Paraforce Band 13
»Seit Beginn der 60er Jahre sind ungefähr sechshundert Hunde von dieser Brücke in den Tod gesprungen. Freiwillig.«
»Was?«
»Sie begingen praktisch Selbstmord.«
»Wie kommst du denn jetzt darauf?« Nils Sommer sah seine Tante einen Moment skeptisch an. Er war es ja gewohnt, dass sie manchmal auf die eigenartigsten Ideen kam, aber dies war für ihre Verhältnisse zu weit hergeholt.
Wieso sprach sie jetzt über Hunde?
Dann fiel es Nils wie Schuppen von den Augen. »Das kann nicht dein Ernst sein, Lena. Ich dachte, wir machen Urlaub.«
»Das tun wir ja auch.«
»Irgendwie fange ich gerade an, daran zu zweifeln. Gib zu, dass die Brücke der eigentliche Grund ist, warum wir hier einen Zwischenstopp einlegen. Das Overtoun House war nur ein Vorwand.«
»Nein. Da will ich auch hin.«
»Also kann ich mich von der erholsamen Woche verabschieden, die wir geplant hatten.«
»Ganz so ist es nicht.«
»Wie ist es dann?« Nils schüttelte ärgerlich den Kopf. Er konnte es nicht fassen, dass Lena offensichtlich vorhatte, ihre Reise nach Schottland für die Aufklärung eines Falles zu missbrauchen. »Dies hier ist unser erster Urlaub seit mehr als zwei Jahren. Zumindest dachte ich das bis vor wenigen Minuten.«
»Nun stell dich nicht so an«, sagte Lena und stieß ihren Neffen leicht an der Schulter an. »Wir schauen uns hier ein bisschen um, übernachten einmal und fahren morgen wie geplant nach Oban.«
»Und welche Überraschungen erwarten uns dann dort?«
»Sei nicht unfair. Wir können den Tag verschmerzen und haben danach noch genug Zeit, uns die Inseln an der Westküste anzusehen. Die Brücke und das Overtoun House sind sehenswert und du musst zugeben, dass die Sache mit den Hunden mehr als seltsam ist.«
»Woher weißt du eigentlich davon?«
»Jacques hat das mal erwähnt«, antwortete Lena.
»Mal erwähnt?«
»Er hat mir eine Mail geschrieben.«
»Also ist es ein Auftrag.«
»Nicht so ganz. Jacques meinte, wenn wir ohnehin in Schottland sind, könnten wir uns die Sache einmal anschauen.«
Nils schüttelte ärgerlich den Kopf. Offensichtlich war es genau so, wie er es befürchtet hatte. Wenn der Leiter der Paraforce-Zentrale hinter alldem stand, konnte kein Zweifel daran bestehen, dass Lena einen Fall angenommen hatte und nun überlegte, wie sie ihm das schonend beibringen konnte.
Er ging zu einer kleinen Wölbung an der Brückenseite und schaute auf die Wasseroberfläche des Overtoun Burn, der in einer Tiefe von etwa fünfzehn Metern unter der Brücke hindurchfloss. Der Fluss war auf beiden Seiten von Bäumen und Sträuchern umrahmt. Das Ufer war so dicht bewachsen, dass man kaum zu Fuß unter der Brücke hindurchgehen konnte. Nils befürchtete, dass seine Tante ihn dennoch darum bitten würde, diesen Weg zu gehen, um eine mögliche Ursache für die Selbstmorde der Hunde zu finden. Natürlich interessierte auch ihn, was es mit der Overtoun Bridge auf sich hatte. Lena gegenüber würde er dies aber niemals zugeben.
Dabei hatte Nils sich wirklich auf den Urlaub gefreut. Gemeinsam mit Lena war er von Frankfurt aus nach Glasgow geflogen. Von dort aus waren sie mit einem Mietwagen in Richtung Oban gefahren, wo sie sich für eine Woche zwei Hotelzimmer gebucht hatten. Anfangs hatte ihm der Linksverkehr noch zu schaffen gemacht. Auf dem Weg nach Dumbarton hatte er sich aber daran gewöhnt. Lena kam dann, für Nils völlig überraschend, mit dem Vorschlag, unterwegs einmal zu übernachten, um sich die Stadt und das nahegelegene Overtoun House anzuschauen. Auch wenn er den Sinn darin nicht sehen konnte, hatte Nils schließlich zugestimmt. Sie hatten kurz vor der Brücke geparkt und waren nun zu Fuß auf dem Weg zu dem alten Gemäuer.
Nils träumte schon lange davon, sich die Inseln an der schottischen Westküste anzuschauen. Er wurde das Gefühl nicht los, dass während dieses Urlaubs nichts daraus werden würde.
»Was ist nun mit den Hunden?«, fragte Nils, als seine Tante neben ihn trat.
»Es sind wohl vor allem größere Rassen mit langer Schnauze gesprungen. Labradore, Collies und Retriever. Eine Erklärung für das merkwürdige Verhalten der Tiere hat man noch nicht gefunden. Sie haben sich losgerissen und sind über die Brüstung gesprungen. Übrigens an genau der Stelle, an der wir jetzt stehen.«
»Wenn die Leute das aber doch wissen, warum gehen sie dann mit ihren Kötern hier lang?«
»Gute Frage. Vermutlich haben viele gedacht, dass ihr Hund so etwas nicht tut.«
»Unglaublich.« Nils stützte sich auf die Brüstung und schaute nach unten. »Sind denn wirklich alle Tiere bei dem Sprung gestorben? Die Strömung scheint nicht so stark zu sein und einen Sprung ins Wasser kann ein größerer Hund doch aus dieser Höhe überleben.«
»Einige haben das auch. Merkwürdigerweise sind die dann aber später noch einmal gesprungen.«
»Wirklich?«
»Ich weiß, es klingt ungeheuerlich, aber leider stimmt es.«
»Jetzt mal im Ernst. Wenn hier wirklich jeden Monat ein Hund in den Tod springt, muss man doch Ermittlungen durchgeführt haben.«
»Das hat man auch. Die Forscher haben untersucht, ob es einen besonderen Geruch oder Klang unter der Brücke gibt, wodurch die Tiere angezogen werden. Man stellte fest, dass sich an dieser Stelle der Duft von Mäusen und Nerzen im Unterholz besonders konzentrierte. Sie haben einen Versuch auf dem offenen Feld gemacht und getestet, wie diese Gerüche auf Hunde der betroffenen Rassen wirkten. Acht von zehn Hunden haben darauf reagiert.«
»Ich glaube nicht, dass es wirklich an diesen Düften liegt.«
»Jacques auch nicht. Mäuse und Nerze gibt es auch an anderen Stellen. Ich habe noch nie davon gehört, dass Hunde beim Geruch dieser Tiere derartig ausrasten.«
»Dann muss es noch einen anderen Grund dafür geben.«
»Du gibst also zu, dass diese Geschichte interessant ist?«
»Nein. Ich gehe aber davon aus, dass du die Sache nicht auf sich beruhen lassen wirst und näher untersuchen willst.« Ein Blick in Lenas Gesicht war Nils Antwort genug. Er war gespannt, welche Überraschungen seine Tante noch parat hatte. »Was hast du jetzt vor?«, fragte er deshalb.
»Lass uns zum Overtoun House gehen. Vielleicht können wir uns dort ja ein Boot ausleihen und ein Stück über den Fluss fahren. Ich würde mir die Brücke wirklich gerne einmal von unten ansehen.«
»Einverstanden.«
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