Als E-Book erhältlich

Archive

Jack Lloyd Folge 59

Jack Lloyd – Im Auftrag Ihrer Majestät

Die Geister, die sie riefen

Jack und der Gouverneur hatten sich noch eine Weile über Jacks Pläne für die nächsten Jahre unterhalten. Dabei hatte der Seeräuber keine Möglichkeit ausgelassen, klarzustellen, dass er bereit war, eine gehörige Summe Geld auszugeben, um Caracas wieder zu dem Glanz zu verhelfen, den diese Stadt eigentlich ausstrahlen sollte. Natürlich all das nicht, weil er ein Gutmensch war, sondern weil er sich davon versprach, eine Menge Profit zu erzielen. Der Gouverneur stellte hier und da verschiedene Fragen, die Jack zeigten, dass der Mann ihm nicht nur zuhörte, sondern echtes Interesse an seinen Ideen und Plänen hatte. Und je länger das Gespräch dauerte, desto mehr konnte der junge Kapitän sich tatsächlich vorstellen, der Mann zu sein, der er hier zu sein vorgab. Vielleicht, wenn vor vielen Jahren das Leben anders gespielt hätte … Aber diese Gedankengänge waren müßig. Er hatte hier und heute nur eine Aufgabe: den Gouverneur gewogen zu halten und dafür zu sorgen, dass niemand Verdacht schöpfte. Morgen Abend schon würde alles vorbei sein. Und wenn sie dann im Laufe der Nacht Kurs in Richtung Port Royal setzten, würde Jack es ein zweites Mal hinter sich lassen müssen, das Leben eines spanischen Edelmannes. Als er damals aus Vera Cruz geflohen war, war er so voller Hass auf sein Mutterland gewesen. Dieser hatte sich im Laufe der Jahre gelegt. Doch als die spanische Jagdgaleone die White Swallow angegriffen und seinen Mentor und Kapitän Owen Wills getötet hatte, war dieser Hass zurückgekehrt, brennender und lodernder als jemals zuvor. Aber auch dieses Mal war dieses Gefühl schnell wieder verraucht und bereits auf dem Weg hierher nach Caracas war es weniger Hass auf Spanien als mehr das Streben nach Gewinn, das ihn angetrieben hatte. Aber war er wirklich ein Freibeuter? Ein Mann, der bereit war, für eine gute Prise alles, bis auf seine Mannschaft, zu verraten?

Als Jack und der Gouverneur auseinandergingen, war bereits ein Teil der Gesellschaft gegangen. Elena stand zusammen mit einem Geistlichen im hinteren Bereich der großen Festhalle. Die beiden standen zwar direkt beieinander, schienen sich aber nichts zu sagen zu haben. Elenas Blick schweifte über den kläglichen Rest der Gesellschaft und blieb an Maria de la Vega hängen. Die junge Tochter des Gouverneurs hatte Elena ebenfalls bereits entdeckt. Sie bewegte sich auf die junge Frau zu. Elena seufzte leise und murmelte: »Da kommt sie, die Wurzel allen Übels.«

Joe, denn um niemanden anders handelte es sich bei dem Mann im Priesterkleid, musste schmunzeln.

»Bleib ruhig. Du darfst sie nicht als Konkurrentin betrachten. Bedenke, du bist selbst verlobt.«

Elena schluckte trocken. Sie würde um ein Gespräch nicht herumkommen. Dann, endlich, hatte Maria sie erreicht. Völlig überraschend für Elena umarmte Maria sie herzlich, wie es unter guten Freundinnen oder Verwandten üblich gewesen wäre. Als Maria die Umarmung gelöst hatte und Elena strahlend ansah, kam die Kaufmannstochter zum ersten Mal auf den Gedanken, dass Maria wirklich etwas an Jack liegen könnte, oder an dem Mann, für den sie Jack hielt.

»Ich freue mich sehr, dass Ihr es einrichten konntet, heute Abend hier zu sein.«

»Ich danke für die Einladung, Señorita de la Vega. Señor de Mendoza berichtete mir, dass wir unser heutiges Hiersein Euch zu verdanken haben.«

»Hat Euer Vertrauter Euch auch bereits berichtet, warum er am heutigen Abend hier ist?« Maria sah Elena fragend, aber mit leuchtenden Augen an. Elena war sich nicht sicher, ob da nicht für einen Moment ein Gefühl des Triumphes in Marias Augen aufgeblitzt war. Aber sie musste sich selbst eingestehen, dass da nichts mehr war als pure Freude und Glück.

»Ich habe gehört, dass er Wichtiges mit Euch und dem Gouverneur zu besprechen hat. Er hat sich dabei ein wenig geheimnisvoll gegeben. Aber ich denke, wenn ich ihn und Euch richtig beobachtet habe, dass es sich um eine Herzensangelegenheit handeln könnte.«

Maria errötete leicht, was Elena nun wirklich zum Lächeln brachte. Diese junge Frau, die sie für ein verschlagenes, machtbesessenes und ehrgeiziges junges Frauenzimmer gehalten hatte, war nichts weiter als eine verliebte junge Frau. Den Blick schamhaft zu Boden gewandt, erwiderte Maria: »Wenn es eine Sache seines Herzens ist, dann wäre ich die glücklichste Frau der Welt.«

»Ihr seid wirklich in ihn verliebt, meine Liebe?«

Maria hob den Blick wieder und sah Elena forschend an. Elena meinte zu spüren, wie Maria nachdachte. Sollte sie dieser jungen Frau, die den Mann, der ihr zur Erfüllung einer Vielzahl ihrer Träume verhelfen konnte, in ihre Stadt gebracht hatte, wirklich vertrauen? Offensichtlich entschloss sie sich, es doch zu tun, denn sie nickte vorsichtig und erklärte:

»Ich kenne ihn noch nicht so gut wie Ihr. Aber wenn ich ihn sehe und mit ihm spreche, dann ist es, als wäre er derjenige, auf den ich in den letzten Jahren gewartet hätte.«

Elena nickte lächelnd und erwiderte: »Ich weiß, was ihr meint.«

»Ja, Ihr seid ja auch verlobt. Es muss schlimm sein, den Geliebten in Havanna so weit weg zu wissen.«

»Ich habe eine Nachricht von ihm erhalten, dass er in wenigen Wochen ebenfalls hier eintreffen wird.«

»Wirklich?«, Maria klatschte ausgelassen in die Hände. »Es wird mir eine Freude sein, ihn kennenzulernen. Werdet Ihr ebenfalls hier in Caracas bleiben?«

»Ich denke schon. Das Leben, immer nur auf einem Segelschiff, von Handelshafen zu Handelshafen, ist nicht die Art Dasein, die ich mir für meine Zukunft vorstelle.«

»Es wird diese Stadt bereichern, wenn Ihr bei uns bleibt, Señora Elena.«

»Habt Dank für Eure lieben Worte. Oh seht«, Elena zeigte auf die Flügeltür, durch die Jack verschwunden war. »Dort kommt der Mann Eures Herzens. Und seinem Gesichtsausdruck nach zu urteilen, hat er gute Neuigkeiten.«

»Wollen wir es hoffen. Ihr entschuldigt mich?«

Elena nickte Maria aufmunternd zu. Dann drehte die junge Frau sich um und ging Jack entgegen, der gerade den Saal betreten hatte.

Joe, der die ganze Zeit hinter Elena gestanden hatte, konnte sich ein leises Lachen nicht mehr verkneifen.

»Was ist daran so lächerlich?«, fragte Elena mit einem Anflug von Wut in der Stimme.

»Alles, Käpt´n. Einfach alles. Ihr habt Eure Sache ausgezeichnet gemacht, und Jack offensichtlich auch. Hoffen wir nur, dass er nicht genauso verliebt ist wie sie.«

»Wir brechen ihr das Herz. Und wer weiß, was in dieser Nacht vorgefallen ist, als Jack und sie zusammen waren. Vielleicht rauben wir ihr auch noch die Ehre.«

»Mit Sicherheit beides, Käpt´n«, antwortete Joe leichthin. Wütend drehte Elena sich zu ihm um.

»Und das lässt Euch völlig kalt? Sie ist ein Mensch, mit Gefühlen wie wir.«

»Das ist wahr. Aber das sind die Männer und Frauen, die von den Spaniern versklavt werden, um in ihren Mienen und auf ihren Feldern zu arbeiten, auch. Und wer kümmert sich um diese?«
Elena wandte den Blick wieder nach vorn und betrachtete Maria, die Jack mittlerweile erreicht hatte und in ein Gespräch mit ihm vertieft schien.

»Es könnte gefährlich werden, eine Frau wie Maria auf diese Art zu reizen.«

»Dann hoffen wir, dass wir weit weg sind, wenn sie bemerkt, was ihr wiederfahren ist.«

»Beten wir, dass das reicht«, murmelte Elena und hielt den Blick auf Maria gerichtet. Sie hätte nicht gedacht, dass Maria in Jack mehr sah als nur die Chance, am königlichen Hof Beachtung zu finden. Der Umstand, dass die Spanierin sich wirklich in den Freibeuter verliebt hatte, machte ihr Sorgen. Sie wusste nur eines: Wenn sie auf diese Art betrogen werden würde, würde sie nicht ruhen, ehe der Mann, dem sie das zu verdanken hatte, nicht zur Strecke gebracht worden wäre. Sie konnte nur hoffen, dass Maria aus anderem Holz geschnitzt war.

Fortsetzung folgt …

Copyright © 2011 by Johann Peters