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Visionarium 2: Illusion und Wirklichkeit

Dr. Nachtstrom (Hrsg.)
Visionarium 2: Illusion und Wirklichkeit

Phantastik, Taschenbuch, Edition Gwydion, Graz, über Amazon CreateSpace, April 2014, 120 Seiten, 7,99 Euro, Kindle Edition, 2,99 Euro, ISBN: 9781494989873, Chefredaktion: Bernd Reicher, Illustrationen von Michael Wittmann, Arkis Krayl, Anna-Maria Jung, Covermotiv: Jörg Vogeltanz
editiongwydion.wordpress.com

»Es ist, als würdest du von einem Schwarm zorniger Hornissen angegriffen, ohne jede Möglichkeit, ihrer entschlossenen Wut auszuweichen. Die Schmerzen sind unvorstellbar, gleichen einem gewaltigen, alles verschlingenden Inferno, und du rennst mit offenem Mund, brüllst vor Qualen, aber wirst nicht langsamer.« (Aus: Gord Rollo: Verloren im Papierblumenfeld)

Gord Rollo: Verloren im Papierblumenfeld

Obwohl Robbie im Koma liegt – der Verdienst seines jähzornigen Vaters – träumt der Junge. In seinem Traum findet er eine Freundin, die ihm selbst gebastelte Papierblumen schenkt. Und obwohl er sich in seinem Traum an den Blumen verletzt, überzeugt sie ihn, ein ganzes Feld dieser Blumen zu durchschreiten. Denn die Verletzungen und die Schmerzen, die Robbie im Traum erfährt, werden in der Realität auf einen anderen Menschen übertragen.

Edie Calie: At the Lake of Madness

Ein romantischer viertägiger Wanderurlaub im Gasteinertal sollte es werden, das Geschenk zu Alices 37. Geburtstag. Und irgendwie war sie es ihm auch schuldig, nachdem sie die Tour bereits einmal abgebrochen hatte, bevor sie die beiden Seen, die Alice als Ziel auserkoren hatte, erreichen konnten. Der Weg zum anvisierten Ziel bietet bereits einige merkwürdige Sehenswürdigkeiten, doch der wahre Schrecken erwartet die beiden Wanderer an ihrem Ziel.

Melchior von Wahnstein: Das Medium

Die Einschaltquoten der PSI-Show »Mental Total« gehen langsam immer mehr in den Keller. Da spielt dem Moderator Tim Tränker und seinem Team die Entführung von Katharina Rebenau – inklusive der merkwürdigen Lösegeldforderung – in die Hände. Vor laufender Kamera soll das Medium Bettina mit ihren paranormalen Kräften Katharinas Aufenthaltsort bestimmen.

»Im Gegensatz zum blühenden Kurort Bad Hofgastein handelt es sich bei Bad Gastein um ein verlassenes Örtchen, dessen leer stehende Häuser von besseren Zeiten sprechen. Sollten sie jemals H. P. Lovecraft gelesen haben, könne Sie sich bestens vorstellen, welcher Anblick uns dort erwartete.« (Aus: Edie Calie: At the Lake of Madness)

Auch für Ausgabe 2 ihres »Magazins für abseitige Phantastik« konnten Dr. Nachtstrom (Walter Brantner) und Bernhard Reicher eine Schar geistesverwandter Autoren und Künstler gewinnen. Zunächst sei der Schotte Gord Rollo genannt, der mit seinem Roman Amputiert (MKrug Verlag) aufhorchen lies und hier exklusiv die intensive Kurzgeschichte Verloren im Papierblumenfeld beigesteuert hat und die auch gleich vom Amputiert-Verlger Michael Krug selbst übersetzt wurde. Mit Edie Calie ist eine selbst ernannte Wiener »Prokrastinationskünsterlin« an Bord. Ihre Geschichte At the Lake of Madness, mit der sie einen Hauch Lovecraft in die Alpen trägt, hat sie zumindest nicht aufgeschoben, sondern passend für Visionarium 2 abgeliefert. Melchior von Wahnsteins Das Medium präsentiert sich zunächst als eine Mediensatire, die später – als man die Geschichte schon abgeschlossen glaubt – doch noch ganz Wahnstein-like in den Wahnsinn okkulter Verblendung kippt.

Somit wird man schon durch den Geschichtenanteil von drei frischen Schreibern ganz ordentlich unterhalten. Doch Visionarium ist schließlich ein Magazin und hat dementsprechend noch einige Artikel im Gepäck, die die Vorlieben und sonstigen Tätigkeiten der Macher widerspiegeln:

Fanboy Dr. Nachtstrom singt einen Lobgesang in Violett und berichtet von seinem Besuch bei der Wiener Fantastik-Legende Franz Rottensteiner, der als Herausgeber für die 360 Ausgaben starke Phantastische Reihe des Suhrkamp Verlags (mit ihren ursprünglich violetten Cover) verantwortlich war und damit Autoren wie Algernon Blackwood, Stanislaw Lem, Clark Ashton Smith und natürlich H. P. Lovecraft einem breiten Publikum zugänglich gemacht hat.

Ebenfalls von Dr. Nachtstrom stammen die Notizen zur gefeierten Ausnahmeserie True Detective, in der in jeder Staffel ein neuer Fall behandelt werden soll und in deren erster Staffel Robert W. Chambers Der König in Gelb (eine Inspiration für Lovecrafts Necronomicon) eine Rolle spielt.

In einem längeren Artikel berichtet Bernd Reicher von seinen Erlebnissen in Transsilvanien, wohin er ein Filmteam auf den Spuren des Vampir-Mythos als fachlicher Berater begleitet hat. Offenbar ist im Lande Draculas der Glaube an das Übernatürliche noch stark präsent und offenbar üben einige Landstriche – besonders des Nachts eine verstörende Wirkung auf den menschlichen Geist aus.

Den Abschluss bilden die nicht gerade selbstverständlichen »Steckbriefe« aller an der Ausgabe beteiligten Autoren und Künstler. Einige Seiten sind noch Werbung in eigener Sache vorbehalten, die allerdings nicht stören, sondern im Gegenteil dem interessierten Leser weitere Anlaufpunkte in Sachen »Phantastik und abseitige Unterhaltung aus Österreich« bieten.

Fazit:
Alles in Allem präsentiert sich Visionarium als durchaus ernst zu nehmende Stimme, die keinerlei Ähnlichkeit mit in Eigenregie publizierten Fanzines hat, wie sie noch vor einigen Jahren ausgesehen haben. Mit professionellen Künstlern an Bord und den technischen Möglichkeiten, die der Druck- und Vertriebsdienst Amazon CreateSpace bietet, hat man hier ein optisch wie inhaltlich anspruchsvolles Magazin in der Hand.

(eh)