Im Gespräch mit Uwe Lammers
Fragte man vor zwei Jahren nach dem Autor Uwe Lammers, wurde – meist mit schmunzelndem Unterton – ausgeführt, dass der Gute dem Vernehmen nach »Dutzende von Regalmeter« voller Ordner stehen habe in seinem Braunschweiger Domizil, die allesamt zum Platzen gefüllt seien mit Romanen einer Serie, die den – für mich – merkwürdig kindhaften Titel trug Der Oki Stanwer Mythos. Dass es in diesen Ordnern aber auch mehrere mehr als 1.000 Seiten umfassende Romane einer anderen Serie namens Archipel gebe, und erst recht unzählige Kurzgeschichten. Allen diesen Projekten sei wohl eines gleich: Sie ließen sich nur schwer eindeutig zuordnen: Science Fiction? Fantasy? Horror?
»Schwer zu erklären!«, war noch eine der häufigsten Bemerkungen, die mir in diesen ersten Tagen meiner »Fernbekanntschaft« mit dem Autor Uwe Lammers präsentiert wurde, wenn ich mich näher nach dessen Werk erkundigte. Zu erfahren war hingegen, dass der nämliche eigentlich Historiker von Beruf sei, 47 Jahre alt. Dass er neben dem Romaneschreiben und x anderen publizistischen Aktivitäten seit knapp 100 Ausgaben mit absoluter Zuverlässigkeit auch noch ein Fanzine betreue, herausgegeben vom Science Fiction Club Baden-Württemberg (www.sfcbw-online.de), veröffentlicht im Monatsrythmus mit winzigster Auflage – und das, obgleich er in Braunschweig lebt. Dass er sich darin als begeisterter Phantast im positivsten Sinne präsentiere und den ganzen Club anfeure, mehr Phantasie zu leben und diesbezüglich mit Energie vorangehe – mit unzähligen Stories, Fortsetzungsromanen, Rezensionen, Leitartikeln – auch zu komplexen Themen wie dem Israel-Gaza-Konflikt oder zum Beginn des Ersten Weltkriegs … und dass er sich insbesondere in diesen Artikeln als überzeugter und strukturiert argumentierender Pazifist präsentiere.
Anfang 2013 schließlich hörte ich, dass dieser Uwe Lammers mit seinem gewaltigen Fundus an Romanen »wohl endlich!« den Weg zum E-Book gefunden habe.
Und tatsächlich – das, was mir bisher als – Pardon! – eher merkwürdiges Gedankenkonstrukt aus diversen Fanzines herüber irrlichterte, war im Kindle-Shop zu bewundern: Der Oki Stanwer Mythos – Oki Stanwer und das Terrorimperium, Band 01: Das Erbe der Forscherin.
Zu einem verblüffend günstigen Downloadpreis von 0,99€ präsentierte sich hier ein verführerisch aufgemachtes E-Book! – Die Geschichte, die sich in der Galaxis Twennar entspinnt, nachdem die greise Sternenforscherin Sianlee stirbt und klar wird, dass jene ein brisantes Geheimnis wahrte, ist routiniert geschrieben, hier und da (für meinen Geschmack) noch mit zu wenig psychologischem Tiefgang der Alien-Protagonisten und von vermeidbaren »Gags« torpediert (»Ein Expeditionsschiff auf dem Weg in die Tiefen der Galaxis – und auf dem Pfad uralter Gefahren …«).
Aber … hallo!
Trotz dieser üblichen Anfängerfehler war da ein Autor am Werk, welcher den Mut (und die technisch versierten Mitstreiter) gefunden hatte, sein in Jahrzehnten geschaffenes phantastisches Romanwerk der explosiv wachsenden Kindle-Shop-Community vorzustellen. Der via seines Blogs (www.oki-stanwer.de) Einblick in seine Gedankenwelt und Arbeitsprozesse gibt und sich seiner Fans annimmt und sie ernst nimmt.
Monat für Monat wird seither ein Roman aus der – vereinfacht ausgedrückt – OSM-Serie um das »Terrorimperium« veröffentlicht. Ergänzend und in lockerer Folge erscheinen zudem Episoden Aus den Annalen der Ewigkeit sowie Storybände (Die Katze, die die Sonne stahl). 21 E-Books liegen mittlerweile vor.
Kurzum: Es wurde höchste Zeit für dieses Interview.
Doris Adamzyk: Hallo Uwe, und danke, dass du dir trotz deines Arbeitspensums Zeit für diesen Rücksturz zur Erde nimmst und dich von mir mit ein paar Interviewfragen der hoffentlich anderen Art ausquetschen lässt!
In einem Interview, das du mit dem Autor Martin Baresch geführt hast (der u.a. die Bastei-Grusel-Serie Damona King geschrieben hat, oder später die Bücher zu Filmen von Roland Emmerich, u.a. Das Arche Noah Prinzip), erwähnst du Marcel Proust. Deshalb würde ich gern mit ein paar Fragen aus dem von Proust in den Pariser Salons des 19. Jahrhunderts ausgefüllten und dank ihm berühmt gewordenen »Fragebogen« beginnen:
Was wäre für dich das größte Glück?
Uwe Lammers: Das größte Glück … eigentlich eine philosophische Kategorie, zu der es ganze Bibliotheken gibt. Ich bleibe da, hoffe ich, auf dem Boden des Realen. Da ich ein eher bescheidener Mensch bin, wäre das größte Glück für mich Folgendes:
Ich habe die Fähigkeit, schreiben zu können, geschenkt bekommen, Welten zu entdecken und zu erschließen, von denen ich mir erhoffe, dass sie nicht mit mir sterben und im Nebel des Vergessens versinken. Mein größter Wunsch für die Gegenwart ist darum, dass ich in der Lage sein werde, das, was ich schon geschrieben habe und die vielen Dinge, die ich schon ahne und sehe, aber noch nicht ausformuliert habe, niederschreiben zu können und dies so lange als irgend möglich. Ich wäre glücklich, wenn ich das machen könnte und irgendwann vom Schreiben leben könnte – und wenn das, was ich täte, zugleich dazu beitrüge, dass ich all diese phantastischen Bilderwelten mit zahllosen neugierigen Lesern dort draußen in der Weite der Welt teilen könnte.
Wie schon gesagt, ich bin ein bescheidener Mensch. Ich denke nicht in Kategorien wie Ruhm oder Reichtum. Beides halte ich für vergänglich und dem persönlichen Glück nur in sehr begrenztem Maße zuträglich.
Doris Adamzyk: Wie möchtest du sterben?
Uwe Lammers: Friedlich natürlich, in möglichst hohem Alter und nach einem erfüllten, harmonischen Leben. Wir wissen natürlich, dass die Wahrscheinlichkeit dafür eher gering ist. Da ich physisch meinem Vater sehr ähnele, der Anfang Dezember 2013 von uns gegangen ist, halte ich es für prinzipiell möglich, dass manche seiner gesundheitlichen Einschränkungen in späten Jahren auch mich treffen könnten. Da ich allerdings weder rauche noch Alkohol zu mir nehme und mich relativ gesund ernähre und physische Risiken wie etwa gefährliche Sportaktivitäten meide, hoffe ich, doch recht lange durchhalten zu können.
Auf der anderen Seite möchte ich hier ergänzend einfügen, dass ich als nomineller Katholik und bekennender Dualist der Auffassung bin, dass unser Leben aller Wahrscheinlichkeit nach nicht mit der Geburt beginnt und mit dem Tod endet, sondern dass meiner Überzeugung nach dies ein Kreislauf von Werden und Vergehen ist. Ein junger Angehöriger meiner Familie, der sich mit dem Priesterberuf als Berufung trägt, antwortete mir, befragt nach dem Ziel der Seelenwanderung und Reinkarnation: »Für mich gibt es nur eine Antwort: Nach diesem Prinzip: keines. Es ist ein Kreislauf, der niemals endet.«
Dies ist nicht meine Ansicht. Ich denke, vermute, hoffe, dass wir in unserer jeweiligen Inkarnation durchaus ein bestimmtes Ziel haben. Meiner Meinung nach besteht das in der immer besseren Ausformung unserer zentralen Befähigungen. Für mich sehe ich das – in dieser Inkarnation – im Schreiben. Diesen … nennen wir es … Reinkarnationszyklus verstehe ich als eine Art aufwärtstrebende Spirale – die mehr und mehr hinführt zu individueller Vervollkommnung in qualitativer Weise.
Der Tod gehört für mich also zum Leben dazu und stellt für mich mehr ein Tor in eine weitere Form der Existenz dar als das schwarze, lichtlose Loch, als das viele Menschen ihn betrachten. Wohl auch deshalb nehmen Gedanken zu Reinkarnation und des Lebens nach dem Tode (durchaus nicht ausschließlich religiöser Art) in meinem Werk und im OSM breiten Raum ein. Einen Eindruck kann man gewinnen bei der Lektüre meines E-Books Im Zug (2013).
Doris Adamzyk: Verrätst du uns deine Lieblingsheldin in der Wirklichkeit? Und in Romanen? Und in der realen Geschichte? – Bist du als Historiker und Autor überhaupt einer, der die Realität wahrnimmt, das, was heute geschieht und wohl »Geschichte« wird? (Sorry, das waren jetzt vier Fragen in einer.)
Uwe Lammers: Oje, mit »Helden« habe ich sowohl in der Realität als auch in Romanen Probleme. Das liegt an meiner Grundeinstellung – als Biografiehistoriker habe ich gelernt, dass sich die Wahrheit nicht in Hell und Dunkel aufteilen lässt, sondern tausend Grauschattierungen zu finden ist. Befasst man sich mit Biografien, seien es reale oder fiktive, dann wird man immer entdecken, dass »Heldentum« eine höchst subjektive Kategorie ist, die allenfalls … saisonal zutreffend ist.
Ein Beispiel: Barack Obama. Als er zum Präsidenten der USA gewählt wurde, sahen viele Menschen einen Heilsbringer in ihm (wie übrigens, historisch gesehen, auch in Präsident Thomas Woodrow Wilson gegen Ende des Ersten Weltkriegs, und gerade Wilsons Schicksal in den Jahren ab 1918 zeigt überdeutlich, wie verheerend Glorifizierung ist und wie schnell so etwas in Verachtung und Hass umschlagen kann). Bei Obama war ich von Anfang an vorsichtig in meinen Beurteilungen. So positiv das Zeichen war, ein Schwarzer könne Präsident einer einstigen Sklavenhalterkultur werden, so wenig hielt ich ihn, alleine qua Hautfarbe für einen besseren Menschen. Den Zwängen der Politik würde er sowieso nicht entgehen können … und folgerichtig hielt ich auch die Verleihung des Friedensnobelpreises an ihn wenigstens für verfrüht.
Darum kann ich keinen Lieblingshelden (und leider auch keine Lieblingsheldin) in der Realität benennen.
Ich bewundere natürlich eine Menge Menschen, aber ich würde niemandem das Label »Held« aufkleben wollen. Helden sind im Kern mediale Produkte, und der Heldenruhm, der ihnen anhaftet, ist manchmal kurzlebig, oftmals aber auch fragwürdig. Was, beispielsweise, unterscheidet einen Mörder im Zivilleben von den dekorierten Soldaten, die aus dem Krieg heimkehren? Die einen sind Verbrecher, die anderen sind »Helden«. Getötet haben sie beide … ich sehe da wenig Sinn, eine so fragwürdige Kategorie zu verwenden.
Andererseits: Ja, ich glaube schon, dass ich mich als jemand betrachten kann, der das Geschehen in der Realität unserer Zeit registriert … und oftmals daran leidet. Vielfach geben mir Geschehnisse, die ich täglich im Radio oder in Zeitungen mitbekomme, Impulse für zeitkritische Editorials in dem von dir erwähnten Fanzine Baden-Württemberg Aktuell (BWA), auch meine historische Lektüre vertieft mein diesbezügliches Wissen, und mein Studium der Geschichte und die Tätigkeit als Historiker brachte mich stets in direkten Kontakt mit aktuellen politischen Themen.
Man kann, glaube ich, gar nicht als interessierter Mensch durch die Welt gehen, auch nicht als »aktiver« Phantast, ohne mit kritischen Gegenwartsthemen konfrontiert zu werden. Man muss nicht immer Stellung beziehen, aber für die eigene Meinungsbildung und Entwicklung der Persönlichkeit ist es sehr wichtig, sich nicht in einen Elfenbeinturm zurückzuziehen und allein seine Träume zu leben. Das wäre eine irreale Form der Existenz, die mir nicht liegt.
Doris Adamzyk: Was verabscheust du am meisten?
Uwe Lammers: Ich habe eine Weile über die Frage nachgedacht, und sie ist mir eigentlich zu amorph. Dass wir nicht in einer optimalen Welt leben und es vieles gibt, was mir missfällt und was verbesserungswürdig wäre, ist offensichtlich. Hier nun eine Art von Rangliste aufzuführen, erschiene mir falsch. Drum ist auch die Auflistung, die nun folgt, nicht qualitativ zu verstehen, sie folgt so, wie mir die einzelnen Punkte einfallen: mir missfällt beispielsweise die in vielen Ländern der Welt immer noch praktizierte Unterdrückung der Frauen, die Tatsache, dass sie von Bildung und Selbstbestimmung, oftmals auch von Alphabetisierung ferngehalten werden, um sie in Unmündigkeit zu halten; mir missfällt, dass Menschen noch immer glauben, sie könnten mit Waffengewalt und dem Töten von Gegnern dauerhaften Frieden schaffen (etwas Dümmeres kann man sich eigentlich nicht denken); mir missfällt, dass so viele Personen, auch sehr kluge darunter, kategorisch versuchen, nicht über die Frage der Übervölkerung unserer Welt nachzudenken, sondern sich in den Gedanken verrennen, man müsse noch mehr Nahrungsmittel produzieren, um noch mehr Menschen zu ernähren (als wenn man an der Vermehrung der menschlichen Spezies nichts tun könnte); ich missbillige religiöse und ideologische Intoleranz jedweder Art; ich lehne Rassismus und Unterdrückung aus sexuellen Gründen kategorisch ab … Ich könnte diese Auflistung noch beliebig fortführen.
Wir befinden uns eben nicht in der idealen Welt, und ich fürchte, wenn der oben erwähnte Reinkarnationsgedanke und die Spirale der moralischen Vervollkommnung Realitätswert besitzen, dann sind die meisten Menschen heute von dem Ziel noch sehr weit entfernt. Ich frage mich manchmal, ob die Welt das aushalten wird, bis auch die hartgesottensten von uns soweit in ihrer individuellen Reifung vorangekommen sind, dass sie wissen, wie sie mit der Umwelt umzugehen haben …
Doris Adamzyk: Du schreibst im phantastischen Bereich sehr eigenwillige, umfangreiche und komplexe Romane und Romanserien – was hat dich dazu motiviert? Was war der Zünder für diese Leidenschaft?
Uwe Lammers: Es gab zwei Inspirationsquellen – einmal die so genannten »Gedankenspiele“ mit meinem Bruder Achim, damals, als wir noch Kinder waren, ich würde mal schätzen, das war etwa so 1974-1981. Ich war damals etwa 8 Jahre alt, mein Bruder zwei Jahre jünger. Wir schliefen im gleichen Zimmer in Wolfsburg, und vor dem Einschlafen sponnen wir unsere Geschichten. Er schlüpfte dabei in die Rolle von Oki Stanwer, mein Part war der seines Freundes und Beraters Klivies Kleines … Personen, die es bis heute im OSM gibt und die meine E-Book-Leser kennenlernen werden.
Etwa 1981 verlor mein Bruder das Interesse an den »Gedankenspielen«, doch ich wollte die Personen nicht sterben lassen und das festhalten, was wir schon ersonnen hatten. Solche Dinge wie das okische Imperium, das Volk der Baumeister, die Allis, Orte wie die Westernstadt Center-City, der Okiplanet, die Zentralwelt … das war viel zu schön, um es einfach dem Vergessen überantworten zu können.
Zum anderen kam hinzu, dass ich natürlich damals – und von da an immer mehr – las, Fernsehserien anschaute, Kinofilme sah (Star Trek , klar, Kampfstern Galactica, Star Wars, Time Tunnel, Captain Future usw.), Hörspiele hörte … Diese ganzen Stoffe vermischten sich mit meinen eigenen frühen Geschichtenideen, und bis etwa 1984/85 muss ich zugeben, dass viele Analogien zu fremden Welten, die ich munter adaptierte, deutlich zu erkennen sind.
Doch ließ das in dem Maße nach, wie der OSM seine eigene Struktur entwickelte, etwa um 1985 der Fall.
Seither stellt er ein expandierendes Weltsystem dar, der sich aus sich selbst nährt und in dem ich, wie ich das heute nenne, auf Entdeckungsreise gehe. Ich sehe mich, so eigenartig das vielleicht jetzt auch klingen mag, eher als »Entdecker« denn als »Erfinder«. Da ich ein intuitiver Schriftsteller bin und mich am inneren »Strom der Bilder« orientiere, schreibe ich oftmals Szenen und Prozesse nieder, von denen ich nicht genau WEISS, warum ich sie so beschreiben muss, vom Verständnis bin ich häufig auch weit entfernt, aber ich bin sicher, dass die Beschreibung an sich passt. Das Verstehen kommt manchmal dann mit Jahren Verspätung. Seltsam. Aber für mich Normalität.
Doris Adamzyk: Wo schreibst du? Immer am gleichen Platz? Mit festem Ritual?
Uwe Lammers: In Bezug auf den Schreibplatz bin ich echt von erstaunlicher Einfallslosigkeit. Meine Geschichten entstehen am Schreibtisch, und das war mit wenigen Ausnahmen immer schon so. Als ich früher noch mit Hand schrieb, war ich flexibler. Manche meiner frühen handgeschriebenen OSM-Episoden (das hörte etwa 1986 auf) entstanden durchaus auch in Pausen während der Schule, aber die mit Schreibmaschine verfassten, die wurden immer am Schreibtisch daheim entworfen. – Was sich geändert hat und ständig weiter ändert, sind die Schreibmedien. Heutzutage bin ich an meinem stationären Computer am Schreiben, wobei ich üblicherweise eine Tastatur im Jahr verschleiße … Denn ich schreibe jeden Tag und komme auf tausend Kreativseiten pro Monat.
Zumindest versuche ich, möglichst jeden Tag zu schreiben – denn einen Tag, an dem ich gar nichts geschrieben habe, empfinde ich als verlorenen Tag. Ob ich dann jedoch Mails schreibe, Briefe, neue Geschichten, Überarbeitungen, Abschriften alter Gedichte oder Geschichten … das obliegt meinen täglich wechselnden Wünschen. Es gibt unendlich viel zu tun, sodass ich auch nach leider aktuell schon zwei Jahren der erfolglosen Arbeitssuche nicht davon reden kann, ich würde mich langweilen. Seit ich mit der Arbeit begonnen habe, den OSM im E-Book zu realisieren, ist das sowieso fast eine Fulltime-Beschäftigung geworden … Da ist so vieles zu bedenken, was mir vorher überhaupt nicht klar war (Titelbilder, Werbung, Blog usw.), das ist inzwischen schon sehr aufwändig und hält mich manchmal leider doch sehr vom Schreiben selbst ab.
Aber ein »festes Ritual«? Nein, gibt es nicht. Ich habe einen einigermaßen fest gefügten Tagesablauf, aber beim Schreiben ist das etwas anders. Gern höre ich Musik (gegenwärtig etwa das tolle Album Our Version of Events von Emeli Sandé!) und trinke Tee währenddessen … aber ansonsten bin ich schlicht »weg«, wenn ich schreibe.
Doris Adamzyk: Und wie muss man sich deine »Schreibarbeit« vorstellen? Ein so umfangreiches, verschachteltes Romanwerk wie dein Oki Stanwer Mythos muss doch immer wieder nicht minder umfangreiche Recherchen geradezu erzwingen? Gibt es ein OSM-Lexikon?
Uwe Lammers: Aaalso … Wenn ich OSM-Geschichten in der Menschenwelt der nahen Gegenwart spielen lasse, dann sind Recherchen natürlich unabdingbar. Zumeist aber – wie etwa bei den gegenwärtigen OSM-Geschichten um Oki Stanwer und das Terrorimperium – agiere ich gewissermaßen im luftleeren Raum. Die Galaxis Twennar und das Reich der menschenähnlichen Yantihni existieren nun mal nicht in unserem Kosmos, sondern im Reich des … kreativen Geistes.
Doris Adamzyk: Ein paar Stichworte dazu: Das sonnensystemzerstörende Phänomen der FEUERQUALLEN in der Galaxis Feuerrad. Die Baumeistergalaxis Arc und ihre Wunder.
Uwe Lammers: Genau. Das ist alles in mir. Trotzdem, der OSM, der inzwischen über 1718 fertiggestellte Werke »umfängt« – die meisten davon liegen allerdings nur in Schreibmaschinenversionen bzw. Episodenform vor, die noch stark nachzubearbeiten sind –, hat mittlerweile einen Umfang erreicht, der aus dem Stegreif unüberschaubar ist. Und deshalb: ja, es gibt so etwas wie ein »OSM-Lexikon«, das »OSM-Hauptglossar«, das bislang mehr als 500 Seiten Umfang hat, aber weit von der Vervollkommnung entfernt ist. Und die OSM-Wiki, auf meiner Homepage, die mit jedem einzelnen neuen Blogartikel erweitert wird. Nach und nach arbeite ich die Glossare der einzelnen E-Books darin ein.
Irgendwann soll der OSM idealerweise 33 Ebenen umfassen = 33 Serien also, die letzten Endes einen Handlungsbogen von etwa 165 Milliarden Handlungsjahren umfassen. Nein, das ist kein Schreibfehler. Wir reden hier über 33 Serien und entsprechend auch über 33 unterschiedliche, chronologisch aufeinander folgende Universen.
Aktuell sind gerade einmal 10 dieser Serien abgeschlossen. Weitere 9 sind seit Jahren in Arbeit.
Um es abzukürzen: Den Gesamtüberblick zu behalten, ist durchaus knifflig, aber ich tue mein Bestes …
Doris Adamzyk: Manche deiner Romane kamen mir vor wie aufgeschriebene SF-Träume, ausufernd niedergeschrieben wie in einer Art Trance. Wie findest du zu deinen Ideen? Finden die Ideen dich?
Uwe Lammers: In der Tat ist es so, dass ich, wenn ich schreibe, in einer Art Trance versinke. Ich merke das immer wieder – Zeit ist dann wirklich völlig belanglos. Ich wundere mich regelmäßig etwa, wohin mein Tee »verdunstet« ist oder warum es auf einmal draußen dunkel ist und ich die Schreibtischlampe anmachen muss. Erst dann fällt mir auf, dass ich in den letzten vier, fünf oder sechs Stunden unablässig geschrieben habe. »Trance« trifft das also schon recht gut.
Neulich war das der Fall, als ich mich in Gedanken auf der Dschungelwelt Shookash »herumtrieb« (dort spielen die demnächst erscheinenden TI-Bände 13-15). Wie aus einem Gleiter sah ich auf eine steile Felswand hinaus und wurde Zeuge davon, wie Vegetation wie pflanzliche Bergsteiger diese Felswand erklomm. Das war vor meinem inneren Auge so real, als wenn ich aus dem Fenster schaute und den Straßenverkehr beobachtete, kein Witz!
Wenn man mit solchen Bilder konfrontiert wird und schreiben kann, dann ist es mir einfach unmöglich, das zu ignorieren. Und das passiert mir echt fast täglich. Mal ist es ein kleines, struppiges Mädchen, das mich mitten in einem Urwald über den Haufen rennt (so geschehen im Sommer 2000 am Anfang des Archipel-Romans Rhondas Weg), mal begleite ich Oki Stanwer in die finsteren Tiefen eines gigantischen, quasi toten Maschinensterns (so geschehen anno 2011 in Oki Stanwer – Der Kaiser der Okis). Es gäbe x weitere Beispiele.
Das Interessanteste daran ist für mich Folgendes: Der OSM generiert aus sich heraus ständig neue Fragen und Rätsel, die zu lösen sind, unablässig erstehen neue Personen, Welten und Völker. Je größer der OSM somit wird, desto größer werden auch die Möglichkeiten darin und die Zahl an potentiellen weiteren Geschichten. Ich glaube – ohne jede Kokettiererei – »Lebenswerk« ist eher noch Understatement. Das ist ein wesentlicher Grund, warum ich dieses Werk mit der Öffentlichkeit teilen möchte … und das zu einem Download-Preis, der den Autor ganz bestimmt nicht reich macht.
Doris Adamzyk: Genau, 99 Cent pro Roman. Bist du mit diesem Werk selbstkritisch zufrieden, obwohl du – bei deiner Preisgestaltung für deinen Fleiß, für deine Gedanken- und Schreibarbeit nicht einmal ansatzweise fair entlohnt wirst … von all den anderen Arbeiten, die für einen Indie-Writer zu stemmen sind, ganz zu schweigen?
Uwe Lammers: Mit den Werken selbst bin ich, gemessen an meinem gegenwärtigen Qualitätslevel, durchaus zufrieden. Ich führe immer mehrere Schritte aus, ehe ich ein E-Book auf die Öffentlichkeit »loslasse«, wie ich es ironisch nenne. Die seien kurz aufgezählt: Die Episoden entstehen anno 2004ff. Mit der Nachbearbeitung fange ich dann 2014 an und bin damit meist zwischen 2 und 3 Wochen beschäftigt, deren Arbeitstage sich manchmal über mehrere Monate verteilen. Auf diese Weise werden die Episoden, die üblicherweise um die 15 Skriptseiten umfassten, zumeist etwa 75 Textseiten lang. Dazu entwickle ich das Glossar der Episode und die Vorschau aufs nächste Werk. Hinzu kommen die ganzen anderen Schritte wie Titelbildsuche, Versenden der Vorlagen an meinen Grafikdesigner Lars Vollbrecht, der kostenpflichtig die Schriftzüge montiert, Entwurf der Klappentexte usw. Dann lasse ich das Skript üblicherweise einen Monat liegen, ehe ich es wieder herhole, ausgiebig Korrektur lese. Danach schicke das Manuskript an meine Lektorin Corinna Rindlisbacher zur Umformatierung in ein E-Book. Sobald der E-Book-Rohling vorliegt, wird er von mir noch einmal durchgesehen, ggf. Änderungen kommuniziert, was zu einem zweiten oder im extremen Fall dritten Rohling führt. Danach erst erfolgt dann das Hochladen bei Amazon.de oder bei www.beam-ebooks.de.
Im Kern bin ich nach wie vor mit dem Resultat sehr zufrieden. Von den Episodenversionen sind die modernen E-Books qualitativ Lichtjahre entfernt, im positiven Sinn. Dass ich natürlich immer noch eine Menge an meinem Stil und Ausdruck zu arbeiten habe, ist mir klar.
Die Frage der »fairen Entlohnung« ist dann eine ganz andere Sache, die ich deshalb auch separat beantworten möchte. Natürlich deckt der Preis von 0,99 Euro für ein OSM-E-Book nicht einmal entfernt die entstehenden Kosten, zumal von dem Entgelt je Verkauf nur rund 35 Cent tatsächlich bei mir ankommen. Reden wir nicht von Stundenlohn oder so.
Ich hoffe, dass ich bis Februar 2016 erstmals schwarze Zahlen schreiben kann.
Dass ich dann vom Schreiben allein leben könnte, halte ich noch nicht für plausibel, aber … wie heißt es: Die Hoffnung stirbt zuletzt, deshalb lasse ich mich einfach von idealistischen Grundimpulsen leiten.
Ich weiß, dass der OSM unkonventionelle Kost ist, aber ich glaube einfach auch ganz fest daran, dass ich Leser finde, die gerade von seiner Komplexität, von dieser wilden Mixtur von Abenteuern, angesprochen werden! – Und bis ich die in ausreichender Zahl um mich und Oki Stanwer geschart habe, nehme ich die ökonomische Durststrecke in Kauf und lebe so genügsam wie nur irgend möglich. Hauptsache: Schreiben! Und ich glaube an meine Geschichte!
Doris Adamzyk: Würdest du den Leuten gerne mal ganz laut zurufen: »Gebt Newcomer-Autoren doch mal ein paar Chancen mehr – und bitte, gewichtet ihre Werke – gerade im E-Book – nicht immer nur danach, ob sie ›billigst‹ angeboten werden!« Und, noch lauter: »Macht doch bitte alle ein bisschen mehr Werbung für noch nicht so bekannte Autoren!«
Uwe Lammers: Mal ganz untypisch kurz und zackig: Ja, klar! Bitte! Obwohl ich mich nicht allzu laut beschweren darf. Ich habe die Chance dieses Interviews hier bekommen, und davor brachte der Perry Rhodan-Chefredakteuer Klaus N. Frick einen Interview-Nachdruck sogar auf die Perry Rhodan-Homepage!
Wogegen auf jeden Fall anzusteuern ist, das ist die leider noch sehr weit verbreitete »Schnäppchenmentalität« vieler E-Book-Leser, die meinen, Autoren »müssen“ E-Books »for nothing« bereitstellen. Wenn Leser auf Gratisdownloadaktionen reagieren, ist das ok, es ist gut für die Leser und gut für den Autor, sich vorstellen zu können.
Wenn jedoch gefordert wird, sämtliche Werke dauerhaft kostenfrei bereitzustellen, dann wird das letzten Endes die komplette Selfpublisher-Szene vernichten, was ein großer Verlust wäre.
Es wäre also gut, Internetplattformen zu etablieren oder zu unterstützen, wo eben nicht nur Werbung für kostenlose E-Books gemacht oder nur für längst etablierte Autoren gemacht wird, die auch in den Buchhandlungen mit Tausenden von Exemplaren Auflage vertreten sind. Es wäre toll, würde eine solche Plattform auch die vielen Neulinge, die auf unsicheren E-Book-Beinen ins Dasein starten, vorstellen. Oder auch eben Werbung für preiswerter angebotene E-Books machen … Derzeit findet man, soweit ich weiß, leider nur Portale, die für Gratisdownloads Werbung betreiben.
Werke nach dem Preis zu beurteilen, scheint mir sowieso falsch zu sein. Auch das ist eine temporäre Sache, wie jeder Eingeweihte weiß, der beispielsweise schon mal bei »Jokers« Hardcover statt zu 49,80 € für 5 Euro erworben hat. Sind diese Bücher plötzlich »schlechter« geworden, weil sie nun preiswerter sind? Sind Remittenden »schlechter«, nur weil sie nach 14 Monaten aus der Verlagspreisbindung herausgefallen sind?
Doris Adamzyk: Und abschließend: Wer wärst du gerne, wenn du nicht Uwe Lammers wärst?
Uwe Lammers: Noch so eine schelmische Fangfrage. Ich fühle mich grundsätzlich sehr wohl in meiner Haut und hätte auf keinen Fall zu einer anderen Zeit leben wollen oder an einem anderen Ort. Aber gesetzt den Fall, ich könnte mir das aussuchen, dann würde ich schon gern mal temporär in die Haut anderer Leute schlüpfen, insbesondere im Rahmen meines Oki Stanwer Mythos.
Da gibt es ein zutiefst rätselhaftes Wesen, das ich nur zu gern besser verstehen würde – das Wesen TOTAM, gewissermaßen die individualisierte Essenz des Planeten TOTAM. Eine Kreatur, so fremdartig, dass es mir seit 35 Jahren schwerfällt, sie und ihre Pläne und Vorstellungen von der Welt zu durchschauen. Ich kann bis heute nicht wirklich sagen, ob dieses Wesen nach unseren ethischen Moralvorstellungen gut oder böse oder einfach nur indifferent ist.
Ein weiteres Wesen, das ich ebenfalls auf diese Weise sehr gern besser begreifen lernen möchte, ist eine Entität, die man den PROPHETEN nennt. Er hat von sich einmal gesagt, »überall, wo die Matrix ist, bin auch ich«. Und da die Matrix im OSM gewissermaßen das energetische Grundraster der Wirklichkeit darstellt, bedeutet das wohl, dass er überall ist und im Grunde genommen alle Geheimnisse des Kosmos zumindest gekostet hat.
Doris Adamzyk: Uwe, ich danke dir sehr für dieses Gespräch.
Bildquelle:
(da)