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Ein wahrhaft seltener Privatdruck

Tobias Bachmann
Ein wahrhaft seltener Privatdruck

Paperback in Manufaktur mit Schutzumschlag und Lesebändchen, Goblin Press, Büdingen, April 2014, ca. 130 Seiten, 12,00 Euro, ohne ISBN, Privatdruck, Coverartwork von Jörg Kleudgen

Kennen wir unser Ich wirklich? Wissen wir, wer wir sind? Jeder Mensch ist sich sicher, über seine eigene Persönlichkeit im Bilde zu sein. Doch der Schein kann manchmal trügen!

Der neuste Roman von Tobias Bachmann kann mit diesen Gedanken relativ gut umschrieben werden, obzwar die Idee hinter Ein wahrhaft seltener Privatdruck – auch schon vom Titel her – etwas anderes impliziert.

»Ein wahrhaft seltener Privatdruck keimte in mir über Jahre hinweg. Irgendwann stieß ich in einem einschlägigen Forum, in dem ich mich regelmäßig herumtreibe, über eine Diskussion, an der sich Menschen mit bibliophiler Sammelleidenschaft beteiligten. Es ging darum, wie das perfekte Buch beschaffen sein müsse, um dafür zu töten (oder so ähnlich). Der Grundtenor lautete, dass es verdammt selten sein müsse. Die Leidenschaft ging natürlich noch weiter. Es wurde gemutmaßt, ob es ein in Leder gebundenes Hardcover sein sollte, mit und ohne Lesebändchen, illustriert, signiert, nummeriert usw. Mein Gedanke war, ein Buch zu schreiben, das all diese Voraussetzungen besitzt und das vom Inhalt her besagte Sammelleidenschaft zum Thema hat«, beschreibt der Autor.

Der Journalist Peter Langhans wird von seinem Verlag beauftragt, eine Monographie über Angler zu schreiben. Während seiner Recherche kommt er auf die Spur eines Titels, den der Autor über einen Kleinverlag, dem Beuringer Schlossverlag, publizieren lassen wollte. Langhans riecht Lunte und begibt sich nach Beuringen, um nach diesem Werk zu fanden, denn bisher ist ihm noch kein einziges Exemplar davon unter die Augen gekommen. Die Doppelschwänzige Nixe, so der Titel, lässt sich dann auch dort nicht allzu leicht finden. Doch durch die Hilfe eines Antiquars kann er den Verleger des Beuringer Schlossverlags ausfindig machen und erfährt von ihm, dass nur 4 Exemplare des Buches existieren, da Angler das Manuskript kurz vor Drucklegung zurückzog. Diese wiederum wurden dem Verleger allerdings bei einem Einbruch in sein Haus gestohlen. Doch weiß er mit Sicherheit, dass eines davon den Bibliophilen Karl von Roth in die Hände gefallen ist. Langhans beschließt, diesen aufzusuchen.

Stammleser der Goblin Press und Freunde des Phantastik-Fandoms werden bei Namen wie Beuringen oder Karl von Roth, welcher als exzessiver Büchersammler beschrieben wird, schnell aufmerken. Bereits in Jörg Kleudgen Roman Saburac (German Gothic bei Bastei Lübbe), verschlägt es einen Geschäftsmann in diese merkwürdige Stadt. Wer nun annimmt, dass es sich dabei einen fiktiven Ort handelt, der irrt. So ist Beuringen nur ein anderer Name für Jörg Kleudgens Heimatstadt Büdingen.

»Letztes Jahr habe ich gemeinsam mit Jörg einen Ausflug nach Beuringen gemacht«, erzählt Tobias Bachmann. Es war etwas schwierig, dorthin zu finden, da das Navigationsgerät aus unerfindlichen Gründen seinen Dienst versagte. Bei einem Spaziergang zeigte mir Jörg dann diverse Örtlichkeiten seines Romans und hatte schlussendlich die Idee, dass Teile meines Romans doch auch dort spielen könnten. Gesagt, getan.«

Hinter Karl von Roth verbirgt sich derweil der letztes Jahr bedauerlicherweise verstorben Autor und Herausgeber Bernd Rothe, obwohl Tobias Bachmann einschränkt: »Im Plot meines Romans stand zwar das Treffen mit einem Sammler und die entsprechenden Szenen für das Kapitel bereits in groben Zügen fest, doch konnte ich nicht anders, änderte den Namen und ließ Bernd so teilhaben, am Schicksal meines Protagonisten. Ich würde nicht so weit gehen, zu sagen, dass ich mit dem Charakter des Karl von Roth bewusst eine Hommage an Bernd Rothe gestaltet habe. Aber er war im Geiste dabei.« Nicht zu vergessen der Beuringer Schlossverlag, womit Bachmann ohne Zweifel auf die Goblin Press und Jörg Kleudgen anspielt. »Jörg kenne ich ja schon eine halbe Ewigkeit. Er war es, der seinerzeit die Steine ins Rollen brachte, zu Zeiten, als ich meine ersten Manuskripte noch auf einer Schreibmaschine tippte, sie mit der Post verschickte und handschriftlich lektoriert zurückbekam.«

Diese sympathischen Reminiszenzen, auch wenn vom Autor nicht immer bewusst als solche eingebaut, machen Ein wahrhaft seltener Privatdruck gleich doppelt so bekömmlich. Was der Leser allerdings bei der Lektüre vermissen wird, sind phantastische Elemente. Vielmehr wird die Handlung durch die wahrhaft spannende Suche nach einem Geheimnis und den damit einhergehender »Kollateralschäden« an Mensch und … ja, Büchern getragen. Denn wie es scheint, hat es sich jemand zur Aufgabe gemacht, auch die letzten vier Exemplare von Anglers Doppelschwänziger Nixe zu zerstören. So gelangt Langhans zu von Roths Anwesen, nur um feststellen zu müssen, dass dieses – mit allen bibliophilen Schätzen – ein Raub der Flammen wird. Von Roth selbst liegt im Krankenhaus und kann dem Journalisten zumindest berichten, dass das Buch wohl eine Art Autobiographie Anglers darstellt. Noch am selben Tag, nachdem Langhans das Krankenhaus verlassen hat, stirbt von Roth an den Folgen einer Rauchgasvergiftung. Doch nicht allein der Sammler fällt dem Fluch der Doppelschwänzigen Nixe zum Opfer. Mit dieser Art von prosaischen Elementen versehen kredenzt Bachmann dem Leser mit Ein wahrhaft seltener Privatdruck eine originelle Story in bester Thriller-Manier, versehen mit des Büchersammlers liebstem Thema.

»Ich sagte Ihnen ja bereits, dass ich Anglers Hölle gefunden habe. Und ich warne Sie an dieser Stelle am besten gleich: Die Hölle dieses Mannes ist abgrundtief. (S. 12)

Einen weiteren Teil des Plots nimmt aber auch die Figur des Stephan Angler als Person ein. Zum Ende des Buches tritt dieses Glied immer mehr in den Vordergrund, die Suche nach dem wahrhaft seltenen Privatdruck wird durch sie abgelöst. Tobias Bachmann schneidet in diesem Abschnitt ein wirklich schwieriges, aber nicht weniger faszinierendes Thema des Menschsein an, wofür er den Begriff der Kosmischen Dualität einführt und – wie der Autor selbst zugibt – »einen alten, ›neurologischen‹ Mythos« bemüht, den bereits Robert Louis Stevenson in einem seiner bekanntesten Werk zu verarbeiten wusste. Die Idee mag somit nicht neu sein und im Angesicht moderner Wissenschaft auch nicht mehr haltbar, Bachmann hat daraus jedoch vollkommen neue Züge herausdestillieren können. Und spätesten da kommt wieder die Frage ins Spiel, ob wir wirklich wissen, wer wir sind. Der Autor gibt auf diese Frage eine Antwort, die – von allen Seiten betrachtet – nicht nur tiefgründig ist, sondern auch verstörend wirkt. Des Weiteren ist die Geschichte mit vielen Symbolen angereichert, durch die der Leser eingeladen wird, sich auf Spurensuche nach ihrer Bedeutung zu begeben. Der Titel des seltenen Buches Die Doppelschwänzige Nixe soll derweil nicht nur das Prinzip der Kosmischen Dualität reflektiert, sondern stellt auch ein wenig Heimatkolorit aus des Autors Wohngegend dar: »Die doppelschwänzige Nixe ist allerorten in dem Dorf zu finden, in dem ich lebe. Meine kleinen Töchter stehen auf Meerjungfrauen. Ich suchte nach einem Symbol und gleichzeitig nach einer Erklärung, warum es Wassernixen mit zwei Schwänzen geben soll. Die Erklärungen, die ich im Internet und in Büchern fand, reichten mir nicht aus. So habe ich meine eigene Archetypenforschung konstruiert und den Mythos der Kosmischen Dualität selbst erfunden.«

Mit Ein wahrhaft seltener Privatdruck unterhält Tobias Bachmann seine Leser auf hohem Niveau, gibt Einblicke in einen Gedankenkomplex, in den der Mensch nur selten und ungern eintaucht, und liefert nebenbei eine rasante Story ab. Dass das Buch in der Goblin Press erscheint, hat nicht nur mit seinem besonderen Inhalt zu tun. »Die Möglichkeit, das Buch in seiner Erstausgabe als wahrhaft seltenen Privatdruck veröffentlichen zu können – denn nichts anderes sind die Bücher der Goblin Press ja – erscheint mir passend und dem Werk gerecht«, verrät der Autor. »Obwohl ich mich darüber freuen würde, wenn ein größerer Verlag im Laufe der Zeit zugreifen würde.«

(eh)