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Der Geist von Nell Cropsey

Der Geist von Nell Cropsey

In der Nacht des 20. November 1901 verschwand eine junge Frau namens Ella Maude Nell Cropsey aus ihrem Haus in Elizabeth City. 37 Tage später wurde ihre Leiche treibend im Pasquotank River gefunden. Wer Nell Cropsey getötet hatte und warum, wurde nie vollständig aufgedeckt. Aber manche sagen, dass ihr unruhiger Geist noch in ihrem Haus in Elizabeth City umherspukt.

Die Familie Cropsey zog im Jahre 1898 von Brooklyn, New York, nach Elizabeth City um. Die junge Nell Cropsey war eine schöne Frau aus einer wohlhabenden Familie, lenkte bald die Aufmerksamkeit von Verehrern auf sich und wurde von einem einheimischen Mann mit Namen Jim Wilcox umworben. Zum Zeitpunkt ihres Verschwindens waren Wilcox und die junge Frau bereits fast drei Jahre zusammen, doch sagte man sich, dass Nell sehr ungeduldig wurde, da Jim Wilcox zögerte, ihr einen Heiratsantrag zu machen. Nell Cropsey begann, mit anderen Männern in der Öffentlichkeit zu flirten und wies Wilcoxs Bestrebungen energisch von sich. Stattdessen kam es am Abend des 20. November zwischen Cropsey und Wilcox zu einem heftigen Streit. Obwohl sich einige von Nells Familie zu dieser Zeit im Haus aufhielten und sagten, dass sie und Wilcox bis zum Ende des Abends zaghaft Friedern geschlossen hatten, ging Cropsey mit Wilcox gegen 23:00 Uhr vor die Tür und wurde dort das letzte Mal lebend gesehen.

Ollie Cropsey, Nells Schwester, hörte an der Rückseite des Hauses so etwas wie einen Knall, kurz, nachdem Nell und Jim Wilcox es verlassen hatten. Sie ging diesem nach und entdeckte, dass die Gittertür aufgebrochen und weit und breit nichts von Nell oder Jim zu sehen war. Ollie ging nach oben, um zu sehen, ob ihre Schwester schon im Bett lag, fand sie ihr Zimmer leer vor. Kurz danach weckte ein Nachbar schreiend das ganze Haus auf, da jemand versuchte, das Schwein der Cropseys zu stehlen. Als die Familie die Treppe hinunter eilte, fanden sie die Haustür weit offen vor. Jim Wilcoxs Regenschirm, ein Geschenk von Nell, stand in der Tür.

Die Suche nach Nell Cropsey wurde erst am nächsten Morgen in Angriff genommen. Überall in der Stadt wurde gesucht, aber keine Spur von Nell gefunden. Der Verdacht fiel sofort auf Jim Wilcox, der behauptete, dass er keine Ahnung hätte, was mit Nell geschehen war. Wilcox wurde wegen des Verdachts auf Entführung verhaftet und die Familie im Unklaren gelassen, bis Nells Körper am 27. Dezember in der Nähe des elterlichen Hauses im Pasquotank River treibend durch einige Schiffer entdeckt worden war.

Kurioserweise hatte die Familie ein paar Tage zuvor einen Brief mit einem New Yorker Poststempel erhalten. Dieser enthielt einen detaillierten Bericht über die Ereignisse der Nacht, in welcher Nell verschwand. Der Brief legte dar, dass Nell einen Landstreicher entdeckt hatte, der das Schwein der Familie stehlen wollte. Der Mann nahm einen schweren Stock, schlug damit Nell bewusstlos, schleppte sie weg und band ein sich in der Nähe befindliches Boot los. Er ruderte auf den Fluss hinaus und warf Nell in den Pasquotank. Der Brief enthielt eine Karte, in welcher der mutmaßliche Fundort der Leiche markiert worden war.

Mit der Entdeckung von Nell Cropseys Körper schnappte die Stadt über. Ein Lynchmob suchte das Gefängnis auf und forderte, dass Wilcox an sie ausgeliefert werden sollte. Nells Eltern weigerten sich, sich dem Mob anzuschließen und plädierten dafür, dass der Gerechtigkeit vor einem Gericht Genüge getan werden sollte. Schließlich entsandte Gouverneur Aycock eine kleine Marinereserveeinheit, um die Meute auseinanderzutreiben.

Wilcox wurde wegen Mordes an Cropsey zweimal vor Gericht gestellt. Die erste Verurteilung wurde aufgehoben, als das Oberste Bundesgericht von North Carolina den Prozess als fehlerhaft geführt befand. Im zweiten Prozess verurteilte das zuständige Gericht wegen Mordes zu 30 Jahren Gefängnis und entsprach mit diesem Richterspruch dem Antrag der Anklage. Bei beiden Verhandlungen trat Wilcox zu seiner Verteidigung nicht in den Zeugenstand.

Im Laufe der Jahre vergaß der Herausgeber der Elizabeth City, W.O. Saunders die Verurteilung des Jim Wilcox nie. Er hatte ein Bauchgefühl, dass Wilcox unschuldig war. Als Wilcox durch Gouverneur Thomas Bickett begnadigt wurde und nach Elizabeth City zurückkam, bot ihm Saunders an, seine Sicht der Geschichte zu erzählen. Eines Abends im Jahr 1933 rief Wilcox von seinem schäbigen Zimmer aus Saunders an und erzählte ihm, was in der Nacht passierte, als Nell Cropsey verschwand. Er bat Saunders darum, niemanden etwas davon zu erzählen. Und dieser tat es nie, noch nicht einmal seiner Frau gegenüber. Saunders nahm Wilcox Geheimnis mit in sein nasses Grab. Eines Abends des Jahres 1940 fuhr Saunders am Dismal Swamp Kanal entlang und wurde ohnmächtig. Das Auto stürzte in den Kanal.

Während des vergangenen Jahrhunderts haben diejenigen, die im Haus der Cropseys gelebt haben, über seltsame Geschehnisse berichtet. Lichter ging von selbst an und wieder aus. Türen öffneten sich und kalte Luft strömte durch das ganze Haus. Die blasse Gestalt einer jungen Frau wurde vernommen, als sie im Haus herumlief. Einige Passanten wollen die geisterhafte Gestalt des Mädchens an einem Fenster im ersten Stock gesehen haben, wie diese auf die Straße geschaut hat. Bewohnern des Hauses erschien die Gestalt Nell Cropseys sogar mitten in der Nacht in deren Schlafzimmer. Ist es das unglückliche Opfer eines der berühmtesten und sensationellsten Mordfälle North Carolinas, welches durch das Haus in Elizabeth City umherwandert? Wird man jemals die wahren Tatsachen rund um Nell Cropseys Ermordung ans Tageslicht gelangen? Dieses dauerhafte Geheimnis ist zu einem Teil der lebendigen Geschichte von Elizabeth City geworden. Und keine Sightseeing Tour durch diese eigentlich ruhige Küstenstadt wäre ohne einen Besuch des Cropsey-Hauses nicht komplett. Das Haus ist zwar ein privater Wohnsitz, ist aber gelegentlich zu besonderen Anlässen wie dem Elizabeth City Ghost Walk für die Öffentlichkeit zugänglich.

Quelle:

  • Marjorie Ann Berry: Legendary Locals of Elizabeth City. Arcadia Publishing. Charleston. South Carolina. 2014

(wb)