Ein friedliebender Mann
Der Wilde Westen brachte eine Menge Typen von Menschen hervor. Manche wurden zu Lebzeiten berühmt, andere gerieten in Vergessenheit, die meisten wurden geschichtlich nie erwähnt. Hollywood nimmt sich der Berühmten an und zeigt uns manchmal ein verfälschtes Bild. Es ist schwierig, zwischen Wahrheit und Fiktion zu unterscheiden.
Es gab sie alle; Glücksspieler und Prostituierte, Siedler die ihr karges Leben fristeten, Rancher, Trapper, Goldsucher, Outlaws, Revolvermänner und Gesetzeshüter. Jeder einzelne war ein Abenteurer auf seine Weise. Viele jagten ihren Träumen hinterher und manch einer gelangte zu Macht, Ruhm und Reichtum, sei es durch harte Arbeit, Glück oder Raub und Mord.
Chauncey Belden Whitney, 1842 geboren, war weit davon entfernt, ein Revolvermann zu sein. Von seiner Kindheit ist nichts bekannt. Wahrscheinlich wollte er seine Schwäche bezwingen, indem er kämpfte. Er ließ sich in Ellsworth, Kansas, nieder und kandidierte 1867 erfolglos für das Amt des Sheriffs. Im Jahr darauf gelang es ihm, von der County Verwaltung als Constable angestellt zu werden. Doch das Gefängnis einzurichten und Handelslizenzen der Geschäftsleute zu überprüfen, reichte ihm nicht. Wie viele andere wollte auch er etwas Ruhm und Anerkennung. Er verließ Ellsworth und schrieb sich als Scout in Colonel George A. Forsyth’s Truppe ein, um in den Indianerkriegen Bestätigung und Ruhm zu erlangen. Nur wenige Wochen später bereute er seinen Entschluss.
Seine Truppe lagerte auf einer kleinen Flussinsel des Arickarees River, nahe dem heutigen Wray, CO, als sie im Morgengrauen von Cheyenne angegriffen wurden. Lieutenant Frederick Beecher, nach dem die Insel später benannt wurde, war einer der Ersten, die starben, weitere sollten folgen. Sie verschanzten sich so gut es ging, doch die Indianer ließen einen wahren Pfeilregen auf sie herabprasseln. Die Essensrationen waren bald aufgebraucht und sie ernährten sich vom Fleisch der toten Pferde. Zwei Männer wurden entsandt, um Hilfe zu holen, ungewiss, ob sie die Linien der Indianer durchbrechen konnten. Whitney beschrieb die Angst, die er in den Tagen des Kampfes empfand, in seinem Tagebuch. Als am 25. September 1868 das Hornsignal der Kavallerie ertönte, war die Insel eingebettet in einen Fliegenschwarm und einem unbeschreiblichen Gestank von Leichen und Pferdekadavern.
Wie seine Tagebuchaufzeichnungen bezeugen, war er weit davon entfernt, als großer Kämpfer an vorderster Front zu dienen. So gut es ihm möglich war, hatte er sich aus den Kämpfen zurückgehalten und versteckt. Er verließ die Armee und ging zurück nach Ellsworth. Dort war er ein angesehener Mann, hatte er doch gegen Indianer gekämpft und überlebt. Niemand wusste von seinen weniger ruhmreichen Taten. Als First Lieutenant wurde er in die Kansas-State-Miliz aufgenommen. Vorwiegend versah er seinen Dienst als Wachposten vor dem Gouverneurspalast. Als er am 27. Juli 1871 das Amt des Town Marshals übernahm, sah er sich am Ziel seiner Wünsche. Einige Monate später wurde er zum County Sheriff gewählt. Doch Whitney war alles andere als ein Kämpfer. Mit den rauen Cowboys kam er nicht zurecht. Entscheidungen traf er ungern. Er wollte es allen recht machen und mit jedem gut Freund sein. Je mehr er sich von den Cowboys gefallen ließ, desto mehr sank er in der Achtung seiner Mitbürger. Seine großartigste Leistung als Gesetzesmann war im Dezember 1872, als er einen Betrüger fing.
Wann er seine Frau Nellie Viola heiratete, geht aus den Quellen nicht hervor. Seine Tochter Mary Elizabeth wurde 1872 geboren.
Am 15. August 1873 gerieten Billy und Ben Thompson mit einigen Cowboys in Streit. Schüsse fielen. Die Bürger flohen in ihre Häuser, ebenso die Gesetzeshüter, wie aus Zeitungsberichten hervorgeht. Im Stich gelassen, versuchte Whitney mit dem Mut der Verzweiflung, waffenlos den Streit zu schlichten. Er bat Billy Thompson, ihm seine Schrotflinte auszuhändigen. Der Betrunkene lachte und feuerte. Von der Schrotladung aus nächster Nähe getroffen, brach Whitney zusammen und verblutete in der staubigen Straße von Ellsworth. Billy Thompson grölte: »Ich hätte selbst Jesus Christus erschossen.«
Niemand kam Whitney zu Hilfe, niemand verhaftete den Mörder. Mehr als drei Jahre später fand eine Gerichtsverhandlung statt, in der Billy Thompson des Mordes an Whitney angeklagt wurde. Kein Zeuge war bereit, gegen Thompson auszusagen. Zu groß war die Angst vor seinem Bruder, dem berüchtigten Revolvermann Ben Thompson. Es wurde als Unglücksfall bezeichnet und Thompson verließ das Gericht als freier Mann.
Eine ganze Stadt hatte einen Mord beobachtet, doch die Furcht war größer, als dass der Gerechtigkeit Genüge getan wurde.
Quellen:
- Kügler, Dietmar: Sie starben in den Stiefeln. Revolvermänner des Wilden Westens. Bindlach. Gondrom Verlag, 1995.
- www.findagrave.com
- www.kansasmemory.org
(Montana)