W. K. Giesa: Gedanken zum 6. Todestag
W. K. Giesa: Gedanken zum 6. Todestag
Es ist schon ein paar Tage her, als ich auf dem Glauberg, welcher an die Wetterau angrenzt, war. Doch jedes Mal, wenn ich an der alten Eiche vor dem aus der Keltenzeit stammenden Weiher stehe, führen mich meine Gedanken zurück zu jenem 13. Mai 2007, an welchem Werner dem Geisterspiegel ein sehr ausführliches Interview gab. Eigentlich wollten wir dieses auf dem Grillplatz unterhalb des Glauberges durchführen, doch Werner bestand darauf, den steilen und für ihn sehr beschwerlichen Weg auf das Plateau zu nehmen. Man sah ihm die Schmerzen, welche er in den Beinen verspürte, regelrecht an. Was trieb ihn dazu? Auf dem Rückweg zum Parkplatz sagte mir Werner, dass die alte Eiche vor dem Weiher der Lieblingsplatz seiner geliebten Heike und ihm war. Bei seinen Worten »Tschüss, lieber Teich, dich werde ich bestimmt nie wieder sehen!« standen nicht nur ihm Tränen in den Augen. Seine Erinnerungen haben Werner beflügelt, die Strapazen auf sich zu nehmen, die Schmerzen einfach zu ignorieren.
Zum letzten Mal bin ich Werner auf dem BuCon 2007 in Dreieich-Sprendlingen begegnet. Es ist verdammt lang her. In meinen Erinnerungen jedoch ist und bleibt er allgegenwärtig.
Anlässlich des 6. Todestages veröffentlichen wir mit freundlicher Genehmigung des Marburger Vereins für Phantastik e.V. (ehemals Marburger Horror Club) die Kurzgeschichte Ein Pflock geschnitzt aus Eiche, die Werner für das Horror-Club-Magazin Nummer 8 vom 04. Januar 1982 schrieb.
Ein Pflock geschnitzt aus Eiche
Wie ein samtenes Tuch legte die Dunkelheit sich weich über das Land. Prachtvoll funkelte das Meer der Sterne, und silbern schimmerte das Mondlicht und zeichnete weiche Konturen in die Gesichter Catias und Carynas. Warm und mild zeigte sich die Nacht. Irgendwo zirpten Grillen, und ein Nachtvogel schrie. Der Frühling hatte begonnen.
Sie waren hinausgeritten in das freie Land und wussten doch, dass es nicht mehr lange frei sein würde, denn die gierigen Klauen des Imperators reckten sich bereits danach. Der Imperator, vor dem sie geflohen waren, ausgebrochen aus seiner Festung, fort von dem Horror der Millionenstadt, wie manche sie nannten. Niemand wusste genau, wie viele Menschen in jenen grauen Häusern wohnten, die sich mit ihren Wänden eng aneinanderlegten, die sogar in die Höhe reichten, übereinander gebaut … und Tausende und aber Tausende von Kriegern, Hetären und Dieben …
Hier draußen war noch Ruhe. Ruhe, bis die gepanzerten Heere des Imperators auch hier das Land und seine Bewohner knechten würden, bis die Schwerter klirrten, Pfeile pfiffen und die Morgensterne Helme und Rüstungen zertrümmerten …
Die Pferde verhielten jetzt vor dem Rand einer Tannenschonung. Mit elegantem Schwung glitt Catia aus dem Sattel. Das lange Schwert in der weich gepolsterten Scheide warf einen eigenartigen Schatten. Catia warf den Kopf in den Nacken; das bis auf die Hüften reichende weiche Haar schwang nach hinten.
»Hier bleiben wir«, sagte sie.
Auch Caryna ließ sich jetzt von ihrem Reittier gleiten. Sie war immer noch so nackt, wie sie in der Festung als Sklavin gewesen war, und sie konnte es immer noch nicht fassen, jetzt frei zu sein. Wie ein Blitzstrahl war Catia zwischen die Krieger gefahren. Ein silberner Schatten ihr Schwert Blutorchidee, wirbelnd und kopfraubend. Schreie, Blut und sterbende Männer, die sich Sekunden zuvor noch an einer wehrlosen, nackten Sklavin vergehen wollten … und dann der Hieb, mit dem Blutorchidee Carynas Nacken fand und die diamantharte Schneide mit äußerster Genauigkeit den stählernen Sklavenring durchschnitt, ohne Carynas weiche Samthaut auch nur leicht zu berühren.
Dann Catias Hand, die nach Caryna griff, sie mit sich zog, hinaus auf ein Pferd. Bogensehnen schwirrten, und jeder Pfeil verfehlte sein Ziel auf geheimnisvolle Weise. Fast schien es, als schütze Zauberei die beiden Mädchen. Und dann fielen auch die Verfolger weit hinter ihnen zurück.
Das alles war jetzt vorbei, war Vergangenheit und musste vergessen werden. Die Tannenschonung flüsterte im weichen Wind, der Carynas bloße Haut streichelte und kribbeln ließ, und nach der anderen Seite hin erstreckte sich eine fast endlose Wiese.
Im Dunkel hinter ihnen, viele Meilen zurück, war die Festung des Imperators im Grau des Abends versunken. Und hell strahlten die Sterne über den beiden Mädchen.
»Lass uns ein Lagerfeuer einrichten«, schlug Caryna vor und schmiegte sich an Catia. Catias Hand glitt über ihren Rücken und erzeugten einen angenehmen Schauer.
»Ein Lagerfeuer«, wiederholte sie.
»Du bist ganz schön verrückt! Im Wald …«
»Nicht im Wald!«, protestierte Caryna. »Am Wald, hier auf dem Weg.«
Catia beugte sich etwas zur Seite und hauchte einen Kuss auf Carynas Nasenspitze. »Überredet. Aber das Holz müssen wir schon aus dem Wald holen. Wie gut brennt Tannenholz eigentlich?”
»Ich weiß nicht«, sagte Caryna.
Catia hielt Ausschau nach einer geeigneten Stelle, wo das teilweise auch auf dem schmalen Feldweg wachsende Gras nicht zu trocken war. »Da vorn«, sagte sie und freute sich tatsächlich bereits darauf. Knisternde Flämmchen, prasselndes Holz, warmes Feuer, Licht in der Dunkelheit und dann Caryna, das schöne nackte Mädchen mit dem seidenweichen Haar und den heißen Lippen. Es würde schön sein, sich am Feuer dem aufregenden Spiel hinzugeben, für das Männer nie einfühlsam genug sein konnten … Sie bückte sich und griff nach ein paar dünnen Ästen, die am Wegrand lagen. Sie würden natürlich nicht ausreichen, und Caryna sagte es ihr.
»Wir brauchen stärkere Äste«, stimmte sie zu. »Dieses Sprickelzeug flammt einmal auf und ist dann Asche …«
»Schau mal«, sagte Caryna plötzlich. »Hier ist auch Asche. Da hat schon einmal jemand Feuer gemacht.«
Sie hatte sich an der Stelle niedergekauert. Catia kam zu ihr. Da lag tatsächlich Asche auf den Weg, und genau in der Mitte hatte jemand einen Holzpfahl in die Erde gerammt.
Caryna zog ihn mit einem Ruck heraus. »Der ist ja geschnitzt!«, stellte sie fest.
Catia betrachtete den Pfahl eingehend. »Stammt auch nicht aus dem Wald hier«, sagte sie. »Das ist Eichenholz. Vielleicht hat jemand hier gebraten, hat sich Bratspieß und Gestell mitgebracht und diesen hier vergessen.«
Ihr schlanker Finger glitt über den Eichenpflock. »Hier, da ist etwas eingeritzt. Sieht wie ein Kreuz aus.«
»Seltsam«, sagte Caryna. Sie nahm den Pflock mit bis zu der Stelle, an der ihr eigenes Feuer flackern sollte. Sie begannen nach stärkeren Ästen zu suchen. Catia schichtete sie aufeinander, dann holte sie Feuersteine aus der Satteltasche ihres Pferdes und setzte das Holz in Brand. Knisternd leckten die Flämmchen über die Zweige, wurden größer und nach kurzer Zeit warf das Feuer seinen unruhigen, wärmenden Lichtschein.
Catia saß im Schneidersitz vor dem Feuer und sah in die Flammen. Caryna hatte sich neben ihr im Gras niedergelassen lehnte sich an Catias und begann deren Kleidung zu öffnen, während Catia versonnen mit dem langen Haar des nackten Mädchens spielte.
Im Feuer verbrannte der Eichenpflock mit den Tannenhölzern. Der Mond stieg höher, die Zeit verrann. Mitternacht kam …
Einige Meter hinter den sich küssenden Mädchen bewegten sich die vom Feuerschein geworfenen Schatten hektisch hin und her. Und zwischen ihnen, dort, wo einstmals der Pflock durch die Asche in die Erde gerammt war, bildete sich etwas anderes. Asche wurde zu Schatten, und der Schatten nahm Gestalt an, erhob sich lautlos und durstig. Als das fahle Mondlicht in das totenbleiche Antlitz der Gestalt fiel, wurden nadelspitze Eckzähne sichtbar. Geräuschlos glitt der Vampir auf die Mädchen zu …