Westernkurier 01/2014
Auf ein Wort, Stranger,
mit dieser Ausgabe wendet sich der Westernkurier einem Thema zu, das in den letzten beiden Jahren immer wieder in dieser Kolumne positiv angenommen wurde. Die Rede ist von einer Epoche, die wie keine andere die Besiedlung des Westens vorangetrieben, die Autorität des Gesetzes etabliert und die Industrialisierung der Viehzucht und damit das Ende der freiheitsliebenden Cowboys und Rinderkönige eingeleitet hat. Damit ist, wie der interessierte Leser weiß, die Ära der Eisenbahn gemeint.
Während sich einige Ausgaben mit den Anfängen der Eisenbahn sowie den Lokführern, Heizern und Bremser beschäftigten, richten wir diesmal unser Augenmerk auf ein besonderes Klientel, auf eine Gruppe von Männern, ohne die eine transkontinentale Eisenbahn und die damit verbundene Eroberung des Westens kaum mehr als ein Traum geblieben wäre.
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Sie waren alle ausnahmslos kriminell.
Sie betrogen die Regierung, bestachen Abgeordnete und zögerten nicht, ihre besten Freunde oder Geschäftspartner in den Ruin zu treiben.
Trotzdem muss man im Nachhinein zugeben, dass sie die Männer waren, die die Eisenbahn erbauten und eine große Nation zusammenfügten. Man muss sie in ihrer Zeit sehen, Männer mit weniger Skrupel hätten damals garantiert Schiffbruch erlitten. Beispiele dafür gibt es in der Geschichte der Eisenbahn genug.
Um zu verstehen, was diese Männer vorantrieb, muss man ihre Geschichte kennen. Stellvertretend für die vielen kleinen und großen Eisenbahnmagnaten durchleuchtet der Westernkurier an dieser Stelle das Leben und Wirken drei dieser Männer, um dem geneigten Leser die Möglichkeit zu geben, sich einmal ein Bild von ihnen und ihrer Zeit zu machen und diese Epoche besser zu verstehen.
Einer von ihnen war Collis Potter Huntington, der zu den sogenannten Big Four, den Gründern der Pacific Railroad gehörte, ein anderer Thomas Durant, Vizepräsident der Union Pacific und damit sein direkter Kontrahent. Der Dritte im Bunde James Jerome Hill, der letzte der großen Gründer der Eisenbahngesellschaften.
Auch wenn sie, was Herkunft und Stand betrifft, nicht hätten unterschiedlicher sein können, hatten sie doch vieles gemeinsam. Sie galten allesamt als habgierig, hinterhältig und skrupellos und rafften Vermögen zusammen, die man nach heutigem Wert etwa auf 700 bis 800 Millionen Euro beziffern würde.
Collis Huntington wurde am 22. Oktober 1821 in Harwinton, Connecticut, geboren.
Mit wenig Geld und vielen Plänen fuhr er 1849 nach Kalifornien, um dort als Kaufmann seinen Weg zu machen. Weil die Schiffe nach Kalifornien aber ausgebucht waren, saß er 90 Tage auf der Landenge von Panama fest. Statt sich wie viele andere der Spielsucht, Trunkenheit oder Hurerei hinzugeben, machte er kleinere Geschäfte mit Lebensmittel wie Zucker, Trockenfleisch, Sirup und Kartoffeln und transportierte seine Waren auf dem Rücken. Als der junge Mann schließlich in San Francisco eintraf, hatte er sein Kapital vervierfacht und war erprobt im Geschäftsgebaren des Westens. Nach einem kurzen Intermezzo als Goldgräber etablierte sich der junge Huntington relativ schnell als Metallwarenhändler und ging 1855 mit Mark Hopkins, einem Goldgräber aus Michigan, eine Partnerschaft ein. Noch vor Beginn des nächsten Jahres beherrschte die Firma Huntington und Hopkins den Markt für Schaufeln, Sprengstoff und anderen Grundbedarf der Goldgräber. Als 1863 in Sacramento der erste Spatenstich einer Eisenbahnlinie ausgeführt wurde, gehörten beide zu den Gründern der Central Pacific.
Thomas Clark Durant, Huntingtons Rivale im Osten, kam unter ganz anderen Voraussetzungen zur Eisenbahn. Der am 6. Februar 1820 in Lee, Massachusetts, geborene junge Mann war von Haus aus wohlhabend und hochintelligent. Er studierte im Albany Medical College Medizin und machte bereits mit 20 seinen Doktor cum laude. Er liebte gepflegte Kleidung, französische Weine und die Palmen und Kanarienvögel in seinem Arbeitszimmer. 1851 hatte er seinen Doktor an den Nagel gehängt, den Direktorposten im elterlichen Großbetrieb, der mit Mehl, Korn und Futter handelte, abgegeben und zog in den Westen. Als sich die Gerüchte um den Bau einer transkontinentalen Eisenbahn verdichteten, beteiligte er sich maßgeblich am Aufbau der Michigan Southern und später der Chicago & Rock Island Railroad, zweier Regionalbahnen. Mit diesem Rüstzeug und seinem Doktortitel wurde er rasch zum Vizepräsidenten der Union Pacific.
1862 stellte der Kongress in einem Railroad Act allen Eisenbahngesellschaften freies Land und Regierungsdarlehen in Aussicht, um endlich die Besiedelung des Westens voranzutreiben. Aber der Ausbau des Schienennetzes stockte weiterhin. Grund war das fehlende Geld. Alle Eisenbahnlinien waren Aktiengesellschaften und konnten Geld zum Ausbau ihrer Strecken nur dadurch bekommen, wenn sie Aktien und Pfandbriefe an die Öffentlichkeit verkauften. Aber in Zeiten des Bürgerkrieges, da ein Mann über Nacht reich werden konnte, wenn er Waffen an die Armee verkaufte, dachte kein Mensch daran, Geld in eine Eisenbahnlinie zu stecken, die Ost mit West verbinden sollte. Würde diese Trasse durch die Wildnis je genutzt werden?
Das war das Szenario, als Huntington und Durant in Washington eintrafen. Beide hatten ihr Vermögen in die Eisenbahn gesteckt und den Versprechungen der Regierung geglaubt. Beide hofften mit ihren letzten Geldreserven dem Kongress weitere Darlehen und Landschenkungen zu entlocken. Um die Abgeordneten dazu zu bringen, derartige Beschlüsse zu verabschieden, wandten sie eine Methode an, die damals oft in diesen Kreisen praktiziert wurde. Sie kauften sich diese Stimmen.
Das neue Eisenbahngesetz, das 1864 auf den Weg gebracht wurde, stockte Landschenkungen auf und bot für private Anlieger hochwertige Sicherheiten. Beide Linien, die Central und Union Pacific erhielten auf Darlehensbasis insgesamt 85 000 Quadratkilometer Land und 20 000 bis 30 000 Dollar pro verlegten Kilometer der Strecke, die einmal die Ostküste mit der Westküste verbinden sollte.
Mit finanzpolitischen Winkelzügen und undurchsichtigen Geschäften wurde die Regierung getäuscht. Es kam nicht selten vor, das, sie einen bestimmten Streckenabschnitt mehr als einmal bezahlte. Man baute beispielsweise nicht kerzengerade durch das Land, sondern des Öfteren in Schlangenlinien, sodass man für einen Gleisabschnitt von tatsächlich drei Meilen ein Darlehen für eine Strecke von acht Meilen beantragen konnte. Pro Hektar Landparzelle zahlte man an die Regierung 6 Dollar, verkauft wurde diese aber in der Regel für 60 bis 70 Dollar.
1867 lagen die Preise in Cheyenne, einem Grenzort in Wyoming, bei 150 Dollar, nach Beendigung des Bahnbaus und dem Anschluss an das Schienennetz nach Westen und Osten bei 1000 Dollar.
Ausführlich auf diese dubiosen Geschäfte einzugehen, würde den Rahmen dieser Kolumne sprengen, deshalb für alle Interessierte der Hinweis auf die in der Quellenangabe aufgeführten Bücher.
Nur noch soviel; die meisten der Eisenbahnbarone waren an ihrem Lebensabend durch ihr oftmals gesetzeswidriges Verhalten zu vielfachen Millionären geworden. Sie besaßen Weingüter, gründeten Universitäten und lebten nicht selten in noblen Palais, die heute gut und gerne schlappe 30 Millionen Euros gekostet hätten. Sie lebten in ihrer eigenen Welt. Einer Welt aus Empfängen, rauschenden Bällen und feudalen Häusern und scherten sich keinen Deut um das Schicksal ihrer Arbeiter oder der Farmer, die entlang ihren Eisenbahnlinien siedelten. Dementsprechend war ihre Wertschätzung in der Öffentlichkeit äußerst gering.
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Dass es auch anders ging, bewies James Jerome Hill.
Gleichfalls wie Huntington und einige andere Eisenbahnbarone begann er verhältnismäßig bescheiden. Seine ersten Unternehmungen waren eine Brennstofffirma, mit der er im Mittelwesten eine Eisenbahn mit Holz und Kohle belieferte und eine kleine Dampfschifflinie, die auf dem Red River zwischen North Dakota und Minnesota umherschipperte. Der 1838 im Wellington County in der heutigen kanadischen Provinz Ontario geborene Hill war in jeglicher Hinsicht ein ungewöhnlicher Mann.
Mit 14 Jahren verlor er beim Indianerspielen mit Freunden in den Wäldern Ontarios durch einen unglücklichen Pfeilschuss sein rechtes Auge. Im selben Jahr verließ er nach dem Tod seines Vaters die Schule und zog nach Kentucky. Obwohl er kein College besucht hatte, war er äußerst geschickt in Mathematik, Geschichte und Englisch. Was er nicht wusste oder konnte, brachte er sich selber bei.
Sein Leitspruch lautete: Work, hard work, intelligent work, and then more work!
Ob das auch für sein Privatleben galt, können wir nur vermuten, jedenfalls war er stolzer Vater von zehn Kindern.
1878 übernahm er die finanzschwache St. Paul und Pacific Railroad. Von da an führten ihn sein grenzenloser Ehrgeiz und seine enorme Tüchtigkeit von einem Erfolg zum anderen.
Hill war kein Mann, der nur vom Schreibtisch aus seine Eisenbahn regierte. Er hatte ein Auge für jede noch so scheinbar unbedeutende Einzelheit, eine zersplitterte Bohle auf dem Bahnsteig einer Station, ein Güterwagen, der dringend einer Reparatur bedurfte, ein Streckenwärter, der nach Fusel roch. Er baute die Great Northern Eisenbahnlinie, erlangte daraufhin die Kontrolle über die Northern Pacific und erbaute so ein Reich, das sich schließlich von der kanadischen Provinz Manitoba bis zum Missouri hinunter und von den Großen Seen bis zum Puget Sound erstreckte und von da aus, da er ja eigene Dampfschiffe besaß, bis in den Orient. Er errichtete sein Eisenbahnreich im Gegensatz zu den anderen Magnaten ohne Landschenkungen und ohne Regierungsdarlehen. Ein Umstand, der ihn in der Öffentlichkeit hoch angesehen machte.
Als er im Alter von 78 Jahren starb, hinterließ er ein Vermögen, das nach heutigem Wert dem von 1 Milliarde Dollar entsprach und eine Sammlung moderner französischer Gemälde. Er spendete der katholischen Kirche über eine Million Dollar, was heute ungefähr dem zwanzigfachen entspricht, nur aus dem Grund, weil seine Frau Katholikin war. Als John Grant, ein Freund von ihm, seine Ranch in Montana für 20 000 Dollar verkaufte und ihn bat, das Geld für ihn aufzubewahren, steckte er die Summe in seine lukrativsten Unternehmungen. Als Grant das Geld wiederhaben wollte, gab ihm Hill 60 000 Dollar. Er richtete sogar ein Studienzentrum für Ackerbaukunde ein, um die Farmer entlang seiner Eisenbahnlinie im Ackerbau zu unterweisen, damit sie ihre Ernten verbessern konnten.
Aufgrund solcher Taten trug er als einer der wenigen die Bezeichnung Eisenbahnbaron zu Recht.
Bis zum nächsten Mal,
euer Slaterman
Quellen:
- Keith Wheeler: Der Bau der Eisenbahnen. Erschienen bei Time Life. 1979
- Thomas Jeier: Das große Buch vom Wilden Westen: Ueberreuter. 2011
- Railroads an the Making of modern America
(ccs)