Die verschwundene Spur
Von Anbeginn der Zeit haben die Menschen Geschichten erzählt, versetzen ihre Freunde und Familien mit diesen zurück in vergangene Zeiten mit interessanten Menschen, beängstigenden Erfahrungen und dem Alltagsleben. Manchmal entsprechen sie wahren Begebenheiten, andere sind stark übertrieben, gelegentlich gesellen sich Legenden hinzu. Die Interessantesten von ihnen wurden von Freund zu Freund, vom Vater zum Sohn weitergegeben und oft in all den Jahren so verändert, dass sie sich zu Legenden und Mythen entwickelten. Die mündlich überlieferten Geschichten, Sprüche und Scherze fanden und finden sehr oft ihren Platz in der Musik und im Tanz.
Yeah, Stranger, komm mit auf die Suche nach einer verloren gegangenen Spur!
Der Canyon des Oak Creek ist voll von massiven Felsformationen, die wie Grundpfeiler in den Himmel ragen oder eingezwängt in den Tiefen der Schlucht liegen. Davon erzählt die Geschichte eines alten Ute. Acantow, einer der Häuptlinge seines Stammes, ließ sein Wigwam neben einer Quelle, die in einem Dickicht wilder Rosen aus dem Boden sprudelte, aufstellen. An dieser Stelle entstand der Ort Rosita in Colorado. Acantow ließ seine Frau Manetabee im Wigwam zurück, ging über die Berge, um an einer Ratsversammlung teilzunehmen. Der Häuptling war vier Nächte lang unterwegs. Nach seiner Rückkehr fand er weder Frau noch Wigwam vor, dafür jedoch jede Menge Fußabdrücke und Hufspuren, welche von Arapaho stammten. Er folgte den Spuren, die in den Oak Creek Canyon führten, und sah vor sich den Schein eines kleinen Feuers. Ein Sturm kam auf. Eigentlich hätte Acantow weiterreiten können, doch band er sein Pferd an einem Busch fest und kroch vorwärts, um sich der Feuerstelle unbemerkt nähern zu können.
Um das Feuer herum saßen 15 Arapaho. Sie spielten um die gefangene Squaw. Manetabee saß gefesselt unter einer Weide, die sich nicht weit von der Lagerstelle befand. Die Arapaho waren in ihr Glücksspiel so vertieft, dass sie Acantow nicht bemerkten. Dieser erreichte die Weide und schnitt die Hand- und Fußfesseln seiner Frau durch. Manetabee wusste, dass ihr Mann sie befreien würde, und verhielt sich ganz ruhig. Beide konnten sich unbemerkt davonschleichen. Plötzlich schrie einer der Arapaho laut auf, zeigte auf die Fliehenden und nahm als Erster die Verfolgung auf. Die anderen folgten ihm.
Nachdem er seine Frau auf die Schultern gepackt hatte, lief Acantow so schnell er konnte zu seinem Pferd. Doch bevor er es erreichen konnte, stolperte er über eine Wurzel und fiel der Länge nach hin. Die Verfolger kamen immer näher. Auf einmal begann der Sturm mit voller Wucht zu toben an. Ein heftiger Blitz durchdrang die Wolken und schlug mit entsetzlichem Gebrüll in die Erde ein. Bäume wurden entwurzelt, Felsgestein zerbrach. Ein Wirbelwind nahm alles mit, was sich ihm in den Weg stellte. Für einen Augenblick war Acantow wie erstarrt, doch spürte er auf einmal Manetabees Hand auf seiner Wange. Er stand auf und schaute sie an.
»Unsere Spur ist verschwunden«, sagte Häuptling Acantow zu seiner Frau Manetabee. »Manitou hat sie verschwinden lassen, sodass die Arapaho sie nicht finden können. Er wird es ihnen auch nicht erlauben. Lass uns Manitou danken.« So gingen sie zurück zu der Quelle, die unter dem Rosenbusch entsprang.
Quelle:
- Charles M. Skinner: Myths and Legends of America: Strange Tales from Our Country’s History. Fireship Press, 2007.