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Paraforce Band 17

Würgengel

Nils Som­mer leg­te die Arm­brust an, ziel­te und schoss. Wie von ei­ner Schnur ge­zo­gen flog der Bol­zen die fünf­zig Me­ter bis zum auf­ge­bau­ten Hin­der­nis und traf ge­nau ins Schwar­ze. Zu­frie­den lud der Pa­ra­force-Agent das nächs­te Ge­schoss aus dem Ma­ga­zin nach, als sich sein iPho­ne mel­de­te. Är­ger­lich nahm er den Quäl­geist aus der Ta­sche. Konn­te er denn nicht ein­mal in Ruhe sei­ne Schieß­übun­gen ab­sol­vie­ren?

Ein Blick auf das Dis­play zeig­te Nils, dass es mal wie­der sei­ne Tan­te Lena war, die ihn beim Trai­ning stör­te.

»Was gibt es denn so Drin­gen­des?«, frag­te er leicht un­ge­hal­ten.

»Wir ha­ben ei­nen Auf­trag.«

»Hat das nicht Zeit? In ei­ner hal­ben Stun­de wür­de ich so­wie­so zu­rück­kom­men.« Nils war ext­ra be­reits in den frü­hen Mor­gen­stun­den zu den al­ten Bun­kern ge­gan­gen, bei de­nen er sei­ne Zie­le auf­ge­baut hat­te. Sei­ne Hoff­nung, um die­se Zeit un­ge­stört zu sein, hat­te sich aber ein­mal mehr nicht er­füllt.

»Wir sol­len uns eine Tote an­schau­en«, ant­wor­te­te Lena. »Be­ei­le dich.«

Be­vor Nils eine wei­te­re Fra­ge stel­len konn­te, hat­te sei­ne Tan­te auf­ge­legt. Är­ger­lich pack­te er die Arm­brust in sei­nen Ruck­sack und mach­te sich zu­rück auf den Weg zu dem al­ten Gast­haus, das die bei­den zu ih­rer Pa­ra­force-Ein­heit um­ge­baut hat­ten. Für die Be­dürf­nis­se der bei­den Som­mers war das Ge­bäu­de ide­al. Es war groß, hat­te eine Men­ge Zim­mer und lag et­was ab­ge­le­gen. Es ver­irr­ten sich nur sel­ten Spa­zier­gän­ger in die Ge­gend, die frü­her von der Bun­des­wehr ge­nutzt wor­den war.

Für ge­wöhn­lich trai­nier­te Nils bei ei­ner al­ten Bun­keran­la­ge, die nur drei­hun­dert Me­ter von ih­rem An­we­sen ent­fernt lag. Dort hat­te er sei­ne Ruhe. Meis­tens zu­min­dest. Er konn­te nur hof­fen, dass es wirk­lich et­was Pa­ra­nor­ma­les zu un­ter­su­chen gab und sie nicht um­sonst zum Tat­ort fuh­ren. Wo auch im­mer der auch lie­gen moch­te. Wie üb­lich hat­te Lena ihm ge­ra­de ein­mal so vie­le In­for­ma­ti­o­nen ge­ge­ben, wie un­be­dingt nö­tig wa­ren.

»Das wird aber auch Zeit«, be­grüß­te die Wis­sen­schaft­le­rin ih­ren Nef­fen, als der nach ei­nem kur­zen Dau­er­lauf das Ge­bäu­de be­trat.

»Ich habe mich be­eilt, also ner­ve nicht.«

Lena sah Nils vor­wurfs­voll an und drück­te ihm sei­ne Waf­fe und den Au­to­schlüs­sel in die Hand. »Wir müs­sen los. Ich er­klä­re dir al­les un­ter­wegs.«

Nils konn­te nur den Kopf schüt­teln. So ei­lig hat­te es sei­ne Tan­te bis­her sel­ten ge­habt, an ei­nen Tat­ort zu ge­lan­gen. Nor­mal­er­wei­se wur­den sie erst in die Er­mitt­lun­gen ein­ge­bun­den, wenn die zustän­di­gen Be­hör­den nicht mehr wei­ter wuss­ten, oder be­ka­men die Auf­trä­ge di­rekt von der Pa­ra­force-Zen­tra­le in New York. Es muss­te schon et­was sehr Au­ßer­ge­wöhn­li­ches ge­sche­hen sein.

»Wo müs­sen wir denn nun hin?«, frag­te Nils, nach­dem er den Golf ge­star­tet hat­te und die Pan­zer­stra­ße hi­nab­fuhr.

»Zum Würg­en­gel.«

»Das ist nicht dein Ernst. Was sol­len wir denn da?«

»Die ha­ben heu­te Mor­gen dort ein to­tes Mäd­chen ge­fun­den, das an der al­ten Ei­che auf­ge­hängt war.«

»Seit wann un­ter­su­chen wir denn ei­nen Selbst­mord?«, frag­te Nils über­rascht. Als Lena den Be­griff Würg­en­gel er­wähnt hat­te, wäre er am liebs­ten um­ge­dreht. Für ihn war klar, dass es sich nicht um ei­nen Fall han­deln konn­te, der in ihr Res­sort ge­hör­te. Nicht dort. Na­tür­lich wuss­te Nils ge­nau, wel­che Ei­che sei­ne Tan­te ge­meint hat­te und kann­te auch die Ge­schich­ten, die man sich über die­sen Ort er­zähl­te. Et­was Pa­ra­nor­ma­les wür­den sie dort aber nicht fin­den. Da war er sich ab­so­lut si­cher. Da­mit war die Lau­ne des 24-jäh­ri­gen end­gül­tig im Kel­ler. Den Ta­ges­ver­lauf hat­te er sich ganz an­ders vor­ge­stellt und vor­ge­habt, sich nach dem mor­gend­li­chen Trai­ning ein paar ge­müt­li­che Stun­den vor sei­nem PC zu ma­chen. Da­raus wür­de nun nichts mehr wer­den.

»Wenn die Klei­ne sich nicht selbst das Herz he­raus­ge­schnit­ten hat, dann war es Mord.«

Le­nas Aus­sa­ge riss Nils aus sei­nen Ge­dan­ken und er war so­fort hell­wach. Das hör­te sich nun tat­säch­lich nicht nach ei­nem nor­ma­len Mord oder Selbst­mord an. »Also gut. Erz­ähl mir, was du weißt.«

»Sehr viel ist das auch nicht«, er­klär­te Lena. »Drei jun­ge Frau­en ha­ben auf ei­nem Platz etwa zwei Ki­lo­me­ter vom Tat­ort ent­fernt ge­zel­tet. Als zwei von ih­nen am Mor­gen wach wur­den, war ihre Freun­din nicht mehr da. Ein Au­to­fah­rer hat die Lei­che an der Ei­che hän­gen se­hen und sein Fahr­zeug vor Schreck ge­gen ei­nen Baum ge­setzt. Zum Glück ist der Mann nur leicht ver­letzt.«

»Schön und gut. Was aber ha­ben wir da­mit zu tun?«

»Die Tote war nackt und man hat ihr das Herz he­raus­ge­ris­sen. Wir sol­len be­ur­tei­len, ob es sich um ei­nen Ri­tu­al­mord oder et­was Ähn­li­ches han­deln könn­te.«

»Das klingt zu­ge­ge­ben un­ge­wöhn­lich. Die Sa­che ge­fällt mir aber trotz­dem nicht. So grau­sam das ist, den­ke ich, dass es sich bei dem Mör­der um ei­nen Men­schen han­delt. Ge­ra­de am Würg­en­gel, wo sich ja vie­le jun­ge Leu­te tref­fen, um sich ge­gen­sei­tig Angst zu ma­chen.«

»Eine Lei­che mit he­raus­ge­schnit­te­nem Her­zen ist kein Spaß. Das hat mit Angst ma­chen nichts mehr zu tun. Wir wer­den uns die Lei­che wohl an­schau­en müs­sen. Der Fall hat be­reits grö­ße­re Wel­len ge­schla­gen. Ich wur­de di­rekt vom In­nen­mi­nis­te­ri­um in­for­miert. Und das be­reits eine Stun­de, nach­dem man die Tote ge­fun­den hat.«

»Was ha­ben die da­mit zu tun?« Nils dreh­te den Kopf und schau­te sei­ne Tan­te über­rascht an.

»Eine der bei­den Frau­en ist die Toch­ter ei­nes hoch­ge­stell­ten Po­li­ti­kers. Sie hat so­fort mit ih­rem Va­ter te­le­fo­niert.«

»Trotz­dem hät­test du den Fall ab­leh­nen kön­nen.«

»Nein, Nils. Der Mi­nis­ter hat mich per­sön­lich ge­be­ten, mich um die Sa­che zu küm­mern. Du weißt, dass ich ihn aus frü­he­ren Zei­ten ken­ne.«

Nils blieb bei sei­ner Mei­nung, dass der Mord nicht in ihr Auf­ga­ben­spek­trum fal­len wür­de. Zwar war der Mör­der ohne Fra­ge ver­rückt, aber das war noch lan­ge kein Grund, Pa­ra­force mit dem Fall zu be­trau­en.

Auf der wei­te­ren Fahrt dach­te er schwei­gend über den Würg­en­gel nach. Es han­del­te sich da­bei um ein al­tes Berg­werk, in dem in der Zeit von 1871 bis 1945 Ei­sen­erz ab­ge­baut wur­de. Bis auf ein paar klei­ne Res­te der al­ten Ge­mäu­er gab es dort heu­te aber nichts mehr zu se­hen. Dem Ort wur­de nach­ge­sagt, dass es dort spu­ken wür­de. An­geb­lich soll­te man dort kei­ne Vö­gel zwit­schern hö­ren und es gab Leu­te, die be­haup­te­ten, dass ihr Fahr­zeug von al­lei­ne aus­ge­gan­gen sei, als sie sich dem Ge­län­de nä­her­ten. In zahl­rei­chen Fo­ren wur­den die aben­teu­er­lichs­ten Schau­er­ge­schich­ten er­zählt und es gab im­mer wie­der Ju­gend­li­che, die den Würg­en­gel be­such­ten und hoff­ten, dort tat­säch­lich auf eine Geis­te­rer­schei­nung zu tref­fen. Ei­ni­ge be­haup­te­ten, Schreie ge­hört oder den Geist ei­nes kopf­lo­sen Man­nes ge­se­hen zu ha­ben.

Zu Be­ginn ih­rer Zeit bei Pa­ra­force hat­ten sich Lena und Nils in­ten­siv mit die­sen Ge­schich­ten be­fasst und so­gar selbst zwei Näch­te in der Nähe des Würg­en­gels ver­bracht. Ge­fun­den hat­ten sie dort nichts. Und das wür­den sie auch heu­te nicht. Die Fahrt war rei­ne Zeit­ver­schwen­dung und Nils wuss­te, dass sei­ne Tan­te das ge­nau­so se­hen wür­de, wenn der Auf­trag nicht di­rekt aus dem Mi­nis­te­ri­um ge­kom­men wäre.


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