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Auch Vampire dürfen Fast Food

Heutzutage der dunklen Bruderschaft anzugehören ist wirklich kein Zuckerschlecken mehr. Sie können sich das ja gar nicht vorstellen. Da wir gerade dabei sind: Hier ist auch schon das erste Problem, kaum dass ich einen Satz zu Papier gebracht habe. Um einem allgemeinen Aufschrei der Damen vorzubeugen, erwähne ich an dieser Stelle natürlich auch wohlwollend die Schwesternschaft unseres nächtlichen Gesindels.

Doch zurück zum Wesentlichen. Ich war dabei, mich über die schlimmen Zustände für heutige Blutsauger auszulassen. Damit liege ich doch voll im Trend und folge der Mode, uns als wehleidige Waschlappen darzustellen. Jammernd, vor Liebe schmachtend und mit sich und dem eigenen Los unsagbar unzufrieden. Wir leiden ja so schrecklich unter unserem Fluch, wir möchten doch nur geliebt werden. Ach, es bräche mir glatt das Herz, wäre da nicht die Übelkeit, die dieser Schwachsinn in mir auslöst.

Wenn Sie tatsächlich glauben, was uns diese sogenannten Schriftsteller und Hollywood-Schinkenklopfer andichten, sind Sie unter Garantie kein Vampir. Ich könnte mir gar kein besseres Dasein vorstellen. Mal ehrlich: Was ist daran so schlimm, unsterblich zu sein, nicht zu altern, über enorme Kräfte zu verfügen? Wieso sollte ich mich darüber beklagen, dass ich fliegen, mich in Rauch auflösen und in Tiere verwandeln kann? Ganz abgesehen von den anderen Talenten. Haben Sie schon einmal einen Schnellzug überholt? Zu Fuß? Nur so aus Spaß?

Nein, das haben Sie nicht. Also können Sie auch nicht wissen, wie berauschend sich das anfühlt.

Ich finde es geil, Vampir zu sein. Es ist der Hammer. Ein Kick für die Ewigkeit, der einfach nicht nachlässt. Hin und wieder überkommt einem Langeweile, aber dann schläft man eben für ein paar Jahre oder Jahrzehnte und erkundet die Welt, die sich in der Zwischenzeit verändert hat.

An manchen Tagen gebe ich richtig übel an mit meinen »speziellen Fähigkeiten«. Ich prahle rum. Bei den Frauen kommt das gut an, keine Frage. Nicht die Prahlerei, sondern der Beweis, dass das Gesagte auch tatsächlich zutrifft. Es sind dann später diese Meldungen, die man in den Boulevardblättern lesen kann: »Frau gesteht: Ich hatte Sex mit einem Wolf« oder »Von außerirdischen Besuchern: Junge Frau durch lebendigen Nebel zum Orgasmus gebracht«.

Natürlich reden solche Menschen dann von Dingen, die wir ihnen in die Köpfe gepflanzt haben. Uns ist es ohne große Umstände möglich, die Wirklichkeit anders erscheinen zu lassen. Einer Hypnose nicht unähnlich, doch tausendmal wirkungsvoller und diese vermeintlichen Realitäten halten an. Bis ein Mensch in die Grube fährt oder zu einem von uns gemacht wird, bleibt die Illusion bestehen.

Zurück zu dem Trugbild, dass Ihnen Schreiber und Regisseure vermitteln wollen. Sie erinnern sich? Einerseits das blutgierige Tier mit Hang zur Raserei oder auf der anderen Seite die Heulboje, die klagt und lamentiert, bis das Schmalz literweise aus den Nasenlöchern läuft.

Seien Sie sich bewusst, dass es sich anders verhält, bevor Sie einem von uns begegnen.

Klar, auch bei uns gibt es Irre und auch bei uns gibt es solche, die sich über restlos alles beklagen, sich unverstanden fühlen. Ist bei den Menschen nicht anders. Der Jugend unserer Art habt ihr Sterblichen damit ja richtig Butter aufs Brot geschmiert. Seit der gewöhnliche Vampir als hoffnungsloses Wesen gilt, den man einfach lieb haben muss, weil er ja so traurig ist, begegnet man andauernd triefäugigen Jungsaugern. Emo-Vampire, wie ich sie gerne nenne. Sie veranstalten ein Gewimmere, dass einem die Galle hochkommen möchte. Stinklangweilige und grottenschlechte Gedichte werden geschrieben, die Mundwinkel solcher Trauermienen schleifen fast schon auf dem Boden.

Da fällt mir eine Begegnung ein, die ich letztens mit einem Jungspund hatte.

Er kam mir auf der Straße entgegen, roch noch relativ unerfahren – ja, wir erkennen uns am Geruch, aber wir schnuppern uns nicht gegenseitig am Hintern wie Hunde – und zog ein Gesicht, dass es einem gruselig wurde. Hängende Schultern, hängender Kopf. Schlurfend und hin und wieder einen Seufzer ausstoßend, trottete dieses Bündel Elend auf mich zu.

»Was ist denn los?«, fragte ich ihn unbedarft.

Er schaute mich nur mit vor Tränen geröteten Augen an. Gleich vorweg: Das sind nie echte Tränen, lassen Sie sich bloß keinen Bären aufbinden. Die jungen Vampire benutzen Augentropfen, um diesen Effekt zu erzielen.

Seine Stimme war das Flüstern eines elendig Dahinsiechenden, als er sagte: »Ich bin einsam und muss ewig leben. Womit habe ich diesen Fluch verdient? Ach, könnte ich doch nur die Sonne sehen. Nur einmal noch. Einfach einen Sonnenaufgang erleben.«

Nun, Sie können davon ausgehen, dass mir die Sorgen der Jugend schon immer zu Herzen gegangen sind. So band ich ihn mit Lederriemen an eine Straßenlaterne und wünschte ihm viel Spaß beim Morgenrot.

Das wäre grausam gewesen, denken Sie? Aber nicht doch. Natürlich wartete auch ich auf den kommenden Morgen, der ohnehin nicht mehr fern war. Etwas anderes hatte ich nicht zu tun. Als sich die ersten Strahlen der Sonne über die Straßen ergossen und ihren Weg durch die Häuserschluchten suchten, hörte er endlich auf zu fluchen und mich zu verdammen. Stattdessen schrie der Junge aus voller Kehle. Einerseits peinlich, doch das war es mir wert gewesen.

Dann erreichte das Licht sein bleiches Antlitz und ließ ihn noch lauter Kreischen. Ich hätte mir nie träumen lassen, dass sich die Lautstärke noch hätte erhöhen können. Meine Güte, das war ein Lärm gewesen.

Sobald sein Körper von dem Fixstern voll erfasst worden und er noch immer in seiner Panik gefangen war, beendete ich meine kleine Posse und trat vor ihn.

»Nun«, bemerkte ich mit einem gemeinen Grinsen, »da hast du deinen Sonnenaufgang. Zufrieden?«

»Du verfluchter Bastard! Du verdammtes, altes Ekel!«

Es kamen noch mehr Äußerungen dieser Art, auf die ich nun gerne verzichte, sie wiederzugeben. Fakt ist: Die Sonne hatte ihm nicht geschadet. Selbstverständlich nicht, denn unsere angebliche Empfindlichkeit gegenüber dem Tageslicht gründet in Mythen und Halbwissen.

Bei Tag verfügen wir nicht über all unsere Kräfte, aber wir vergehen, verdampfen und verbrennen nicht. Einige von uns haben einen genetischen Defekt, der sich verheerend auswirkt, das möchte ich nicht leugnen. Die zu finden ist jedoch Glückssache. Ich selbst bin nie einem von uns begegnet, der derart allergisch auf die Sonne reagiert hätte.

Meinen jungen Freund entließ ich danach aus seinen Fesseln und er rannte seines Weges, nicht ohne mir zuvor noch einmal die Pest an den Hals zu wünschen.

Warum sollten wir Vampire von den Spinnereien pubertierender Heranwachsender verschont bleiben?

Viele von ihnen ahnen nicht einmal, dass sie Hirngespinsten oder einem schlechten Witz ihrer »Erschaffer« zum Opfer gefallen sind. Ihr klägliches Wissen stammt aus der Literatur und aus dem, was sie in Spielfilmen oder angeblichen Dokumentationen gelernt haben. Meinen eigenen Sprösslingen bleibt diese Peinlichkeit regelmäßig erspart, denn ich bilde aus, kläre auf. Ich lasse sie nicht einfach unwissend im Regen stehen und ergötze mich im Verborgenen an ihrem Weg durch die Fettnäpfchen.

Obschon ich zugeben muss, dass es spaßig sein kann, die Neuen zu foppen.

Warum also sind wir Kinder der Nacht? Weil die Nacht etwas Magisches hat. Sie kann so viel verbergen, sie ist angereichert mit dieser besonderen Aura. Hey, Sie als Sterblicher halten Nächte doch auch für … wie soll ich es nennen … romantisch, wundervoll, zauberhaft. Schon gut, schon gut, nachts begegnet man auch weniger Zeugen. Verdammt, ja, das ist natürlich auch mit ein Grund dafür, warum wir Nächte bevorzugen. Nicht zu vergessen, dass wir erst nach Sonnenuntergang über all unsere Power verfügen.

Warum das so ist?

Keine Ahnung. Es ist eben Fakt und damit genug. Einige Dinge muss man eben einfach akzeptieren.

Das ist jetzt ein Schock für Sie, habe ich recht? Nicht einmal die Sonne kann Sie vor uns Spitzzähnen schützen. So ein Mist aber auch.

Und dann die Sache mit den Kreuzen. Völlig daneben, ehrlich. Wenn Sie einem von uns ein Kreuz vor die Nase halten und hoffen, dass ihn oder sie dieses Symbol aufhalten könnte, haben Sie die Wahl zwischen mehreren Problemen. Entweder der Vampir fühlt sich derartig beleidigt, dass er Sie langsam und qualvoll Ihrem Ende zuführt oder er bricht in schallendes Gelächter aus oder – und das ist meist der Fall – der Vampir schlägt einfach Ihre Hand beiseite und tut das, was er ohnehin vorgehabt hatte. In der Regel überleben Sie einen Biss, wenn Sie uns aber so kommen, würde ich nicht darauf wetten.

Da hätten wir dann das Sonnenlicht und heilige Symbole ausgeschlossen. Herr im Himmel, was hilft denn nun gegen uns? Knoblauch? Nein. Weihwasser? Siehe Kreuz. Einen Holzpflock, durchs Herz getrieben? Klar, damit erwischen Sie uns. Wir Sie aber auch. Gepfählte Menschen sind nicht weniger endgültig tot als wir Blutsauger.

Und wie ist es mit dem Abschlagen des Kopfes? Fragen Sie sich selbst: Leben Sie weiter ohne Kopf? Bingo, damit wäre das also auch beantwortet.

Solche brachialen Methoden sind jedoch nur selten anzuwenden, da wir entweder friedlich sind oder Sie uns ohnehin kaum überwältigen können. Ach, kommen Sie mir jetzt nur nicht mit Vampirjägern. Die gibt es. Für meinen Geschmack viel zu viele von ihnen. Die Menschen haben ihre Illuminaten und Templer, wir haben die Vampirjäger. Um ein solcher zu werden, sollte ein Mensch aber bereit sein, sämtliche Moral beiseitezulassen. Auch der eigenen Spezies gegenüber. Vampirkiller killen nicht nur Vampire. Sie schlachten auch Menschen ab, wenn sie glauben, sie stünden ihrem Ziel im Weg oder wenn sie einfach nur davon ausgehen, es könnte sich um einen Vampir handeln.

Sie sehen, Vampirjäger sind nichts weiter als Irre.

Besonders grausame Serienmorde sind nicht unbedingt als gewöhnliches Verbrechen anzusehen. Oft stecken dahinter die Jäger, die ihre Spuren geschickt verwischen und ein Opferlamm vorschieben. Jemanden, der sowieso schon als verrückt einzustufen ist, um den es in deren Augen nicht schade ist.

Wie wird man denn nun Vampir? Darüber lasse ich mich nicht aus. Nicht heute, nicht an dieser Stelle. Wenn Sie möchten, warten Sie einfach, ob ich noch einmal aus dem Nähkästchen plaudere. Oder wir laufen uns einmal über den Weg und ich zeige es Ihnen am lebenden Objekt. Learning by Doing, wie man sagt.

Eine andere Geschichte, die sich ebenfalls hartnäckig in der Gerüchteküche hält, ist die Sache mit der Maskerade. Es heißt, wir müssten uns verbergen. Ganz so weit hergeholt ist das nicht, denn Menschen werden oft misstrauisch, wenn der Nachbar seit fünfzig Jahren nicht um einen Tag altert. Also verwandeln wir uns. Wir können die Gestalt derart verändern, dass es scheint, als seien wir gewöhnliche Sterbliche, die den gleichen Naturgesetzen unterliegen und alt werden. Sind wir dann gebeugt und grau, trinken wir einfach einige Wochen nichts mehr und man wird uns für tot erklären.

Begraben warten wir bis tief in die Nacht oder auch zwei Nächte, werden zu Nebel und entsteigen dann so unserem unterirdischen Gefängnis. Ist nicht schwer, kostet kaum Kraft und von der Sauberkeit will ich gar nicht reden.

Problematisch wird es, wenn man uns verbrennt. Da gibt es dann kein Zurück. Sind wir Vampire erst einmal ein Häuflein Asche, ist es aus und vorbei mit dem untoten Leben.

Sollte Ihr Ehepartner also darauf bestehen, auf gar keinen Fall verbrannt werden zu wollen, schlagen Sie ihm diese Bitte nie aus. Es könnte sein, dass Sie mit einem Vampir verheiratet sind.

Übrigens, ganz nebenbei bemerkt, wenn einer von uns auf dem Autopsietisch landet und nicht rechtzeitig erwacht, hat das fatale Folgen. Innere Organe und Gehirn sind für uns nicht minder wichtig als für jeden sterblichen Menschen. In einer Schale nützen uns die gar nichts mehr, dann waren wir und sind nicht mehr.

Jetzt kommen wir zu dem, was uns Vampire wirklich ausmacht: Blut.

Wir alle müssen uns ernähren, das geht Ihnen nicht anders als uns. Für das leibliche Wohl bevorzugen wir ganz gewöhnliche Nahrung. Nur hält uns die nicht am Unleben. Dazu ist der rote Saft unabdingbar. Ein halber Liter pro Woche würde ausreichen, aber mehr schadet nicht. Daher schlemmen wir gerne einmal. Vampire sind bekennende Gourmets. Schwierigkeiten, an Blut heranzukommen, bestehen kaum. Zur Not tut es auch ein Besuch in der Blutbank, sofern man über die nötigen finanziellen Mittel verfügt. Dann fehlt natürlich der Kick einer Jagd. Nicht zu vergessen, dass erbeutetes Blut mit Adrenalin angereichert ist. Gewürzt schmeckt eben alles besser, ob es sich um menschliche oder vampirische Nahrung handelt.

Sie würden auch kein Steak mit Genuss essen können, bei dem auf Salz verzichtet wurde.

Das Trinken von Blut hat einen angenehmen Nebeneffekt. Wir erhalten dadurch Zugang zu all dem Wissen, das der Mensch in seinem Leben angesammelt hat und wir profitieren von seinem Geist. Daher leben in uns die alten Genies weiter – zumindest teilweise.

Es müssen nicht immer geistige Überflieger sein, denn Fast Food in Form von simpel gestrickten Persönlichkeiten schmeckt zuweilen ebenso gut. Äußerlichkeiten spielen nicht unbedingt eine Rolle, hier sind es tatsächlich die inneren Werte, die zählen. Wer mag, kann auch einen Obdachlosen anzapfen und wird genauso verwöhnt, da manches Genie auf der Straße herumliegt. Vergessen von einer menschlichen Gesellschaft, die sich – ach – so klug und weltgewandt wähnt.

Leider haben sich die Zeiten geändert. Nicht zum Guten, möchte ich anmerken.

Es ist ja heute längst nicht mehr so, dass man mal eben kurz einen Goethe anknabbern, einen Hegel saugen oder einen Leonardo da Vinci zur Ader lassen kann. Die moderne Gesellschaft im zweiten Jahrtausend hat sich ihrer Geistesgrößen weitgehend entledigt. Übrig gebliebene Exemplare sind heiß umkämpft. Da heißt es schnell zugreifen, sobald man eines entdeckt.

Sollten Sie einmal in den glücklichen Zustand des Vampirismus gelangen, so rate ich Ihnen dringend von dem Saugen eines Politikers, Geistlichen oder Juristen ab. Nicht wenige haben sich mit diesen Berufsklassen den Magen verdorben. Auch Adelige sind nicht empfehlenswert. Diesen Spruch vom blauen Blut sollten Vampire in jedem Fall ernst nehmen. Ein paar Schlucke genügen und man erzielt den gleichen Effekt wie ein Mensch, der sich eine Flasche Schnaps auf einmal gönnt. Nicht vergessen: Adelige sind starker Tobak. Wer sie nicht gewöhnt ist, fällt ganz leicht in eine Starre oder wird für einige Jahre wahnsinnig.

Ich hoffe nun, Sie sehen uns Vampire von jetzt an so, wie es uns zusteht. Nicht als Bestien, nicht als Jammerlappen. Einfach als die freundlichen Nachbarn von nebenan, die hin und wieder an ihr Blut wollen.

Glauben Sie mir, unter Ihresgleichen, den Menschen, finden sich bedeutend schlimmere Blutsauger.

Copyright © 2010 by Sven Später