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Robert der Teufel – Kapitel 6

Robert der Teufel und die höllischen Fanghunde
Eine schauderhafte Teufels-, Hexen-, Räuber- und Mördergeschichte um 1860

Kapitel 6 – Prinzessin Irmengard

Auf einer mit Blumen übersäten Wiese zwischen dem Strand des Meeres und dem waldigen Hohlweg, der zu einem, auf einer Anhöhe gelegenen Lustschloss des Königs von Provence führte, vergnügte sich an einem sonnigen Abend die tugendhafte und bezaubernd schöne Königstochter Irmengard, von vier Gespielinnen umgeben, mit Ballspielen, worin sie sehr begabt war. Sie konnte herzlich lachen, so oft der Ball, von einem dieser Fräuleins geworfen, sie nicht traf, und die Werferin dann neugierig schaute, ob es ihrer Nachbarin nicht ebenso erging.

»Ihr werdet sehen«, sagte die Prinzessin während einer Ruhepause, »dass mir heute noch etwas Unangenehmes begegnet, da ich so fröhlich gestimmt bin. Denn das Leid steht der Lust sehr nahe. Niemand weiß, was ihm der nächste Augenblick bringt. Aber deshalb muss man sich keine Sorgen machen, sondern nur fest auf Gott vertrauen, der alles zu unserem Besten lenkt.«

Die Damen pflückten schöne Blumen, wanden Kränze, und hingen diese an die Büsche am Rande der Wiese. Dann setzten sie das Ballspiel fort. Da schnellte eine von den Damen den Ball in Richtung der Prinzessin so hoch und weit, dass diese, immer aufwärts schauend, schnell in Richtung des Hohlweges laufen musste, um den sinkenden Ball noch in der Luft zu erreichen und zurückzuwerfen.

Plötzlich hörte sie hinter sich ein durchdringendes Geschrei ihr Gefährtinnen. Bestürzt schaute sie sich um, sah sie die Hände ringen, vorwärts deuten und hörte sie dabei fortwährend laut rufen: »Hilfe! Hilfe!«

Die Prinzessin konnte die Ursache dieser schnellen und ängstlichen Flucht ihrer Damen nicht begreifen und blieb stehen. Da hörte sie hinter sich ein heiseres Schnauben immer näher kommen, wendete den Kopf und erblickte mit Schrecken einen großen, grimmigen Wolf, der mit offenem Rachen, die Zähne fletschend, mit herausragender gekrümmter, blutroter Zunge, vom Hohlweg her auf sie zusprang. Sie konnte nicht fliehen. Die Angst lähmte ihre Füße, es wäre auch gar nicht möglich gewesen, denn der Wolf, kaum mehr 40 Schritte von ihr entfernt, würde sie bald eingeholt und zerrissen haben. Sie blieb also ruhig stehen, faltete ihre zarten Hände und flehte andächtig: »Mein Gott, steh mir bei!«

In diesem Augenblick hörte sie eine Armbrust knacken und einen Bolzen schwirren, der dem Ungetüm mitten durch das Herz fuhr, dass es zu Boden stürzte und nach wenigen Zuckungen verendete. Mit Freudentränen in den Augen dankte die Prinzessin Gott für ihre wunderbare Rettung, kniete mit den vier Fräuleins, die blass und atemlos herbeikamen, auf den Boden und verrichtete mit ihnen voller Andacht ihr Dankgebet. Dann erhob sie sich mit den Damen, schaute verwundert ringsumher und sagte: »Ich möchte doch wissen, wer mich gerettet hat, um meinem Retter gebührend zu danken und meinen königlichen Vater um eine Belohnung für ihn bitten zu können.«

Kaum hatte sie diese Worte gesprochen, als seitlich vom Hohlweg ein Ritter aus dem Wald trat, mit einem prächtigen arabischen Schimmel, dessen Zügel er um seinen linken Arm geschlungen hatte, leicht gerüstet, mit Lanze, Schild und Schwert, eine Armbrust über der Schulter. Der Bolzenköcher hing am Sattel. Er war ein schöner, schlanker Jüngling von 22 bis 23 Jahren, mit dunkelblonden Haaren, großen blauen Augen, sanft gebogener Nase und einer offenen, freundlichen, alle Herzen gewinnenden Miene.

Mit freudigem Erstaunen sah ihn die Prinzessin näherkommen und blieb mit ihren Gespielinnen stehen, um ihn würdig zu empfangen.

In einer Entfernung von drei Schritten verbeugte sich der Ritter voller Anstand und sprach mit einer süßen und wohlklingenden Stimme: »Edle Damen! Ich kann Gott nicht genug danken, dass er mich Unwürdigen dazu auserkoren hat, durch einen glücklichen Schuss Euch das Leben zu retten.«

»Ich finde nicht genug Worte, edler Ritter, meinen Dank für meine Rettung auszudrücken. Wie kann ich Euch dafür belohnen?«

»Durch die Gewährung der inständigen Bitte, mich in Euer andächtiges Gebet einzuschließen.«

Diese Bescheidenheit und Frömmigkeit des unbekannten Retters gewann ihm die herzliche Neigung der Prinzessin, welche so viele andere Ritter oft nur mit erlogenen Heldentaten prahlen hörte. Auch gefiel es ihr ganz besonders gut, dass er nicht ihre Schönheit rühmte, was wohl jeder andere Ritter an seiner Stelle getan hätte, indem sie hieraus erkannte, dass er ihr in seinem Innern wohl einen viel höheren Wert zutraue, als die vergängliche irdische Schönheit.

»Darf ich Euch um Euren Namen bitten, edler Ritter?«

»Ich bin Florestan, Ritter vom heiligen Grab, komme aus dem Gelobten Land zurück, um in Frankreich Kriegsdienste zu suchen, und habe ein Empfehlungsschreiben bei mir von Adelard, dem Patriarchen von Jerusalem, an den König von Provence.«

»Also an meinen Vater?«

»Wie? Ihr seid die Prinzessin …«

»Irmengard, die einzige Tochter des Königs von Provence.«

»So empfangt meine ehrerbietigste Huldigung, königliche Prinzessin! Wie wenig auch dieser Ort sich dazu eignen mag, obgleich Ihr unter diesen schönen Blumen eine dem Himmel entschwebte Lilie mir zu sein scheint, als ich Euch im Dankgebet zwischen ihnen knien sah.«

Die Prinzessin errötete, freute sich aber innerlich über dieses zarte und sinnige Lob.

»Ich will Euch nun, nebst meinen Damen, zu meinem Vater, dem König, geleiten, Ritter Florestan, Euch als meinen Retter vorstellen und so persönlich zur besten Wirkung des Empfehlungsschreibens beitragen, das Ihr meinem Vater zu überreichen gedenkt.«

Und die Prinzessin ging mit den Damen und dem Ritter durch den Hohlweg in das Lustschloss hinauf. Der König und die Königin empfingen den Lebensretter ihrer Tochter auf die herzlichste Weise und luden ihn ein, solange es ihm beliebe, als werter Gast am Hof zu verweilen. Florestan überreichte dem König das Empfehlungsschreiben des Patriarchen von Jerusalem.

»Es freut mich sehr«, sagte der König, indem er das Schreiben entfaltete, »dass mein lieber Freund Adelard, dieser heilige Mann, meiner gedenkt.« Der Inhalt lautete wie folgt.

»Großmächtigster König!

Mein lieber Freund in Christo dem Herrn!

Ich grüße und segne Dich! Deinem königlichen Wohlwollen empfehle ich inständig den Überbringer dieses Briefes, Florestan, Ritter vom heiligen Grab, einen ebenso tugendhaften als tapferen Jüngling, der wunderbare Siege über die Ungläubigen erfochten und zugleich als ein geschickter Kriegsmeister den größten Ruhm sich erworben hat. Er will Kriegsdienste in Frankreich suchen. Sein Schwert ist alles, was er besitzt an irdischen Gütern. Aber er zieht es nur immer für Gott und die gerechte Sache und bleibt immer Sieger durch die Gnade Gottes. In der nächsten Woche reise ich von Jerusalem ab und begebe mich nach Paris, um mit dem König daselbst in wichtigen Angelegenheiten des Gelobten Landes zu sprechen. Auf meinem Weg dahin werde ich dich besuchen und einige Tage bei dir bleiben, wenn ich mit des Himmels Beistand glücklich in Toulon landen werde. Gott sei mit dir und deinem ganzen Hause!

Adelard,

Patriarch von Jerusalem.

Der König nickte dem Ritter Florestan freundlich zu, gab den Brief der Königin, damit sie ihn lese, und sprach: »Nur aus Achtung vor Eurer Bescheidenheit, edler Ritter! Die ihr mit Euren übrigen Vorzügen vereinigt, hab ich den Brief nicht laut vorgelesen, der voll Eures Lobes ist. Mit wahrer Herzensfreude las ich darin die Nachricht, dass mein Freund Adelard mich demnächst auf seiner Durchreise besuchen wird. Auch war es für mich ein großer Trost, eure Kriegskenntnisse von ihm angerühmt zu finden. Denn ich bin zurzeit in einer sehr bedrängten Lage.«

»Wodurch?«, fragte Florestan mit allen Zeichen der innigsten Teilnahme.

»Der mächtige Herzog von Languedoc, dem ich die Hand meiner Tochter Irmengard, meines einzigen Kindes, versagte, weil ich erfuhr, dass er ein sündhaftes Leben führt, und nur mein Königreich an sich reißen will, ist mit einem überlegenen Heer in mein Land eingefallen, verwüstet es mit Feuer und Schwert und hat schon drei große Siege über die Meinen erfochten, die dadurch um so mehr entmutigt wurden, als vorgestern mein tapferer Oberfeldherr in der Schlacht sein Leben verlor. Im Vertrauen auf die Empfehlung meines Freundes Adelard ernenne ich Euch, Ritter Florestan, zum Oberfeldherrn meines Heeres, dem ich Euch morgen persönlich vorstellen werde.

Florestan war ganz bestürzt und antwortete nach einer tiefen Verbeugung: »Allergnädigster König! Ich danke Euch für dieses allzu gütige Vertrauen. Ich würde mich glücklich geschätzt haben, als einfacher Ritter für Euch zu kämpfen, aber diese hohe Würde wag ich nur anzunehmen, wenn Ihr mir erlaubt, eine Ansprache an das Heer nach meinem Gutdünken zu halten.«

Der König gewährte diese Bitte.

Nach der königlichen Abendtafel, zu welcher Florestan geladen war, welcher der Prinzessin Irmengard gegenübersaß, spielte ein junger Hofkavalier die Laute und sang dazu ein sittsames Minnelied. Dann reichte er die Laute dem Ritter Florestan in der Absicht, ihn dadurch in Verlegenheit zu bringen. Aber Florestan nahm die Laute, griff meisterhaft in ihre Saiten und sang mit einer wunderschönen Stimme ein Loblied der Heiligen Jungfrau Maria, das allgemeinen Zuspruch fand, und das Herz der Prinzessin gewann. Dringend ersucht, noch ein Lied vorzutragen, besang er, aus dem Steggreif dichtend, die Rettung des Vaterlandes, Sieg oder Tod für Gott, dem König und die Ehre. Er sang mit einer Begeisterung, die alle Herzen erschütterte, und alle Augen der Anwesenden mit Tränen füllte. Der König umarmte ihn, die Königin und Irmengard reichten ihm die Hand.

Am folgenden Tag wurde Florestan im Lager des Königs seinem Heer als neuer Oberfeldherr vorgestellt. Da gab es hingegen viele verdrießliche Gesichter. Von seinem Ross herab hielt Florestan mit kräftiger, weithin schallender Stimme, folgende Ansprache.

»Tapfere Krieger! Euer allergnädigster König hat mich, wie ihr so eben vernommen, zu euerm Oberfeldherrn ernannt. Mit Gottes Hilfe werden wir den übermütigen Feind schlagen. Ich will an eurer Spitze kämpfen, und nicht eher das Schwert in die Scheide stecken, bis kein Feind mehr den Boden eures Vaterlandes entweiht. Sobald dieses Ziel erreicht ist, leg ich meine Stelle als Oberfeldherr wieder in die Hände des Königs, damit er sie dem Würdigsten unter euren höheren Befehlshabern verleihen möge!«

Das ganze Heer jauchzte dem neuen obersten Führer Beifall zu, und die verstimmten Gesichter hellten sich auf. Florestan durchritt alle Stellungen und Vorposten mit dem König, der sodann in sein Schloss zurückkehrte. Noch zur selben Stunde traf Florestan alle zu einer Hauptschlacht nötigen Vorkehrungen, die unaufhaltsam war. Vor dem Beginn der Schlacht betete er mit seinem ganzen Heer auf den Knien. Dann ließ er zum Angriff blasen und erfocht den ruhmvollsten Sieg, der mit der vollständigen Niederlage des Feindes endete. Mitten im Schlachtgewühl kämpfte er Mann gegen Mann mit dem Herzog von Languedoc, den er mit eigener Hand gefangen nahm. Das ganze feindliche Lager mit einer unermesslichen Beute fiel in die Hände der Sieger.

»Tötet mich«, rief der Herzog, »nur führt mich nicht im Triumph in die Hauptstadt!« »Keines von beiden«, erwiderte Florestan, »gelobt mit herzoglichem Wort und Handschlag, alle Kriegskosten zu bezahlen, alle durch Eure Krieger veranlassten Schäden zu vergüten, alle Gefangene freizugeben ohne Lösegeld, und nie wieder einen Angriffskrieg gegen den König von Provence zu unternehmen, dann möget Ihr, vorbehaltlich der Genehmigung des Königs, an den ich sogleich einen der höheren Befehlshaber als Eilboten senden werde, ungehindert und ohne Lösegeld in Euer Herzogtum zurückkehren.«

Der Herzog willigte in alles ein und rückte vom Schlachtfeld ab, als noch am gleichen Tag nachmittags die Genehmigung des Königs eintraf, mit großem Danke von Florestan, welcher das siegreiche Heer im Lager ausruhen, herrlich bewirten, übernachten und am anderen Tag durch den Ältesten der höheren Befehlshaber feierlich in die Residenzstadt geleiten ließ. Er selbst begab sich allein auf einem ganz anderen Weg dahin und sogleich in ein kleines, abgelegenes Kirchlein, um vor allem Gott zu danken für den gnädig verliehenen Sieg. Sein Empfang am Hof war ein eben so festlicher, als herzlicher. Die Prinzessin Irmengard wand, nach Anordnung ihres königlichen Vaters, in Gegenwart des ganzen Hofes einen Lorbeerkranz um seine Schläfen. Wie er es bereits vorher gesagt hatte, legte er die Stelle eines Oberfeldherrn nieder, um dem Neid vorzubeugen.

»Eure Belohnung will ich mir vorbehalten, Ritter Florestan!«, sagte der König, »sie soll Eurer mir geleisteten Dienste und meines Dankes würdig sein. Bleibt inzwischen mein vertrauter Freund!«

Die Siegesfestlichkeiten am Hofe dauerten vierzehn Tage lang und wurden zuletzt durch die freudenvolle Ankunft des Patriarchen von Jerusalem gekrönt.