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Werwolf

Dunkelgraue Wolkenfetzen zogen ihre Bahn über das tiefblaue Firmament. Der leuchtende Kreis des Mondes hüllte alles in seinen weiß-gelblichen Glanz, gab den Wolken einen überirdisch schimmernden Rahmen. Die vereinzelten Reste bläulichen Schnees schillerten silbern, als wären sie mit Glitzerstaub überzogen. Sachter Wind trieb dahin, summte sein klagendes Lied. Sanft zupfte er an seiner Kleidung, so, als wolle er ihn verführen, einen anderen Weg einzuschlagen.

Er hatte den breitkrempigen Hut tief in die Stirn gezogen, den Kragen seines Mantels aufgestellt, ging mit gesenktem Kopf und weit ausholenden Schritten dahin. Sein Atem eilte in kleinen, rauchgrauen Wölkchen an ihm vorbei. Die Kälte brannte auf seiner Haut, doch er schenkte dem keine Beachtung. Rasch drängte er sich an den vereinzelten Spaziergängern vorbei und jedes Mal hielt er die Luft an, senkte den Kopf noch ein Stück tiefer. Plötzlich stieß er gegen etwas und, im Reflex, blickte er hoch. Im selben Augenblick, in welchem er hochsah, riss er die Augen schreckgeweitet auf und er wollte sich sofort abwenden, doch er konnte es nicht.

Geheimnisvolle, dunkelgrün leuchtende, schwarzumrandete Katzenaugen mit goldenen Sprenkeln, welche zärtlich zu tanzen schienen, bohrten ihren intensiven Blick in die seinen. Eine Augenbraue zuckte belustigt und die kurzen, dunkelroten Fransen ihrer Haare zitterten um die bleiche Stirn, die hohen Wangenknochen. Er wollte sie nicht ansehen, wollte sich ihr Gesicht nicht einprägen, doch es war bereits geschehen, das wusste er. Rasch senkte er den Blick, zog den Kragen enger, murmelte eine unverständliche Entschuldigung und eilte um die nächste Häuserfront, verweilte dort in den Schatten. Sein Atem ging schnell, das Herz pochte wild und er konnte das Blut hören, wie es pulsierend in seinen Ohren rauschte. Er schloss die Augen, versuchte sich auf etwas anderes zu konzentrieren, aber es war zu spät. Selbst ihr Duft nach dunklem Flieder und wilden Rosen war ihm noch gegenwärtig. Verzweifelt wimmerte er. Das hatte er nicht gewollt. So oft konnte er diesen Impuls des Aufblickens unterdrücken, doch nicht immer. Und dann erinnerte er sich. Meist waren es Kleinigkeiten, das Funkeln in den Augen, ein zartes Lächeln, die Form der Augenbrauen, unbedeutend zwar, aber er würde sich später daran erinnern und das suchte er fast zwanghaft zu vermeiden. Genauso, wie er ihren Duft vermied. An ihren Duft erinnerte er sich mitunter stärker als an alles andere. Er wollte sich nicht an sie erinnern, es war besser für ihn und, vor allem, für sie, die anderen. Alle anderen.

Er schob die dicken Ärmel zurück und warf einen hektischen Blick auf die Uhr. Er hatte nicht mehr viel Zeit. Vielleicht war es diesmal anders, aber er glaubte es nicht. Er setzte seinen Weg fort. Hätte er es ihr sagen sollen?, fragte er sich, doch sofort verwarf er diesen Gedanken wieder. Es gab keine Möglichkeit. Er wusste es nur zu gut.

Als er die Wohnungstüre aufschloss, fühlte er bereits das Zittern seiner Lenden, das flackernde Brennen auf seiner Haut. Eilig warf er sie zu, verriegelte sie von innen, mit all den Schlössern, welche er angebracht hatte. Natürlich war es zwecklos, aber so fühlte er sich weniger hilflos. Er entledigte sich seiner Kleidung, warf sie achtlos zu Boden, bis er völlig entblößt da stand. Ein letzter Blick auf die Uhr. Es war Zeit. Seine Knie wackelten fürchterlich, winzige Schweißtropfen perlten über seine Schläfen, mit beiden Händen stützte er sich an den Wänden ab, tastete sich bebend vorwärts. Obwohl das Haus stockdunkel war und lediglich der flackernde, grelle Schein der Straßenlaterne durch die Ritzen der Bretter an den vernagelten Fenstern hereinfloss, hatte er keine Probleme sich zu orientieren. Dumpf pochte das Blut, hämmerte drängend gegen seinen Schädel. Nur seinem eisernen Willen war es zu verdanken, dass er überhaupt die Kellertüre hinter sich schließen konnte und es schaffte, die knarrenden Treppen hinabzuwanken. Doch auf den letzten Stufen versagten seine Knie und er stürzte. Hart kam er auf dem Betonboden auf, die Luft wurde aus seinen Lungen gepresst und für einen Moment hüllte ihn gnädige Schwärze ein.

Als er die Augen flatternd wieder öffnete, zuckte sein ganzer Körper, wand sich in wilden Krämpfen. Er wimmerte, bettelte um eine weitere Ohnmacht, bis er verschwommen den Käfig vor sich wahrnahm. Erkenntnis blitzte in seinen Augen auf, dann wandelte sie sich in nackte Panik. Den Kopf erhoben, sein Ziel fixierend, robbte er nach vorne, wand seinen nutzlosen Leib hin und her und Zentimeter um Zentimeter kam er ihm näher. Fest presste er die Lippen aufeinander, unterdrückte das dunkle Grollen in ihm, welches sich einen Weg nach außen suchte. Er war noch nicht soweit. Er musste, musste dorthinein!

Wenige Millimeter, als er das Metall schon riechen konnte, diesen beißenden Geruch wahrnahm, da fühlte er es. Es war Zeit. Das Zucken wurde stärker und seine Gliedmaßen schlugen aus, die Muskeln dehnten sich, drängten sich gegen seine Haut. Lautes Knirschen erklang, ein dumpfes Knacken, als seine Knochen brachen. Er schrie. Ein gellender, schmerzerfüllter Schrei. Sie verschoben sich, wuchsen in neuer, anderer Form zusammen. Tief in ihm sehnte sich etwas nach einer Ohnmacht, bettelte wimmernd darum, doch sie wurde ihm nicht gewährt. Das wurde sie nie.

Seine Haut bekam feine Risse, die sich schnell ausdehnten, breiter und breiter wurden, bis sie abplatzte, in feine Stücke zerbröckelte und als Staub in der Luft hängen blieb. Brennender Schmerz glühte lodernd in ihm, heiße, kochende Flammen züngelten über seinen Körper. Grelle Qualen pochten durch seine Adern. Rasch wuchs ihm eine neue Haut, dicker, fester, wie Stoff flutete sie über seinen Körper. Dunkle Haare sprossen daraus hervor, vereinten, verdichteten sich zu einem glänzenden Fell. Sein Gesicht hatte sich längst verformt, durch das feste, tiefrote Zahnfleisch schoben sich die leuchtend weißen Zähne, gebogen, sichelförmig, mit scharfkantigen Spitzen. Die Lefzen zitterten. Die großen, spitzen Ohren zuckten wild umher. Dunkle, grollende Laute brachen sich in ihm Bahn und gipfelten in ein vibrierendes Heulen. Langsam erhob er sich, der buschige Schwanz peitschte erregt umher, die kleinen, arglistig funkelnden Augen überblickten rasch den dunklen Raum. Tief sog er die Luft ein und dann nahm er ihn wahr, diesen Duft.

Er knurrte drohend, die kräftigen, pulsierenden Muskeln zuckten unter dem dichten Fell und mit wenigen Sätzen war er an der Tür. Die Schlösser waren kein Hindernis für ihn. Er sprang hart und fauchend dagegen und sie war offen.

Schnuppernd folgte er der unsichtbaren Spur. Seine langen Krallen klickten hell auf dem harten Asphalt unter ihm. Licht vermied er, suchte die Schatten. Fest konzentriert ließ er sich von seinem animalischen Trieb leiten. Es dauerte nicht lange, bis er gefunden hatte, was er suchte. Der wohlgeformte Schemen hinter den Vorhängen bewegte sich sachte zu den Klängen der Musik, welche gegen das dünne Glas des Fensters brandete, sich, nur für ihn hörbar, in der Luft verlor. Der heftige Regen saugte sich oberflächlich in sein Fell, feine Tropfen hingen an dessen Spitzen, perlten hinab und kamen mit leisem Platschen auf dem Boden auf. Er streckte den Kopf, die Nasenlöcher weiteten sich, tief sog er diesen Duft in sich ein. Flieder, Rosen – seine Lefzen zuckten. Die dunkelgelben Augen fixierten ihre Silhouette. Seine Muskeln spannten sich, fest schoben sich die Krallen in den Boden.

Hell splitterte das Glas, ein gellender, hoher Schrei ertönte.

Dann war da nur noch Stille, nur durchbrochen von seinen schmatzenden Fresslauten.

Copyright © 2010 by Sabrina Kowsky