Marshal Crown – Band 5
Marshal Crown – Band 5
Comanchen sterben einsam
Das Tipi des Schamanen lag am nördlichen Rand des Dorfes auf einer Anhöhe, von der aus man das bleigraue Band des Canadian Rivers sehen konnte.
Es war klein und alt, hergestellt aus Büffelhäuten, die schon vor vielen Sommern erbeutet worden waren. Neben dem Zelt steckte ein Holzgerüst im Schnee, von dem Skalpe, Tierschädel, Adlerfedern und Perlenketten aus buntem Glas hingen.
Im Inneren brannte ein Feuer in einer von faustgroßen Steinen umgebenen Mulde.
Der schwache Lichtschein der emporzüngelnden Flammen spiegelte sich in den großen dunklen Augen der vier Comanchen wider, die bereits seit dem Morgengrauen stoisch neben einem hageren, fast skelettdürren Mann verharrten, der vor ihnen in Decken gehüllt auf dem Boden lag.
In dem Zelt herrschte eine unwirkliche Stille.
Nur das Knacken und Knistern der brennenden Zweige war zu hören und der rasselnde Atem der ausgemergelten Gestalt, die seit Stunden aus blicklosen Augen zum Zeltdach emporstarrte.
Gegen Mittag, als der Wind, der von Norden her durch das Dorf strich, immer mehr an Stärke gewann, wurde sein Körper von schmerzlichen Krämpfen geschüttelt und der Mann begann leise zu stöhnen.
Der Schamane warf ein Pulver ins Feuer und augenblicklich waberte süßlich gelber Rauch durch das Zelt. Wortlos griff er nach einer kleinen, mit Menschenhaut bespannten Handtrommel, die neben ihm am Boden lag, und begann unvermittelt zu singen. Seine Stimme klang heiser und der Text des Singsangs war einfach und wiederholte sich ständig. Dennoch war jedem der Anwesenden klar, dass der Schamane den Beistand des Großen Geistes herbeiflehte und um Gnade für die Seele des Kranken bat.
Sein Oberkörper wiegte sich dabei im Rhythmus des Gesangs und das monotone Hämmern der Trommel erfüllte das Innere des Tipis.
Doch die Geister versagten ihm diesmal ihre Hilfe.
Der Kranke hob den Kopf und versuchte sich aufzurichten. Dabei öffnete er den Mund, um zu sprechen, aber die Anstrengung war zu viel für seinen geschwächten Körper. Seine Worte erstickten in krampfhaftem Husten. Blutiger Schaum trat auf seine Lippen und alle Farbe wich aus dem Gesicht. Mit einem Stöhnen sank er wieder zurück. Der Kopf fiel zur Seite und seine verkrampften Gesichtszüge entspannten sich.
Es sah aus, als wäre er eingeschlafen.
Der Schamane hörte auf zu singen und beugte sich über die schlaffe Gestalt. Nachdem er festgestellt hatte, dass der Mann gestorben war, senkte er betroffen den Kopf und schloss dem Toten mit einer sanften Geste die Augen. Ein Pinienstrunk zersprang knackend im Feuer, als er mit seinem Fächer aus Adlerfedern ein letztes Mal über das eingefallene Gesicht des Verstorbenen strich. Augenblicklich züngelten aus dem rot glühenden Holzscheit kleine Flammen empor und warfen ihr flackerndes Licht auf die grauweiße Zeltwand, während draußen der Wind immer heftiger an dem schweren Büffelfell zerrte, das den Ausgang ins Freie verdeckte.
»Er ist tot«, sagte der Schamane tonlos und stimmte das Sterbelied seines Volkes an.
»O Sonne, du wirst ewig bleiben, doch wir Nemene müssen sterben.«
Für Sekunden verharrten die Männer regungslos vor dem Toten.
Erst als das Heulen des Wintersturms selbst den Gesang des Schamanen übertönte, kam wieder Leben in die Comanchen. Ungestüm richtete sich einer der Männer auf.
Powderface war ein kräftiger, breitschultriger Krieger von etwa dreißig Jahren.
In seinem linken Ohr blinkte ein silberner Ring und eine Flut schulterlanger, blauschwarzer Haare umrahmte sein grobknochiges Gesicht. Die Haut über den Wangen war durch unzählige Schießpulverpartikel verunstaltet. Die eigentümliche Verletzung stammte von einem Steinschlossgewehr, das er vor Jahren für ein paar Felle bei den Comancheros eingetauscht hatte und das ihm letztendlich seinen Namen einbrachte. Die altertümliche Waffe war während eines Jagdzuges in seinen Händen explodiert und hatte ihm mit ihrer Pulverladung das Gesicht zerstört.
Verächtlich spuckte er in das niederbrennende Lagerfeuer und seine Stimme zitterte vor Wut, als er anfing zu reden.
»Jetzt ist es genug! Solange die Adler fliegen und solange das Gras wächst, solange hat uns der weiße Mann das Land am Canadian River zugesagt. Wir Krieger haben die Waffen niedergelegt und unser Volk in die Hand der Weißaugen übergeben. Man hat uns für den Winter Decken, Proviant und Medizin versprochen, aber was ist bisher geschehen? Nichts! Stattdessen wird es immer kälter, und wir haben kaum noch etwas zu essen. Unsere Leute sterben wie die Fliegen, Big Foot hier ist bereits der Vierte in diesem Monat. Ich, Powderface, sage euch, jetzt ist es genug. Holen wir uns die Lebensmittel aus den vollen Lagerhäusern der Agentur, oder wir werden alle sterben.«
»Nein!«
Ein zweiter Indianer war jetzt aufgesprungen und schüttelte drohend seinen federgeschmückten Speer.
»Ich höre dich, Powderface, aber noch bin ich euer Häuptling und kein Narr. Wenn wir uns die Lebensmittel mit Gewalt holen, werden die Weißen in der Agentur auf uns schießen. Dann wird es wieder einen Krieg geben, den dieses Mal aber keiner von uns überleben wird. Ich habe zusammen mit Parrywasaymen und Towasi die Städte der Weißen gesehen, ich weiß, wie zahlreich sie sind. Tötet einen von ihnen oder zwanzig oder so viele, wie Blätter im Wald sind, und zehnmal so viele werden in unser Land kommen und uns töten. Das Volk der Nemene kann nur überleben, wenn es den Frieden mit den Weißaugen nicht bricht. Wer etwas anderes sagt, ist ein Narr.«
»Dann bin ich lieber tot als ein Narr. Sieht Tabequeva denn nicht, wie unser Volk langsam stirbt?«
Der Häuptling wurde ernst, schwere Sorgenfalten durchzogen sein Antlitz und der Blick seiner Augen wirkte unendlich müde, als er dem Krieger mit leiser Stimme antwortete.
»Ich, Tabequeva, den die Weißaugen Sonnenadler nennen, habe deine Worte vernommen und ich habe entschieden. Morgen werden wir alle zur Agentur reiten. Dort soll uns Agent Stafford sagen, wann wir die nächsten Lebensmittel erhalten. Aber diesmal werden wir nicht als Bittsteller kommen, sondern als Krieger der Nemene.«
Die Männer nickten.
Hoka, so sollte es geschehen.
Die vollständige Story steht als PDF, EPUB und MOBI zur Verfügung.
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