Westernkurier 11/2014
Sie nannten sich The Saints – Teil 2
Auf ein Wort, Stranger, wenn der Westernkurier ein weiteres Kapitel der amerikanischen Pioniergeschichte aufschlägt.
Wie in der letzten Ausgabe angekündigt, werden wir uns heute ein weiteres Mal mit dem Thema Mormonen beschäftigen. Unser Augenmerk wird dabei aber weniger auf Glaubensinhalte, die beinahe schon legendäre Mehrfachehe oder dem Buch Mormon liegen, denn das würde den Rahmen unseres Westernkuriers sprengen und das kann man an anderer Stelle vielschichtiger und genauer nachlesen, wie zum Beispiel unter www.presse-mormonen.de, in Richard und Joan K. Ostlings Mormon America oder Hans-Jürgen Twisselmanns Die Mormonen im Schatten ihrer Geschichte, um nur einige dieser Quellen zu nennen.
Wir hingegen wollen dem Westernfan das Leben und Wirken ihrer Propheten und das der ersten Führer nahebringen, welche in der amerikanischen Pioniergeschichte tiefe Spuren hinterlassen haben.
Ihre Geschichte ist nicht weniger abenteuerlicher und interessanter wie die der Indianerkriege, der Westwanderung und die über Cowboys, Sheriffs und Banditen.
Sie beginnt am 23. Dezember 1805, als Joseph Smith Junior, der Sohn von Joseph Smith und Lucy Mack, in Sharon im Windsor County des Staates Vermont das Licht der Welt erblickte.
Zu dieser Zeit herrschte in dem Land ein derart leidenschaftlicher, religiöser Eifer, dass man von einem regelrechten Glaubensaufruhr sprach. Es war die Zeit, in der Hall Jackson Kelley klar und unmissverständlich behaupten konnte, das ihm Jesus erschienen war und ihm befohlen hatte, Oregon zu christianisieren, Missionare wie Narcissa und Marcus Whitman sich berufen fühlten, das Licht der Bibel in die dunkelsten Ecken des Nordwestens zu tragen und im Osten Amerikas regelrechte Fehden zwischen rivalisierenden protestantischen Glaubenssekten schwelten.
Durch seine Familie vorbelastet, die Mutter glaubte fest daran, dass er mystische Kräfte besaß, war der junge Joseph Smith sehr empfänglich für die überladene religiöse Atmosphäre, die um ihn herum herrschte. Obwohl strenggläubig erzogen und getauft, war er verwirrt von den vielen einander widersprechenden Interpretationen der Bibel und beschloss im Alter von vierzehn Jahren, wann immer es seine Zeit erlaubte, in einem kleinen Wald nahe dem elterlichen Haus, in sich zu gehen und im Gebet selbst herauszufinden, was den nun der wahre Glauben war. Im Frühjahr 1820 hatte er dabei angeblich eine Vision, in der ihm der von Gott gesandte Engel Moroni erschien.
Zehn Jahre später, am 6. April 1830, gründete er mit fünf Getreuen, darunter seinem Bruder Hyrum, die Kirche Jesu Christi. Die Worte der Heiligen der Letzten Tage wurden erst vier Jahre später hinzugefügt.
Innerhalb eines Jahres gewannen sie mit ihren Lehren über eintausend Anhänger.
1831 gründeten sie in Kirtland, Ohio, etwa 15 Meilen östlich vom Eriesee, die erste Mormonensiedlung. Ihre Ansichten über den Glauben und ihre Lebensweise, in dem sich der Einzelne dem Wohl der Gemeinschaft unterzuordnen hat, riefen viele Neider auf den Plan. Es war nicht nur die Andersartigkeit ihrer Religion, sondern hauptsächlich auch die Tatsache, dass die Mormonen, wo immer sie auftauchten, durch die Stärke ihrer Gemeinschaft innerhalb kürzester Zeit zu Wohlstand kamen. Niemand sah die Disziplin und die harte Arbeit, die dahinter steckte, sondern nur das Ergebnis. So schlugen die Vorbehalte schließlich in feindselige Gefühle um. Im März 1832 zerrte ein wütender Mob Joseph aus seinem Bett. Man prügelte, würgte und zerkratzte, teerte und federte ihn. Joseph entging einer Kastration nur deshalb, weil niemand bereit war, das Messer zu halten.
Die Mormonen versuchten daraufhin, weiter westlich in Missouri eine Kolonie zu gründen, in der sie sicherer waren. Aber auch dort schlug ihnen offene Feindschaft entgegen. 1838 entschied Lillburn Boggs, der damalige Gouverneur von Missouri, dass die Mormonen wie Feinde zu behandeln sind und ausgerottet oder aus dem Land gejagt gehörten.
Er mobilisierte dazu sogar die Staatsmiliz, um seine Aussagen in die Tat umzusetzen.
Die Mormonen, Saints, wie sie sich nannten, flohen erneut, diesmal nach Illinois.
Dabei profilierte sich besonders ein junger Zimmermann, Maler und Glaser namens Brigham Young, der daraufhin schnell in der Mormonenhierarchie aufstieg.
Die Saints überquerten den Missouri bei Quincy und bauten am Ufer des Flusses auf dem Gebiet der kleinen Siedlung Commerce eine Stadt, die sie Nauvoo nannten, eine hebräische Umschreibung für schön und friedlich. Anfangs belächelt wurde auch dieser Ort durch den Fleiß, die Disziplin und der Arbeitskraft der Gemeinschaft zu einem Platz des Wohlstands und des Friedens. Bereits 1844 war Nauvoo mit einer Bevölkerungszahl von fast 15 000 nicht nur die größte Stadt des Landes, sondern auch die am wohlhabendsten.
Die Mormonen schienen am Ziel ihrer Träume.
Sie führten in der blühenden Stadt ein sorgloses Leben und die Regierung hatte ihnen angesichts des Stimmenpotentials bei den nächsten Wahlen sogar eine Autonomie für ihren Stadtstaat zugebilligt, sowie das Recht auf eine eigene Bürgerwehr.
Aber auch hier, in ihrer Stadt und ihrem Land, sie hatten das umliegende Gebiet nach und nach rechtmäßig aufgekauft, war ihnen der Frieden nicht vergönnt.
Diesmal waren die Gründe für ihre erneute Vertreibung allerdings vielschichtiger.
Wie immer zählten Neid und Missgunst auf ihren wirtschaftlichen Erfolg zu den Grundpfeilern der Antipathie gegenüber den Saints. Dazu kam eine unterschwellige Angst vor dem Einfluss und der Macht der Mormonen, deren Bürgerwehr inzwischen mehr als 4 000 Männer unter Waffen hatte. Diese verbreitete sich geradezu flächenbrandartig, als Smith 1844 seine Kandidatur zum Präsidenten der Vereinigten Staaten auf der Grundlage einer Theo-Demokratie bekannt gab.
Ein weiterer Grund war das Bekenntnis zur Vielweiberei und Mehrfachehe, die ihren Ursprung in dem praktischen Ziel der Zeugung so vieler Mormonenkinder wie möglich und damit der raschen Ausbreitung des Glaubens hatte.
Gerade die letzten beiden Punkte wurden Smith zum Verhängnis, da sie inzwischen nicht nur von der puritanischen Öffentlichkeit, sondern auch von vielen reformierten Saints abgelehnt wurden. Die andersdenkenden Mormonen gründeten daraufhin eine Zeitung, den Nauvhoo Expositor, und griffen Smith darin massiv an.
Joseph Smith unterschrieb quasi sein Todesurteil, als er befahl, die Zeitungsredaktion zu zerstören. Kurz nachdem der Auftrag ausgeführt war, warfen ihn seine Gegner wegen Verletzung der Verfassung ins Gefängnis von Carthage.
Am 27. Juni 1844 drang ein aufgewiegelter Mob Staatenmiliz mit geschwärzten Gesichtern in das Gefängnis ein, erschoss Joseph, als er versuchte, aus einem Fenster im zweiten Stock zu flüchten, und tötete seinen Bruder Hyrum, der versuchte, sie daran zu hindern.
Die Mormonengemeinde drohte nach dem Tod von Smith auseinanderzubrechen, als Brigham Young in die Bresche sprang und es ihm gelang, die Saints zusammenzuhalten und sie wieder aufzurichten.
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Brigham Young, geboren am 1. Juni 1801 in Whitingham, Vermont, der in diesen Jahren zum zweiten Präsidenten und Propheten der Kirche Jesu Christi gewählt wurde, stand seinem Vorgänger Joseph Smith weder im Charisma noch in der Fähigkeit die Mormonen zu führen in Nichts nach.
Im Gegenteil, unter seiner Egide erfuhr die Gemeinde der Saints ihre bis heute höchste Anerkennung und Machtfülle.
Auslöser dazu war, wenn auch indirekt, im Sommer 1845 die Forderung der Heiden, dass die Mormonen unverzüglich Illinois verlassen sollten. Wer sich jetzt an dem Wort Heiden stört, dem sei erklärt, das die Saints, überzeugt von ihrer göttlichen Auserwähltheit, alles Außenstehende ablehnten und für alle Nichtmormonen auch heute noch die Bezeichnung Heiden verwenden, der biblische Ausdruck für nichtchristliche Stämme.
Unter dem Druck der Öffentlichkeit beschlossen Brigham Young und seine Berater das Auswandern in den gelobten, sogenannten Far West. Noch im Winter verwandelte sich jedes Haus in Nauvoo in eine Werkstatt zur Herstellung von Wagen, Zelten und anderer Reiseausrüstung. Im Austausch gegen Tiere, Lebensmittel und Waffen verkauften die Saints nach und nach ihren Besitz an die Heiden.
Im Frühjahr 1846 begann der Auszug aus Nauvoo.
Als die Saints Utah erreichten, war dieses Land der wohl trostloseste Ort westlich des Missouris, aber es dauerte kein Jahrzehnt, bis die Mormonen auch diese Einöde gedenk ihrer Lebensweise, fromm, fleißig, puritanisch, in eine blühende Landschaft verwandelt hatten.
Um 1850 gab es bereits unzählige Getreidemühlen, Eisengießereien und Gerbereien, 1853 summten in Salt Lake City die Manufakturen für Flanell, Halbwollstoffe, Steingut und Schneidewaren und um 1865 war die ehemalige Wüste von beinahe 300 Kanälen mit einer Gesamtlänge von 1500 Meilen durchzogen, die über 61 000 Hektar vorher unfruchtbaren Boden bewässerten.
Straßen und Brücken wurden gebaut und sogar ein ausgedehntes Telegrafensystem, das zu den modernsten des ganzen Westens gehörte. Als im Sommer 1876 die gesamte amerikanische Nation von General Custers Niederlage bei Little Big Horn hörte, kamen die Nachrichten zuerst über die privaten Telegrafenleitungen der Saints.
Aber wie so oft in der Geschichte lagen auch hier Glück und Leid dicht beisammen.
Auf dem Zenit seiner Macht spielte Brigham mit dem Gedanken, einen eigenen Mormonenstaat, genannt Deseret, auszurufen, der fast die gesamte Fläche der heutigen Staaten Colorado, Utah, Arizona und Kalifornien umfassen sollte.
Präsident James Buchanan enthob ihn daraufhin von seinem Amt als Gouverneur und ersetzte ihn durch Albert Cummings. Gleichzeitig setzte er die Armee in Bewegung, was zum sogenannten Utah–Krieg führte, der seinen unrühmlichen Höhepunkt im Mountain-Meadows-Massaker hatte, als die Daniten, eine militante Organisation der Mormonen, mithilfe verbündeter Indianer an diesem Ort 150 unschuldige Siedler, Männer, Frauen und Kinder regelrecht abschlachteten.
Der Krieg endete im April 1858 mit einer Pattsituation. Die Mormonen behielten das heutige Utah als autonomer Staat, während sie sich gleichzeitig damit einverstanden erklärten, dass von nun an die Führung der Kirche Jesu Christi und die weltliche Macht in Utah in getrennten Händen lag und Young als Gouverneur abdankte.
Trotzdem dem Verlust seiner weltlichen Macht setzte Brigham Young alles daran, Utah zu einem der modernsten Staaten Amerikas zu machen. Bis zu seinem Tod im August 1877 unterstützte und förderte er den Pony Express, den Bau der Telegrafenlinie, trieb die Expansion der Eisenbahn voran, gründete weiterführende Schulen, eine Handelsgenossenschaft, wie sie heute noch im Einzelhandel betrieben wird, und importierte unter anderem auch eine Zuckerfabrik.
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Was danach kam, waren Männer, die zwar wohlhabend und einflussreich waren, aber bis heute nicht mehr an das Charisma und die Führerqualitäten eines Joseph Smith oder Brigham Young heranreichten. Dabei ist es egal, ob die Präsidenten Wilford Woodruff, Lorenzo Snow oder wie der seit 2008 im Amt befindliche Gordon B. Hinckley heißen. Lediglich John Taylor zeigte noch Stärke und hielt trotz aller Widerstände an seinem Glauben fest. Als Verfechter der Polygamie wurde er ab 1885 mit Strafbefehl verfolgt und regierte die Mormonen fast zweieinhalb Jahre lang aus dem Untergrund.
Danach waren die Führer bis auf die Namen eigentlich austauschbar.
Sie halten sich bis dieser Tage, resultierend aus den Ereignissen der Vergangenheit, lieber im Hintergrund und ziehen dort ihre Fäden.
Einzig Mitt Romney, Gouverneur von Massachusetts und Präsidentschaftskandidat der Republikaner, versuchte 2012 noch einmal an die Türen der Macht anzuklopfen.
Wie man weiß, scheiterte er an Barack Obama.
Heute berufen sich weltweit knapp 15 Millionen Menschen auf das Buch Mormon.
Sie tun es leise und ohne Aufheben.
Sie bekleiden wichtige Posten und Ämter in Wirtschaft und Politik, wie der oben genannte Expräsidentschaftskandidat der USA Mitt Romney oder Stephenie Meyer, die Buchautorin mit der Twilight-Serie. Beandon Flowers, Sänger und Frontman der Rockband The Killers sowie Bill Marriott, Besitzer einer der weltweit größten Hotelkette Marriott International gehören ebenso zu den Mormonen wie Steve Young, der legendäre Quaterback des American Football Teams der San Francisco 94ers oder jene Familien, in deren Besitz sich so bedeutende Firmen wie der Bohrmaschinenriese Black & Decker oder der Computergigant Dell befinden.
Auch wenn sie heute nur einen verschwindend geringen Anteil an der Bevölkerung Amerikas ausmachen, wären die Geschichte des Westens und insbesondere das Schicksal Utahs ohne sie in ganz anderen Bahnen verlaufen.
In diesem Sinne
Euer Slaterman
Quellen:
- Huston Horn: Die Pioniere aus der Time Life Bücherreihe Der Wilde Westen
- H. J. Stammel: Der Cowboy aus dem Bertelsmann Lexikon Verlag
- www.presse-mormonen.de
- Richard und Joan K. Ostling: Mormon America
- Hans-Jürgen Twisselmann: Die Mormonen im Schatten ihrer Geschichte
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