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Porterville – Folge 10

Porterville – Folge 10
Projekt Zero-Zero

Die 18-teilige Mystery-Serie Porterville ist keine normale Serie, wie du sie kennst. Denn sie funktioniert wie eine Art Puzzle: So ist jede Folge von Porterville wie ein neues Puzzle-Teil. Das bedeutet, die Geschichten beginnen nicht unbedingt da, wo du bei der letzten Folge aufgehört hast. Doch mit jeder neuen Folge erhältst du tiefere Einblicke in die Stadt und ihre Bewohner, bis sich das rätselhafte Gesamtbild immer mehr zusammensetzt und am Ende die Frage geklärt wird: »Was ist das dunkle Geheimnis der Stadt Porterville?«

John Beckmann
Porterville – Folge 10
Projekt Zero-Zero
gelesen von Charles Rettinghaus
Prolog: Norbert Langer

Mystery, E-Book/Hörbuch, Folgenreich

»Wir waren die Ersten, die kamen. Die Könige und Königinnen. Sieben der renommiertesten Wissenschaftler des Landes. Koryphäen auf ihrem Gebiet. Und ich. Vor 44 Jahren. Als wir ankamen, war der Bau nicht mehr als ein niedriger Korridor mit dem Labortrakt an einem und acht engen Wohneinheiten am anderen Ende. Seitdem ist viel passiert. Wir haben den Bau stetig erweitert. Er wuchs wie organisches Gewebe. Je weiter wir die Forschung vorantrieben, desto mehr Budget wurde bereitgestellt. Je mehr Gelder flossen, desto mehr Möglichkeiten hatten wir. Es war ein kometenhafter Aufstieg. Bis zur ›Mayflower‹. Der ersten bemannten Reise. Seitdem ist nichts mehr so, wie es war. Projekt Zero-Zero hat seine Unschuld verloren.« (Prof. Paul Higgins, NSA-Zentrale, Maryland)

Hörbuch: MP3, 17 Tracks, 1:23:40 Stunden, 4,99 Euro
E-Book: 81 Seiten, 1,49 Euro

Über den Autor

John Beckmann, geboren 1981 in Hamburg, studierte nach dem Abitur BWL und arbeitete als Altenbetreuer, Call-Center-Agent und Lagerarbeiter. Er ist freiberuflicher Autor für Kurzgeschichten, Hörbücher und Hörspiele (Lady Bedfort, Mind Napping). Neben zahlreichen Veröffentlichungen in Anthologien und Zeitschriften schrieb er u.a. auch mehrere Folgen für die prämierte Thriller-Serien Darkside Park, Terminal 3 und die Abenteuer-Serie Von Lichtwiese nach Dunkelstadt.

Hörprobe
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Leseprobe

April 2029, NSA-Zentrale, Maryland
Sie sind die Ersten.
Zwei Prinzen und eine Prinzessin.
Es ist kein Zufall, dass sie zu uns gekommen sind. Und es war auch nicht der Zufall, der sie gerade jetzt zu uns gebracht hat.
Deshalb schwitze ich. Und weil es warm ist in dem kleinen Raum mit der verspiegelten Wand. Ich spüre, wie der Schweiß aus meinen Poren tritt. Wie er sich in meinem Haaransatz sammelt. Bald wird er in eiligen Tropfen hinunterlaufen. Weg von mir.
»Können Termiten träumen?«
Aufgereiht sitzen sie vor mir. Erstarrt. Verloren. In Outdoorkleidung. Wie drei Jugendliche, die sich auf einem Camping-Ausflug befinden. Verlorene Kinder. Einen Moment lang bedauere ich sie. Dann kehrt das Wissen zurück. Der NSA-Bericht. Das Ergebnis wochenlanger Überwachungen und Recherche. Es ist kein Zufall, dass die drei hier sind, kein tragisches Missgeschick. Sie wussten, dass sie sich in Gefahr begeben. Sie wussten, worauf sie sich einlassen. Und sie sind keine Kinder mehr. Vor allem sind sie nicht unschuldig.
Ich wiederhole die Frage.
Meine Zunge ist schwer, doch man hört es nicht. Ich hätte das vierte Glas nicht trinken sollen, wahrscheinlich nicht einmal mehr das dritte, aber das Zittern wollte einfach nicht aufhören. Jetzt sind meine Hände ruhig.
Ich erwische mich dabei, wie ich die drei anstarre, wie mein Blick von einer Einzigartigkeit zur nächsten hetzt, von Bens strahlend blauen Augen über die Haarsträhne, die sich aus Addys Zopf gelöst hat, zu Jerrys bleicher Haut, den roten Flecken auf seinen Wangen. Nichts entgeht meinem ausgehungerten Blick, während in meinem Inneren ein Wirbelsturm aus Adrenalin und Kortisol tobt, der auch durch vier Gläser nur schwer unter Kontrolle zu bringen war, doch äußerlich sieht man mir nichts an. Ich kenne meinen Körper. Wenn die Welt kleiner wird, konzentriert man sich auf das Wesentliche.
»Träumen Termiten?«, frage ich noch einmal.
»Warum fragen Sie das immer wieder?«, blafft Ben plötzlich. »Was wollen Sie von uns?« Auch er beginnt, sich zu wiederholen. »Was wollen Sie von uns?«
Wahrscheinlich liegt es an den Spiegeln und der Wärme. Ein Schleier legt sich vor meine Augen
»Wie Sie selbst bald feststellen werden, ist dies …«, ich wische über mein Gesicht, »ist dies eine elementare Frage.«
Ich halte mich streng ans Protokoll. Meine Worte verklingen. Stille kehrt zurück in das Gesprächszimmer.
Wir sind auf eine Situation wie diese nicht vorbereitet. Niemand konnte wissen, dass es einmal so weit kommen würde. Dass jemand den Bau ausfindig machen und versuchen würde, in ihn einzudringen. Wir haben nur das Protokoll. Ich darf mir keine Fehler erlauben.
Normalerweise wird das Gesprächszimmer für Mitarbeitergespräche genutzt. Die Spiegelwand ist ein Relikt des vergangenen Jahrtausends, aus einer Zeit, als die Kameratechnik noch in den Kinderschuhen steckte. Trotzdem dient die einseitige Verspiegelung weiterhin dem psychologischen Personal dazu, die Gespräche zu verfolgen. Psychische Gesundheit ist ein zartes Pflänzchen hier unten. Knapp dreihundert Fuß unter der Erde.
Ich blinzele, und der Schleier verschwindet. »Es ist besser, wenn Sie kooperieren. Kooperation ist der einzige Ausweg. Je früher Sie das akzeptieren, desto effektiver können wir alle mit der neuen Situation arbeiten.«
Ein Schnellhefter liegt vor mir auf dem Metalltisch. Ich schlage ihn zu.
Dann schaue ich die drei nacheinander an. Eine Schweißperle läuft meine Schläfe entlang.
»Sie haben kein Recht dazu, uns hier festzuhalten«, meldet sich Addy zu Wort, und aus jeder Silbe ist das Vertrauen in unser Rechtssystem zu hören.
»Da muss ich Sie leider berichtigen, Mrs. Boyd«, entgegne ich ruhig. »Die NSA ist eine staatliche Sicherheitsbehörde. Wir haben durchaus die Befugnis, Sie hier festzuhalten.«
»Aus welchem Grund?«, fragt Jerry. »Unter welcher Anklage? Was … was wird uns eigentlich vorgeworfen?«
»Unbefugtes Betreten einer militärischen Anlage, nicht genehmigtes Abschalten Ihrer iDs, Gefährdung der inneren Sicherheit.« Ich zucke mit den Schultern. »Suchen Sie sich etwas aus.«
Ben lehnt sich nach vorne und stützt sich auf die Tischplatte. Seine Hände sind erstaunlich groß. Seine Stimme erstaunlich laut.
»Mein Vater ist Bezirksanwalt«, sagt er. »Wenn er das hier rausfindet, bekommen Sie Riesen-Probleme!«
Ich schweige und lausche dem Rauschen des Tornados.
Ben starrt mich an. »Sie halten sich für besonders clever, was?«
Er scheint die Anspannung am Schlechtesten zu vertragen. Das schwächste Glied. Also konzentriere ich mich auf ihn.
»Wenn ich in Ihrer Situation wäre, würde ich auf Diskussionen über Cleverness lieber verzichten, Mr. Greenstein«, sage ich und beuge mich ebenfalls vor.
Provokation.
Die Distanz zwischen uns schrumpft, bis sich unsere Gesichter beinahe berühren. Ich fixiere die Falte zwischen seinen Augen. Bens Atem riecht nach Magensäure. Er hält die Nähe nicht lange aus.
»Ich will hier raus!«
Er springt auf und knallt seine Pranken auf den Tisch. Einen Augenblick lang sieht es so aus, als wolle er über den schmalen Metalltisch hechten und sich auf mich stürzen. Wahrscheinlich wäre es nach Sekunden vorbei, ich bin alt und seit 44 Jahren hier unten, seine Hände würden meine Luftröhre wie eine Papprolle zerdrücken. Der Moment vergeht. Ben bleibt auf seiner Seite des Tisches. Wahrscheinlich wegen Mr. Boulder, den gut einhundert Kilo Muskeln und Fleisch, verteilt auf gerade einmal einen Meter siebzig, die sich lautlos hinter ihm in Position gebracht haben.
Ich horche in mich hinein. Keine Angst. Nicht vor Ben.
»Ich muss Sie leider berichtigen«, sage ich. »Arthur Greenstein ist lediglich Ihr Stiefvater. Welcher darüber hinaus gerade zusammen mit Ihrer Mutter auf Hawaii verweilt, wo die beiden ihren Jahresurlaub verbringen. Abgesehen davon ist es fraglich, ob Mr. Greenstein sich überhaupt für Sie einsetzen würde. Ihr Verhältnis als zerrüttet zu beschreiben, wäre wahrscheinlich eine Untertreibung.«
Ben sieht mich mit großen Augen an und erschlafft. Sein Gesicht, sein Körper, sein komplettes Sein rutscht in sich zusammen. Wegen nicht einmal einer Handvoll Informationen. Die nicht mehr als zehn Klicks erfordern. Es ist immer wieder erstaunlich, wie verwundbar Menschen werden, wenn sie ihre Anonymität verlieren. Auch Addy und Jerry wirken konsterniert.
Eine moralisch nicht so integere Person würde jetzt wahrscheinlich Genugtuung empfinden. Ich gehöre nicht zu diesem Personenkreis.
»Bei Bedarf können wir gerne noch weitere familiäre Umfelder durchleuchten«, fahre ich fort. Die Worte kommen jetzt sehr flüssig aus meinem Mund. Ich denke an die Flasche unter meiner Spüle. »Allerdings würde ich es vorziehen, die Zeit für relevante Informationen zu nutzen.«
Bens Blick flackert zwischen mir und der Tischplatte hin und her. Addy hat ihre Augen geschlossen. Jerry äußert sich weiterhin nicht. Dafür hat auch sein Körper beschlossen, dass es in dem kleinen Raum mit der verspiegelten Wand eindeutig zu warm ist. Sein Gesicht glänzt schweißnass.
»Möchten Sie vielleicht noch etwas anmerken, Mr. Benchley?«
Jerry schüttelt den Kopf.
Die drei beginnen zu ahnen, wie tief sie drinstecken. Sie wissen noch nicht genau wovor, aber sie spüren die Angst bereits. Verängstigte Kinder. Verängstigte Kinder besorgter Eltern.
Ich denke an Samuel.
Und ich gebe ihnen einen wirklichen Grund, sich zu fürchten.
»Sie haben den Bau betreten. Wer den Bau einmal betreten hat, kann ihn nicht mehr ohne Weiteres verlassen. Und sollte Ihnen dies trotz der Sicherheitsvorkehrungen gelingen, wird man Sie suchen, Sie finden und Sie töten.«
Ich warte nicht Ihre Reaktionen ab. Ich stehe auf und gehe hinaus. Ich lasse sie alleine mit ihrer Furcht und ihren Fragen.
Der erste Schritt ist getan.

Quellen: