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Wolfram von Bärenburg – Teil 2

Wolfram von Bärenburg, genannt der Erzteufel
Der verwegenste Raubritter und schrecklichste Mörder, ein Scheusal des Mittelalters, von der Hölle ausgespien zum Verderben der Menschen
Eine haarsträubende Schauergeschichte aus den furchtbaren Zeiten des Faustrechts und des heimlichen Gerichts der heiligen Feme aus dem Jahr 1860
Kapitel 2

Menschenfleisch

Der schwarze Mann streckte den Kopf lauschend zur Seite, da er seinen Gefährten nicht zurückkommen hörte, der nach dem Beginn des Gespräches einen Rundgang um den Bärenzwinger begonnen hatte.

»Nichts erspäht, Bruder?«, fragte er.

»Gar nichts. Keine Spur eines Einganges, weder in den Bärenzwinger, noch in den Granitberg, auf dem die Burg steht.«

»Wolfram kann doch mit seinen Raubmördern und Rossen nicht aus- und einfliegen wie die Geier in ihre Nester. Er wird also unterirdische Ein- und Ausgänge haben, die man wohl auch noch finden kann. Wisst ihr nicht, Ritter Kurt, auf welche Art Wolframs entlaufener Knecht in die Burg einzog und aus ihr entkam?«

»Bei einer Jagd Wolframs war er unter den zu Treibern aufgebotenen Landleuten, nahm den angebotenen Dienst an, um sich an Wolfram zu rächen, der seine Geliebte getötet hatte. Er wurde nachts mit verbundenen Augen in die Burg gebracht, und ebenso am dritten Tage wieder auf die Jagd, von wo er entwich, als ihm ein alter Bekannter unter den Treibern warnend sagte, er habe mit eigenen Ohren die Äußerung Wolframs zu einem von dessen Gefolge gehört, dass ihm dieser Bursche verdächtig vorkomme und er ihn noch in dieser Nacht den Bären als Futter wolle vorwerfen lassen.«

»Schrecklich!«, erwiderten die zwei schwarzen Männer.

»Der Knecht, er heißt Klaus, erzählte mir auch, dass im Bärenzwinger fünfzig Bären seien, welche Wolfram als Junge gefangen und hier mit Menschenfleisch großgezogen habe.«

»Schauderhaft und fast unglaublich!«

»Ihr dürft es glauben, denn Klaus sah es mit eigenen Augen, dass Gefangene nackt ausgezogen und durch das große, jetzt hell erleuchtete Bogenfenster in den Bärenzwinger geworfen und dort von den Bären zerfleischt und gefressen wurden.«

Die beiden schwarzen Männer schauderten, ohne ein Wort sprechen zu können.

»Ich wüsste noch mehr, aber lasst mich jetzt schweigen, damit nicht die Erinnerung an eine höllische Untat mich in Wahnsinn stürzt. O Gott, nur nicht wahnsinnig lass mich werden, damit ich nicht auf meine Rache verzichten muss, die dem Erzteufel bis an das Ende der Welt, ja selbst bis in die Hölle folgen soll!«

Eine kurze Pause trat ein.

»Ihr verspracht mir eine Beschreibung der Person Wolframs, die mir zur Verhütung einer Verwechslung sehr erwünscht und notwendig ist. Wir sind unterbrochen worden.«

»Wolfram ist ungewöhnlich groß, sehr breitschulterig. Die Haare seines dichten Bartes sind schwarzgrau, die Haare seines Hauptes von gleicher Farbe, struppig, und flattern in der Länge einer Löwenmähne über seinen Stiernacken und seine Schultern hinab. Sein großes Gesicht ist so bleich wie ein Totenschädel aus einer Beinkammer, aber breit, die Nase groß und dick. Der Mund mit den wulstigen Lippen zeigt das Gebiss eines Wolfes. Der wilde Ausdruck seiner Gesichtszüge ändert sich nie, und diese bleiben unwandelbar und wie erstarrt, selbst wenn er in ein grimmiges Gelächter ausbricht. Schwert und Speer handhabt er mit unerreichbarer Gewandtheit, und wenn er einen Axthieb in einen Baum führt, so ist kein anderer Mann imstande, sie herauszuziehen.«

»Das kann ich auch!«, rief Ritter Kurt und hieb seine Axt mit einem gewaltigen Schwung so tief in eine Eiche, dass von der Klinge nichts mehr zu sehen war.

»Versucht es nun ihr beide, die Axt herauszuziehen.«

Alle Anstrengung der beiden schwarzen Männer war vergebens. Sie konnten noch nicht einmal die Axt ein wenig lockern.

»Glaubt ihr nun, dass ich dem verfluchten Wolfram mit einem Hieb dieser Axt den Schädel zu spalten in der Lage bin, trüge er auch einen Helm von gehärtetem Stahl?«

»Wir glauben es aus eigener Überzeugung und bewundern Eure Stärke. Überlasst ihn jedoch dem heimlichen Gericht!«

»Wenn nicht der Teufel ihn mir in den Weg jagt.«

»Geduldet Euch! Sein Ende ist nicht mehr fern.«

»Wer ist mächtig und willenskräftig genug, das Urteil der heiligen Feme in dieser Zeit des Faustrechts an ihm zu vollziehen?«

»Jeder von uns Mitgliedern des Femgerichts.«

»Ein Einzelner?«

»Ja.«

»Ich bewundere Euren kindlichen Glauben. Wolfram fürchtet Hunderte nicht.«

Die schwarzen Männer zuckten die Achseln.

»Wenn wir der Macht bedürfen, seinen Widerstand zu brechen, so ist der ehrenwerte Ritter Hugo von Klippenberg, nur eine Stunde von hier entfernt, den der Kaiser hoch in Ehren hält, ein unfehlbarer Vollstrecker unseres Urteils.«

»Gebe es Gott! Was trieb denn aber damals den Bösewicht in die Dorfkirche, wie Ihr erzählt habt?«

»Die Lust nach einem Jungfernraub. Mit kecken Blicken musterte Wolfram in der Kirche die Mädchen des Dorfes und ließ sie dann vor ihr an sich vorüberziehen. Die Schönste und Tugendhafteste dieser Jungfrauen mit Namen Sabina, eine Bauerstochter, wählte er sich. Er bestieg sein Roß. Auf einen Wink von ihm legten zwei seiner Reisigen die heftig um Hilfe Schreiende über den Sattelknopf seines Rosses, der dem Vater der Geraubten welcher ihn kniend anflehte, sein einziges Kind, die Stütze seines Alters ihm zu lassen, höhnisch zurief ›Bei meiner Ritterehre, in 14 Tagen schick ich sie dir wieder!‹ und mit seinen Spießgesellen lachend von dannen sprengte.«

»Hat er sie zurückgeschickt?«

»Ja, aber als Leiche, über die eine Rossdecke gebreitet war, auf einer Tragbahre, welche die Reisigen vor das Haus ihres Vaters stellten und sich daraufhin schnell entfernten. Der greise Vater wankte aus seiner Hütte, zerrte mit zitternder Hand die verhüllende Decke weg und erblickte seine nackte Tochter, deren einst so schöne Augen ausgestochen, Nase und Zunge abgeschnitten und viele Teile des Leibes grässlich verstümmelt waren. Mit einem lauten, herzzerreißenden Schrei stürzte der Alte tot zu Boden. Der Schlag hatte ihn getroffen, der Tod hatte ihn vor späteren namenlosen Leiden bewahrt.«

»Ha! Dies war die Geliebte des Klaus! Genau so hat er mir diese Mordgeschichte erzählt.«

»Ihr seht also, Ritter Kurt, dass ich die Wahrheit sage. Mehr als 30 Augenzeugen dieses Vorfalls sind bei dem heimlichen Gericht angemeldet.«

Jenseits der Bärenburg tauchte der Mond wie ein goldener Schwan aus den zerrissenen Wolken empor und erhellte den Wald zu beiden Seiten. Die drei Männer standen unbemerkbar im Schatten des Granitfelsens.

»Schaut doch hinauf zum Bogenfenster!«, sagte Ritter Kurt zu den beiden schwarzen Männern. »Brennende Fackeln ragen über das Gesims heraus, und ihre durch sie beleuchteten Träger scheinen sich rechts und links an die Pfeiler zu schmiegen, als ob dort ein Gedränge entstehe. Seht ihr es?«

»Ja.«

»Und die Bären im Zwinger fangen wieder betäubend zu brummen an. Sollte dies die Stunde ihrer Fütterung mit Menschenfleisch sein?«

»Glaubt doch nicht an ein solches Märchen, Herr Ritter!«, entgegnete einer der beiden schwarzen Männer.

In diesem Augenblick hörten sie einen erschütternden Angstschrei oben durch das von außen und innen beleuchtete offene Bogenfenster gellen, durch welches ein nackter Mensch mit gebundenen Händen und Füßen hinausgeschoben wurde, sodass er kopfüber in den Bärenzwinger hinunterstürzte, wo die grimmigen Bestien mit wildem Geheul über ihn herfielen und ihn gewiss noch nicht zerfleischt hatten, als ihm schon ein zweiter, dritter und vierter Mensch folgte. Den Abschluss machte eine durch Form und Stimme unverkennbar weibliche Person, dann hörte man von oben herab ein jauchzendes Brüllen der teuflischen Zecher, das selbst von dem höllischen Jubeltusch der Trompeten und wirbelnden Pausen nicht übertäubt wurde.

»Da habt ihr nun das Märchen!«, rief Ritter Kurt den beiden schwarzen Männern zu, die vor Entsetzen verstummten. »Erfahrt nun, was ich Euch bisher nicht gesagt habe. Gerade so wie diese Unglückliche wurde mein geliebtes Weib den Bären zum Fraß vorgeworfen. Und ich sollte nicht zur Rache berechtigt sein? Rache, Rache dem verfluchten Erzteufel!«

Und mit flatternden Haaren und hocherhobener Axt rannte der Ritter stürmisch in die Tiefe des Waldes.

Schweigend verließen die beiden schwarzen Männer auf entgegengesetzter Seite diese Stätte von Gott und Menschen verfluchter Schandtaten.