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Fantomas – Kapitel 6.1

Fantômas, das ist der Tod!

Mit dem Sergent zurück zum Château eilend, stieß Juve am Eingang zum Park auf Monsieur de Presles. Der Amtsrichter kam mit einem Auto aus Brives, welches er während der vergangenen Tage für sich persönlich requiriert hatte.

»Nun«, sagte Juve in seinem leisen, gemäßigten Ton, »haben Sie die Nachrichten vernommen?« Und da ihn der Amtsrichter verwundert anschaute, fuhr er fort: »Ich entnehme Ihrem Ausdruck, dass Sie dies nicht getan haben. Nun, Monsieur, wenn Sie freundlicherweise einen Haftbefehl ausstellen würden, könnten wir Monsieur Charles Rambert festnehmen.«

Juve wiederholte kurz dem Amtsrichter, was der Sergent ihm bereits gemeldet hatte. Dieser fügte einige weitere Details hinzu. Die drei Männer hatten zu Fuß die Treppe vor dem Haus erreicht und wollten die Stufen hinaufsteigen, als die Eingangstür des Schlosses geöffnet wurde und Dollon erschien. Er eilte mit ungekämmtem Haar und verstörtem Gesicht zu ihnen und schrie aufgeregt aus: »Wollten Sie sich nicht mit den Ramberts treffen? Wo sind sie? Wo sind sie?«

Der Amtsrichter, welcher durch das, was ihm Juve erzählt hatte, verdutzt war, versuchte, sich ein zusammenhängendes Bild vom Ablauf der Ereignisse zu machen. Aber der Kriminalbeamte erfasste die Situation sofort und wandte sich dem Sergent zu.

»Der Vogel ist ausgeflogen«, sagte er.

Betroffen schlug der Sergent seine Hände über dem Kopf zusammen.

***

In der Halle ordneten Juve und Monsieur de Presles dem Hausdiener Dollon an, ihnen einen genauen Bericht der Entdeckungen zu geben, welche durch Thérèse im Laufe der vorherigen Nacht gemacht worden sind.

»Nun, meine Herren«, sagte der alte Diener, der durch die Aufdeckung des Mörders der Marquise de Langrune sehr aufgebracht war. »Als ich am besagten Tag frühmorgens ins Schloss kam, fand ich die zwei alten Dienstmädchen Marie und Louise, wie sie sich ganz und gar um die junge Herrin kümmerten. Marie hatte in einem angrenzenden Zimmer geschlafen und wurde ungefähr um fünf Uhr durch die unartikulierten Schreie des armen Kindes geweckt. Mademoiselle Thérèse war schweißgebadet, das Gesicht von schwarzen Augenringen gekennzeichnet. Sie hatte schlecht geschlafen und zweifelsohne einen schrecklichen Albtraum gehabt. Sie wachte mehrere Male auf und murmelte einige unverständliche Worte zu Marie, die dachte, dass dies das Resultat einer hohen Gemütserregung sei. Ungefähr um sechs Uhr herum wurde Mademoiselle Thérèse, als ich eintrat, wirklich wach. In einem Anfall des Schluchzens und Schreiens wiederholte sie ständig die Namen ihrer Großmutter, der Ramberts und der Baronne de Vibray. Sie sagte immer wieder ›Mörder! Mörder!‹ und gab vielerlei Hinweise in Hinblick auf das Verbrechen. Aber wir waren nicht imstande, von ihr eine klare Aussage über das, was geschehen war, zu bekommen. Ich fühlte ihren Puls und fand, dass sie sehr fiebrig war. Louise b bereitete einen kühlen Trank zu, von dem sie überzeugt zu sein schien, dass sie ihn trinken würde. Ungefähr zwanzig Minuten später – es war fast halb sieben – beruhigte sich Mademoiselle Thérèse ein wenig und schaffte es, uns zu berichten, was sie während der Nacht vom Gespräch zwischen Monsieur Rambert und seinem Sohn gesehen und gehört hatte.«

»Was taten Sie dann?«, fragte Monsieur de Presles.

»Ich war selbst zu sehr aufgeregt, Monsieur, und schickte Jean, den Kutscher, nach Saint-Jaury, um den Doktor zu holen und Sergent Doucet zu benachrichtigen. Sergent Doucet kam als Erster hier an. Ich sagte ihm alles, was ich wusste. Danach ging ich mit dem Doktor nach oben, um nach Mademoiselle Thérèse zu sehen.«

Der Amtsrichter wandte sich an den Sergent und befragte ihn.

»Monsieur Dollon erzählte mir geradewegs seine Geschichte«, antwortete der Sergent. »Ich dachte, dass es meine Aufgabe wäre, Monsieur Juve darüber zu berichten, da ich wusste, dass er nicht weit vom Schloss auf dem Weg nach Verrières war. Monsieur Juve sagte mir gestern Abend, dass er beabsichtigte, jenen Teil am frühen Morgen zu untersuchen. Ich verließ am Eingang des Schlosses den diensttuenden Morand mit der Order, jeden der Ramberts daran zu hindern, abzureisen.«

»Und hat Morand sie nicht weggehen gesehen?«, fragte der Amtsrichter.

Juve hatte bereits erahnt, was geschehen war, und antwortete für den Sergent.

»Morand konnte sie offensichtlich aus dem Grund nicht weggehen sehen, da sie lange vorher – mitten in der Nacht – direkt nach ihrem Streit abreisten. Kurzum, bevor Mademoiselle Thérèse aufwachte.« Er wandte sich dem Sergent zu. »Was ist seitdem getan worden?«

»Nichts, Inspecteur.«

»Nun ja, Sergent«, sagte Juve. »Ich glaube, dass Euer Gnaden Ihnen anweisen wird, Ihre Männer sofort nach den Ausreißern auszusenden.« Aus Gründen der Höflichkeit schaute er flüchtig auf den Amtsrichter, als ob er dessen Zustimmung erfragte. Er tat dies anstandshalber, denn er betrachtete es als selbstverständlich.

»Natürlich, sagte der Amtsrichter, tun Sie es bitte sofort.

Der Sergent machte auf dem Absatz kehrt und verließ die Eingangshalle.

»Wo ist Mademoiselle Thérèse?«, fragte Monsieur de Presles den Diener Dollon, welcher nervös abseitsstand.

»Sie schlief vorhin friedlich«, sagte der Diener hervortretend. »Der Doktor ist bei ihr. Falls Sie nichts einzuwenden haben, sollte sie lieber nicht gestört werden.«

»Sehr gut«, sagte der Amtsrichter. »Ich möchte Sie bitten, uns allein zu lassen.«

Und Dollon entfernte sich.

Juve und Monsieur de Presles schauten sich gegenseitig an. Der Amtsrichter war der Erste, der das Schweigen brach.

»Ist es damit zu Ende?«, gab er zu bedenken. »Ist dieser Charles Rambert der Schuldige?«

Juve schüttelte seinen Kopf. »Charles Rambert? So, er sollte der Schuldige sein?«

»Warum diese Bedenken?«, fragte der Amtsrichter.

»Ich sagte sollte sein. Alle Umstände weisen auf diesen Schluss hin. Doch mein Bauchgefühl sagt mir, dass er es nicht ist.«

»Sicherlich können die Vermutungen seiner Schuld, sein Pseudogeständnis oder zumindest sein Schweigen angesichts der formalen Beschuldigung seines Vaters uns Glauben schenken, dass er es ist«, sagte Monsieur de Presles.

»Es gibt aber auch einige Annahmen zugunsten seiner Unschuld«, erwiderte Juve zögerlich.

Fortsetzung folgt …

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