Ausschreibung
Sternenlicht-Anthologie

Download-Tipp
Band 6

Heftroman der Woche

Archive
Folgt uns auch auf

Der Marone – Das Sklavenschiff

Thomas Mayne Reid
Der Marone – Erstes Buch
Kapitel 6
Das Sklavenschiff

Die glühende westamerikanische Sonne sank schnell hinab in die Karibische See, so, als wollte sie ihre feurige Scheibe im blauen Wasser abkühlen. Ein Schiff umfuhr Pedro Point auf der Insel Jamaika, östlich der Montego Bay.

Es war ein dreimastiges Schiff, eine Barke, wie an dem dreieckigen Segel ihres Besanmastes erkannt werden konnte, und augenscheinlich drei- bis vierhundert Tonnen groß.

Da es bei einer leichten Brise fuhr, waren alle ihre Segel gesetzt. Das vom Wind verwitterte Aussehen des Segeltuches zeugte davon, dass es am Ende einer langen Seereise am Land anlegen wollte. Dies war durch die verblichene Farbe der Seitenwände und durch die dunklen schmutzfarbigen Stellen, welche die Lage seiner Klüslöcher und Speigaten bezeichneten, vonnöten, um Reparaturarbeiten am Schiff durchführen zu können.

Außer der Privatflagge, die wimpelgleich an der Mastspitze flatterte, wehte noch eine andere über der Heckreling, die, durch die Bewegung des Schiffes ausgebreitet, ein blaues Sternenfeld mit weißen und hochroten Streifen zeigte. Diese Flagge, obwohl stolz als die Fahne der Freien gepriesen, deckte hier eine Ladung Sklaven – das Schiff war ein Sklavenschiff. Nachdem es gerade in die Bucht einfuhr, doch stets noch in großer Entfernung von der Stadt, konnte man es plötzlich wenden sehen. Anstatt weiter in den Hafen aufwärtszugehen, bewegte es sich auf einen Punkt an der Südseite zu, wo die Küste unbewohnt und einsam war.

Als das Schiff ungefähr eine Meile vor dem Land war, zog es die Segel ein, bis alle Leinwand an der Segelstange zusammengerafft war. Dann kündigte das durchdringende Gerassel der Kette, wie sie durch den eisernen Ring der Klüslöcher gezogen wurde, das Niederlassen des Ankers an. Wenige Augenblicke später schwang sich das Schiff herum, trieb vor dem Strom, bis die Ankerkette sich straff zog, und lag dann bewegungslos auf dem Wasser.

Den Grund, warum das Sklavenschiff so dicht am Hafen vor Anker ging, werden wir herausfinden, wenn wir an Bord gehen, obwohl dies eine Erlaubnis war, die dem Müßigen und Neugierigen nicht gegeben wurde. Nur die Eingeweihten durften dem Schauspiel, dessen Bühne das Schiffsdeck wurde, beiwohnen, nur solche, die bei der Verfügung über die Ladung ernstlich interessiert waren.

Von fern betrachtet schien auf dem Sklavenschiff alles vollkommen ruhig zu sein. Dennoch fand auf seinem Deck ein Auftritt von seltenem und peinlichem Interesse statt. Die Barke führte eine Ladung von zweihundert menschlichen Wesen, Ballen nach der Redensart der Sklavenhändler. Diese Ballen waren nicht alle gleich. Es war, wie der Schiffer es im Scherz nannte, eine affortierte Ladung, das heißt eine, die an verschiedenen Plätzen der afrikanischen Küste eingenommen war und demnach mancherlei Verschiedenheiten der äthiopischen Rasse enthielt. Da war der braungelbe oder verständige Mandingo, und ihm zur Seite der Jolof, schwarz wie Ebenholz. Dort der stolze und kriegerische Koromantee neben dem gelehrigen und unterwürfigen Pawpaw. Desgleichen der gelbe Ebo mit dem Gesicht eines Pavians, elend und verzagend beim Anblick eines menschenfressenden Moco, oder bei den Handgelenken zusammengekettet mit dem leichtherzigen Eingeborenen Kongos und Angolas.

Doch an Bord des Sklavenschiffes schien in der Tat keiner leichtherzig zu sein. Die Schrecken der Überfahrt im Mitteldeck hatten alle gleich angegriffen, und selbst die tanzenden Bewohner Kongos sowie die zum Selbstmord neigenden Lukumen schienen alle unter gleicher Niedergeschlagenheit zu leiden. Das glänzende, sich ihren Augen darbietende Gemälde, eine in allen Farben der tropischen Pflanzenwelt strahlende Landschaft, wurde von ihnen mit sehr verschiedenen Gefühlen betrachtet. Einige schienen mit vollkommener Gleichgültigkeit darauf zu sehen, andere erinnerten sich dabei ihrer eigenen afrikanischen Heimat, von der sie durch raue und gewaltsame Männer fortgeschleppt worden waren. Während nicht wenige auf alles mit Gefühlen höchst schlimmen Verdachts blickten, nämlich glaubend, dass es das Land der gefürchteten Koomi, das Land der gigantischen Menschenfresser sei, und dass sie hierher gebracht wären, um gefressen zu werden!

Einiges Nachdenken mochte sie alsdann wohl bald überzeugen, dass dies schwerlich die Absicht der Tobondoo sei, dieser weißen Tyrannen, von denen sie übers Meer geführt wurden.

Der harte, unausgehülste Reis und grobes Maiskorn, ihre einzige Nahrung während der langen Reise, waren indes in der Tat keine geeignete Speise, um sie für ein Fest von Anthropophagen zu mästen. Ihre einst so glatte und glänzende Haut war trocken, runzelig und zusammengeschrumpft, bedeckt mit Schorf und den Schrammen der abscheulichen Cra-Cra.

Die Schwarzen unter ihnen waren durch die Leiden der schrecklichen Reise aschgrau geworden, und die Gelben hatten eine kränkliche und gallige Farbe angenommen. Männer wie Frauen – denn unter ihnen befanden sich auch viele Frauen – schienen in gleicher Weise der Gegenstand der schlimmsten Behandlung gewesen zu sein, allesamt Opfer eines vom Hunger gepeinigten Magens und einer erstickenden Atmosphäre.

Ein halbes Dutzend Frauen in der Nähe der Kajüte gewährte hingegen einen etwas verschiedenartigen Anblick. Dies waren junge, wegen ihrer hervorstechenden Vorzüge persönlicher Reize aus dem großen Haufen ausgewählte Mädchen, und ihre prunkenden, mit der vollkommenen Nacktheit ihrer Reisegenossen im grellsten Widerspruch stehenden Kleider, mit denen ihre Körper geschmückt waren, verrieten sehr deutlich, warum sie so ausgezeichnet worden. Ein abscheuerregender Gegensatz – Eitelkeit und Leichtfertigkeit inmitten des schrecklichsten Jammers!

Auf dem Hinterdeck stand der Sklavenschiffer, ein langer, dünner Mensch von bleicher Farbe, und neben ihm sein Obersteuermann, ein schwarzbärtiger, roh aussehender Strolch, während einige Dutzend Männer vom selben Schlag, nur niedriger im Rang, an verschiedenen Plätzen des Schiffes verteilt waren.

Diese stießen, während sie auf dem Deck hin- und herwanderten, zuweilen schreckliche Flüche aus und waren oft gewalttätig gegen den einen oder anderen ihrer unglückliche Gefangenen, offenbar nur aus bloßer Lust an Grausamkeiten.

Gleich, nachdem der Anker gefallen und die Taue aufgewickelt und an ihren Platz gelegt waren, begann ein neuer Aufzug ekelerregenden Schauspiels. Die lebendigen Ballen, bisher unten zurückbehalten, wurden nun aufs Deck gebracht oder vielmehr getrieben. Nicht alle zugleich sondern in Gruppen von drei und vier. Jeder der den Weg durch die Luken aus dem Unterdeck Heraufkommenden wurde sofort von einem Matrosen ergriffen, der mit einer sanften Bürste in der Hand und einem Eimer zu Füßen dabei stand. Der Eimer enthielt eine schwarze Mischung von Schießpulver, Zitronensaft und Palmenöl. Von dieser Mischung bekam der gänzlich widerstandslose Gefangene einen kleinen Teil, der danach von einem anderen Matrosen mit der Hand eingerieben und mit einer feinen Bürste geglättet wurde, bis die schwarze Hautoberfläche wie ein frisch gewichster Stiefel glänzte.

Für die, welche dies gesehen, ohne die Absicht und den Zweck zu kennen, möchte es allerdings ein höchst befremdendes Bild gewesen zu sein, aber den jetzt Zusehenden war dies keineswegs ein so ungewöhnlicher Anblick, denn es war jedenfalls nicht das erste Mal, dass diese gefühllosen Leute dabei waren, wenn eine Fracht Sklaven für den Markt bereit gemacht wurde!

Einer nach dem anderen wurden diese dunkelhäutigen Opfer menschlicher Habsucht von unten herausgebracht und der Teufelssalbung unterworfen, die sie alle ohne Ausnahme mit vollkommener, gegen alles gleichgültiger Entsagung duldeten, gleich wie Schafe unter der Hand ihrer Scherer.

In den Blicken mancher von ihnen konnte man noch einiges von jener Vorstellungsweise erkennen, die sie in den ersten Stunden ihrer Gefangenschaft gehabt und die sie noch nicht ganz verlassen hatte. Sollte dieses Verfahren nicht das Vorspiel zu einem fürchterlicheren Opfer sein?

Selbst die Frauen wurden von dieser ekelerregenden Entweihung des Ebenbildes Gottes keineswegs ausgeschlossen, und eine nach der anderen ging durch die Hände der Arbeiter unter Begleitung roher Späße und laut schallenden gemeinen Gelächters!