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Jackson – Teil 16

Gefangen!

Ein warmer Wind strich über das Land, als ich meine Augen öffnete.

Der Himmel über mir war tiefschwarz und mit Millionen von kleinen und großen Sternen übersät, die um die Wette zu funkeln schienen.

Es war ein fantastisches Bild, dem ich jederzeit einen zweiten Blick geschenkt hätte, aber nicht heute, nicht hier und zu diesem Zeitpunkt.

Ich fühlte eine unglaubliche Leere in mir und war so kraftlos, dass ich kaum einen Finger heben konnte. Das Dröhnen des gepanzerten Wagens drang an mein Ohr, das Knirschen von Steinen und Sand unter dem Gewicht seiner Räder, Stimmen von Menschen.

Einen Moment lang hatte ich das Gefühl, als ob die ganze Welt schwankte, dabei war ich es, der hin und her geschaukelt wurde.

Ich lag auf dem Dach des Fahrzeugs.

Man hatte mich bis zum Hals in eine Decke gewickelt und mit Spanngurten zwischen dem Ausstieg der Turmluke und dem MG fixiert. Einen Moment lang wusste ich überhaupt nicht, wo ich war. Es dauerte ziemlich lange, bis mir nach und nach alles wieder einfiel, so lange, dass ich schon befürchtete, mein Erinnerungsvermögen verloren zu haben.

Aber dann war plötzlich alles wieder da: das Wissen um meine Verfolger, die Schießerei, meine Flucht.

Als ich mir dessen wieder bewusst wurde, spürte ich unwillkürlich einen scharfen Schmerz in meiner Schulter. Ich schloss die Augen und stöhnte leise. Dadurch, dass der Wagen querfeldein und ohne Rücksicht auf die Bodenbeschaffenheit durch das Land rollte, nahm ich mit meiner Verletzung die Erschütterungen stärker als jeder andere wahr. Es war nicht so, dass die Schmerzen nicht zum Aushalten waren, aber sie waren da und zermürbten mich, je länger die Fahrt andauerte.

Irgendwann wurde ich wieder bewusstlos.

Als ich das nächste Mal die Augen aufschlug, lag ich in einem Zelt. Ich hatte überhaupt nichts gespürt, als man mich vom Dach des Wagens geschnallt und hierher gebracht hatte. Ich drehte den Kopf und blickte der Reihe nach auf die drei Männer, die neben mir auf dem Boden hockten und mich anstarrten.

»Er ist wach«, sagte einer der Männer, nachdem er sich über mich gebeugt hatte. »Ich habe euch doch gesagt, dass der Bursche ein zäher Hund ist. Jetzt seht zu, dass ihr ihn wieder auf die Beine bekommt. Im Basislager warten schon alle auf ihn.«

Nach diesen Worten erhob sich der Mann und verließ das Zelt.

Die beiden anderen machten sich daraufhin sofort daran, mich aus meiner Decke zu wickeln. Erst jetzt bemerkte ich, dass ich darunter bis auf einen breiten Verband, der sich von der Schulter aus über meinen Oberkörper spannte, völlig nackt war.

»Hm«, sagte einer von ihnen, während er meinen Verband betrachtete. »Sieht wahrscheinlich schlimmer aus, als es ist. Okay; dann wollen wir mal.« Damit hockte er sich neben mich und löste den Verband.

Dabei war er in etwa so feinfühlig wie ein Metzger im Schlachthof. Er schob sein Messer einfach unter den Verband auf meiner Brust und zerschnitt den Stoff mit einem Ruck. Nach einem kurzen Blick auf das darunter liegende Pflaster riss er es von der Wunde, obwohl es mit Blut und Eiter auf der Haut festgeklebt war. Ich hatte Mühe, nicht aufzuschreien.

Die Wunde selber entpuppte sich als ein dunkles, blutverkrustetes Loch, das durch die unsanfte Behandlung an den Rändern wieder aufgeplatzt war. Dünne Blutfäden rannen über meine Brust, die jedoch rasch wieder versiegten.

»Sieht besser aus, als ich gedacht habe«, sagte der Mann. »Du hast anscheinend gutes Heilfleisch.«

Der andere Mann, ein magerer Kerl mit langen, strähnigen Haaren und einem lückenhaften Gebiss, lachte hässlich. »Das wird er auch brauchen, wenn die im Camp erst einmal damit anfangen, ihn in die Mangel zu nehmen.«

»Halt dein Maul, Tom, ich will davon nichts hören. Meine Aufgabe ist es nur, mich um seine Wunde zu kümmern.«

Tom zog die Lippen zurück und bleckte erneut seine schadhaften Zähne.

»Schon gut, Steve, schon gut. Ich wusste ja nicht, dass du plötzlich sentimental geworden bist.«

Statt einer Antwort zeigte Steve zum Zelteingang hin.

»Anstatt blöd daherzureden, wäre es besser, wenn du mir neues Verbandszeug bringen würdest. In meiner Tasche im Sanitätswagen ist auch eine Salbe. Bring die auch mit. Das Zeug stinkt zwar, als hätte jemand in die Hose geschissen, aber es hilft.«

»Ich sage dir, das ist zwecklos«, maulte Tom und kam langsam auf die Beine. »Der Kerl wird sowieso nicht mehr lange leben.«

»Bring mir die Salbe«, sagte Steve mit einer Stimme, die knirschte wie gesprungenes Glas.

Nachdem Tom das Zelt verlassen hatte, wandte sich Steve wieder mir zu. Die Blicke, die er mir dabei zuwarf, waren eine Mischung aus Mitleid und Respekt.

»Du scheinst ein verdammt harter Bursche zu sein. Ich kenne keinen, der uns jemals so lange Schwierigkeiten gemacht hat, und ich bin immerhin schon drei Jahre bei dem Verein.«

Ich zuckte mit den Schultern, was meine Wunde sofort mit einem schmerzhaften Ziehen beantwortete. Unwillkürlich verzog ich das Gesicht.

»Danke, es ist schön, zu hören, dass es in dieser verrückten Welt auch noch normale Menschen gibt. Würde es dir etwas ausmachen, mir zu erklären, was hier eigentlich vor sich geht?«

Steve wiegte nachdenklich den Kopf, blickte sich um und verschwand für einen Moment irgendwo in der Tiefe des Zeltes. Als er wieder in mein Blickfeld trat, hielt er eine Stoffhose und ein T-Shirt in den Händen.

»Was meinst du damit?«, fragte er und warf mir die Kleider zu.

Ich fing das Bündel auf und schlüpfte vorsichtig in Hose und Shirt. Das Zeug passte leidlich.

»Das fragst du noch? Ich weiß ja nicht, in was für einer Welt du lebst, aber da, wo ich herkomme, kann man Dinosaurier und degenerierte Primaten höchstens noch im Naturkundemuseum bestaunen.«

»Und wie bist du hierhergekommen?«

Ich weiß heute noch nicht, was mich damals dazu bewegt hatte, einem wildfremden Mann sozusagen mein Herz auszuschütten. War es sein ehrlicher Blick, sein Verständnis oder die Tatsache, dass er sich um meine Wunde kümmerte?

Ich erzählte ihm jedenfalls meine Geschichte bis zu der Stelle, an der die Piper notgelandet war. Die Geschichte mit Yalla verschwieg ich. Irgendwie hatte ich das Gefühl, als ob ich mein Verhältnis zu ihr besser nicht erwähnen sollte.

»Du bist mit einer Chartermaschine hierhergekommen?«

Steve sah mich dabei an wie einen Hund mit sechs Beinen.

»Das ist ja interessant, wie hast du das denn fertiggebracht?«

Ich grinste humorlos. »Ich bin in das Flugzeug eingestiegen und hierher geflogen. Was ist daran so ungewöhnlich?«

»Diese Area kann normalerweise niemand betreten, der nicht Beziehungen nach ganz oben hat.«

»Wieso das denn? Ich denke, Australien ist ein freies Land, hier kann doch jeder reisen, wohin er will.«

Steve schenkte mir ein mitleidiges Lächeln. »Das mag für Australien gelten, aber nicht für diese Area. Man nennt diesen Landstrich übrigens Palinginese, was immer das auch heißen mag.«

 

***

Ich war wie elektrisiert.

Nach all dem Erlebten, den vagen Hinweisen und Yallas Andeutungen war dies der erste wirkliche Anhaltspunkt, mit dem ich etwas anfangen konnte.

Dazu muss ich vorausschicken, dass mich alles, was mit Griechenland zu tun hatte, interessierte, und Palinginese war ein Begriff aus dem Griechischen. Er bedeutete soviel wie Entstehung, Schöpfung oder Geburt. War damit diese unwirkliche Welt gemeint, in der ich mich seit Wochen bewegte?

Mein Herz schlug wie bei einem Teenager, der vor dem ersten Date stand.

Sollte ich endlich das Geheimnis dieser seltsamen Welt erfahren?

Ich hing förmlich an Steves Lippen, als hinter mir unvermittelt die Zeltklappe zurückgeschlagen wurde.

Tom war mit der Arzttasche zurückgekehrt, und als ich sah, wie sich Steves Miene daraufhin verschloss, verflog meine Euphorie so schnell, wie sie gekommen war. Mir wurde klar, dass ich auch diesmal wieder keine Antwort auf meine Fragen bekommen würde.

Ich merkte es an der Art, wie sich Steve nach Toms Erscheinen um meine Wunde kümmerte. Er sprach kein Wort, als er mir einen neuen Verband anlegte und mich danach ziemlich grob auf die Beine zerrte.

»Los«, brummte er ungehalten. »Du hast dich lange genug ausgeruht, wir müssen weiter.«

Ich nickte, obwohl ich so schwach wie ein Neugeborenes war.

Trotzdem zerrten mich die beiden rücksichtslos ins Freie.

Als wir aus dem Zelt kamen, schaute ich mich neugierig um.

Das Lager, in das man mich gebracht hatte, befand sich oberhalb eines Hügels auf einer Felsenplatte, die geformt war wie eine runde Tischplatte. Sie war baumlos und flach. Als ich meinen Blick durch das Camp schweifen ließ, stand mir trotz der Morgenkühle der Schweiß auf der Stirn. Man hatte in diesem Lager sechs Armeefahrzeuge und mindestens dreißig Männer zusammengezogen. Es gab hier alles, was man zu einer groß angelegten Suchaktion benötigte. Einen Funkwagen, Suchscheinwerfer, ein Proviantlager und sogar einen Jeep vom Sanitätsdienst. Angesichts dieser Übermacht grenzte es an ein Wunder, dass sie mich nicht schon längst gefangen hatten. Ich konnte das deshalb so genau sehen, weil überall, wohin ich blickte, Feuer aufloderten. Auch in Australien war es in der Wüste bis zum Morgengrauen empfindlich kalt. Aber war das hier überhaupt noch Australien?

Ein derber Stoß in den Rücken riss mich aus meinen trüben Gedanken.

Meine Knie waren weich wie Butter und ich konnte kaum stehen, geschweige denn laufen.

Unter normalen Umständen hätte ich Toms Schlag, ohne mit der Wimper zu zucken, hingenommen, so aber stolperte ich nach vorne, streckte die Arme aus und landete wie eine Katze, die vom Tisch gefallen war, auf allen vieren auf dem Boden.

»Wenn du lieber kriechen willst, anstatt zu gehen, solltest du dich langsam in Bewegung setzen«, sagte Tom gehässig.

»Der Wagen, mit dem wir fahren, steht da drüben, und ich hasse nichts so sehr, wie auf jemanden zu warten.«

Es war Absicht, dass er mir im Vorbeigehen mit der Stiefelsohle auf die Hand trat. Es tat höllisch weh, aber ich wollte dem Drecksack nicht die Genugtuung geben, mich schreien zu hören. Ich presste die Lippen zusammen und verkniff mir den Brüller, obwohl mir hundeelend wurde und ich das Gefühl hatte, gleich kotzen zu müssen. Stattdessen senkte ich den Kopf und schloss für einen Moment die Augen.

»Warte, ich helfe dir.« Die Stimme Steves klang besonnen. Seine Rechte griff unter meine Achsel und zog mich wieder halbwegs auf die Beine. »Nimm dich in acht vor Tom, er wartet nur auf eine Gelegenheit, dir eins auszuwischen. Und jetzt beeil dich, wir fahren gleich los.«

Das war leichter gesagt als getan. Mir war immer noch schwarz vor Augen, trotzdem zwang ich mich, ihm das Gesicht zuzuwenden.

»Wo bringt ihr mich hin?«

»Zunächst ins Basislager zurück, danach vielleicht ins Hauptquartier. Das hängt ganz davon ab, wie kooperativ du bist.«

Ich nickte und versuchte es Steve so leicht wie möglich zu machen, während er mich zu einem der Lastwagen schleifte.

»Eine Frage noch«, sagte ich, bevor ich unter der Plane verschwand, die über die Ladefläche des Fahrzeugs gespannt war.

»Was hat Tom eigentlich gegen mich?«

»Bei einer der Patrouillen, die nach dir suchten, war sein Bruder dabei. Du hast ihn mit einem Lasergewehr getötet.«

Bevor ich ihm darauf eine Antwort geben konnte, wurde ich von hinten gepackt und in den Lastwagen gezerrt. Mit derben Stößen trieb man mich auf eine Sitzbank zu, wo ich zwischen zwei finster aussehenden Uniformierten Platz nehmen musste. Ich saß kaum auf meinen vier Buchstaben, als sich der LKW auch schon ruckelnd in Bewegung setzte.

 

***

Irgendwann, ich hatte inzwischen jegliches Zeitgefühl verloren, hielt der Lastwagen an. Obwohl ich nicht die geringste Ahnung hatte, was mich erwarten würde, war ich erleichtert, dass die Fahrt endlich ein Ende gefunden hatte. Die Sitzbank war hart und unbequem und der Platz so eng, dass ich nicht einmal die Beine ausstrecken konnte. Das Schlimmste jedoch war das ständige Schütteln und Rütteln während der Fahrt gewesen. Die Räder des Wagens rumpelten querfeldein und die fehlende Federung ließ mich jeden Stein und jede noch so kleine Unebenheit spüren. Es gab nichts, was mir nicht wehtat. Wahrscheinlich musste ich nach dem Aussteigen erst meine Knochen sortieren, um sie danach wieder richtig zusammensetzen zu können, so durchgeschüttelt war ich.

Aber bevor ich damit anfangen konnte, trieben mich meine Sitznachbarn mit ein paar Ellbogenchecks vom Lastwagen herunter und dirigierten mich auf eine würfelförmige Holzhütte zu.

Im Gehen versuchte ich, mir ein Bild von meiner Umgebung zu machen.

Das Basislager, wie es Steve genannt hatte, bestand aus einem halben Dutzend Holzhütten und mindestens doppelt so vielen ausgemusterten Armee-Mannschaftszelten. Außerdem gab es zwei große Bretterverschläge, in denen mehrere Armeefahrzeuge abgestellt waren. Abseits des Lagers hatte man einen weitläufigen Stacheldrahtverhau errichtet, in dem ich einige unförmige dunkle Punkte erkennen konnte.

Ich hätte mir das alles gern etwas genauer angesehen, aber zum einen waren die Lichtverhältnisse nicht besonders, entweder war es schon wieder dunkel oder immer noch, und zum anderen hatten meine Begleiter etwas dagegen. Als ich kurz stehen blieb, kassierte ich prompt einen Faustschlag in die Nieren. Dann landete eine Hand klatschend in meinem Nacken.

»Hat hier jemand was von stehen bleiben gesagt?«

Ich zuckte nur leicht zusammen und folgte den beiden bis zur Hütte.

Dort nahm mich ein großer, breitschultriger Mann in Empfang. Im Gegensatz zu allen anderen Männern, die ich hier bisher gesehen hatte, trug er keine Uniform. Er war mit einem flaschengrünen Hemd und einer dunklen Hose bekleidet und seine Füße steckten in einem paar ausgetretenen Turnschuhen. Über der Hose spannte sich eine Lederkoppel mit offenem Halfter. Links an der Koppel baumelte ein unterarmlanger Schlagstock aus dunkelbraunem Hartholz. Als ich in seine kalten, abschätzenden Augen blickte, wusste ich, dass er diese Waffen nicht nur aus Spaß mit sich herumtrug.

»Komm rein, man wartet schon sehnsüchtig auf dich«, begrüßte er mich zynisch.

Vorsichtig trat ich ein.

Mein Empfangskomitee saß hinter einem langen Tisch mitten im Raum. Zwei Männern und eine Frau, die im ersten Moment mit ihren streng nach hinten gekämmten Haaren und der randlosen Brille auf mich wie die bigotte Vorsteherin eines Mädcheninternats wirkte.

Wohlerzogen, wie ich war, nickte ich zuerst der Frau zu und wollte mich dann den Männern zuwenden, als mich die Erkenntnis wie ein Faustschlag in die Magengrube traf.

Im nächsten Augenblick hatte ich das Gefühl, als ob mir jemand den Boden unter den Füßen weggezogen hatte. Mir wurde abwechselnd heiß und kalt und in meinem Kopf wirbelte alles durcheinander.

Wie um alles in der Welt kam diese Frau hierher?

Ich kannte sie, auch wenn ich sie bisher nur einmal gesehen hatte.

Damals auf dem Londoner Heathrow Flughafen, als ich sie aus den Fängen eines schmierigen Franzosen befreit hatte.

Damals, als ich noch in einer anderen Welt lebte.

Fortsetzung folgt …

Eine Antwort auf Jackson – Teil 16