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Colorado Sunrise – Folge 12

Spurlos verschwunden

Im ersten Grau des neuen Morgens teilte Ben Tucker die Männer des Suchtrupps ein. Kathryn Morehead ritt als einzige Frau mit. Geschickt dirigierte er sein Pferd zwischen Sams und Kats Tiere. Irgendwann trennten er und Kat sich von der Gruppe und suchten zu zweit. Von ihrer Hochnäsigkeit war nichts geblieben. Angst zeichnete sich auf ihrem Gesicht ab.

»Wir werden Ihren Neffen finden, Miss Morehead.«

Sie seufzte, blickte sich suchend um. »Wo ist Sam?«

»Er sucht mit den anderen in der entgegengesetzten Richtung.«

Stirnrunzelnd blickte sie ihn an.

»Falls Sie sich in meiner Gegenwart unwohl fühlen …«

Sie ließ ihn nicht ausreden. »Warum sollte ich das?« Mit dem sarkastischen Tonfall kam der hochmütige Gesichtsausdruck zurück.

Er zuckte die Schultern, suchte nach Gesprächsstoff, doch es fiel ihm nichts ein. Schweigend ritten sie eine Weile nebeneinander her, bis er ein heikles Thema anschnitt.

»Sie sprechen mit niemand, wenn Sie in die Stadt kommen.«

»Liegt möglicherweise daran, dass niemand die Absicht hat, sich mit mir zu unterhalten.«

Wie sollte er ihr klarmachen, dass jedermann sie für hochnäsig hielt und deshalb keinen Kontakt zu ihr suchte? Ben beugte sich hinüber, griff in ihre Zügel und hielt beide Pferde an.

»Kat, die Leute glauben, Sie halten sich für was Besseres, weil Sie …«

»Wenn Sie dieser Meinung sind, dann unterhalten Sie sich nicht mit einem Halbblut.«

Das letzte Wort spie sie förmlich hinaus. Er hatte ihren wunden Punkt getroffen. Sie trieb ihr Pferd an und galoppierte davon.

Sie war ein Rasseweib, temperamentvoll und heißblütig. Vielleicht lag es an ihrem Indianerblut. Er jagte ihr hinterher.

Als die Pferde auf gleicher Höhe waren, rief er: »Was soll das? Zügeln Sie das Pferd und wir unterhalten uns wie erwachsene Menschen.«

Tatsächlich stoppte sie und sah ihn trotzig an.

»Ich möchte Sie in einem Kleid sehen.«

»Was?«

»Ist das so schwer zu verstehen? Eine Frau sollte Röcke tragen.«

»Auf der Ranch fällt viel Arbeit an. Ich habe keine Zeit, mich herauszuputzen wie … eine Lehrerin.«

Er musterte sie: »Hm. Ich überlege, welch Farbe Ihnen stehen würde. Mögen Sie Grün? Grün gefällt mir besonders gut.«

Sein intensiver Blick ließ sie erröten.

»Was verstehen Sie schon davon.« Verlegen zog sie ihren Hut tiefer in die Stirn und trieb ihr Pferd an.

Ben grinste. »Dich zähm ich«, murmelte er.

Doch erst mussten sie Brian zu finden.

***

Das hektische Treiben im Mietstall hatte Mae aus ihrem sicheren Versteck hinter einer Futterkiste verfolgt. Als es ruhiger wurde, trat sie hervor und sah an sich herab. Trotz der Kleidung fühlte sie sich nackt. Wie als Schutz presste sie ihr Kleidungsbündel an sich. Hier lassen wollte sie es nicht. Es wäre unerträglich, wenn jemand ihre Wäsche durchwühlt.

»Miss, Sie sehn wie ein echtes Cowgirl aus.« Charly musterte sie grinsend.

Es hatte sie einige Überredung und einige Dollar gekostet, damit der Stallbursche die Garderobe besorgt hatte. Wohl fühlte sie sich in dem geteilten Reitrock nicht, der wie eine weite Männerhose aussah.

»Mrs. Willings weiß wirklich Bescheid?«, fragte Charly und blickte sie stirnrunzelnd an.

»Natürlich, doch sie fühlt sich nicht wohl, sonst würde sie an der Suche teilnehmen.«

Stumm entschuldigte sie sich bei Grace für die Notlüge. Die Stimme in ihrem Kopf, die ihr Vorhaben immer noch für Unsinn hielt, wurde leiser, und sie folgte Charly durch die offene Stalltür. Sie krallte sich an ihrem Kleiderbündel fest.

Sie hatte noch nie einen Wagen gelenkt, doch so schwierig konnte es nicht sein. Es war ein Buggy, den Grace ihr Eigentum nannte. Charly half ihr hinauf und beobachtete sie. Das machte sie nervös. Sie nahm die Zügel, schlug die Lederriemen auf das Hinterteil des Pferdes, wie sie es bei anderen gesehen hatte, doch es bewegte sich keinen Inch.

»Miss, die Bremse.« Charly deutet auf den Hebel, der das Rad blockierte.

»Weiß ich doch«, murmelte Mae und lockerte die Bremse. Zum Glück gelang ihr das ohne weitere Anstrengung. Wieder bewegte sie die Zügel und das Pferd setzte sich tatsächlich in Bewegung. Trotz der Morgenkühle war ihr heiß vor Aufregung. Sie trug Reitkleidung, fuhr zum ersten Mal einen Wagen. Dass sie gelogen hatte, verursachte ihr Übelkeit, doch wenn sie Brian fand, war das alles unwichtig. Sie war sicher, dass die Zirkusleute ihn entführt hatten.

 

Vor der Stadt blieb das Pferd stehen und knabberte an Grashalmen.

»Hopp«, rief Mae, aber das Tier verweigerte den Dienst. Was sie mit den Zügeln auch anstellte, daran zerrte oder locker ließ, das Pferd blieb stehen und kaute an seiner Mahlzeit. Ihre Rufe und das Versprechen, einige Leckerbissen zu geben, halfen auch nicht. Unschlüssig erhob sich Mae vom Kutschbock. Sie konnte doch nicht den ganzen Tag an dieser Stelle verbringen. Als hätte das Pferd ihren stillen Vorwurf gehört, setzte es sich in Bewegung. Mae verlor das Gleichgewicht, ruderte wild mit den Armen, die vergeblich Halt suchten, und landete unsanft auf dem Boden. Der Aufprall raubte ihr den Atem. Für einige Augenblicke blieb sie auf dem Rücken liegen und schnappte nach Luft. Tränen des Zorns stiegen ihr in die Augen. Benommen rappelte sie sich auf und schrie auf. Sobald sie ihren linken Fuß belastete, fuhr eine Schmerzwelle durch sie hindurch. Am liebsten hätte sie ihrem Zorn Luft gemacht. Sie saß mutterseelenallein in der Prärie, ihr Knöchel schmerzte höllisch. Sie hatte Charly angelogen, Graces Buggy entwendet und war zu dumm, ein Pferd zu führen. Sie schrie ihre unkontrollierte Wut hinaus und hieb mit der Faust auf den Boden. Bis ihr die Sinnlosigkeit ihres Tuns bewusst wurde. Wie aus dem Nichts tauchten Reiter in der Ferne auf. Eilig kroch sie auf allen vieren zum Wagen, griff in die Radspeichen und betete, dass das Pferd stillstehen möge. Durch ihren Rücken rasten Dutzende von Messern, und ihr Bein war ein einziger Schmerz. Als sie sich endlich hochzog, fühlte sie Schweißperlen auf der Stirn. Auf einem Bein stehend blickte sie den beiden Reitern entgegen.

***

Ben Tucker runzelte die Stirn.

Das war doch tatsächlich die Lehrerin, die sich vom Boden aufrappelte. Was machte sie allein hier draußen? War sie etwa vom Wagen gefallen? Diese Frau sorgte für Überraschungen.

»Miss Dunlay.« Er tippte an den Hut.

»Miss Morehead, Sheriff.«

Kat Morehead erwiderte den Gruß.

Die Kleidung stand ihr ganz und gar nicht, fand Ben. Von Kat war man es gewohnt, aber an einer Lady sah ein Reitrock doch eigentümlich aus. Das Haar trug sie nicht wie üblich hochgesteckt, sondern im Nacken mit einem Band zusammengebunden. Kein Hut. Jeder vernünftige Mensch trug einen Hut, wenn er das Haus verließ.

»Was machen Sie hier?«, fragte Ben, obwohl er es ahnte.

»Ich suche Brian. Haben Sie ihn gefunden?«

Er verneinte, stieg von seinem Pferd und ging auf sie zu. »Sind Sie verletzt?«, fragte er besorgt.

»Nein. Lassen Sie sich nicht bei Ihrer Suche stören.«

»Ich fahr Sie zurück in die Stadt.«

»Bemühen Sie sich nicht. Das kann ich selbst.«

Ihre Bemühungen, mit dem verletzten Bein aufzutreten, scheiterten.

Verständnislos blickte Ben abwechselnd zur Lehrerin und zu Kat, die alles vom Pferd aus beobachtete.

»Ist es eine Eigenart der Frauen, immer das Gegenteil von dem zu machen, was sie tut sollten?« Er richtete die Frage an beide, erhielt aber keine Antwort.

Als er den Arm um Maes Rücken legen wollte, trat sie einen Schritt zurück und schrie auf.

»Ich setz Sie auf den Wagen und fahr Sie nach Hause. Kein Widerspruch, denn ich bin müde und zu keiner Diskussion bereit.« Schärfer als beabsichtigt fragte er: »Ist Ihr Bein gebrochen?«

»Ich glaube nicht.« Mit einem Mal klang ihre Stimme resigniert.

Er hob sie auf den Wagen, band sein Pferd daran fest und nahm neben ihr Platz. Der Buggy war schmal und sie saßen eng beieinander. Kat ritt neben ihnen her. Er wusste ihren Blick nicht zu deuten. Unmut? Eifersucht?

»Haben Sie den Zirkus gefunden?«, riss ihn Mae aus seinen Gedanken.

»Ja, wir haben die Zirkuswagen durchsucht, hinter jedem Strauch nachgesehen, doch von dem Jungen keine Spur. Wenn ihn die anderen nicht gefunden haben, weiß ich nicht, wo wir noch suchen sollen. Zu Fuß kann er nicht so weit gelaufen sein.«

Schweigend trafen sie in der Stadt ein. Sam Morehead stand mit einigen anderen vor dem Sheriffsoffice. Die Spuren einer schlaflosen Nacht, Trauer und Resignation waren in seinem Gesicht zu lesen. Kat sprang vom Pferd und fiel in seine Arme. Für die Stagecoach, die vor der Station stehen blieb, hatte niemand Interesse. Alle fühlten mit Sam Morehead.

Die Kutschentür wurde von innen aufgestoßen.

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2 Antworten auf Colorado Sunrise – Folge 12