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Der Mythos Tempelritter – Teil 3.3

Einst waren sie im Hochmittelalter die mächtigste Organisation auf Gottes Erden. Sie waren führend im Bankwesen, sie besaßen die größte Flotte des Abendlandes. Zeugen ihrer schier übermächtigen Größe und ihres Reichtums findet man noch heute: Der Newport Tower in Newport, Rhode Island, der als Leuchtturm der Templer gilt; Santa Mariá de Eunate in Spanien, welche die Templer nach dem Vorbild der Grabeskirche in Jerusalem erbauten; Temple Church in London, die den Templern als englisches Hauptquartier diente; die Klagemauer sowie der Tempelberg in Jerusalem, wobei aufgrund der derzeitigen religiösen und politischen Auseinandersetzungen zwischen Israel und Palästina es dort unmöglich erscheint, umfangreiche Ausgrabungen durchführen zu können. Die Liste der noch existierenden zeitgenössischen Sachzeugen und Bauwerke ist groß und würde den hiesigen Rahmen sprengen.
Wer waren die Templer? Wie waren sie organisiert? Wer waren ihre Führer? Gingen die geheimnisvollen Templer am Freitag, den 13. Oktober 1307 tatsächlich unter? Oder gibt es heute noch Nachfahren der Templer? Fragen über Fragen.
In einer losen Folge möchte ich versuchen, den Mythos der Tempelritter ein wenig zu beleuchten.


Die Großmeister des Tempelordens


Everard des Barres 1147 – 1149

Everard des Barres, ein geborener Franzose, seit 1143 Meister von Frankreich, wurde kurz vor dem Angriff gegen Damaskus, also unter dem größten Waffenlärm, zum Großmeister erwählt. Er war noch nicht lange im Heiligen Land, deshalb könnte seine Wahl auffallen. Allein als Meister von Frankreich gehörte er bereits den Großwürdenträgern des Ordens, folglich auch dem Konvent oder Ordensrat an, zu welchem eben alle Großwürdenträger zählten, und welcher sich stets, außer den Provinzialmeistern und Generalvisitatoren in Syrien um den Großmeister befand, dessen Wahl jenem Ordensrat zustand. Darüber hinaus war Everard ein Liebling des heiligen Bernhard, erfreute sich der persönlichen Teilnahme des Papstes wie des Vertrauens der beiden Könige Konrad und Ludwig. Es konnte also nicht fehlen, dass der Orden einen so angesehenen, würdigen und tüchtigen Mann sich zu seinem Oberhaupt erkor, der in den vorliegenden Zuständen dem Orden vieles nützen konnte, obgleich Letzterer bereits eine andere Richtung einzuschlagen begann, indem er dem Geist der Selbstsucht und des Hochmuts Einzug gestattete und die frühere Lauterkeit und Einfachheit des Strebens zu schwinden anfing, sodass die syrischen Templer bereits entarteten, die abendländischen jedoch, wie zum Beispiel Everard, noch voll des bernhardischen Geistes waren und sich so zwischen dem Geist des Großmeisters und dem des Konvents eine Divergenz zeigte, durch welche Everard sich seine neue Würde bald verleidet sähe. Der Konvent wählte ihn, damit das geschehen könnte, was der Orden beabsichtigte, nämlich die mächtigen Könige des Abendlandes in seinem und der mit ihm verbündeten syrischen Barone Interesse zu benutzen. Darum zog man vor Damaskus.

Am 25. Juli zog das stattliche Christenheer in die reizvolle Ebene jener Stadt. Im Westen stieg das Land allmählich in Richtung Libanon an, auf einige Meilen hin war es mit dichtem Gebüsch bewachsen. Im Osten schützte der Fluss Barrady die doppelten, turmreichen Mauern der Stadt. Viele Kanäle bewässerten die bezaubernde, mit Baum-, Lust- und Weingärten durchzogene Gegend, welche von Gräben, Erdwällen und dichten Hecken eingeschlossen, mit Häusern und Türmen versehen war. Zwischen den Hecken führten versteckte und sich schlängelnde Feldwege zur Stadt. Diese ganze Gegend hatte der Feind stark besetzt. Die abendländischen Fürsten und Ritter zogen mit regem Eifer zur Eroberung dieser großen, reichen, schönen und festen Stadt aus, nicht so Fürst Raimund, Graf Joscelin II., Graf von Tripolis und deren Anhänger. Überhaupt sah die syrische Ritterschaft in den abendländischen Pilgern Leute, die ihnen ihre Besitzungen schmälern, ihnen Kriege und Unruhen zuziehen, ihre herrsch- und genusssüchtigen Pläne durchkreuzen wollten. Deshalb war sie diesem Vormarsch abgeneigt und wünschte von Herzen das Misslingen der Unternehmung, teils um bald wieder Waffenruhe zu bekommen, teils um die Abendländer los zu werden. Fürst Raimund hasste besonders König Ludwig und erregte bei der syrischen Ritterschaft Argwohn gegen ihn.

Der türkische Befehlshaber von Damaskus, Muineddin Anar, ein tüchtiger Krieger und umsichtiger Mann, hatte exzellente Vorkehrungen zur Verteidigung getroffen. Alle Fruchthaine, Gärten, Gebüsche, Gänge, Gartenhäuser und Mauern waren zur Verteidigung bestens benutzt. Die Gartenschlösser, Lusthäuser, Mauertürme starrten von Bogenschützen, hinter jeder Gartenmauer standen Lanzenträger, alle Brunnen und Wassergräben waren verschüttet, alle Lebensmittel in der Umgegend beseitigt. Im Kriegsrat von Paneas hatten die christlichen Fürsten beschlossen, Damaskus von der Westseite zu belagern, weil dort die fruchtbarste Umgebung war, wo das Heer in den vielen Gärten und im Fluss Barrady Nahrung fand. Demnach drangen die Christen in diese Gärten ein und vertrieben die Türken. Zwar setzten sich diese unter Muineddin Anars Führung zur Wehr, und Emir Ejub, Vater des großen Saladin, leistete bei Arrabua mit den damaszenischen Kerntruppen der Miliz des Reiches Jerusalem, welches in der vordersten Reihe kämpfte, erbitterten Widerstand, dass alle Anstrengungen, ihn zu vertreiben, vergeblich schienen. Aber als König Konrad mit seiner Ritterschaft absaß und aus dem hintersten Treffen mitten durch die französischen Scharen zu Fuß stürmte, mussten die Sarazenen diesem Andrang weichen. Konrad hieb mit eigener Faust einem Ungläubigen den Kopf zugleich mit der linken Schulter und dem linken Arme in einem Riesenhieb ab. Das christliche Heer lagerte in den Lusthainen nahe der Stadtmauer, in welcher die größte Fassungslosigkeit herrschte. Hätten die Christen mit gleichem Eifer ihren Angriff fortgesetzt, sie hätten die Stadt genommen, so aber lähmte Neid, Zwietracht und Verrat ihre Kraft. Denn die syrischen Adligen wussten, dass beide Könige die eroberte Stadt dem Grafen Dietrich von Flandern, welcher der geeignetste Mann schien, sie vor den Ungläubigen zu schützen, versprochen hatten. Darüber waren nicht nur jene Adlige, sondern auch die Templer, welche Damaskus gern selbst übernommen hätten und deshalb Everard des Barres zum Großmeister gewählt hatten, sehr aufgebracht.

Als die Sarazenen die Untätigkeit der Christen wahrnahmen, fassten sie wieder Mut. Muineddin Anar begehrte nicht die bevorstehende Hilfe des Fürsten von Mosul, Saifeddin, Nureddins Bruder. Deshalb sandte er Boten zu den beiden Königen mit der Nachricht von Saifeddins Anrücken, in der Meinung, sie würden dadurch zum Abzug bewogen werden und er so jene Hilfe ablehnen können. Allein die Könige wollten einen übereilten Rückzug im Angesicht so zahlreicher Feinde nicht wagen, sondern lieber den Kampf fortsetzen. In seiner Verlegenheit wandte sich Muineddin Anar an einige syrische Adlige, besonders an die Templer, da die Könige jenen nicht, am wenigsten dem Fürsten Raimund, Gehör gaben. Die Templer, ohne Wissen des Großmeisters und des bereits alles leitende Konvents, und mit ihnen mehrere der angesehensten syrischen Barone kamen dem Muineddin Anar aus Neid gegen den Grafen Dietrich gern entgegen, als er ihnen bedeutende Geldsummen bot, wenn sie das christliche Heer zum Rückzug bewegen könnten. Da die Templer den größten Einfluss auf die beiden Könige ausübten, indem diese aus König Balduin seiner Jugend wegen, auf den Fürsten Raimund, Grafen Joscelin II. und den Grafen von Tripolis aus Argwohn gewiss nicht achteten, so folgten sie deren verräterischen Ratschlägen, verließen ihr festes Lager, wo es ihnen weder an Lebensmitteln noch an Wasser mangelte und zogen zu einer anderen Seite der Stadt, welche ohne wasser, unfruchtbar und sehr gut befestigt war. Dies hatten die Verräter Muineddin Anar versprochen. Jene verlockten die Könige durch den guten Schein, den sie sich zu geben wussten, im Heer aber war durch die Untätigkeit, durch die Nachricht über eine beträchtliche Verstärkung des Feindes sowie durch die Beeinflussung der bestochenen Verräter Missstimmung entstand. Man zog von der teuer erkauften Westseite nach der unfruchtbaren und wohlbefestigten Süd- und Ostseite, wo die Erhaltung des Heeres und die Einnahme der Stadt unmöglich waren. Die beiden Könige erkannten nur zu gut, dass sie betrogen worden, gern hätten sie die Westseite wieder gewonnen, aber die Damaszener hatten diese stark befestigt und besetzt, sodass ihre Wiederbesetzung unmöglich war. Die von Muineddin Anar erkauften Verräter erreichten ihren Zweck, dem Heer blieb nur ein entwürdigender Rückzug übrig. Doch wurden jene belohnt, wie sie es verdienten, denn Muineddin Anar gab ihnen falsche Goldstücke, bei denen Kupfer mit ägyptischem Gold leicht überzogen war.

Die beiden Könige gedachten nun Askalon zu belagern, aber die Treulosigkeit und Falschheit der syrischen Barone, welche die beiden abendländischen Könige gern los sein wollten, wusste auch diesen Feldzug zu vereiteln. Darum kehrte König Konrad, solches verräterischen Landes überdrüssig, in seine Heimat zurück und feierte 1149 zu Salzburg mit den angesehensten Fürsten des Deutschen Reiches das Pfingstfest nach alter glanzvoller Weise. König Ludwig blieb zwar noch länger in Jerusalem, aber ohne mit den verräterischen syrischen Adligen Umgang zu pflegen. Als er nach Frankreich zurückkam, verstieß er seine untreue Gemahlin Eleonore, ein Schritt, welcher lange und blutige Kriege zwischen Frankreich und England verursachte.

König Balduin war mit dem Verfahren der Templer wohl zufrieden, er schenkte ihnen das Städtchen Jadres, drei Stunden von Jaset gelegen. Nachdem das fast ganz verfallene Gaza wieder aufgebaut worden war, erbaute man auf einem nahegelegenen Hügel eine starke Burg, welche ebenfalls der erprobten Tapferkeit der Tempelritter anvertraut wurden, denn je mehr Burgen sie im Lande besaßen, desto leichter vermochten sie dieses gegen die Ungläubigen zu schützen.

Die Ereignisse vor Damaskus mussten jedes rechtliche und wahrheitsliebende Gemüt gegen die syrische und templerische Ritterschaft einnehmen. Großmeister Everard zürnte daher sehr mit seinem Konvent. Ein solches Benehmen bei einer zum Wohle des Reiches Jerusalem vorteilhaften Unternehmung missfiel ihm in hohem Maße und vergällte ihm seine hohe Stellung im Orden. Er hatte im heiligen Land genug gesehen, um zu der Erfahrung zu gelangen, Aufrichtigkeit, Treue und Recht sei nicht Sache der Pullanen und syrischen Templer. Auch der Konvent, der Mittelpunkt und Leiter des Ordens, sei bereits entartet und nicht mehr das, was der Okzident und besonders der heilige Bernhard von ihm halte und was ihm selbst die großmeisterliche Würde als etwas Außerordentliches hatte erscheinen lassen. Er fühlte, dass ihm diese Stellung ferner nicht zusagte, dass er mit einem solchen Konvent nichts nach seinem Sinn unternehmen könne. Er bereute, sowohl das Haupt des Ordens als auch dessen Mitglied zu sein und kehrte gern mit König Ludwig, dessen Achtung er als ein Schuldloser nicht verloren hatte, nach Frankreich zurück, begab sich zu seinem Gönner und Freund Bernhard nach Clairvaux, berichtete diesem von dem Gang jener Ereignisse und entsagte mit seiner Beistimmung dem Großmeistertum, trat aus dem Orden und ging, wie es die Statuten der Templer erforderten, in den der Zisterzienser, und zwar in die Abtei von Clairvaux. Der Austritt Everards bezeugte dessen Unschuld und des Konvents Schuld.

Die Templer in Frankreich sahen dieses Ausscheiden Everards nicht gern und bedrängten ihn, seinen Entschluss rückgängig zu machen. Dem Konvent dagegen war es, nachdem die beiden Könige Palästina verlassen und ihnen Everard weniger Vorteil verschaffen konnte, ganz recht, dass der Großmeister sein Amt niederlegte, denn Everard beharrte auf seinem Entschluss. In Clairvaux lebte er still in Ausübung aller klösterlichen Pflichten, in denen der Glaube der damaligen katholischen Welt sich den Himmel zu verdienen wähnte. Er war nicht auf irdische Ehre aus, sondern fand vielmehr in der Erfüllung weniger glänzenden Pflichten Befriedigung seiner frommen Wünsche. Da er erst am 23. November 1174 starb, lebte er lange genug, um aus den nachfolgenden Ereignissen im Tempelorden immer mehr die feste Überzeugung zu gewinnen, dass er die Niederlegung des Großmeistertums nicht zu bereuen habe, da der bernhardinische Geist immer mehr von den Tempelbrüdern wich.

Bevor Everard Syrien verließ, hatte er in der Person des Ritters Hugo Jofre einen Großkomtur oder einstweiligen Vizegroßmeister eingesetzt, welche Würde allemal einem angesehenen Mitglied des Konvents verliehen wurde, wenn der Großmeister auf längere Zeit vom Hauptsitz des Ordens, vielleicht auf einer Visitationsreise über das Meer abwesend, in Gefangenschaft geraten oder gestorben war. Während jeder Sedisvakanz war der Großkomtur Haupt des Ordens. Da König Ludwig erst nach Ostern 1149 das Gelobte Land verließ, kam auch Everard erst nach der Mitte des Jahres oder gegen Michaelis in Frankreich an. Bevor die Botschaft seine Resignation betreffend in Jerusalem eintraf, um so mehr, da dem heiligen Bernhard der Fall zur Erwägung vorgelegt wurde, auch der Konvent schwankte, was zu tun sei, so mochte über das Hin- und Herschicken mehr als ein Jahr vergangen sein, noch dazu, da der durch das gänzliche Misslingen des Kreuzzuges tief betrübte Bernhard es nicht an einem Strafschreiben an den Konvent fehlen ließ und hierdurch die unbehagliche Stellung des Letzteren zu Bernhard, Everard, König Ludwig, so dem ganzen Okzident noch vermehrt wurde, auch der Großmeister Everard noch lebte. Während dieser Zeit leitete Hugo als Großkomtur die Angelegenheiten des Ordens.

Vergeblich versuchten Bernhard und der Abt Suger einen neuen Kreuzzug zustande zu bringen. Letzterer beschloss endlich  allein mit einer von ihm ausgerüsteten Schar nach Palästina gegen die Heiden zu ziehen. Er sandte zu diesem Zweck insgeheim große aus seiner Abtei ersparte Summen von Paris aus durch die Tempelherren nach Jerusalem, um damit das von ihm angeführte Heer zu erhalten, allein er starb am 13. Januar 1152, bevor er seinen Vorsatz ausführen konnte. Wozu aber jene Summen später verwendet worden sind, lässt sich nicht mehr recherchieren. Der unglückliche Ausgang des vorhergehenden, vielverheißenden großen Kreuzzugs ließ ahnen, dass die christliche Herrschaft in Syrien nicht auf die Dauer gegründet sei. Die Kühnheit und Macht der Türken stieg immer mehr, Unglück auf Unglück traf das Reich Jerusalem, die Pullanen fürchteten das von ihnen verschuldete Strafgericht Gottes. Schon am 29. Juni 1149 war Fürst Raimund von Antiochien mit vielen tapferen Streitern im Kampf gegen den siegreichen Nureddin, welcher viele christliche Besitzungen unter seine Gewalt brachte, gefallen. Am 3. Mai 1150 geriet Graf Joscelin II. von Edessa in türkische Gefangenschaft, in welcher er 1158 starb. Trotzdem hielten die syrischen Fürsten nicht zusammen, obgleich König Balduin sich stets als ein unverdrossener, tapferer, rechtlicher, kenntnisreicher und in jeder Hinsicht tüchtiger Fürst bewies. Allein bei seiner geringen Macht konnte er nicht verhindern, dass die Grafschaft Edessa in Nureddins Hände fiel.