Archive

Westernkurier 10/2014

Sie nannten sich The Saints – Teil 1

Auf ein Wort, Stranger, wer sich für die Besiedelung des amerikanischen Westens interessiert, weiß, dass einer der Gründe die ganze Sippschaften dazu brachten, auszuwandern und ein besseres Leben im Westen zu suchen, der Wunsch nach Befreiung von religiöser Verfolgung war, wenn nicht sogar der Grund schlechthin.

Und damit sind wir schon mitten im Thema.

Keine Emigrantengruppe in der Pioniergeschichte Amerikas hatte davor oder danach unter eben diesem Aspekt mehr zu leiden als die Anhänger der Kirche Jesu Christi der Heiligen der Letzten Tage.

Sie selber nannten sich The Saints, eine Bezeichnung, die heute allerdings kaum noch jemand zuordnen kann. Anders sieht es aber aus, wenn man jenen Namen verwendet, unter dem diese Glaubensgemeinschaft außerhalb ihrer Reihen nicht nur bekannt, sondern geradezu legendär geworden ist.

Sie ahnen es sicherlich schon, die Rede ist hier von den Mormonen.

Niemand, der sich für das Thema Wilder Westen interessiert, kommt an ihnen vorbei. Gleichwohl dürfte jedem Westernfreund spätestens jetzt klar sein, dass man ihre Geschichte gerade deshalb nicht in einer Kolumne abhandeln kann, so kurz diese Abhandlung auch sein mag.

Deshalb wird auch unser Bericht mehrere Teile umfassen, obwohl wir uns selbst bei dieser erweiterten Berichterstattung nur auf die wichtigsten Informationen beschränken.

 

***

 

Jeder Treck von Emigranten, der sich von Osten aus auf den Weg in das 1200 Kilometer entfernte Kalifornien mit seinen immergrünen Weiden und den lieblichen Tälern aufmachte, eilte durch Utah und das Salt Lake Valley so schnell hindurch, wie er nur konnte.

Anders jene Gruppe von Pionieren, die im Juli 1847 das sonnenverbrannte Land erreichten, 143 Männer, drei Frauen, zwei Jungen und über 300 Stück Vieh, Ochsen, Pferde, Kühe, Maultiere, Hunde und Hühner.

Sie waren gekommen, um zu bleiben, wild entschlossen, diesen Glutofen zu ihrer neuen Heimat zu machen.

Am späten Vormittag des 23. Juli, so gegen halb zwölf, spannten die ersten Mormonen, die jemals den Boden von Utah betreten hatten, drei Pflüge und eine Egge vor die Wagen, und begannen mit ihren reisemüden Ochsen Furchen in die sonnenverbrannte Erde zu reißen.

Aber diese ersten Versuche, das Land zu bebauen, schlugen fehl.

Der Boden des Salt Lake Valley, das hoch an den westlichen Abhängen der Rocky Mountains lag, war von der Wüstensonne Utahs so hart gebacken, dass sogar die eisernen Pflugscharen der Mormonen daran zerbrachen.

Während sich einige der Mormonen um die Reparatur der Gerätschaften kümmerten, schlugen andere Weidegebüsch ab und verschoben Felsblöcke, um einen kleinen Fluss zu stauen, der aus den verschneiten Höhen der Berge gespeist wurde. Einer von ihnen berichtete damals: »… Dieses Land ist die Hölle, es gibt keinen einzigen Flecken Erde, der uns während unserer harten Arbeit Schatten spendet, kein Strauch oder Baum, den man zu recht so benennen konnte.

Und tatsächlich, als das Schmelzwasser den Boden ihrer Lagerstatt überschwemmte, kühlte es die hart gebackene Erde auf fast 35° Celsius herab und machte den Boden geschmeidig.

Am Mittag des nächsten Tages hatten die Männer zwei Hektar dieses unwirtlichen Landes gepflügt, Kartoffeln, Mais und Buchweizen angepflanzt und Bohnen und Rübensetzlinge gesät. Der Legende nach war Gott mit ihrer Arbeit so zufrieden, dass er einen Regenschauer über das Land niedergehen ließ, um die frische Saat zu gießen und den erschöpften Menschen Abkühlung zu bringen.

Nur eine Legende, wird jetzt der eine oder andere behaupten.

Gewiss, aber wenn in einem Land, in dem es manchmal ein ganzes Jahr nicht regnet, ausgerechnet dann ein Regenschauer herniedergeht, wenn die Felder bestellt und eine Saat begossen werden muss, die vielen Menschen einmal Nahrung bringen soll, so ist solch ein Ereignis immer für Legendenbildungen gut.

Fromm, fleißig und puritanisch gingen die Mormonen daran, die sonnendurchglühte Ödnis des Salt Lake Valley fruchtbar zu machen, um in dieser Einsamkeit und Abgeschlossenheit ihren Traum zu erfüllen – Gottes Königreich auf Erden zu errichten.

In der kurzen Geschichte ihrer Kirche, seit sie ihr erster Führer und Prophet Joseph Smith gegründet hatte, war dieser Traum bereits schon dreimal zerstört worden.

Die Wut des Pöbels und der Andersdenkenden hatte sie bereits in Ohio, Missouri und Illinois aus ihren Häusern vertrieben.

Doch ihr bitteres Los hatte sie nicht verzweifeln lassen, sondern sie zu so einer festen Gemeinschaft zusammengeschweißt, dass sie bereit waren, dem Wüstenstaat Utah und ganz besonders dem abschreckenden Salt Lake Valley zu trotzen, um dort ihr Paradies zu errichten.

Aber zunächst einmal lag das Schicksal der Mormonenkirche in der Hand jener knapp 150 Männer und Frauen, die im Juli 1847 versuchten, Utah urbar zu machen und damit den Weg für die nachfolgenden Brüder und Schwestern zu ebnen.

1800 von ihnen folgten bereits ihren Wagenspuren und etwa weitere 13 000 warteten in den Prärien von Nebraska und Iowa geduldig auf ihr Zeichen, ebenfalls aufzubrechen.

Aber bis es soweit war, galt es noch so manchen Kampf mit der menschenfeindlichen Natur Utahs auszufechten.

 

***

 

Oft genug war das Resultat ihrer Bemühungen in den Anfangsjahren niederschmetternd.

Nicht nur einmal war das einzige Zeichen von Leben und Wachstum ein Schwarm immer dicker werdender Grillen, die sich an den welken Blüten und Früchten ihrer Erzeugnisse labten.

»Schwach und erschöpft, wie ich bin«, vertraute eine der Frauen damals ihrem Tagebuch an, »würde ich doch lieber tausend Meilen weiter laufen, als an so einem trostlosen und öden Ort wie diesem zu bleiben.«

Ein neutraler Beobachter, der in diesen Tagen durch das Salt Lake Valley zog, konnte diesen Worten nur zustimmen.

Das Tal erstreckte sich fast 32 Kilometer von Westen nach Osten und etwa doppelt solang von Norden nach Süden hin. Hier brüteten Sand- und Salzflächen in der Hitze, dort blubberten heiße Schwefelquellen oder strömten übelriechende Dämpfe aus den sumpfigen Niederungen jener Quellen. Sandflöhe, giftige Nattern und Skorpione und undurchdringliches Gebüsch, dessen fingerlange Dornen nur darauf warteten, einem unvorsichtigen Wanderer Arme und Beine zu zerschneiden, waren die einzigen Bewohner dieses Tals. Selbst die Indianer kamen nur hierher, wenn die Grillen wieder einmal besonders fett waren und es sich lohnte, sie über dem Feuer zu rösten.

Brigham Young jedoch, der nach der Ermordung Joseph Smiths dessen Nachfolger als Oberhaupt der Mormonenkirche geworden war, zweifelte keinen Augenblick daran, dass dieses Tal zur Besiedelung geeignet war.

Der dynamische, zur Zeit seiner Ankunft in Utah 46-jährige Yankee war aber auch ein Pragmatiker reinsten Wassers. Ein gutherziger, stämmiger Mann, der trotz seiner besonderen Stellung in der Mormonenkirche das Leben in all seinen Facetten in vollen Zügen genoss und überhaupt keine Eile hatte, in den Himmel zu kommen.

Einer Überlieferung nach hatte Young noch in den Bergen, als er von dort oben aus die Gegend überblickte, eine Vision.

»Das hier ist der richtige Platz!«, soll er damals beim Anblick des Tales ausgerufen haben. »Wie ein Stein aus einer Schleuder sind wir niedergefallen und an diesem wundervollen Ort gelandet, an dem der Herr sein Volk versammeln möchte.«

Schon bald war klar, dass dieses Tal nur so lange ein wundervoller Ort war, solange man es bewässerte. Es gab zwar im Osten und Westen im Wasatch-Gebirge mehr als genug Wasser, da die 4000 Meter hohen Gipfel regelmäßig die Feuchtigkeit der Pazifikwinde abfingen, die vom Meer her ins Land wehten und dieses in Dutzenden von Gebirgsbächen sprudelnd bergab in die sonnenverbrannte Einöde schickten.

Aber entweder versickerte das Wasser der Flüsse bald nach dem Verlassen der Berge wieder, oder aber ergoss sich in einen seichten Fluss an der Ostseite des Tales, dessen Lauf nach Norden in den Utahsee führte und sich irgendwann im salzigen Sumpfgebiet des Großen Salzsees verlor.

Die Saints, welche schnell die Ähnlichkeit mit Palästinas Wasserversorgung erkannten, wo das Süßwasser des Sees Genezareth den Jordan hinab zum Toten Meer fließt, gaben ihrem Fluss in Utah den Namen Jordan des Westens.

Doch Young war kein Mann der langen Reden. Keine vier Tage, nachdem er mit dem zweiten, 1800 Menschen zählenden Siedlerstrom eingetroffen war, schmiedete er mit seinen Beratern bereits Pläne für die endgültige Besiedlung des Tales durch die Mormonen.

Dass eine solche möglich war, hatten ihm die allerersten Bewässerungsversuche gezeigt, die das Tal, wenn auch nur kurzfristig, in fruchtbares Ackerland verwandelt hatten.

Was aber letztendlich für den Entschluss der Mormonen, hierzubleiben, den Ausschlag gab, war die Tatsache, dass diese Gegend von niemandem beansprucht wurde.

Sogar die Indianer machten um diesen Glutofen in der Regel einen großen Bogen.

 

***

 

War der Entschluss, im Valley zu bleiben, erst einmal gefasst, ging es von da an stetig voran.

Brighams Pläne zum Aufbau eines Mormonenstaates waren präzise genug, um sofort mit den Arbeiten beginnen zu können.

Zwischen der nördlichen und südlichen Gabelung des von ihnen gestauten Flusses sollte ein 16 Hektar umfassender Tempel entstehen, dessen Ausdehnung aber schließlich auf 4 Hektar begrenzt wurde. Die neu entstehende Stadt wurde in 135 Blöcke zu je 4 Hektar aufgeteilt, und jeder Block wiederum bestand aus acht Parzellen zu je einem halben Hektar.

Die Straßen durften entweder nur von Norden nach Süden oder von Westen nach Osten verlaufen und sollten in der Breite circa 40 Meter messen. Die Bürgersteige sollten sechs Meter breit sein und alle Häuser sechs Meter von der Straße zurückliegen und mit Obstbäumen und schönen Grünpflanzen geschmückt sein.

Die landwirtschaftlichen Flächen waren außerhalb der Stadtgrenze geplant.

Mechaniker und Handwerker sollten je eine Parzelle zu zwei Hektar, die Bauern eine zu 16 oder 32 Hektar erhalten.

Um Härtefälle oder Ungerechtigkeiten zu vermeiden, würde über die Landverteilung im Losverfahren entschieden, so wie im alten Israel.

Bevor es aber daranging, diese Pläne zu verwirklichen, mussten die Mormonen ihre Arbeitskraft aber zunächst einmal in den Bau von Unterkünften für den bevorstehenden Winter investieren.

Wie immer bei den Mormonen erfolgten solche Dinge in der großen Gemeinschaft, und so entstand innerhalb von nur einem Monat ein massives Fort mit 29 Holzhäusern, einer Schmiede, einem Corral und einem Gemeinschaftsspeicher.

Daraufhin machte sich Brigham Young am Morgen des 26. August mit einer Abordnung von 106 bewaffneten Männern auf, um Hunderte Meilen weiter östlich jene 13 000 Glaubensbrüder und Schwestern ins Gelobte Land zu geleiten, die inzwischen schon monatelang in den Prärien von Iowa und Nebraska darauf warteten, endlich das Zeichen zum Aufbruch zu bekommen.

Über das Mormonentum selber berichten wir im zweiten Teil unserer kleinen Abhandlung über die wahre Geschichte dieser Glaubenssekte.

Dazu noch ein Hinweis am Rande.

Wer sich für dieses Thema interessiert und mehr erfahren will, sollte sich, wenn er denn Zeit hat oder in der näheren Umgebung wohnt, folgenden Termin vormerken.

Am 27. Oktober um 19 Uhr hält einer der besten Westernexperten Deutschlands im Airport Hotel Dresdener Heide, Karl–Marx–Straße 19 in 01109 Dresden einen Vortrag über das Leben dieser uramerikanischen Glaubensgemeinschaft.

Die Rede hier ist von niemanden anderes als von Dietmar Kuegler.

Ich glaube, man kann mit Fug und Recht behaupten, dass dies eines der Top-Events schlechthin sein wird, was das Thema amerikanische Pioniergeschichte angeht.

In diesem Sinne

Euer Slaterman

Quellen:

  • Die Pionier von Huston Horn  aus der Time Life Bücherreihe Der wilde Westen
  • Der Cowboy von H. J. Stammel aus dem Bertelsmann Lexikon Verlag