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Mahpiya-win – Die Entscheidung – Teil 8

Es kam die Zeit heran, da Wacinyanpi-win ihr nicht mehr befahl, was zu tun war. Sie erwartete, dass Mahpiya-win tat, was getan werden musste. Mahpiya-win lernte, sich dem Tagesrhythmus im Lager anzupassen. Sie erledigte die täglichen Arbeiten wie alle anderen. Es war ein hartes Leben, doch die Indianer nahmen alles so hin, wie es kam. Bei schönem Wetter gingen die Krieger zur Jagd, die Frauen erledigten ihre Aufgaben. Während die Jungen sich im Jagen von Kaninchen und im Schwimmen übten, wurden die Mädchen sanft mit den Frauenpflichten vertraut gemacht. Bei Regen blieben sie in den Tipis und besuchten sich gegenseitig. Einmal im Monat hielt sie sich im Ischnatipi auf. Es waren stets einige Frauen anwesend und inzwischen konnte sie sich sehr gut verständigen. Dieses Ritual gefiel ihr, so konnte sie sich von den Arbeiten erholen. Im Dorf war keiner für sich, der es nicht wollte. Gearbeitet wurde immer in der Gemeinschaft der Frauen und es wurde genauso getratscht wie bei den Weißen. Scherze über die Männer, Prahlereien und leise Vermutungen über Liebesbeziehungen. Bald schon wurde Mahpiya-win geneckt. Die Blickkontakte zwischen ihr und Wakteka blieben nicht unbeobachtet. Lächelnd nahm sie die Neckereien hin. Wakteka sprach sehr selten mit ihr, deshalb war sie im Unklaren, ob seine Blicke eine Bedeutung hatten.

Das Abbrechen des Dorfes, um in das Winterlager zu ziehen, setzte Mahpiya-win in Erstaunen. Für sie war es unerklärlich, von diesem schönen Platz in der Nähe des Flusses wegzugehen. Noch mehr erstaunt war sie, wie schnell die Frauen die Tipis abgebaut und auf Travois luden. Nicht nur Pferde, auch alle Hunde mussten Travois an ihre Größe angepasst ziehen. Wie die meisten Frauen musste auch Mahpiya-win zu Fuß laufen und beobachtete voller Zorn die Krieger, die auf ihren Ponys den Zug abritten. Tagelanges Laufen war für sie ungewohnt. Irgendwann waren ihre Füße wund, jeder ihrer Schritte wog wie ein schwerer Stein. Die Mokassins waren so weich, dass sie jede Bodenunebenheit spürte. Einige Frauen lachten, als sie zusehends zurückfiel und warfen ihr spöttische Blicke zu. Wacinyanpi-win trieb sie zur Eile. Ohne den Spott, der ihren Zorn steigerte, hätte sie es vermutlich nicht bis ans Ziel geschafft. Einmal mehr wurde ihr bewusst, dass für Schwächlinge kein Platz war. Mit geballten Fäusten blieb sie stehen, als der gesamte Tross in einem Tal stoppte. Am liebsten hätte sie sich auf der Stelle umfallen lassen, doch die Frauen begannen sofort, die Tipis zu errichten. Eine große Hilfe war sie Wacinyanpi-win nicht, doch sie hörte kein anklagendes Wort. Sie fühlte sich mehr tot als lebendig, als sie abends auf ihr Fell sank.
In den nächsten Tagen machten die Frauen die Tipis winterfest. Um die Zelte wurden Gräben gezogen und mit Ästen und Zweigen aufgeschichtet, damit der Wind nicht vom Boden unter die Häute zog. Die Böden im Inneren wurden mit Zweigen und Fellen bedeckt. Täglich mühten sie sich ab, genug Feuerholz zu sammeln, das ringsum die Tipis gestapelt wurde. Es war für die Zeit vorgesehen, wenn Schneestürme durch das Land fegten und das Sammeln im Wald unmöglich war. Die Mädchen sammelten Nüsse und die letzten Beeren, die Jungen angelten im Fluss.

Eines Morgens war die Landschaft mit einem weißen Flaum bedeckt. Silbern glitzerte der Schnee in der Sonne, die nur noch wenige Stunden am Tag wärmte. Der Winter hatte sich angekündigt und würde bald Tier und Mensch einer schweren Prüfung unterziehen. Mahpiya-win wollte nicht an die bevorstehende Jahreszeit denken. Äußerlich unterschied sie sich kaum von den anderen Frauen. Ihre Haut war von der Sonne gebräunt, ihr Haar von Natur aus dunkel, nur ihre grüngrauen Augen verrieten, dass sie keine Indianerin war. Wenn weiße Händler in das Dorf kamen, versteckte sie sich, so gut wie möglich, doch es blieb nicht aus, dass sie von manchen gesehen wurde. Es war immer möglich, dass sie den Soldaten verrieten, in welchen Lagern sich weiße Frauen aufhielten.
Zu Wacinyanpi-win hegte sie eine tiefe Zuneigung. Die ältere Frau war Freundin und Mutter zugleich. Manchmal dachte Mahpiya-win an früher. Mittlerweile ohne Wehmut und Zorn. Die Verbitterung, die sie einst hegte, wenn sie an die die schlimmste Zeit ihres Lebens dachte, war gewichen. Im Dorf fragte niemand nach ihrer Vergangenheit, es zählte nur der Mensch selbst. Inzwischen wurde sie akzeptiert. Nicht von allen, aber doch von den meisten. Zitkala-win würde immer ihre Feindin bleiben.
Mahpiya-win zog ihr Fell fester um die Schultern und starrte sehnsüchtig in die Ferne.
Wacinyanpi-win lächelte. »Hast du Sehnsucht nach deinem Akicita?«
Als wäre sie bei etwas Schlimmen ertappt worden, schüttelte Mahpiya-win hastig den Kopf.
Wacinyanpi-win lachte laut. »Wakteka will den Pawnee die besten Pferde stehlen, um mir ein schönes Geschenk für meine Tochter zu geben.«
Fragend blickte sie die ältere Frau an.
»Wakteka wird mit den besten Pferden der Pawnee zurückkehren. Die schönsten wird er mir geben, als Brautgeschenk für dich, die anderen wird er verschenken«, erklärte Wacinyanpi-win geduldig.
Ihr Herz schlug einen Takt schneller. »Warum etwas stehlen, das man später verschenkt?« Bei manchen Dingen tat sie sich schwer, sie zu verstehen, auch wenn sie schon Monate lang unter den Indianern lebte.
Mit einem nachsichtigen Lächeln antwortete Wacinyanpi-win: »Großzügigkeit ist etwas sehr Wichtiges.«
Die dürftige Begründung erklärte nicht den Sinn, der dahinterstand, doch sie hatte inzwischen gelernt, nicht immer nachzufragen, sondern mit dem Herzen zuzuhören und zu lernen. Stimmengewirr lenkte sie ab. Über die Hügelkette jagte Wakteka mit seinen erbeuteten Ponys. Er war zurück. Bei seinem Anblick schlug ihr Herz schneller. Alle Akicitas der Lakota waren stolze Krieger, doch Wakteka war es nicht nur, er strahlte es aus. Sein sehniger Körper passte sich an die Bewegungen seines Ponys an, mit dem er eine Einheit bildete. Trotz der Kühle war sein Oberkörper nackt, bis auf den Pfeilköcher, den er umgehängt trug. Sie drängte sich nach vorn. Suchend wanderte sein Blick über die Menge und blieb an ihr hängen. Ein feines Lächeln umspielte seine Lippen. Ihr Herz schlug so schnell, dass sie dachte, es hüpfe aus ihrem Körper. Das Kribbeln in ihrer Bauchgegend war so stark, als bevölkerten ihn unzählige Ameisen. Um sie herum verschwamm alles, sie hatte nur Augen für ihn. Sein langes, nachtschwarzes Haar flatterte leicht im Wind. Stolz reckte sie den Kopf. Viele Mädchen und Frauen würden gern sein Zelt mit ihm teilen. War es Wirklichkeit, hatte Wakteka sie erwählt? Sie, die als Gefangene kam?

Stolz trieb er seine gestohlenen Ponys zur Herde, wo sich die Pferdejungen um die Tiere kümmerten. Mit den anderen lief Mahpiya-win zur Herde, um sie zu begutachten. Viele Augenpaare beobachteten sie. Sie lächelte. Unwillkürlich fiel ihr Blick auf Zitkala-win, die sie mit zusammengekniffenen Lippen anstarrte. Zitkala-win scheute keine Gelegenheit, bei ihren Freundinnen gegen Mahpiya-win zu intrigieren. Doch Mahpiya-win hatte sich inzwischen gut in das Lagerleben angepasst, sodass die Lügen, die Zitkala-win verbreitete, auf keinen fruchtbaren Boden stießen. Irgendwann würde sie es aufgeben. In den nächsten Stunden geschah nichts, das irritierte Mahpiya-win. Wie war der weitere Ablauf? Mahpiya-win wusste so wenig über die Traditionen. Um Wacinyanpi-win zu fragen, dazu war sie zu stolz. Es war schwierig, sich auf die Arbeit zu konzentrieren. So oft sie Wacinyanpi-win anblickte, hatte diese ein verschmitztes Lächeln auf den Lippen. Enttäuscht legte sie sich abends auf ihr Lager. War doch nur alles Einbildung gewesen? Hatte sie in ihrer Verliebtheit übersehen, dass sich Wakteka gar nicht für sie interessierte? Wie beschämend. Es musste so sein, denn sonst wäre doch heute irgendetwas geschehen. Es gab so viele hübsche Frauen und Mädchen im Dorf. Einer der stolzesten Krieger würde sich eine aus seinem Volk wählen und nicht eine weiße Gefangene. Zornig wischte sie die Tränen aus den Augenwinkeln. In Zukunft würde sie ihn ignorieren, diesen eingebildeten Hahn. Doch andererseits war da Wacinyanpi-wins Lächeln. Es war so vielsagend.

Am nächsten Morgen ging sie mit den anderen Frauen wie gewohnt zum Fluss, um das tägliche Bad zu nehmen. Wacinyanpi-wins Blicke ignorierte sie. Zurück im Lager blieb sie überrascht vor ihrem Tipi stehen. Fünf prächtige Ponys waren neben dem Eingang angebunden, auf der anderen Seite ein einzelnes Tier. Ihr Herz
klopfte schneller. Es fühlte sich an wie galoppierende Pferde. Sie war unfähig sich zu bewegen.
Hinter ihr klatschte Wacinyanpi-win in die Hände. »Seht nur, welch Geschenk mir mein Neffe für meine Tochter brachte. Die fünf prächtigsten Tiere seiner Herde.« Sie rief und wiederholte sich so lange, bis sie von einer Menschenmenge umringt waren. Die Ponys wurden eingehend begutachtet, so manch prüfender Blick streifte Mahpiya-win.
»Meine Tochter, das dort ist dein Pony.«
Verwirrt blickte Mahpiya-win sie an. Ein eigenes Pferd? Als sie keine Anstalten machte, sich zu bewegen, schubste Wacinyanpi-win sie vorwärts. »Sieh dir dein Brautgeschenk an, meine Tochter.«
Vor Angst, einzuknicken, hielt sie sich an der Stute fest, die leise schnaubte. Es war das schönste Pferd, das sie je gesehen hatte. Klein, drahtig mit großen braunen und weißen Flecken. Die rechte Kopfhälfte war braun, die andere hell. Das braune Fell rund um die Augenpartie auf der hellen Hälfte sah lustig aus. Sie war wunderschön. Und auch wenn es das hässlichste Tier auf Erden wäre, für Mahpiya-win war es etwas Besonderes. Wakteka hatte die Stute für sie ausgesucht. Alle sahen, dass es ihr persönliches Geschenk war. Am liebsten hätte sie das Tier umarmt, doch vielleicht war das nicht angebracht. Sie beließ es beim Gedanken und drehte sich lächelnd zu Wacinyanpi-win. Bald war sie seine Frau. Sie wusste es nicht genau, doch sie glaubte, dass fünf Pferde ein großes Geschenk waren.
»Du bist deinem Akicita sehr viel Wert, meine Tochter.« Anerkennend nickte Wacinyanpi-win.
Die Erwartung an das Bevorstehende steigerte Mahpiya-wins Nervosität, aber auch ihre Vorfreude. Nicht zu wissen, was sie erwartete, trug nicht dazu bei, ruhiger zu werden. Mit ihren Gedanken war sie nicht bei der Arbeit. Stumm schimpfte sie über Wacinyanpi-win, die den ganzen Tag grinste, aber kein Wort der Erklärung gab.
Gegen Abend drückte ihr Wacinyanpi-win ein Kleid in die Hand. »Es ist Zeit«, drängte sie.
Mahpiya-win schlüpfte in das weiche Wildlederkleid und drehte sich vor Freude im Kreis. Manchmal hatte sie Wacinyanpi-win bei der Arbeit beobachtet, doch nie einen Gedanken daran verschwendet, dass das Kleid für sie bestimmt sei. Es war aus hellem Rehleder und wunderschön verarbeitet, mit eingefärbten Stachelschweinborsten verziert.
Wacinyanpi-win umarmte sie. »Omani washté, micunksi.«
»Pilamayaye. iná.« Mahpiya-win fiel es leicht, sie Mutter zu nennen. Ihre Ankunft im Dorf stand unter keinem guten Stern, doch sie hatte sich ihren Platz erkämpft. Vor einigen Monaten hatte ihr neuer Lebensabschnitt begonnen und bald war sie die Frau eines Akicitas. Ihr Leben als Weiße lag so weit zurück, immer seltener dachte sie daran. Ihre Mutter führte sie zu ihrem Pferd und gebot ihr, zu Waktekas Tipi zu reiten. Vor dem Zelt stieg sie ab und sah sich scheu um. Die Dämmerung war hereingebrochen. Wenige Menschen befanden sich im Freien. Die meisten wärmten sich in ihren Zelten an den Feuern.
Sie hüstelte verlegen und wurde von Wakteka in das Tipi gebeten. Das Zelt war so groß, dass man in der Mitte aufrecht stehen konnte. Das Feuer loderte hell. Er musste vor Kurzem Holz nachgelegt haben. Er saß an die Rückenstütze gelehnt und winkte sie zu sich. Ihr Herz klopfte bis zum Hals, ihr Kehle schien zugeschnürt zu sein. Bedächtig erhob er sich. Bis auf den Lendenschurz war er nackt. Er trat nah an sie heran. Die Berührung seiner Hand auf ihrer Wange löste ein angenehmes Prickeln in ihr aus. Sein Atem streifte ihr Gesicht. Mit sanften, aber bestimmten Handgriffen befreite er sie aus ihrem Kleid, ließ es achtlos zu Boden fallen und betrachtete sie. Seine Finger berührten ihre Narben an den Oberarmen. Reflexartig zuckte sie. Einen Lidschlag lang verfinsterte sich sein Blick. »Hast du Angst?«
Mahpiya-win sah ihm in die Augen, die sie nun zärtlich anblickten. Sein Blick sagte ihr, dass er ihr niemals wehtun würde. Niemals. Sie lächelte und schüttelte den Kopf. Zärtlich aber besitzergreifend umfassten seine Hände ihre Brüste. Wie ein Wasserfall fiel alles Vergangene von ihr ab, alles Schlechte, das sie durchleben musste. Nur noch die Gegenwart zählte. Wohlige Schauer durchfluteten sie. Er löste den Gürtel, der den Lendenschurz und die Messerscheide hielt, und drängte sie mit sanftem Druck auf das Lager. Sie fuhr spielerisch durch sein langes Haar, tasteten zärtlich sein Gesicht entlang. Seine Brust, unter der sich harte Muskeln abzeichneten, wies die Narben des Sonnentanzes auf. Gierig öffnete sie die Lippen, als sein Mund den ihren berührte. Seine Hände erkundeten ihren Körper. Erregt stöhnte sie auf. Trotz seiner fordernden Berührungen blieb er sanft. Ihr Körper bebte in Erwartung. Sie fühlte seine Ungeduld. Bereitwillig öffnete sie die Beine, als er sich auf sie schob. Ihre Finger krallten sich in sein Haar, kratzten über seinen Rücken. Rhythmisch passte sie sich seinen Bewegungen an. Ihr Körper stand in Flammen. Sie bäumte sich auf, um ihn noch tiefer in sich aufzunehmen. Wimmernd vor Lust gab sie sich der Ekstase hin.
Niemals hätte sie gedacht, dass es so sein könnte. Leidenschaftlich und doch zärtlich. Eine neue Welt hatte sich für Mahpiya-win geöffnet. Ein schelmisches Grinsen umspielte ihre Züge.
»An was denkst du?«, fragte er mit dunkler Stimme.
»An die langen Winternächte«, antwortete sie kichernd.
»Ich habe ein wollüstiges Weib in mein Tipi geholt.« Er drehte sie in Seitenlage. »Tecihila«, flüsterte er und drängte sich von hinten an sie.

Fortsetzung folgt …