Das Kreuz des Todes
Bei dem vorliegenden Roman handelt es sich um einen nie als Printversion erschienenen Einzelroman der Bastei-Serie Vampire, welche von Herbst 2001 bis Sommer 2002 erschien und es insgesamt nur auf 20 Bände brachte. Hauptfigur der Romane war der Vampir Bruce Darkness, der sich im Auftrag seines Herrn, Baron Boris von Kradoc, seines Zeichens oberster Vampir von New York, um abtrünnige Vampire sowie sonstige menschliche und dämonische Gefahren, die seine »Familie« bedrohten, kümmerte. Seine Rivalen waren dabei nicht nur Vampirjäger und Polizisten, sondern auch der Erzengel Babriel und der Vamp Katrina, welche ihm seine Vormachtstellung an der Seite von Kradocs missgönnte und ihn bei jeder Gelegenheit mit Wort und Tat stichelte.
Das Kreuz des Todes sollte Stephanie Seidels erste Arbeit für Bastei werden. Leider war die Einstellung der Serie kurzfristig beschlossen worden, sodass der Roman zwar schon geschrieben und bezahlt war, dem Verlag auch schon vorlag, aber nicht mehr veröffentlicht werden konnte. Der Text verschwand zunächst in der Versenkung, bis Stephanie Seidel anfing, für die erfolgreiche Bastei-Serie Maddrax zu schreiben. Auf dem 2003er Bucon schließlich erfuhren die Fans von diesem »verschollenen« Roman und fragten bei den Verantwortlichen des Verlages nach, ob es möglich sei, den Roman als Download anzubieten. Zu Halloween 2003, nur wenige Wochen später, war es dann schon soweit und Das Kreuz des Todes wurde als Halloween-Special auf der Internetseite des Bastei-Verlags www.bastei.de veröffentlicht. Im Zuge verschiedener Umbaumaßnahmen der Verlags-Seite verschwand der Roman aber bald wieder aus dem Internet. Er schlummerte bis heute auf privaten Festplatten und als Datei im Archiv des Bastei-Verlags. Mit der sich ständig verbreitenderen Popularität der Autorin Stephanie Seidel, die neben Maddrax-Romanen u.a. auch einige Story für die ebenfalls recht kurzlebige Kurzgeschichten-Reihe des Bastei-Verlags Schattenreich beisteuerte, wuchs auch in mir ganz persönlich der Wunsch, ihre erste Arbeit wieder einer breiteren Öffentlichkeit, wie sie der Geisterspiegel bietet, zugänglich zu machen. Meine Bemühungen hatten Erfolg.
Sascha Vennemann im Dezember 2006
»Zollkontrolle. Bitte öffnen Sie den Koffer, Mister …« Der Flughafenbeamte warf einen Blick auf den Reisepass. »… Johnson.«
FBI-Agent Eric Johnson schlug das Herz bis zum Hals. Gehorsam ließ er die Verschlüsse aufschnappen, zog den Deckel hoch und trat zurück. Das Kreuz lag obenauf, in knisternde Folie verpackt. Fragend sah der Beamte ihn an. Johnson zuckte die Schultern.
»Andenken aus Patmos«, übersetzte er die Beschriftung auf der Hülle und fügte sichtlich angewidert hinzu: »Meine Mutter hat auf ihre alten Tage eine Schwäche für diesen Kram entwickelt.«
»Ein Souvenir aus Griechenland, ja?« Der Beamte grinste. »Dann sollten Sie das da aber besser entfernen!«
Johnson beugte sich über das Kreuz und tat, als sei er überrascht. Auf der Rückseite der mörderischen Waffe klebte ein Sticker: Made in Taiwan.
Krachend brach die Hoteltür aus den Angeln, als Bruce dagegen trat. Wie eine überdimensionale Fliegenklatsche fiel sie nach vorn; unaufhaltsam, fließend. Bruce zielte über den Rand, sein Messer wurfbereit erhoben.
Doch das Zimmer war leer, die Vampirjäger fort. Allerdings hatten sie etwas zurückgelassen: Aus der Dunkelheit, unter dem Fenster, schimmerte eine gespannte Armbrust – mit Stolperdraht verbunden. Die fallende Tür hämmerte ihn flach auf den Boden.
Geistesgegenwärtig warf sich Bruce zur Seite; schnell genug, um sein Leben zu retten, aber nicht schnell genug, um den Pfeil ins Leere fliegen zu lassen.
»Verdammt«, stöhnte er. Die Stahlspitze hatte seinen Arm durchbohrt. Wütend zerrte er sie heraus, mit zusammengebissenen Zähnen, die Faust gegen den Türrahmen gestemmt.
Als er den Kopf hob, blickte er in schwarze, mitleidlose Augen.
»Hallo, Kumpel«, scholl es ihm trügerisch sanft entgegen.
Keine drei Schritte entfernt stand plötzlich wie hingezaubert ein Mann im Flur; schlank,
hochgewachsen und von einer unwirklichen Aura umgeben: Babriel, der gefallene Engel.
Bruces Augen verengten sich zu Schlitzen, während er das Messer unter seine Jacke schob und herankam. Breitbeinig, die Fäuste in die Seiten gestemmt, blieb er vor dem Abtrünnigen stehen.
»Nenn mich noch einmal Kumpel, und du hast es hinter dir«, warnte er mit kehligem Knurren.
»Und jetzt verzieh dich, Babriel. Ich bin beschäftigt.«
»Nicht gerade erfolgreich, wie mir scheint.«
Babriel wischte ein unsichtbares Stäubchen von seinem schneeweißen Anzug und lächelte.
Schlecht verhohlene Genugtuung schwang in seiner Stimme mit, als er wie beiläufig fortfuhr: »Sieht aus, als hättest du die Jungs verpasst, die so hässlich zu deinem Freund waren. Ich hörte, sie haben ein ziemliches Gemetzel angerichtet, ehe sie ihn aus dem Fenster warfen – der Sonne entgegen. Wie hieß er doch gleich?«
»Geht dich einen Dreck an«, fauchte Bruce verärgert. Coyote-Kid, das durchgeknallte Halbblut mit den tausend Piercings, war tatsächlich sein Freund gewesen. Obwohl er die schnellere Harley besaß und dazu neigte, bei Schlägereien mit zweifelhaftem Ausgang unvermittelt die Seiten zu wechseln.
Dass Bruce den brutalen Vampirjägern einen Besuch abstatten würde, den sie selbst in der
Hölle nicht vergaßen, war Ehrensache. Ätzend genug, dass die Typen immer noch lebten. Da
brauchte man keinen zusätzlichen blöden Kommentar von Babriel.
Drohend ließ Bruce die Eckzähne aufblitzen.
Es würde den gefallenen Engel kaum beeindrucken, aber Bruce musste ihm wenigstens in Erinnerung rufen, wer er war.
»Nicht nötig. Ich weiß Bescheid.« Mit Hingabe betrachtete Babriel seine Fingernägel und resümierte: »Bruce Darkness, der coole New Generation-Vampir und Vize des mächtigsten Mannes von New York. Hat eine Vorliebe für schwarze Klamotten, Harleys und Hiebmesser…«
Babriel hielt inne und zeigte auf den blutverkrusteten Einschuss in Bruces Ärmel. «Nicht zu vergessen sein enormer Verschleiß an Lederjacken, der daraus resultiert, dass er sich allnächtlich losschicken lässt, um des Meisters Drecksarbeit zu erledigen. Und das findet er auch noch …«
Der Schlag kam aus dem Nichts; ohne Vorwarnung und mit erstaunlichem Ergebnis. Bruce
hatte seine ganze übermenschliche Kraft hineingelegt – und getroffen.
Verblüfft hielt er inne, die Faust noch erhoben.
Was hatte das zu bedeuten? Und wieso kam keine Reaktion? Babriel war nicht bekannt dafür, sich schlagen zu lassen.
Im Gegenteil: Wer es versuchte, konnte mit erheblichem Ärger rechnen. Der gefallene Engel
verfügte über ein großes Repertoire okkulter Sprüche, einige davon mit äußerst schmerzhaften Nebenwirkungen.
Es waren Überbleibsel einer Zeit, die Babriel gerne vergessen hätte; als sein Status klar definiert und die Ewigkeit ein Meer aus gähnender Langeweile gewesen war. Dass er nun der anderen Seite diente, brachte zwar auch nicht die Erfüllung, aber wenigstens wurde da nicht erwartet, dass man sich eine knallen ließ und dann noch die andere Wange hinhielt.
»Autsch«, spottete der Mann in Weiß gedehnt, zog ein Taschentuch aus seinem auffälligen,
maßgeschneiderten Anzug und fuhr sich lässig über die geplatzte Lippe.
Genauso lässig malte er mit der freien Hand ein Zeichen über den Boden.
Der stählerne Armbrustpfeil, den Bruce in eine dunkle Ecke des Flures schleudert hatte,
schnellte hoch, als hätte er ein Eigenleben entwickelt.
Ungesehen flog er heran – wie von Furien getrieben –, fand sein Ziel und bohrte sich tief in den Rücken des Vampirs.
Bruce schrie auf, so erschrocken wie gepeinigt.
Die scharfe Spitze war unter seinem Schulterblatt hergeschrammt und in die Lunge eingedrungen.
Doch was Sterbliche ohne Verzögerung auf die Reise ins Jenseits geschickt hätte, machte den Vampir nur wütend. Umso mehr, weil er durch den unerwarteten Schlag nach vorne getaumelt war und alle Mühe hatte, nicht mit Babriel zusammenzustoßen.
»Aber, aber«, rügte der gefallene Engel sanft wie ein Hauch, als Bruce ihm unfreiwillig näherkam.
Bruce gelang es gerade noch, sich zu fangen, um eine Berührung mit dem arroganten Typen zu vermeiden, während er sich wild entschlossen über die Schulter griff und nach dem Pfeil tastete.
»Warte, ich helfe dir«, bot Babriel wie selbstverständlich an und streckte seine Hand aus.
Bruce schlug sie beiseite, so hart er nur konnte.
Einen winzigen Moment erstarrten beide, und ihre Blicke begegneten sich – die strahlend blauen Augen des Vampirs und jene unheimlichen, völlig ausdruckslosen schwarzen Lichter des gefallenen Engels.
Bruce hasste ihn.
Babriel hatte ihm schon mehrmals übel mitgespielt, und der gegenseitige Wunsch zu töten geriet bei keinem von beiden auch nur eine Sekunde in Vergessenheit. Doch sie waren zu verschieden, um es im offenen Kampf auszutragen: Der eine tötete mit Schwarzer Magie, der andere mit der Faust – da fehlte ein gemeinsamer Nenner.
Was blieb, war die absolute Furchtlosigkeit des Vampirs und Babriels genauso absolute Verschlagenheit. Letztere hatte heute eine Sternstunde.
»Wie wär’s mit fünf Minuten Waffenruhe?«, fragte er scheinheilig.
»Klar. Sobald du erledigt bist und anfängst, zu verfaulen, lasse ich alle Waffen ruhen. Besonders in deinem hässlichen Krötengesicht. Fünf Minuten. Garantiert«, keuchte Bruce, während er sich den Pfeil aus dem Rücken riss und seine Selbstheilungskräfte aktivierte. Die Wunde schloss sich in fließender Bewegung; der lähmende Druck in der Lunge ließ nach, und der Schmerz verebbte.
Babriel musterte ihn prüfend. Bestimmt konnte Bruce sein verändertes Verhalten nicht einschätzen und suchte schon nach einer Schwäche. Gut so! Nun galt es nur noch, ihn davon zu überzeugen, dass es auch tatsächlich eine gab. Behutsam natürlich, denn der verhasste Nachtschatten in Jeans war leider kein Idiot.
Vielleicht zum Glück, denn Babriel hatte ein Gespräch belauscht und dabei etwas erfahren, das ihm unerwartet die einmalige Chance eröffnete, sämtliche Vampire zu vernichten. Inklusive Bruce Darkness. Es winkte ungeheuerer Machtgewinn, und der gefallene Engel wollte ihn um jeden Preis haben. Alles, was ihm dazu fehlte, war eine kleine, verlorene Waffe. Und alles, was Bruce jetzt tun musste, war, sie zu finden – und zu sterben.
Plötzlich hob Babriel den Kopf. Im Treppenhaus wurden Schritte laut. Der Schrei und das
Krachen der Zimmertür waren nicht unbemerkt geblieben.
»Wir sollten hier verschwinden«, meinte er.
»Wir?«, fragte Bruce, als hätte man ihn auf ein Glas warme Milch eingeladen. Babriel lachte lautlos.
»Stimmt auch wieder: Das muss nicht sein«, gab er zu, warf einen Blick auf seine Rolex und
seufzte. »Wie die Zeit vergeht! Höre, Bruce, da gibt es etwas, das du wissen solltest. Vor einer
Stunde ist auf dem Kennedy Airport eine Maschine aus Rom gelandet – mit fünf auffällig unauffälligen Männern an Bord.«
»Was, echt? Wow, sind das Neuigkeiten! Es haut mich schier um.« Bruce zog seine Lederjacke glatt und setzte sich in Bewegung.
»Warte! Ich bin noch nicht fertig«, sagte Babriel.
»Doch, bist du.« Unsanft rempelte Bruce ihn im Vorbeigehen an, und wieder reagierte der gefallene Engel alarmierend merkwürdig: Er ließ es einfach zu, ohne jede Gegenwehr.
Bruce war klar, dass hier etwas ablief, das man nicht als harmloses Geplänkel ansehen sollte.
Babriel zu unterschätzen, war ein Fehler, den seine Gegner allzu leicht machten.
Allerdings immer nur einmal.
»Falls sich ein Fünkchen Verstand unter deinen schwarz gefärbten Haaren finden lässt, solltest du es auf die Typen aus Rom verwenden«, rief Babriel hinter ihm her. «Kümmere dich um sie! Und zwar schnell, ehe sie Gelegenheit haben, ihre Armbrust auszupacken.«
»Kümmere dich um deinen eigenen Kram«, winkte Bruce ab, ohne sich umzudrehen.
»Ich meine es ernst, Mann! Das sind nicht die üblichen Schlappwichtel mit Hammer und Holzpflock.
Die Jungs sind Profis.«
»Und? Das bin ich auch.« Gelassen schlenderte Bruce davon. Was scherten ihn diese Vampirjäger? Ob aus Rom oder sonst wo her – er würde mit ihnen fertig werden, wie immer. Schließlich war er nicht irgendwer, sondern Bruce Darkness, der Vize des mächtigsten Mannes von New York.
Das Einzige, was ihn nachdenklich stimmte, war Babriels ungebetene Einmischung. Wie kam der Typ dazu, ausgerechnet seinen meistgehassten Feind zu warnen? Es schien fast, als wollte er sich anbiedern. Aber zu welchem Zweck?
»Was geht hier vor?« Ein fetter, unrasierter Mann kam die Treppe hochgeschnauft, just als Bruce das Ende des Flures erreichte. Er trug eine doppelläufige Schrotflinte im Arm und machte nicht den Eindruck, als ob er Skrupel hätte, sie zu benutzen. Das hatte niemand am Rande der Bronx.
Argwöhnisch blinzelte der Hotelbesitzer in die Tiefen des Korridors, dann richtete er seine Waffe auf Bruce und starrte ihn herausfordernd an.
»Waren Sie das? Haben Sie ihn so zugerichtet?«
Überrascht drehte sich Bruce nach Babriel um. Der Mann in Weiß klammerte sich am Türrahmen fest, die Beine jammervoll eingeknickt, und spielte den Sterbenden.
Eine Eingebung huschte über das Gesicht des Vampirs.
»Ich? Nein, das war ich nicht.« Ruckartig riss Bruce den erschrocken aufschreienden Dicken herum, brachte ihn samt Schrotflinte in Stellung und grinste: »Das waren Sie.«
Es knallte ohrenbetäubend, als Bruce beide Läufe auf Babriel abfeuerte. Wie zornige Hornissen rauschten die Geschosse den Flur entlang und durch Babriel hindurch. Doch sie fanden kein Ziel: Der gefallene Engel hatte sich entmaterialisiert und war im nächsten Augenblick verschwunden. Einige Herzschläge lang glomm der Widerschein seiner gespenstischen Aura noch im Halbdunkel nach. Dann verschwand auch er.
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