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Starke Frauen II

Schwester Courage
Leben und Wirken von Rosa Maria Segale, der wohl berühmtesten Nonne Amerikas.

23. Mai 1850. Die Sonne stand kaum einen Fingerbreit über den östlichen Hügeln von Genua, als an diesem Morgen ein Kind namens Rosa Maria Segale das Licht der Welt erblickte.
Ein einfaches Mädchen aus einer einfachen Familie. Kein Mensch ahnte zu diesem Zeitpunkt, dass Rosa einmal im Wilden Westen zu einer Legende heranwachsen würde. Am wenigsten ihre Eltern.
Aber der Reihe nach …
Die Segales sahen in ihrer Heimat schon lange keine Zukunft mehr. Nach mehreren Beratungen, in denen die ganze Familie mit einbezogen war, emigrierten sie 1854 nach Amerika und siedelte sich kurz nach der Ankunft in der neuen Welt in der Nähe von Cincinnati, Ohio an. Die Familie war streng gläubig. So ist es auch nicht verwunderlich, dass Rosa Maria nach einigen Jahren der Eingewöhnung eine Convent-Schule besuchte und schließlich im Alter von 16 Jahren zusammen mit ihrer Schwester Maria in den Orden der barmherzigen Schwestern Sisters of Charity eintrat. Sie hieß von nun an Blandina, ihre Schwester Justine. Danach trennten sich ihre Wege.
Während sich das Schicksal Marias in der Geschichte verlor, wurde das Leben von Rosa immer mehr zu einem Teil der Öffentlichkeit.
1872 wurde sie nach Trinidad, Colorado entsandt, um dort eine Schule zu übernehmen, ein Himmelfahrtskommando, das jede andere der barmherzigen Schwestern rundherum abgelehnt hätte. Dazu muss man wissen, das Trinidad zu dieser Zeit ein beliebter Treffpunkt von Räubern, Mörder und Halsabschneidern war, die von dort aus den Trail nach Santa Fe unsicher machten, Reisende überfielen und oftmals auch ermordeten. Hinzu kamen die ständige Gefahr eines Indianerangriffs durch marodierende Ute oder Apachen, eine menschenverachtende Natur mit Schneestürmen bis in den April hinein und Präriebränden, die im trockenen Sommer über das Land rasten und nichts als schwelende Asche hinterließen.
Trinidad selber galt als das jämmerlichste Kaff in ganz Colorado.
Eine Ansammlung zerschlissener Armeezelte, halb in die Erde gegrabenen Adobehütten, ein paar Hotels, unzählige Saloons und Verkaufsbuden, ein Friedhof und eine aus Kistenbrettern erbaute Kirche, in der Whiskyflaschen als Kerzenhalter dienten.
Die Schule war bei Schwester Blandinas Ankunft nicht mehr als eine windschiefe Hütte, und die Schüler, die sie zu unterrichten hatte, in der Mehrzahl splitternackte Indianer, die deutlich größer und älter als sie waren.
Es verging einige Zeit, bis sie ihre Schützlinge so weit hatte, dass sie wenigstens in der Schule ihre Genitalien mit Stoff oder Fell bedeckten. Sie unterrichtete übrigens in spanischer Sprache. Kurze Zeit später gruben die Ute das Kriegsbeil aus. Zu dieser Zeit bekämpften sich die Weißen nicht nur untereinander, sondern führten auch noch gegen die Indianer Krieg. Das ganze Land war ein einziges Chaos aus Gewalt, Tod und Blut.
Schwester Blandina schrieb über diese Zeit folgende Worte in ihr Tagebuch: »Dieser Aufstand ist die Antwort der Indianer auf die zahllosen Überfälle der Weißen, die ihre Dörfer zerstören und ihre Frauen und Kinder massakrieren. Alles ist so schrecklich hier. Es vergeht kein Tag ohne Mord, Hinrichtung oder Schlägerei.
Erst gestern brachte der Sheriff einen Mann zu mir, der einen anderen tödlich angeschossen hatte. Ich begleitete beide Männer zu dem Sterbenden, und der Mann, der ihn auf dem Gewissen hatte, kniete neben seinem Opfer nieder und bat um Vergebung. Am gleichen Abend brachte ein Ute-Häuptling seinen sterbenden Sohn zu mir. Ich kannte den jungen Indianer, er war vor dem Aufstand mein Schüler gewesen.
›Du hast ihn getauft‹, sprach der Häuptling. ›Er sagt, dass er nicht wie ein Hund sterben will. Du weißt, dass die Weißen uns Hunde nennen.‹
Mein Schüler starb in Frieden und sein Vater konnte die Stadt unbehelligt wieder verlassen. Dafür hatte ich gesorgt.«
Es ist bis heute nicht bekannt, wie diese kleine Ordensschwester in einer Stadt voller gewalttätiger Männer, die dazu noch mit den Indianern Krieg führten, es fertiggebracht hatte, dass dieser Häuptling, nachdem es ihm gelungen war, in die Stadt hineinzukommen, diese auch wieder ungeschoren verlassen konnte.
Jedenfalls nannte man sie von diesem Tag an Schwester Courage.

***

Sie machte ihrem Namen alle Ehre.
Innerhalb kürzester Zeit vollbrachte Schwester Blandina einige unglaubliche Dinge, die ihren legendären Ruf geradezu manifestierten.
So wie an jenem Tag, als sie sich vom Schmied eine Spitzhacke lieh, auf das Dach ihres Schulhauses kletterte und damit begann, die Mauern abzureißen.
Dem Sheriff und den anderen Männern, die herbeigeeilt waren, erklärte sie: »In jeder Stunde wird in jedem Saloon dieser Stadt mehr Geld ausgegeben, als eine anständige Schule kostet. Also braucht diese Stadt keine Schule mehr.«
Zwei Monate später hatte Trinidad ein neues Schulgebäude.
Kurz darauf rettete sie so nebenbei die ganze Stadt, als diese von Apachen angegriffen wurde, weil ein weißer Mann einen ihrer Stammesgenossen heimtückisch ermordet hatte. Die Lage war fatal, die Indianer zahlenmäßig weit überlegen und wild entschlossen, Trinidad dem Erdboden gleichzumachen.
Ohne zu überlegen rannte die kleine Nonne den Indianern mit hocherhobenen Händen entgegen und rief ihnen in der Apachensprache zu: »Der Mann, den ihr sucht, ist längst nicht mehr hier. Ihr könnt es mir glauben, ich gehöre zum Orden der barmherzigen Schwestern, ich lüge nie.«
Daraufhin brachen die Apachen ihren Angriff ab und zogen sich zurück.
Ein anderes Mal hatte ein schwerverwundeter Revolvermann sich nach einem Gunfight in einer Hütte verschanzt und drohte jeden zu erschießen, der es wagen würde, sich ihm zu nähern. Weder die Drohung des Scharfschützen noch die Warnungen der verängstigten Stadtbevölkerung hielten die couragierte Schwester davon ab, das zu tun, was sie für ihre Pflicht hielt. Sie eilte auf die Hütte zu, stieß ohne zu Zögern die Tür auf und blickte in die rauchende Mündung eines schwerkalibrigen Revolvers. Eine Kugel hatte ihre schwarze Kutte durchlöchert, aber Schwester Courage nahm dem Schützen die Waffe aus der Hand, betrachtete seine Wunde und gab ihm ihren Segen. Mehr konnte sie nicht für ihn tun, denn der Mann war am Ende. Er starb mit einem staunenden Lächeln im Gesicht.
Blandinas Ruf war inzwischen bis in den Osten gedrungen.
Der Orden der barmherzigen Schwestern schickte sie deshalb 1877 auf eine neue Mission. Das Ziel hieß Santa Fe, wo es Schwester Courage binnen kürzester Zeit gelang, ein Hospital zu bauen, das Erste im Südwesten, und ein Waisenhaus mit einem landwirtschaftlichen Betrieb zu gründen.
Keine vier Jahre später war ihr Name erneut in aller Munde, nachdem es ihr gelungen war, einen Lynchmob davon abzuhalten, einen Mann aus dem Stadtgefängnis von Santa Fe zu holen und ihn aufzuknüpfen, indem sie sich mitten auf der Hauptstraße auf eine Kiste stellte und der aufgeputschten Menge im wahrsten Sinne des Wortes die Zehn Gebote wie einen nassen Scheuerlappen um die Ohren schlug.
Der Betreffende war ein schmächtiger, knapp zwanzigjähriger Cowboy, der angeklagt war, im Verlauf einer Weidefehde einen Sheriff erschossen zu haben. Die Fehde ist heute noch unter dem Namen Lincoln-County-Krieg bekannt, und der Cowboy war niemand anderes als Billy the Kid.
Sie gewann im Laufe der Jahre großen Einfluss auf die Obrigkeit und setzte eine Reihe von Verbesserungen durch. Es ist unbestreitbar, dass Schwester Courage großen Anteil daran hatte, dass der Wilde Westen in Neu Mexiko allmählich zahm wurde.
Jahre später wurde sie nach Albuquerque versetzt.
Seitdem die Eisenbahn dort die Stadt erreicht hatte, war aus dem kleinen Ort eine wilde Town geworden. Blandina hatte es nicht leicht, die Bürger von Albuquerque davon zu überzeugen, dass es notwendig war, eine Klosterschule für Mädchen zu errichten. Die Honoratioren der Stadt nickten zwar zustimmend, gaben aber zu bedenken, dass dafür einfach die finanziellen Mittel fehlten.
Daraufhin schritt Schwester Courage, wie man es von ihr gewöhnt war, zur Selbsthilfe.
Sie ging von Haus zu Haus und sammelte Geld. Dabei ließ sie sich weder abweisen noch vertrösten und kaufte schließlich von dem Geld ein Stück Land und Baumaterial.
Sie entwarf eigenhändig den Bauplan und begann, nur unterstützt von einem Indianer mit der Arbeit. Ein halbes Jahr später stand unweit vom Stadtzentrum von Albuquerque die St. Vincents Academy, erbaut von einer Nonne namens Schwester Blandina und Jose Apodaca, einem Navaho. Das Gebäude existiert noch heute.
1894 kehrte Blandina alias Schwester Courage nach Cincinnati, Ohio zurück, wo sie eine Zeitlang beim Jugendgericht tätig war. Außerdem setzte sie sich für verarmte italienische Einwanderer ein, wobei sie sich hauptsächlich um deren Kinder kümmerte und mithalf, ihnen eine Zukunftsperspektive zu geben.
In den Augen ihrer Mitmenschen war sie längst zur lebenden Legende geworden.
Eine Frau, die kriegerischen Ute und Apachen getrotzt hatte, die eine Freundschaft mit Billy the Kid verband, nachdem sie ihn mehrmals im Gefängnis besuchte, die auf störrischen Mulis und halbwilden Pferden durch die gesetzlosesten Towns des Wilden Westens streifte und noch im Winter ihres Lebens in Cincinnati hinter dem Steuer eines Autos am Straßenverkehr teilnahm.
Als sie am 23. Februar 1941 für immer ihre Augen schloss, weinte eine ganze Nation um Schwester Courage.

Quellen:

  • H. J. Stammel: Der Cowboy, Legende und Wirklichkeit. Verlagsgruppe Bertelsmann
  • M. Christine Anderson: Catholic Nuns and the Invention of Social Work, Journal of Women´ s History 2000
  • Fonderia USA
  • Archiv des Autors

(gs)