Ausschreibung
Sternenlicht-Anthologie

Download-Tipp
Band 6

Heftroman der Woche

Archive
Folgt uns auch auf

Jackson – Teil 7

Das Gesetz der Nayanos

Ich entdeckte Yalla, als ich zum Wasserloch des Lagers ging.

Ein kleiner Tümpel der ungefähr fünf Fuß in der Länge und drei in der Breite maß und, wie man mir erzählt hatte, von einem unterirdischen Fluss gespeist wurde.

Sie tauchte plötzlich seitlich vor mir auf, mit einem Ledereimer in der Hand.

Wie angewurzelt blieben wir stehen und starrten uns sekundenlang stumm in die Augen. Dann ging sie an mir vorbei, ohne ein Wort zu sagen und verschwand hinter einer dichten Buschgruppe.

Ich zögerte, atmete tief durch und umrundete das dichte Buschwerk. Dahinter fiel ein Hang ab und mündete in eine kleine Senke, wo sich der Tümpel befand der das Lager mit Wasser versorgte. Sie hockte am Rand des Wassers und füllte den Eimer. Ich musste unbedingt mit ihr reden, gleichgültig ob es das Gesetz der Nayanos erlaubte oder nicht.

Yalla war meine einzige Chance aus diesem Irrenhaus wieder herauszukommen.

Ich lebte inzwischen seit einer Woche bei ihnen, trotzdem war ich immer noch so schlau wie am ersten Tag meiner Ankunft im Lager. Ich beherrschte inzwischen zwar ein paar Brocken ihrer bellenden, abgehackt klingenden Sprache, hatte außer mit Tano, Yalla und Skmil auch die Bekanntschaft weiterer Stammesmitglieder gemacht und wusste über die Regeln des Lagerlebens Bescheid, aber das war dann auch schon alles.

Ich erfuhr weder was es mit diesen weißen Männern auf sich hatte, noch warum fast alle Mitglieder des Stammes missgebildet oder auf der Entwicklungsstufe eines Steinzeitmenschen stehen geblieben waren, geschweige denn in welcher Richtung die nächste Ansiedlung einer Zivilisation wie ich sie kannte zu finden war.

Entweder wollte man mir keine Auskunft geben oder man konnte es nicht.

Außerdem hatte mir Tano verboten mich weiter als einen Steinwurf vom Lager zu entfernen.

Ich musste diesen Zustand ändern sonst lief ich irgendwann Gefahr durchdrehen.

Der Schlüssel dazu hieß Yalla, davon war ich überzeugt.

Es war offensichtlich dass sie bei den Nayanos so etwas wie einen Sonderstatus inne hatte.

Sie war die einzige die nicht missgebildet war und stand auch geistig über den anderen Primaten. Sie beherrschte als eine der wenigen meine Sprache perfekt, schien mich zu verstehen und wusste von was ich rede. Sie belegte mich nicht mit einem mitleidigen Lächeln oder einem ungläubigen Kopfschütteln wenn ich von Autos, Computer und Flugzeugen erzählte.

Aber ich kam nicht an sie heran. Nach den Gesetzen der Nayanos war es einem Mann verboten sich alleine mit einer unverheirateten Frau zu treffen. Der Stammesrat und die alten Weiber im Lager sorgten stets dafür, dass ich keine Gelegenheit bekam alleine mit ihr zu reden.

Bis heute, hier am Wasserloch.

Yalla hatte den Eimer unterdessen gefüllt und trat den Rückweg an. Sie hatte es nicht einfach mit dem schweren Eimer den steilen Hang heraufzukommen. Das Wasser schwappte bei jedem Schritt über den Rand. Ich kam ihr deshalb auf halbem Weg entgegen.

»Kann ich dir helfen?«

Sie blieb stehen und sah mich an.

»Wasser holen ist Frauenarbeit.«, sagte sie sehr bestimmt.

Ich nickte wissend.

»Dann lass mich mich wenigstens den Eimer hoch tragen. Er ist doch viel zu schwer für dich.«

Einen Augenblick lang schaute sie mich an und schüttelte dann mit dem Kopf.

»Warum willst du das tun? Du weißt doch das wir Schwierigkeiten bekommen wenn man uns ohne Aufpasser zusammen sieht.«

Ich schwieg und betrachtete sie eingehender.

Mein lieber Herr Gesangsverein, was hatte sich Yalla in den letzten Tagen verändert. Aus einem sehnigen, halbnackten Wildfang der mit dem Messer auf fremde Männer losging war eine junge Frau geworden, die mehr als nur einen Blick wert war. Sie hatte etwas an Gewicht zugenommen und trug statt des Fellfetzens jetzt ein schlichtes, knielanges Stoffkleid das ihre Formen beinahe atemberaubend zur Geltung brachte. Die Pfunde waren genau an den richtigen Stellen verteilt. Mir wurde die Kehle eng als mein Blick auf ihre pfirsichgroßen Brüste fiel, die sich deutlich unter dem Stoff abzeichneten.

»Verschwinde!«

Die raue Stimme riss mich jäh aus meinen Träumen.

Verwirrt drehte ich mich um und sah, dass oben am Hang ein junger Nayano stand und mir mit einem Holzknüppel drohte.

 

***

 

»Verschwinde«, wiederholte er, als Yalla und ich oben angekommen waren.

Das Bürschchen war mindestens fünfzehn Jahre jünger wie ich und dazu einen Kopf kleiner.

Er war zwar ziemlich kompakt und hatte breite Schultern, aber wie die meisten seines Stammes war er auch mit einer Missbildung beschlagen. Mit seinem rechten Klumpfuß hatte er was Schnelligkeit und Reaktion anbelangte nicht den Hauch einer Chance gegen mich.

Ich hatte auf den Straßen in London gelernt mich zu behaupten. Ich beherrschte Tricks von denen dieser Bursche hier nicht einmal wusste dass es sie gab. Wenn es hart auf hart kam konnte ich eine Drecksau sein.

Trotzdem war er offensichtlich auf Ärger aus, denn aus seinen Augen blitzte die heiße Wut.

»Verschwinde, oder ich schlag dich tot!«

Das hätte er besser nicht gesagt.

Jetzt kam auch in mir Zorn auf.

»Sag das nicht noch einmal«, warnte ich ihn.

Statt einer Antwort schlug er mit seinem Holzprügel zu in dessen Spitze ein scharfkantiger Tierknochen eingearbeitet war. Ich wich dem Schlag mühelos mit einem kurzen Sidestep aus. Die mörderische Waffe traf anstelle meiner den Eimer und riss ihn mir aus der Hand. Durch die Wucht des Hiebes verhedderte sich die Knochenspitze im Leder und beides, Eimer und Holzprügel kullerten den Hang hinunter.

»Lass uns in Ruhe, Gur«, zischte Yalla.

»Wieso schleichst du mir ständig nach? Ich habe dir doch deutlich zu verstehen gegeben das ich nichts von dir wissen will.«

Gurs breitflächiges Gesicht verzog sich zu einer abfälligen Miene.

Dann schlug er ein zweites Mal nach mir, diesmal mit der bloßen Faust.

Ich war wieder schneller und jetzt, nachdem ich wusste, das Yalla von seinem Erscheinen alles andere als begeistert war, gab ich dem Burschen Zunder. Ich blockte seine Faust mit der Linken ab und setzte ihm meine Rechte auf die Leber. Er quiekte wie ein sattes Schwein und wurde grün. Als er den Oberkörper nach vorne beugte trat ich ihm zwischen die Beine und hämmerte ihm als krönenden Abschluss meine Faust an den Hals.

Er torkelte einige Schritte vorwärts, brach in die Knie und folgte dann dem Eimer und dem Holzprügel auf ihrem Weg den Hang hinunter.

»Wenn ich ehrlich bin hatte ich Angst um dich«, sagte Yalla als wir auf dem Weg zurück ins Lager waren.

»Gur ist ein jähzorniger Bursche und schleicht mir schon seit Wochen hinterher. In gewisser Weise bin ich froh dass du ihm seine Grenzen aufgezeigt hast. Andererseits werden wir aber nach dieser Sache eine Menge Ärger bekommen.«

Ich nickte.

»Ich weiß, aber mir blieb nichts anderes übrig. Ich musste dich unbedingt sprechen.«

»Warum?«

Die Geste mit der sie sich dabei das Kleid glatt strich ließ mich schlucken.

Es war fast ein halbes Jahr her seit ich das letzte Mal etwas mit einer Frau angefangen hatte.

Ich war einen Moment zu verwirrt um sofort zu antworten.

Ich reagierte erst nach dem zweiten warum.

»Weil ich das Gefühl habe das du die einzige bist die mir diese ganze Scheiße hier erklären kann.«

»Was meinst du damit?«

»Das fragst du noch? Himmel noch mal Yalla, willst du es nicht kapieren oder kannst du es nicht? Da draußen rennen irgendwelche weißgekleideten Gestalten herum die jeden der nicht zu ihrem Verein gehört gnadenlos umnieten. Da laufen Menschen und Tiere durch die Gegend, die da wo ich herkomme normalerweise nur noch im Museum oder im Zoo zu sehen sind und alle finden das normal. Kein Schwein versteht mich wenn ich was über Autos oder Computer erzähle, weil hier alle wie in der Steinzeit leben. Verdammt, die Sache stinkt doch von Anfang bis Ende und die einzige Person die scheinbar weiß was ich meine, nämlich du, weicht mir ständig nur aus.«

Yallas Antwort war Schweigen.

Sie redete erst wieder mit mir als die Hütten des Lagers in Sichtweite kamen.

»Also gut, ich erzähle dir was ich weiß. Aber nicht heute. Wir treffen uns in zwei Tagen am Wasserloch, kurz nach Sonnenaufgang. Bald feiern wir wieder das Kibo – Fest, da hat keiner Zeit auf uns aufzupassen. Die Weiber graben nach Mayowurzeln und die Männer beginnen damit sich und ihre Waffen für das Fest herauszuputzen.«

Yalla hatte recht, einen besseren Zeitpunkt für eine ungestörte Unterhaltung gab es nicht.

Kibo war der Fruchtbarkeitsgott der Nayanos und einmal im Jahr hielt man zu seinen Ehren ein Fest ab, vergleichbar mit dem Erntedank unserer Zivilisation. Die Mayowurzeln benötigte man dabei zur Herstellung eines gleichnamigen, berauschenden Getränks. Schon jetzt redete man im Lager von nichts anderem mehr als von dem Kibofest.

Die nächsten beiden Tage saß ich wie auf glühenden Kohlen.

Ich dachte immer nur an Yalla und an unsere Unterredung. Ich bemerkte zwar das Gur sich die ganze Zeit in meiner Nähe aufhielt und mich dabei ständig hasserfüllt anstarrte, aber ich achtete nicht auf ihn.

Ich hatte den Vorfall am Wasserloch längst wieder vergessen.

Dann war es endlich soweit, der Zeitpunkt an dem ich endlich erfahren sollte was dieser Mummenschanz zu bedeuten hatte war gekommen.

 

***

 

Nebelfetzen hingen wie feuchte Watte über dem Lager.

Irgendwo fauchte ein Katt, eines dieser seltsamen pelzigen Hundewesen die überall im Lager herumstreunten, und bekam Antwort aus der Tiefe des Lagers. Ein Kind weinte. Nach und nach wurden vor den Hütten die Decken am Eingang zurückgeschlagen und Frauen krochen schnatternd und lachend ins Freie. Wenig später brannten überall im Lager die Kochfeuer.

Ich verzichtete auf das Frühstück und begnügte mich stattdessen wie jeden Morgen mit einem Schluck aus der Wasserflasche.

Es war nicht so das ich nicht hungrig gewesen wäre, aber die Zutaten für dieses Frühstück waren für einen Westeuropäer doch sehr gewöhnungsbedürftig. Sie bestanden aus einer Art Fladenbrot dessen Teig man dadurch zum gären brachte indem ihn die Frauen eine gewisse Zeit lang im Mund behielten, hinunterschluckten und gewürzt mit ihrer Magensäure wieder hervorwürgten. Dazu reichte man gebratene Fleischstücke die von Schlangen, Maden und anderem umher kriechendem Getier stammten und die mit einer Soße serviert wurden die so scharf war, das man danach beim Gang auf ein gewisses Örtchen aufpassen musste kein Loch in die Schüssel zu brennen.

Ich verließ die Laubhütte, die man mir damals nach meiner Ankunft zugewiesen hatte durch einen verdeckten Eingang an der Rückseite. Durch ihn konnte ich ungesehen das Dorf verlassen. Ich hob den Kopf und warf einen Blick auf das hinter mir liegende Lager. Die kühle Morgenluft war erfüllt vom Geruch nach feuchter Erde und dem Rauch der Feuer. Außer den schwatzenden Weibern war noch keine Menschenseele zu sehen. Ich atmete erleichtert aus und schickte mich an zum Wasserloch zu gehen, als eine Bewegung mich innehalten ließ.

Abwartend blieb ich im dunklen Schatten meiner Hütte stehen.

Ein Mann tauchte auf.

Unter seinem weiten Fellumhang war nichts von seinem Gesicht zu erkennen, aber als ich seine Art erkannte wie er beim Laufen seinen rechten Fuß nachzog wusste ich wen ich vor mir hatte.

Verdammt, was veranlasste Gur sich wie ein Dieb im Morgengrauen an meine Hütte heranzuschleichen?

 

Fortsetzung folgt …

Eine Antwort auf Jackson – Teil 7