Die Puppenmacher
Herzlich willkommen, ich grüße Sie. Sitzen Sie bequem? Sie sollten sich besser hinsetzen, glauben Sie mir. Heute sind wir wohl nur zu dritt? Hm, nun ja – Sie sind sicher auch hier, um meine Geschichte zu hören, nicht wahr? Natürlich sind Sie das, ich kann die Sensationsgier in Ihren Augen sehen, das Zittern Ihrer Hände, fühlen Sie schon, wie sich die kleinen Härchen in Ihrem Nacken aufstellen? Verzeihen Sie, wenn ich lache, aber wenn Sie sich jetzt sehen könnten, Ihre angespannte, erwartungsvolle Haltung, dann würden Sie ebenso darüber lachen, glauben Sie mir. Wie dem auch sei, Sie haben gutes Geld bezahlt, um hier zu sein und ich möchte Sie nicht enttäuschen. Machen Sie sich so oder so auf eine neue Erfahrung gefasst!
Wie bitte? Natürlich muss die schummrige Beleuchtung sein! Das schafft Atmosphäre, finden Sie nicht? Und jetzt, seien Sie bitte still, ich muss mich konzentrieren.
Es war ein Sonntagabend, wenn ich mich recht entsinne. Ich stand auf meinem Balkon, eine dampfende Tasse Tee wärmte meine Hände. Vergeblich suchte ich nach den Sternen, doch der Himmel hielt sie eifersüchtig verborgen, lediglich gekleidet in dieses monotone, dunkle Grau, bereits durchzogen von nächtlichen, phtaloblauen Streifen. Die Bäume reckten ihre kahlen Äste nach oben, wie Hände, welche nach der lebensspendenden Sonne griffen, sie jedoch nie erreichen würden. Eine zarte Schicht silbrig glitzernden Schnees bedeckte den Boden, hell funkelnd im Neonlicht der Straßenlaternen. Es ist totenstill, kein Wind singt sein trauriges Klagelied und die Kälte steht fühlbar in der Luft, fast, als könne man sie greifen. Wie feine Nadelstiche streicht sie über meine Haut, mit einer brennenden Intensität. Ich beginne zu zittern und entschließe mich, wieder in das warme Innere zurückzukehren. Die Tasse stelle ich auf meinem Weg nach unten auf dem Küchentisch ab, der Inhalt schwappt leicht über den Rand und klatscht in hellgrünen Tropfen auf das Holz, kleine Pfützen bildend. Es ist faszinierend, wie laut in der Stille selbst ein einzelnes Geräusch ist, welches man sonst nie zu hören bekommt. Ich ging also zuerst die knarrenden Stufen hinab, gleich nach rechts in den kleinen Raum und wusch mir die Hände am Waschbecken. Ich glaube, nachdem sich das erste, getrocknete Blut gelöst hatte und feine Linien in das helle Wasser zog, dem Strudel folgend, nahm ich die Bürste und schrubbte solange, bis meine Hände gerötet waren, gerötet, aber sauber. Ob Sie es glauben oder nicht, aber getrocknetes Blut lässt sich nur schwer abwaschen. Es bricht weg, platzt davon, wie alte Farbe von einem Türrahmen abplatzt. Ich trocknete meine Hände fein säuberlich, schlüpfte in meinen weißen Kittel, band die Haare zurück, setzte die Haube auf, die Schutzbrille und zog meine Handschuhe über. Ja, Ordnung muss sein und ich möchte schließlich nichts beschmutzen. Nun, ich ging also hinüber in meine kleine Werkstatt, setzte mich auf den Hocker und begann langsam und sorgfältig die Gesichtszüge herauszuarbeiten. Man muss sehr vorsichtig sein, um die Haut nicht zu verletzen, wenn man zu tief schneidet. Das sieht nicht schön aus und so einen Riss wieder zu kitten, dauert sehr lange und ist nervenaufreibende Kleinarbeit.
Was ich mache, fragen Sie? Ich bin Künstler. Ich mache Puppen. Früher war ich sehr erfolgreich, jede Puppe ein Unikat, Sie wissen schon. Bis man alles durch Maschinen ersetzte und andere, bessere Puppenbildner kamen. Plötzlich war meine Arbeit nicht mehr gefragt, tragisch, aber so war es eben. Mein Agent meinte, es läge daran, dass meine Puppen nicht lebensecht wären, sie wirkten künstlich. Nun, er kann sich nicht mehr beschweren, denn mittlerweile habe ich einen reißenden Umsatz. Meine Werke, es sind immer noch Unikate, sie verkaufen sich zu Summen, von denen Sie nicht einmal zu träumen wagen. Ja, sie sind lebensecht. Aber wissen Sie überhaupt, wie schwer es ist, Kinder unauffällig verschwinden zu lassen? Nein, natürlich nicht. Glauben Sie mir, es ist nicht einfach. Aber ich habe einen guten, hm, sagen wir »Lieferanten« gefunden. Die Ware ist einwandfrei, sauber und kommt von weit her, was das Risiko des plötzlichen Erkennens erheblich mindert. Das kostet natürlich, aber er ist jeden Cent wert.
Es dauerte zu Anfang ein wenig, bis ich die richtige Gussmethode gefunden hatte. Ich musste ein wenig experimentieren, denn die Körper dürfen nicht verwesen oder ähnliches und man muss sie trotzdem noch bearbeiten können. Die Haare nehme ich vorher ab, bereite sie vor und später setze ich sie wieder ein. Aber ja, da haben Sie recht! Man könnte es wirklich als Sisyphusarbeit bezeichnen! Schön, dass Sie das zu würdigen wissen.
Haben Sie das gehört? Nein? Entschuldigen Sie bitte, ich bin etwas nervös, verständlich bei meiner Arbeit, nicht wahr?
Nun, warum Sie ausgerechnet hierher gebracht wurden, werden Sie sich fragen? Kein vertrauenerweckender Ort, ich weiß. Sehen Sie, inzwischen hat meine Sehkraft empfindlich nachgelassen und ich suche nun nach einem Nachfolger, jemanden, den ich ausbilden kann, der ein ebenso großes künstlerisches Potenzial besitzt, wie ich. Sehen Sie die Bahren hinter sich? Ja? Gut. Auf dem Tisch daneben liegt Werkzeug und für gewisse Zeit sind wir hier ungestört. Machen Sie sich keine Sorgen, ich habe alles organisiert. Nehmen Sie nun die Tücher ab. Warum denn so entsetzt? Manchmal lebt Ihre Ware eben noch, auch Ihr Lieferant arbeitet nicht immer fehlerfrei. Haben Sie damit Schwierigkeiten? Nein? Sehr gut.
Ich war so frei, die Ware schon knebeln und fesseln zu lassen – das macht es für den Anfänger leichter – und nun, greifen Sie bitte zum Messer und beginnen Sie.
Sie haben vier Stunden Zeit.
Copyright © 2010 by Sabrina Kowsky