laufen.

Schnell entschlossen duckte sie sich hinter den Betschemel, mit zitterndem Herzen betend.

Gott lenkte die Gefahr von ihr ab.

Wolfram, er war es wirklich, trat geradewegs in den Speisesaal, und seine zwei Gefährten kehrten zur obersten Stufe der Haupttreppe zurück, um dort Wache zu halten. Diesen Augenblick benutzte Angelika, um bei dem Geräusch der dröhnenden Schritte durch einen Seitengang und über eine Wendeltreppe in die Sakristei und in die Gruftkapelle entwischen zu können. Dort stieg sie auf das Trauergerüst, auf dem die Leiche der Nonne in ihrem Sarg aufgebahrt war, zerrte sie quer über diesen, schlüpfte in ihrer Todesangst unter die weiße Decke, auf welcher die Leiche lag, welche sie mit den seitwärts herausgestreckten Händen wieder in ihre vorige Lage brachte. Nur grenzenlose Angst vor Schmach und Tod konnte die arme Angelika zu diesem schrecklichen Entschluss treiben.

Bald darauf hörte sie das Zertrümmern des eisernen Gitters der Gruftkapelle, in welche die Räuber eindrangen, um mit goldenen und silbernen Gefäßen, Ampeln und Leuchtern … ihre Säcke zu füllen, die sie raubgierig mitgebracht hatten. Schon waren sie mit diesem Geschäft fertig, als ein Räuber sich auf das Gerüst zum Sarg der Leiche schwang und seinen Gefährten zurief: »Hört! Wir wollen uns einen großen Spaß machen, die tote alte Nonne an die Klosterpforte hinstellen, so, als hätte dieser Spuckgeist die übrigen Nonnen aus dem Kloster verjagt.«

»Ei, lasst die Toten, die uns weder nutzen noch schaden können, in Frieden«, entgegnete einer aus der Bande. »Lasst uns lieber zurückkehren hinauf zu den Lebenden, wo lohnender Scherz uns erwartet. Kommt, was sollen wir länger in diesem Ort des Ernstes zwecklos verweilen, nachdem die Kostbarkeiten bereits in unserem Besitz sind.«

Alle stürmten zur Gruftkapelle hinaus.