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Der Marone – Eine Zucker-Plantage auf Jamaika

Thomas Mayne Reid
Der Marone – Erstes Buch
Kapitel 1
Eine Zucker-Plantage auf Jamaika

Eine Zuckerplantage, und zwar eine der schönsten im Land der Quellen, ist das Gut Willkommenberg. Es liegt etwas weiter als anderthalb Meilen von der Montego Bay entfernt in einem breiten Tal zwischen zwei Bergrücken. Diese ziehen sich länger als eine Viertelmeile parallel nebeneinander hin, wachsen allmählich in die Höhe und laufen zuletzt zu einer Krümmung zusammen. An diesem Punkt erhebt sich plötzlich ein wirklicher Hügel, der ganz wohl den Namen verdient, wie er auf dem Gut genannt wird – Der Berg.

Beide Höhenzüge sind fast bis zum Fuß des Tales bewaldet, und die Wälder, die größtenteils aus glänzenden Pimentbäumen bestehen, enden auf beiden Seiten in Schattengängen und niedrigen Buschgruppen, die sich über einen parkähnlichen Rasen erstrecken.

Das »große Haus« oder in der Sklavensprache das »Buff« des Guts Willkommenberg selbst liegt am Fuß des Berges, gerade am Vereinigungspunkt der beiden Höhenzüge, wo eine natürliche, einige Fuß über den Grund des Tals erhobene Platte oder Terrasse dem Erbauer eine höchst bequeme und anmutige Lage boten.

Architektonisch unterschied es sich nicht sehr von anderen Häusern dieser Art und ganz in derselben Weise wie das wohlbekannte Pflanzerhaus in Ostindien. Ein Stockwerk, natürlich das untere, ist von starkem Mauerwerk, das zweite und einzige andere ist einfach ein hölzernes, auf das Mauerwerk errichtetes und mit amerikanischen Schindeln gedecktes Balkenhaus.

Die Seiten- und Endmauern dieses zweiten Stockwerkes können kaum Mauern genannt werden, da der größte Teil davon aus einer Reihe von venezianischen Fensterläden, den Jalousien Jamaikas besteht. Diese verleihen dem Haus ein vogelbauerartiges Ansehen, während sie bedeutend zu seiner Kühlung beitragen, allerdings eine Sache von höchster Wichtigkeit in einem tropischen Klima.

Außen führt in der Mitte der Vorderseite eine breite, steinerne, auf gemauerten Bogen ruhende und mit starkem eisernen Gitter eingeschlossene Treppe ins zweite Geschoss, das eigentliche Wohnhaus, da das Erdgeschoss gänzlich aus Vorratskammern, Magazinen und anderen Nutzräumen besteht.

Die Eingangstür am oberen Ende der großen Treppe führt unmittelbar in die »Halle«, ein geräumiges Gemach in kreuzförmiger Gestalt, das mitten durch das ganze Gebäude von einer Seite zur anderen und von einem Ende zum anderen läuft. Der durch die offenen Jalousien hereindringende und dies Gemach beständig durchfließende Luftstrom macht es jederzeit angenehm kühl, und die Gitter der Fenster dienen, um die übermäßige Lichtfülle abzuschwächen, die unter tropischem Himmel fast eben so unangenehm ist wie die Hitze. Der Fußboden, ganz ohne Teppich, aber aus den härtesten inländischen Holzarten zusammengesetzt und täglich poliert, trägt wesentlich zur Erhöhung der Kühlung bei.

Diese große Halle ist der Hauptraum des ganzen Wohnhauses. Sie ist zu gleichen Teilen Besuch- und Esszimmer, worin Seitentische und Schränke neben bequemen Sesseln, Lehnstühlen und Ruhebetten stehen, während ein großer Kronleuchter in der Mitte aufgehängt ist.

Die Schlafkammern nehmen den Raum an einer Seite des Hauses ein und haben ebenfalls Jalousiefenster, um die kühle Luft einzulassen und so viel wie möglich die glühenden Sonnenstrahlen abzuhalten.

Im Herrenhaus Willkommenberg, wie in allen anderen Landhäusern in Jamaika, würde ein Fremder bald die Unterschiede zwischen dem Gebäude selbst und den darin befindlichen Möbeln bemerken. Das Erstere könnte außerdem als nicht fest genug oder sogar als schwach angesehen werden, denn es ist wirklich so. Aber gerade diese Eigenschaft macht es dem Klima angemessen, und deshalb auch den Unterschied in Festigkeit und Kostbarkeit sowohl was den Stil als auch das Material des Gebäudes betrifft, aus.

Die Möbel dagegen, die massiven Tische aus Mahagoni und anderen Zierhölzern, die großartigen geschnitzten Sideboards, der Reichtum an Silber und geschliffenem Glase auf ihnen, die eleganten Ruhebetten und Stühle, die glänzenden Lampen und Kandelaber, alles dies vereint führte den Beweis, dass die Ärmlichkeit des Jamaika-Pflanzerhauses sich lediglich auf seine Mauern erstreckt. Mag der Kasten auch ein gewöhnlicher und wohlfeiler sein, die Juwelen, die er enthält, sind von der seltensten und kostbarsten Art.

Von außen sieht das »große Haus« oder das »Buff« von Willkommenberg wirklich groß genug aus. Die lange Fassade, an der das dunkle Grün der Jalousien sehr hübsch gegen das Weiß der Umfassungsmauern absticht, vorn die feste steinerne Treppe, der bewaldete, sanft ansteigende, und einen Hintergrund von dem verschiedenartigsten Grün bildende Berg, die prachtvolle, fast eine Viertelmeile lange, gerade auf das Haus hinführende Allee mit doppelten Reihen von Tamarinden und Kokosnusspalmen, alles trug dazu bei, der Besitzung, besonders wenn man sie vom unteren Ende aus sah, ein entschieden schlossartiges Aussehen zu verleihen.

Aber auch ein näherer Anblick vermöchte diesem Bild nichts von seinem Glanz zu nehmen. Die Terrasse, auf der das Haus erbaut wurde, gewährt hinlänglichen Raum für einen großen Garten nebst Park, die sich nach hinten bis an den Fuß des Berges erstrecken, von dem sie durch eine hohe Steinmauer getrennt sind.

Dieser Berg ist der bemerkendste Teil der ganzen Landschaft, nicht so sehr wegen seiner Höhe, denn es gibt neben ihm noch andere von gleicher Höhe und entfernter liegend, obwohl stets noch deutlich sichtbar, manche noch höhere. Selbst die berühmte »Blaue Spitze« ist vollkommen zu sehen, da sie sich viele Hunderte Fuß über die sie umgebenden Gipfel erhebt.

Auch deshalb ist der erwähnte Berg nicht gerade bemerkenswert, weil er etwa vereinzelt läge. Im Gegenteil, er ist nur eine Spitze der mächtig erhabenen Hügelkette, die, durch tiefe schluchtartige Täler voneinander getrennt und sich oftmals Tausende Fuß über die karibische See erheben, unter dem Namen der Blauen Berge von Jamaica bekannt sind. Diese bedecken fast die ganze Oberfläche der Insel, die auf diese Weise von einer endlosen Reihe riesenhafter Furchen durchschnitten wird. Jamaika besitzt daher eine höchst raue und unregelmäßige Oberfläche, gleichsam wie die krümpeligen Erhöhungen auf einem Kohlblatt gestaltet. Insofern würde Land der Berge gewiss ein eben o geeigneter Name für Jamaika sein, wie in alten Zeiten der indische – Land der Quellen.

Der Berg, welcher das Gut Willkommenberg gleichsam überschaut, ist nur zweitausend Fuß über der Meeresfläche hoch, doch was ihn besonders auszeichnet, ist die geometrische Regelmäßigkeit seiner Umrisse und noch mehr sein ganz regelmäßig gebildeter Gipfel.

Vom Tal aus gesehen, gewährt er den Anblick eines genauen und etwas spitzigen Kegels bis ungefähr fünfzig Ellen von der Spitze entfernt. Das endet die schiefe und abhängende Linie, der Berg steigt von allen Seiten senkrecht aufwärts und schließt plötzlich in einer viereckigen, vierzig oder fünfzig Fuß im Durchmesser haltenden Art von Tischplatte. Beim ersten Anblick ist diese abgestumpfte Bergspitze der des berühmten Cofre di Peroré in Mexico höchst ähnlich.

Die schiefen Seiten des Berges sind dicht bewaldet, besonders die nach dem Gut Willkommenberg hin gelegenen, die wie eine breite und düstere, mit einem dichten Urwald bekleidete Fassade aussehen.

Nur auf der Spitze selbst ist der Berg vollkommen baumlos. Da ist er kahl und nackt wie die Platte eines Franziskanermönches, denn die Felsenmasse, aus welcher die einem Kasten ähnliche Bergplatte besteht, leistet jeder Annäherung der Riesenbäume, die ihren Grund dicht umgeben, und von denen einige ihre ungeheuren Arme ausstrecken, als wollten sie dieselbe umarmen und erdrosseln, den hartnäckigsten Widerstand. Nur einem riesigen Baum ist es gelungen, die steile wallartige Mauer zu erklimmen. Eine edle Palme, die Areka, hat dieses Kunststück fertiggebracht und steht hervorragend auf der Platte, während ihre federartigen Blätter in sicherem Stolz in der Luft wehen, wie ein triumphierendes Banner über einer eroberten Burg.

Der Felsen selbst gewährt ebenfalls einen seltsamen Anblick. Seine verschrammte und vernarbte Oberfläche ist mit einem dunklen Glanz überzogen, der bei Sonnenschein oder selbst bei den sanfteren Strahlen des Mondes ein Funkeln von sich gibt, als wenn das Licht von einer polierten stählernen Rüstung zurückgestrahlt würde.

Unter den Eingeborenen unten im Tal ist dieser Berg als der Jumbéfelsen bekannt – ein wegen der damit verbundenen abergläubischen Idee höchst bezeichnender Name, – da Jumbé die koromantische Bezeichnung für den Satan ist. Obgleich er beständig vor ihren Augen und in einer Stunde durch Erklimmung des Waldpfades erstiegen werden kann, so gibt es doch keinen Sklaven auf dem Gut Willkommenberg, noch irgendwo sonst meilenweit in der Gegend, der es wagen würde, den Jumbéfelsen allein zu besteigen. Und so bleibt den meisten, wenn nicht allen dieser Berg so unbekannt wie die Spitze des Chimborazzo!

Diese Furcht vor dem Jumbéfelsen verdankt seinen Ursprung indes keineswegs gänzlich dem Aberglauben, sondern ist größtenteils durch die Erinnerung an eine schreckliche Begebenheit hervorgerufen worden. Denn der Felsen ist der Schauplatz einer Hinrichtung gewesen, die in Anbetracht ihrer wilden und kaltblütigen Grausamkeit ein Verbrechen genannt zu werden verdient.

Diese hohe Steintafel ist, wie die blutbefleckten Tempel des Montezuma, als Altar benutzt worden, auf welchem ein Menschenopfer dargebracht, und dies nicht in längst vergangenen Zeiten, noch von einer blutdürstigen aztekischen Priesterschaft, sondern von Männern mit weißer Haut und von europäischer Herkunft, aber grausam und wild wie jene. Ein schwarzes Opfer hat hier seinen letzten Seufzer ausgehaucht. Vermöge diese einzelne Palme es zu reden, sie würde eine schreckliche Schmerzensgeschichte erzählen, deren Zeugen, die um ihre Wurzeln umherliegenden und modernden Gebeine, jetzt die Hauptnahrung ihres kräftigen Wuchses bilden! Der Baum schweigt, aber dennoch wird die Geschichte überall erzählt, keine erfundene, sondern eine wahrhaftige Geschichte und von solch grässlicher Natur, dass sie notwendigerweise in einem besonderen Kapitel erzählt werden muss.

Eine Antwort auf Der Marone – Eine Zucker-Plantage auf Jamaika