Captain Concho – Band 9
Bill Murphy
Captain Concho – Der Rebell aus Texas
Band 9
Die Rache der Legionäre
Western, Heftroman, Bastei, Köln, 66 Seiten, 1,70 €, Neuauflage vom 05.02.2013, Titelbild von Ertrugrul Edirne / Becker-Illustrators
Extras: Karte mit Kurzinformationen über die Situation am Rio Grande
Kurzinhalt:
Im Süden von Texas ist die Hölle los. Hunderte Meilen von den großen Kriegsschauplätzen entfernt wird auch das Grenzland am Rio Grande heimgesucht von den Schrecken des Krieges. Desperados, Marodeure und desertierte französische Legionäre dringen immer wieder in das von Männern entblößte Texas ein, um reiche Beute zu machen.
Captain Concho und seine Reiter sind für die verzweifelte Zivilbevölkerung die allerletzte Hoffnung!
Leseprobe:
Captain Concho drückte sich mit dem Rücken an die Wand, um völlig im Schlagschatten des Jakals zu stehen.
Zwei Polizisten patrouillierten durch das Dorf.
Concho hatte einen zerschlissenen schwarzen Poncho über die graue Uniform gezogen. Nur die hellen Lederstiefel und sein Feldhut verrieten ihn als Angehörigen der Konföderierten-Armee.
Sergeant Miller hatte sich auf die gleiche Weise getarnt. Er stand auf der anderen Seite der Dorfstraße hinter einem Mauerrest.
Drüben in den Staaten herrschte Bürgerkrieg. In Mexiko aber fand eine Revolution statt. Da gab es Truppen, Milizen und Banden von vielschichtiger Art, und für einen Außenstehenden schien da jeder gegen jeden zu kämpfen, oder einer allein gegen alle anderen und umgekehrt.
Für einen Mann, der wie Captain Concho gerade über die Grenze gekommen war, war es schier unmöglich zu erkennen, wer dem Kaiser die Treue hielt, wer für Benito Juarez stritt, oder wer da welche Suppe auf dem eigenen Herd kochte.
Concho gab dem Sergeant ein Zeichen. Aber der hatte die Polizisten ebenfalls bemerkt. Er hob kurz die Hand und zog sich ein Stück zurück, sodass ihn der Captain nicht mehr sehen konnte.
Etwa zweihundert Yards von Concho entfernt hielten die Polizisten inne, sahen her und wechselten dann die Straßenseite. Sie bewegten sich keineswegs schneller, kamen nun aber direkt auf den Jakal zu.
Captain Concho schlug das Herz für einen Moment bis zum Hals.
Wo man sich auch in Mexiko befand, es war wichtig zu wissen, wer in dem Gebiet regierte, in wessen Herrschaftsbereich man geraten war. Noch wichtiger, ja geradezu lebenserhaltend notwendig war es, offen für jene herrschende Gruppe Sympathie zu bekennen – noch bevor man danach gefragt wurde.
Bei diesen wirren Verhältnissen war natürlich ein Irrtum niemals ausgeschlossen. Aber jeder Irrtum, auch der geringste, war tödlich. Wer dessen Bruder nicht war, dem schlug man auf der Stelle den Schädel ein oder den Kopf ab.
Sympathisierten die beiden Polizisten noch mit ihrem Kaiser? Dienten sie bereits Benito Juarez? Oder wurden sie von einem Bandolero-Jefe bezahlt, der zurzeit gerade in diesem Gebiet an der Macht war?
Das wussten nur die beiden und der Teufel. Anzusehen war es ihnen nicht.
Mit jedem Schritt, den sie näher kamen, grienten sie freundlicher, und Captain Concho spürte das Verhängnis nahen.
Die Polizisten trugen kakifarbene Uniformen, die völlig verdreckt und durchgeschwitzt waren. Ihre Schirmmützen, diese Speckdeckel, sahen nicht anders aus. Ihre Stiefel waren völlig ausgetreten und staubig. Die hatten wohl, seit sie die Schusterwerkstatt verlassen hatten, nie mehr Schuhwichse gesehen.
Bewaffnet waren sie mit französischen Chassepot-Karabinern, die sie an Stricken umgehängt trugen. Jeder hatte im Koppel einen amerikanischen Coltrevolver stecken, und am Koppel hing auch eine an beiden Seiten scharf geschliffene Machete. Jeder trug einen Patronengurt über Schulter und Brust. Die Jacke des einen war so zerschlissen, dass es aussah, als würde sie nur noch von diesem Patronengurt zusammengehalten.
Für amerikanische Verhältnisse, auch im zweiten Kriegsjahr, steckten die Kerle glatt in Lumpen.
Wer ließ seine Leute nun so umherziehen? Der Kaiser, Benito-Juarez oder irgendein Banditenführer?
Sam Concho hütete sich, da voreilige Schlüsse zu ziehen.
Sie grüßten freundlich. Auch Concho nahm die Hand kurz an den Feldhut.
»Ein Gringo!«, sagte der eine, der noch ziemlich jung war. »Wer hat dich denn über den Rio Bravo gerufen?«
Die beiden musterten ihn gespannt. Nun musste er Farbe bekennen, Flagge zeigen! War es die falsche – dann vaya con dios!
Niemand hatte ihn gerufen. Er war den Spuren jener Reiter gefolgt, die drüben jenseits des Rio Grande eine Ranch überfallen, alle Leute getötet und das Vieh fortgetrieben hatten. Und die Fährte hatte ihn in die Nähe dieses Dorfes gebracht. Er hatte gehofft, in diesem Kaff etwas über diese Schurken zu erfahren, die Mexikaner aber ebenso gut Amerikaner sein konnten.
Er nahm seine Spanischkenntnisse zusammen, zuckte mit den Schultern, griente und sagte: »Ich wollte mal sehen! Vielleicht mache ich bei euch mit.«
Er erinnerte sich unwillkürlich an Forscreek, der sich ihm damals im Quellgebiet des Rio Grande mit ähnlichen Worten angeboten und um Aufnahme in seine Einheit gebeten hatte. Hatte Concho ihm damals geglaubt? Nein! Zunächst einmal hatte er ihn für einen Spitzel oder Agenten der Yankees gehalten.
Die beiden reagierten nicht anders. Sie tauschten einen langen Blick, und als sie ihn wieder ansahen, lächelten sie nicht mehr, da wirkten ihre stoppelbärtigen Gesichter ernst.
»Ein Spitzel bist du, ein Spion!«, sagte der andere bissig. »Und zwar ein Schnüffler der Kaiserlichen! Ihr eingebildeten Hundesöhne von drüben schließt euch doch alle diesem verdammten Fremdling an.«
Captain Concho schüttelte den Kopf. »Nein! Ich bin kein Spion. Und dieser fremde Kaiser kann mir gestohlen bleiben. Da bin ich schon eher für die Idee von Benito Juarez zu haben.«
Auf den Namen Benito Juarez reagierten sie wie der Stier auf das rote Tuch des Toreros. Wild rissen sie die Chassepots herunter, luden durch und legten auf ihn an.
Er war also in das Gebiet eines Bandolero-Jefe geraten!
Das Verkehrte zuerst ausgesprochen und das Richtige zuletzt gedacht! Das war das Ende, zumindest der Anfang davon.
Während ihm der junge Bursche die Karabinermündung in den Leib rammte, trat der andere zur Straßenmitte und stieß laute Pfiffe aus.
Sofort stürzten mehrere bewaffnete Männer aus einem weiß getünchten Haus, das knapp vierhundert Yards entfernt war.
»Kommt her, Muchachos!«, rief der stoppelbärtige Polizist und schwenkte den Speckdeckel. »Wir haben einen von den verdammten Juaristas!«
Wie die lossausten! Mindestens ein Dutzend Mexikaner waren das.
Captain Concho erkannte, dass er nun handeln musste, und dazu war er auch sofort entschlossen. Er griff blitzschnell mit beiden Fäusten zu, riss sich den Chassepot vom Leib und stieß dem Polizisten dabei aas Knie in den Bauch, dass er aufschreiend zurücksank.
Auf der Straße riss der zweite Polizist den Karabiner hoch. Doch es war nicht seine Waffe, die krachte. Sergeant Miller hatte geschossen. Während der Polizist auf der Straße zusammenbrach, flankte der Sergeant über die Mauer.
»Captain!«, rief er und rannte in langen Schritten los, in jene Richtung, aus der die Polizisten gekommen waren und wo sie ihre Pferde versteckt hatten.
Captain Concho riss dem jungen Polizisten den Karabiner aus der Hand und stieß ihm den mit einer Eisenplatte beschlagenen Kolben in den Leib. Der Kerl krümmte sich und dachte weder an den Karabiner noch an seinen Revolver.
Sam Concho hetzte hinter dem Sergeant her, dicht an den Häusern und Bruchbuden entlang, die diese breite Dorfstraße säumten.
Vor dem Haus krachten sofort Schüsse, und der Captain und der Sergeant hörten die Kugeln pfeifen.
Sie rannten trotzdem weiter, so schnell sie nur konnten.
Hinter ihnen schossen so viele Mexikaner her, dass die Kerle dort vor jenem Haus die ganze Straßenbreite einnahmen. Die Luft füllte sich mit Pulverqualm, sodass die Mexikaner schon nach wenigen Sekunden wie im Nebel standen.
Sehweißnass und ausgepumpt erreichten Sergeant Miller und Captain Concho die Pferde, die hinter einer von Buschwerk überwucherten Ruine standen. Eine Färberei schien das gewesen zu sein. Die ehemaligen Farbbottiche waren noch gut erhalten. Zwischen den Bottichen hindurch ritten sie nach Westen, denn eine Gruppe Mexikaner galoppierte bereits die Dorfstraße entlang und schwenkte prompt nach Osten zum Rio Grande hin ein, um die Gringos noch vor der Grenze einzuholen.
Concho und der Sergeant entkamen. Sie tauchten im Buschland unter, ließen die Pferde im Schritt gehen und hielten nach Einbruch der Dämmerung an, um sich einen Lagerplatz zu suchen.
Sam Concho fluchte. Dieser Abstecher in das mexikanische Dorf war ein Fehlschlag gewesen. Er beschloss deshalb, im Morgengrauen die Fährte, der er von Texas aus gefolgt war, zu suchen und weiter zu verfolgen.
Er hatte den Befehl bekommen, mit seiner sehr zusammengeschrumpften Schwadron die Grenze von Laredo bis hinunter nach Brownsville zu sichern und zu verhindern, dass Strauchdiebe und Buschräuber, welcher Schattierung auch immer, über die Grenze kamen und die abseits gelegenen Farmen und Ranches überfielen, auf denen meist nur noch alte Männer, Frauen und Kinder zu Hause waren, weil sich die kampffähigen Männer im Krieg befanden.
Von Laredo bis Brownsville waren es rund zweihundert Meilen. Die gestellte Aufgabe war mit fünfzehn Männern nicht zu erfüllen, denn diese räuberischen Hurensöhne überschritten stets dort die Grenze, wo sich Captain Concho mit seinen Männern gerade nicht befand.
Da gab es nur eine Strategie! Unter Verletzung von Grenz- und Hoheitsrechten die Schlupfwinkel der Banditen auf mexikanischem Gebiet zu suchen, um das Übel bei der Wurzel packen zu können.
Leicht war Captain Concho diese Entscheidung nicht gefallen. Aber der Anblick überfallener Gehöfte, ausgebrannter Gebäude und getöteter alter Männer, Frauen und Kinder hatte den Ausschlag gegeben.
Er wusste, was er seinen Leuten zumutete. Er hatte es ihnen gesagt und trotzdem von jedem die Zustimmung erhalten.
Nicht nur er und Miller hatten die Grenze überschritten. Im Norden suchten Finnewacker und Forscreek auf texanischem Gebiet nach dem Versteck einer Bande, und im Süden war Sergeant Dandry mit Perryton unterwegs.
Wie gefährlich diese Aktionen waren, hatte Sam Concho in dem mexikanischen Nest erlebt.
Zweifel befielen ihn, ob seine Entscheidung richtig war, oder ob sie ihm letzten Endes nichts weiter einbrachte, als den Verlust von Männern.
Aber konnte er tatenlos herumsitzen, auf einen Zufall warten und nur immer wieder feststellen, dass hier und dort die Familien von Männern, die sich an der Front befanden, von diesem feigen Gesindel hingemordet worden waren?
Nein, das konnte Captain Concho nicht.
Sie fanden eine windgeschützte Mulde. Bevor sie absattelten, klopfte Sergeant Miller mit dem Feldspaten den Boden ab.
»Hier gibt es nicht nur Klapperschlangen auf zwei Beinen, Sir!«, erklärte der Sergeant.
Sie wechselten sich in der Wache ab. Zwei Stunden vor Tagesanbruch war Captain Concho noch einmal an der Reihe.
»Nichts zu hören, alles ruhig!«, raunte der Sergeant, nachdem er den Captain geweckt hatte.
»Dann schlafen Sie mal, Miller! Zwei Stunden noch, dann ziehen wir weiter«, erwiderte Concho im Flüsterton.
Miller hatte nichts bemerkt und nichts gehört. Der Captain nahm in diesen zwei Stunden ebenfalls kein Geräusch wahr, das nicht zur Nacht gehörte.
Endlich graute der Morgen. Er weckte Sergeant Miller. Sie sattelten sofort die Pferde.
Sie waren gerade fertig und wollten aufsitzen, als es im Gebüsch knackte und raschelte.
Ringsum!
Die Mulde war von Mexikanern umringt. Von allen Seiten traten abenteuerlich wirkende Gestalten aus dem Gestrüpp, die Gewehre auf sie angelegt.
Bandoleros waren das, Strauchritter, das war ihnen deutlich anzusehen.
Ein fragender Blick des Sergeanten traf Captain Concho, doch der hob die Arme.
»Keine falsche Bewegung, Miller!«, raunte er. »Jetzt müssen wir abwarten, wie es weitergeht.«
Da reckte auch der Sergeant die Arme in die Höhe.
(wb)