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Jackson – Teil 2

Die weißen Männer

Um uns herum tobte die Hölle.

Draußen zerrissen gleißende Blitze die Dunkelheit, unser Flugzeug torkelte wie betrunken hin und her und drinnen im Cockpit begann es verschmort zu riechen, während unser Pilot unentwegt fluchte. Neben mir schrie Amelia in höchster Todesangst und klammerte sich an ihre Sitzlehnen. Der Blonde vor mir warf sich dagegen einfach zu Boden.

Fieberhaft suchte ich nach einem Ausweg aus der Situation.

Schreien, fluchen, sich zu Boden werfen oder an Sitzlehnen klammern erschien mir jedoch als kein probates Mittel, dieselbige heil zu überstehen.

Ergo beugte ich mich nach vorne, bettete das Gesicht auf die Oberschenkel und legte die Hände über dem Kopf zusammen, wie ich es während meiner unzähligen Flüge durch die ICAO Sicherheitsunterweisungen der Stewardessen gelernt hatte.

Einen Moment später erloschen um uns herum sämtliche Lichter. Dafür erkannte ich aus den Augenwinkeln heraus, dass rechts neben mir Flammen aus der Tragfläche schlugen. Außerdem flogen wir bereits ziemlich tief.

Zusammengenommen war das wahrscheinlich auch der Grund, warum ich trotz des tobenden Unwetters unter mir die Lichter von Häusern bemerkte.

Ich blinzelte.

Eine Stadt?

Hier?

Unmöglich, Perth musste inzwischen meilenweit hinter uns liegen und vor uns gab es, wenn ich den Informationen des Piloten Glauben schenken konnte, normalerweise nichts anderes als Sand, Steine und Wüste.

Einen Herzschlag später waren sämtliche Gedanken Makulatur.

Aus dem Trudeln der Piper wurde ein Salto mortale, nach dessen Ende uns die Erde förmlich entgegen sprang. Jetzt ist alles aus, schoss es mir durch den Kopf. Ich hatte allerdings nicht mit unserem Piloten gerechnet. Ich wusste nicht, was er gemacht hatte, aber dieser Teufelskerl brachte es tatsächlich fertig, den Sturzflug zu stoppen und sich mit der Maschine in waagerechter Haltung der Erde zu nähern. Die Piper setzte trotzdem derart heftig auf, dass ihr gesamtes Hauptfahrwerk in Bruchteilen von Sekunden wie ein Kartenhaus in sich zusammenfiel. Der Rumpf knallte zu Boden und der Aufprall war mehr als brutal. Ich hatte das Gefühl, in der Mitte auseinanderzubrechen.

Und der Höllenflug war noch lange nicht zu Ende.

Die physikalischen Gesetze ließen das Flugzeug quer über den Boden schießen. Funken sprühend schlitterten wir gen Westen. Nun begann auch der Pilot zu schreien.

Sekunden später rammte die Maschine etwas, das ihre Vorwärtsbewegung abrupt stoppte. Ich wurde nach vorne geworfen und knallte abermals mit dem Kopf gegen die Rückenlehne meines Vordersitzes. Diesmal allerdings mit solcher Wucht, dass ich das Bewusstsein verlor.

 

***

Als ich wieder zu mir kam, hing ich wie ein Häufchen Elend in meinem Sitz und schmeckte Blut im Mund.

Die Maschine stand still, stumm und starr. Das Einzige, was noch zu funktionieren schien, war die Notbeleuchtung.

Ich fluchte und presste meine Rechte gegen die Stirn.

Es war noch keine drei Tage her, dass ich die Kopfschmerzen losgeworden war, nachdem mir der Schichtführer einer Ölfirma mit seinem Vorschlaghammer einen Scheitel gezogen hatte, und nun dröhnte mein Schädel schon wieder wie eine Kesselpauke.

»Fick dich!«, platzte es aus mir heraus. Wütend verpasste ich der Rückenlehne einen Faustschlag, was die Sache aber auch nicht besser machte. Meine Kopfschmerzen strahlten weiterhin von den Haarspitzen bis in die Zehen hinein.

»Alles okay?«

Mein Kopf ruckte herum und sofort folgte ein gewisses Hämmern auf dem Fuß. Ich sah erneut Sternchen.

Als sich die bunten Lichter vor meinen Augen wieder verflüchtigt hatten, blickte ich in das Gesicht des Blonden. Der Typ starrte mich an, als ob er mich heiraten wollte.

»Sind Sie verletzt?«, fragte er mitfühlend. »Ich heiße übrigens Arne.«

»Keine Ahnung«, nuschelte ich. Vorsichtig begann ich damit, meine Zunge zu bewegen und lauschte dabei aufmerksam in mich hinein. Es gab Einiges, was an oder in meinem Körper schmerzte, klopfte oder zerrte, trotzdem hatte ich das Gefühl, nicht wirklich verletzt zu sein. Ich verspürte lediglich den kupfernen Geschmack von Blut im Mund, mein Gesicht brannte und der Schädel pochte.

Als ich mich vorsichtig abtastete, fühlte ich, dass Stirn und Nase dort aufgeschürft waren, wo ich mit der Rückenlehne in Kontakt gekommen war.

Da ich sonst keine weiteren Verletzungen an mir bemerkte, aber dennoch aus dem Mund blutete, lag die Vermutung nahe, dass ich mir beim Aufprall auf die Zunge gebissen hatte.

Angeekelt spuckte ich das, was sich in meinem Mund angesammelt hatte, aus.

Ich hätte es besser nicht getan. Der Anblick dessen, was ich da auf dem Boden hinterließ, fügte zu meinen Kopfschmerzen auch noch das Gefühl hinzu, mich übergeben zu müssen.

»Was ist passiert?«, fragte ich, nachdem es mir gelungen war, den Brechreiz wieder zu unterdrücken.

Arne zuckte die Achseln. »Bruchlandung«, entgegnete er knapp. »Unsere Lage ist, gelinde gesagt, beschissen. Die Maschine ist am Arsch und der Pilot bewusstlos. Kennen Sie sich mit Verletzungen aus? Der Kerl blutet wie ein Schwein.«

Ich nickte und richtete mich auf. Im gleichen Moment begrüßte mich das Hämmern in meinem Schädel wie einen alten Freund und wurde immer stärker, je weiter ich durch die Maschine taumelte.

Als ich in der Kanzel stand, war mir klar, dass Arne nicht übertrieben hatte.

Die Lage war tatsächlich beschissen.

Die Schnauze der Piper war total demoliert, die ganze Vorderfront der Maschine zerfetzt und das Cockpit ein einziges Durcheinander aus verformtem Kunststoff, zersplittertem Glas und verschmorten Kabelsträngen. Einige Anzeigen der Bedienungselemente wie Variometer und Kurskreisel waren schwarz, während neben dem Ladedruckanzeiger in unregelmäßigen Abständen immer wieder ein gelbes Lämpchen aufleuchtete. Inmitten von diesem Chaos saß unser Pilot regungslos in seinem Sessel. Ein Metallsplitter steckte in seiner rechten Schulter.

Das Gesicht des Mannes war weiß wie eine frisch gekalkte Wand. Seine Linke war auf die Wunde gepresst, als wolle er das Blut auffangen, das stetig auf sein hellblaues Pilotenhemd tropfte.

Mein Gefühl, kotzen zu müssen, war wie weggeblasen.

Ich beugte mich über ihn.

Unvermittelt schlug er die Augen auf. »Jackson?«

Ich wusste zwar, er hatte meinen Namen beim Einchecken gelesen, trotzdem war ich erstaunt, dass er sich in seiner Lage noch daran erinnern konnte.

»Kann ich mit Ihrem Handy um Hilfe rufen? Hier drin funktioniert nichts mehr.«

Ich pfiff durch die Zähne. Heilige Scheiße, solche Sorgen wollte ich auch einmal haben.

Wir saßen irgendwo im Nirvana fest, das Flugzeug war Schrott und er hatte ein Metallstück in der Schulter stecken, das mindestens so lang war wie mein Zeigefinger. Das Sprechen bereitete ihm Mühe und er verlor Blut, ziemlich viel Blut sogar.

Und was machte der Typ?

Er fragte mich, ob er mit meinem Handy telefonieren konnte.

Bevor ich ihm darauf eine passende Antwort geben konnte, wurden wir gestört.

Arne, der hässliche Blonde, erschien zusammen mit Miss Bedlington in der Pilotenkabine.

Es wurde eng.

Beide fuchtelten aufgeregt mit den Händen.

»Was ist los?«, zischte ich.

»Wir bekommen Hilfe«, sagte Arne völlig aufgelöst.

Ich glotzte ihn an wie eine Kuh, wenn es blitzt.

»Draußen landet gerade ein Hubschrauber oder so etwas Ähnliches.«

Wie bitte? Der Kerl litt offensichtlich an Halluzinationen. Wer zum Teufel sollte uns hier so schnell finden?

Einen Herzschlag später revidierte ein Motorengeräusch meine Meinung. Ich drehte den Kopf und sah nach draußen. Ein greller Lichtpunkt näherte sich in rasendem Tempo unserem Flugzeugwrack.

Zuerst wollte ich in die Jubelarien der anderen mit einstimmen, aber dann meldete sich mein gesunder Menschenverstand.

Eigentlich war es kaum möglich, dass irgendwelche Rettungskräfte schon jetzt hier sein konnten. Genauer gesagt sogar unmöglich, und je näher das Flupp-Flupp der kreisenden Rotoren kam, umso stärker bekam ich Magenkrämpfe.

Irgendetwas stimmte nicht. Ich wusste nur nicht, ob es das sonderbare Motorengeräusch des angeblichen Hubschraubers war, sein unverhofftes Auftauchen oder der helle Strahl des Suchscheinwerfers, der sich wie ein Finger aus grellweißem Licht über den Boden tastete.

Als das Ding vor unseren Augen aufsetzte, schrillten in mir sämtliche Alarmglocken. Ich konnte mich nicht entsinnen, jemals so etwas Seltsames gesehen zu haben.

Der vermeintliche Hubschrauber entpuppte sich als eine riesige, fliegende Scheibe mit zwei gewaltigen Hauptrotoren. Nicht nur die Maschine war seltsam, sondern auch die beiden Gestalten, die kurz darauf aus dem futuristisch anmutenden Fluggerät stiegen.

Die Männer, wenn es denn welche waren, trugen weiße Ganzkörperoveralls, ovale Helme und hielten unterarmlange Dinger in den Händen, die eine verdammte Ähnlichkeit mit Maschinenpistolen hatten.

»Was zum Teufel ist das?«, flüsterte Arne.

Ich zuckte mit den Schultern, während Amelia bereits nach draußen stürzte. Sie rannte auf die weißen Gestalten zu und kreischte dabei wie eine Verrückte.

Die Reaktion der Unbekannten war ebenso unmissverständlich wie brutal. Einer von ihnen hob seine Waffe an. Ein blauer Lichtpunkt schoss aus dem vorderen Ende des Laufs und bohrte sich in die Brust der Frau. Amelias Mund öffnete sich zu einem lautlosen Schrei, während sie die Arme in die Höhe riss.

Für einen Moment hing sie wie von einer unsichtbaren Riesenfaust gehalten in der Luft und es hatte den Anschein, als könnte sie fliegen.

Dann fiel sie rücklings zu Boden.

Im grellen Licht des Suchscheinwerfers war deutlich ein faustgroßes Loch in ihrer Brust zu sehen. Der Anblick drehte mir fast den Magen um.

Fortsetzung folgt …

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